„Marmelade in Essig“ und andere Merkwürdigkeiten

Dario Fo’s brillante Satire „Bezahlt wird nicht!“ hatte an den Landesbühnen Sachsen Premiere

Drehte man den Kalender um – sagen wir mal – 39 Jahre zurück und beamten wir uns dann hinunter ins sonnige Italien des Jahres 1974, dann wären wir in jenem Jahr angekommen, in dem sich der Theaterautor Dario Fo eine seiner schärfsten Satiren überhaupt ausdachte. Mehr »

Ein namenloser Turm in Radebeul Ost – gibt’s so was?

Neulich fragte mich ein ehemaliger Kollege aus dem Energiebau (heute ABB), ob ich einen ruinösen Turm am östlichen Lößnitzhang und vielleicht seinen Namen kennen würde und er beschrieb mir ein paar Einzelheiten. Mehr »

„Ein kühler Morgen zwischen den Jahren“

Werner Wittig und Michael Hofmann stellen in den Räumen der Sparkasse aus

Das gemeinsame und zugleich verbindende Moment der beiden Radebeuler Künstler Werner Wittig und Michael Hofmann ist der Werkstoff Holz. Das Holz bildet von daher auch die Grundlage ihrer beider künstlerischen Arbeit.  Der Unterschied aber liegt im Detail und dabei wiederum in der genauen Bezeichnung der jeweiligen Bearbeitung des Werkstoffs Holz. Mehr »

Editorial 1-14

Auf zu neuen Ufern! Kaum treffender kann man das Unterfangen von „Vorschau & Rückblick“ benennen, was programmatisch für das vor uns liegende Jahr angedacht ist. Unser Monatsheft für Radebeul und Umgebung strahlte in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten fast ausschließlich in umliegende Ortschaften rechtselbischer Gefilde. Mehr »

Unsere alten Handwerksmeister – Hermann Claus

Als ich dem Radebeuler Hermann Claus gegenübersitze, fordere ich ihn mit der Frage „hat Handwerk wirklich goldenen Boden?“ etwas heraus. Ein kurzes Nachdenken und er sagt: „Ja, wenn man sein Fach gut gelernt hat, täglich fleißig ist und sich theoretisch und technisch auf dem Laufenden hält, kann man zu Wohlstand gelangen“. Ich bin neugierig geworden, wie sich diese Antwort in Leben und Beruf widerspiegelt.Herrmann Claus
Am 21. Januar 1926 wurde in der Familie des Installateurs und Klempners Johannes Claus der Sohn Hermann in der Leipziger Straße 50, heute Meißner Straße 118, in Radebeul geboren. An gleicher Stelle war auch der Großvater Herrmann Clauss (die Schreibweise hatte sich dann geändert), der das Handwerk 1882 begann und 1887/88 das zweigeschossige Wohnhaus durch die Gebr. Ziller ließ, tätig gewesen. So überrascht es kaum, dass Hermann nach Besuch der Rosegger- und Schillerschule von 1932 – 40 den Wunsch hatte, auch Installateur und Klempner zu werden.
Acht Jahre Schulbesuch waren damals üblich, nur wenige Schüler wollten oder konnten mit Mittlerer Reife oder Abitur abschließen. Im Gespräch erinnert sich Herr Claus, dass ihm besonders der Lehrer Robert Schaale ein gutes Rüstzeug mit auf den Weg gegeben hatte. In seine Kindheit fällt auch das Interesse für Musik – die Mutter wollte, dass er Flöte spielen solle, er hat aber schon bald auf Akkordeon „umgesattelt“, besitzt bzw. besaß zwei entsprechende Hohner-Instrumente. So spielte er als junger Mann im Orchester, aber auch solistisch und trat zur Unterhaltungsmusik u.a. in der „Goldenen Weintraube“ auf.
Eine geplante Lehre bei einer Dresdner Firma zerschlug sich, weil bereits Krieg war und der Geselle in Vaters Geschäft eingezogen war, so lernte er doch beim Vater seinen Beruf. Dazu gehörte natürlich auch der Besuch der Berufsschule in der Criegernstraße, der heutigen Straße des Friedens. Unter den Kriegsbedingungen wurde die Lehrzeit von vier auf dreieinhalb Jahre verkürzt. Im Herbst 1943 hielt er den Facharbeiterbrief in den Händen, musste aber zunächst zum Arbeitsdienst, der mit seinem Beruf wenig zu tun hatte. Es folgte eine kurze Zeit der Arbeit beim Vater in Radebeul, die schließlich mit der Einberufung zum Militärdienst endete. Er wurde, vielleicht auch wegen seiner Fingerfertigkeiten als Musiker, als Funker eingesetzt. Nach schwerer Verletzung eines Beines durch Granatsplitter an der Ostfront fand Hermann Claus bei polnischen, katholischen Schwestern Unterschlupf, wo er gut gepflegt wurde und dadurch einer Gefangenschaft entging. Auf abenteuerlichen Wegen und ohne Ausweispapiere kam er am 12. Juli 1946 heim, musste aber dann doch noch mal unters Messer eines Chirurgen. Die wieder aufgenommene Arbeit in Vaters Geschäft führte 1949 zum Erhalt des Meisterbriefes in seinem Fach (1999 konnte er dann den „Goldenen Meisterbrief“ feiern).

Wohn- und Geschäftshaus, um 1900

Wohn- und Geschäftshaus, um 1900

Die Geschäftsübernahme des väterlichen Betriebes erfolgte per 1. Januar 1954, woran sich eine kontinuierliche Tätigkeit in seinem Beruf, besser gesagt in seinen zwei Berufen, bis 1994 anschloss. Zusammen mit seiner Frau – kürzlich erst wurde die Diamantene Hochzeit gefeiert – zog er zwei Töchter auf. Siegfried Kebschull, der Ehemann seiner Tochter Christina, übernahm in den neunziger Jahren die Werkstatt und eröffnete in der Meißner Straße 113 ein Geschäft für Sanitärtechnik, er hatte nun den Schwerpunkt auf den Installateur gelegt.
Was versteckt sich aber hinter dem Doppelberuf von Hermann Claus? Grob formuliert kümmert sich der Installateur um Gas-, Wasser- und Abwasserleitungen für Küchen, Bäder und Toiletten sowie Heizung einschließlich entsprechender Geräte. Der Klempner ist zuständig für Blecheindeckungen an Dächern und Türmen, Dachkehlen, Dachrinnen und Regenfallrohre sowie Teilverblechungen an Fassaden und arbeitet somit mehr im Freien als der Installateur. Er bearbeitet vorwiegend Metalle (Fertigteile oder Meterware) arbeitet aber auch mit Kunststoffen. Nun hat Hermann Claus in Zeiten gelebt, wo klassische Materialien wie zB. Kupfer und Zink erst kriegsbedingt, dann in der DDR aus anderen Gründen nicht verfügbar waren, da blieb nur verzinktes Blech, Aluminium oder eben Plaste. Aber geht nicht, gab’s nicht, eine Lösung fand sich immer! Erst in den letzten vier Jahren bekam er auch Kupfer auf die Werkbank.

Auf dem Dach des Meinholdschen Turmhauses

Auf dem Dach des
Meinholdschen Turmhauses

Wo waren nun die Baustellen von Herrn Claus gewesen, frage ich ihn. Nicht ohne Stolz erzählt er mir, dass der Großvater, der Vater und auch er zu verschiedenen Zeiten für Friedrich Eduard Bilz bzw. seine Familie im Bilzbad, im Sanatorium und der Villa arbeiten konnten. Ähnlich war es auch bei Karl und Clara May, dem Indianer- bzw. Karl-May-Museum. Bei Arbeiten für die Berufsschule schließt sich ein Kreis – wo er einst lernte, durfte er später Reparaturen ausführen. Tragisch war aber ein Fall in der Ahornstraße 2, die 1942/43 errichtet wurde, da hatte er mit seinem Vater gearbeitet. Im Februar 1945, also nach kaum zwei Jahren, wurde das Haus durch einen Bombentreffer zerstört, wobei 31 Menschen den Tod fanden. Mehrmals waren auch an der seinem Haus gegenüber stehenden Lutherkirche durch ihn Klempnerarbeiten ausgeführt worden. Natürlich arbeitete die Firma Claus auch für eine Vielzahl anderer privater Haushalte. Für einen Klempner ist die Errichtung oder die Reparatur von Wetterfahnen bzw. Turmkugeln in doppeltem Sinne ein Höhepunkt, leider gab es davon in DDR-Tagen wenige. An zwei aber erinnert er sich gern: am Meinhold’schen Turmhaus (damals Dr. Thenius) und an der Moritzburger Straße 1. Mit mehreren Radebeuler Firmen aus dem Baugewerbe, so der Fliesenlegerfirma Häse, den Dachdeckern Bock und Schneider, der PGH Empor (heute Radebeuler Dachdecker GmbH) oder dem Kreisbaubetrieb, gab es wiederholt Zusammenarbeit auf Baustellen. Auch bei den berühmt-berüchtigten Taktstraßen zur Gebäudesanierung in den 70-er und 80-er Jahren war die Firma Claus ein verlässlicher Partner.
Zur Lutherkirche hatte Herr Claus immer gute Beziehungen, so wirkte er auch eine Zeit lang im Kirchenvorstand mit. In der Innung der Installateure und Klempner hatte er später die Position des Obermeisters inne. Man kann Hermann Claus bescheinigen, dass er in Radebeul wirklich kein Unbekannter ist. Viel hat er im Laufe seines Berufslebens für die Radebeuler Häuser und deren Bewohner getan – die Summe der Details, ob Wasserhahn oder Regenfallrohr, und die Bereitschaft in Notfällen zu helfen, machen es aus! Ich konnte mich überzeugen, dass es ihm auch in seinem 88. Jahr gut geht, dass er am Geschehen in Radebeul unverändert interessiert ist und auf ein reiches Berufsleben zurückblicken darf. Zum Schluss möchte ich noch wissen, wie er den in den letzten 20 Jahren stark zugenommenen Verkehrslärm der Meißner Straße verkraftet und ob er nicht mal wegziehen wollte. Nein, daran hat er nicht gedacht und der Lärm hat sich ja über längere Zeit entwickelt, so dass er sich daran gewöhnen konnte. Und eine gut bekannte Adresse ist für einen Handwerker auch wegen der Tradition und Präsenz wichtig, seine Kunden sollen ihn finden.
Vielleicht, wenn nicht die Kriegsverletzung gewesen wäre, hätte er den vom Vater vorgelebten Klettersport in der Sächsischen Schweiz weiter betreiben können, so bleibt als Hobby das Musizieren auf „der Hohner“ mit ihren 120 Bässen.

Dietrich Lohse

Ein Kalendertipp für 2014

Buchankündigungen hatten wir in Vorschau & Rückblick schon – gibt’s auch Kalenderrezensionen? Auch wenn das hier Neuland und die Auswahl an bebilderten Wandkalendern in den einschlägigen Läden groß ist, möchte ich es versuchen.9-kalender-klitzsch
Der Kalender mit 12 künstlerischen Arbeiten von Hartmut Klitzsch (1923 -1995), der in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag gehabt hätte, beruht auf einer privaten Initiative seines Neffen Gottfried Klitzsch, der in München und Radebeul lebt. Hartmut Klitzsch war nach dem Kriege bis in die 70er Jahre als Lehrer in Gohlis tätig gewesen, auf jeden Fall dürfte er Kunsterziehung unterrichtet haben. Obwohl er kein akademischer Künstler ist, hat er uns eine große Zahl von Zeichnungen und Aquarellen hinterlassen, die sich alle durch flotten Strich und sichere Farbwahl auszeichnen. Seine Themen fand er bei einzelnen Gebäuden (z.B. Gohliser Windmühle), Stadtansichten (Prag) und freien Landschaften (Waldstück I und II) in seiner näheren und weiteren Heimat. Die Bildauswahl für diesen Kalender, den es in der Buchhandlung Sauermann in zwei Größen (kleines Format 8,-€, großes 18,-€) gibt, hat zwar kein eigentliches Radebeuler Motiv dabei, auf dem Januarblatt erkennt man aber hinter der Gohliser Schule die Lößnitzer Weinberge.
Man sollte den Begriff „Heimat“ vielleicht nicht zu eng sehen, wenn man sich für diesen schönen Kalender interessiert und außerdem wäre er doch auch ein passendes Geschenk zum Weihnachtsfest. Ich kann ihn empfehlen.

Dietrich Lohse

Annerose Schulze zeigt „paperwork“ in der Stadtgalerie Radebeul

Textilgestalterin Annerose Schulze

Textilgestalterin Annerose Schulze

Obwohl die Textilgestalterin Annerose Schulze nun schon seit über zwei Jahrzehnten in Radebeul ansässig ist, präsentiert sie sich mit einer umfassenden Personalausstellung im Jahr 2013 in der Lößnitzstadt zum ersten Mal. Geboren 1947 in Walthersdorf im Erzgebirge, studierte Annerose Schulze in Schneeberg an der Fachhochschule für Angewandte Kunst Textil-Design. Nach dem Studium folgten Jahrzehnte der freiberuflichen Tätigkeit. Entstanden sind in dieser Zeit Assemblagen, Collagen, Applikationen, Materialmontagen, Objekte und Installationen, später auch komplexe baugebundene Kunstwerke.
In der Dresdner Sezession 89, einer Vereinigung von Künstlerinnen, engagiert sich deren einstige Mitbegründerin bis heute. Die Gruppe betreibt in Dresden u.a. eine eigene Galerie, pflegt internationale Kontakte, konzipiert und realisiert zahlreiche Ausstellungen sowie temporäre Kunstprojekte im Außenraum.
Es ist wohl unbestritten, dass Annerose Schulze den vordersten Reihen der Sächsischen Kunstszene zugeordnet werden kann. Besondere fachliche Anerkennung erfuhr sie im Jahr 2000 mit der Berufung zur Professorin an die Westsächsische Hochschule Zwickau, Fakultät Angewandte Kunst in Schneeberg.
Erwähnt sei die Vorliebe der Künstlerin für minimalistisch-serielle Musik. Bereits ab Mitte der 80er Jahre begann sie medienübergreifend mit Musikern und Tänzern zusammenzuarbeiten. Ihre Lust am Experimentieren ist bis heute ungebrochen. Und so verwundert es kaum, dass zur Vernissage der „Nachjubiläumsausstellung“ am 15. November als eine Art Hommage die Uraufführung der Komposition „66 Töne“ zu erleben war. Die Dresdner Komponistin, Musikerin, Sängerin und Performerin Agnes Ponizil wurde hierzu von Annerose Schulzes Kunst angeregt und machte ihr diese am Eröffnungsabend zum Geschenk.

Performerin Agnes Ponizil

Performerin Agnes Ponizil

Das eigenwillige Original-Büchlein mit der Komposition übergab sie der Galerieleitung mit dem Hinweis, dass es während des Ausstellungszeitraumes von jedem Besucher eingesehen werden kann.
Reisen, die Annerose Schulze gemeinsam mit ihrem Mann, dem Holzbildhauer Fritz Peter Schulze, nach China führten, wirkten sich ebenfalls auf ihr Schaffen aus. Dabei ist für sie vor allem das Medium Papier von großem Interesse. Denn „die Sprache des Papiers ist eine Vielfältige… man kann es bemalen, knittern, falten, prägen, zerreißen, knüllen, bekleben, bezeichnen und besticken…“.
Facetten dieser künstlerischen Auseinandersetzung zeigt Annerose Schulze nun in der Ausstellung „paperwork“. Zu sehen sind Stickereien mit Seidengarnen auf tibetischen LOKTA-Papieren oder selbst hergestellten Papieren aus Pflanzenfasern, Blindprägungen und Collagen. Augenscheinlich ist aber auch, dass Buchstaben, Zahlen, Zeichen den Raum füllen, die wie eine Wolke zwischen beiden Etagen der Stadtgalerie zu schweben scheinen. Schon ein Lufthauch bringt die einzelnen Gebilde in Bewegung, was die Künstlerin mit folgenden Worten kommentiert: „Zwischen A und O gibt es viele Zeichen… Schon allein die Schönheit eines Buchstabens inspiriert und wandelt sich zu einer neuen eigenständigen abstrakten Form. Das Spiel mit Symbol und Zeichen wird zum Bildinhalt und Sentenzen aus Texten finden eine neue künstlerische Ordnung“.

Die Ausstellung ist bis zum 22. Dezember jeweils von Dienstag bis Donnerstag und am Sonntag von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Am letzten Ausstellungstag findet um 16 Uhr eine abschließende Sonderführung statt.

Karin Gerhardt

Familientaugliches Adventsvergnügen

Für den Rezensenten, der seit fast 20 Jahren regelmäßig in der „Vorschau“ über Aufführungen des Schauspiels an den Landesbühnen berichten darf, war der Besuch der Radebeuler Premiere von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ am Reformationstag aus zwei Gründen ungewöhnlich. Erstmalig fühlte ich, dass es nicht vorteilhaft sei, die anstehende Besprechung nur aus meinen Eindrücken zu speisen – weshalb ich mir zur Verstärkung meine 8-jährige Tochter mitgenommen hatte. Denn was als Familienstück durchgehen soll, muss schließlich vor allem den Kindern gefallen. Und ebenso zum ersten Mal ging ich nicht unvoreingenommen zu einer Premiere, denn das Stück wurde schon während der letzten Sommersaison auf der Felsenbühne gegeben und dort u.a. auch schon von erwähnter Tochter gesehen, die mir natürlich darüber berichtet hatte. Außerdem kenne ich die filmische Vorlage und habe die dazugehörige Ausstellung in Schloss Moritzburg gesehen – die Macht der Bilder im Kopf erweist sich dann im Verlauf des Stückes auch als recht stark und verleitet zu Vergleichen.
Die Radebeuler Hausfassung (Regie: Manuel Schöbel) hält sich fast ausnahmslos an die erfolgreich in Rathen gezeigte Produktion und geht in Doppelbesetzung (alle Hauptrollen werden sowohl von Mitgliedern des Schauspiel- als auch des Musiktheaterensembles gespielt, weil das Stück als Musical konzipiert ist) im Dezember auf Tour durch Sachsen (Radebeul, Torgau, Bad Elster, Großenhain, Neustadt, Meißen). Die Anzahl der allein in diesem Monat bis Weihnachten geplanten Aufführungen (16!) verrät den Anspruch, mit dem diese Produktion in den Spielplan aufgenommen wurde: Man rechnet mit Zulauf, auch von ansonsten theaterferneren Kreisen. „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ soll eben ein Stück für die ganze Familie sein, weshalb weder in die bekannte Handlung, noch nachhaltig in die vertraute Personenkonstellationen eingegriffen wurde, und selbst das beliebte Thema der Filmmusik durfte in der Bühnenmusik (Thomas Zaufke) verarbeitet werden. Lediglich die Rollen des Prinzipals und der Prinzipalin (Tom Hantschel und Anke Teickner, beide ebenso auch als König und Königin) sind ein Zugeständnis an eventuell mit der Handlung nicht vertraute Besucher, denn durch diese beiden wird an Gelenkstellen der Inszenierung der Fortgang der Ereignisse erläutert und z.B. auch in die Pause gebeten. Alles in allem bedient also das Stück die Erwartungshaltung des von Kindern dominierten Publikums und hat es deshalb nicht schwer, die Herzen der Zuschauer zu gewinnen. Die Sympathien fliegen vor allem Aschenbrödel (Sandra Maria Huimann verkörpert eine selbstbewusste, fast schon modern zu nennende junge Frau) und der Eule/dem Küchenjungen zu (Julia Ranis Augenspiel als in Aschenbrödel unglücklich verliebter Küchenjunge ist faszinierend!). Stiefmutter (Julia Vincze) und Dorchen (Cordula Hanns) werden absichtsvoll überzeichnet und ziehen als lebende Karikaturen ganz automatisch den Spott auf sich. Johannes Krobbach und Grian Duesberg vervollständigen die Reihe der in mehreren Rollen eingesetzten Akteure und machen insbesondere als Diener am Hofe und Gefährten des Prinzen eine prima Figur. Für die erwachsenen Zuschauer hält die Textfassung (Katrin Lange) dennoch einige Überraschungen parat, denn der Prinz (Michael Berndt) wird als Figur durch dezent gesetzte Signale in die Nähe der Protagonisten des Sturm und Drang – Karl Moor und Werther – gerückt: Im Aufbegehren gegen die dröge, in Konventionen denkende Welt seiner Eltern (er verteilt Flugblätter im Saal mit der Aufschrift „Kratzfüße und Knickse regieren am Königshof“), im Wunsch, sein Freiheitsstreben als Räuberhauptmann zu leben, im Selbstverständnis, dass die eigenen Bedürfnisse zuoberst stehen, im Hang zu Übertreibung und Stimmungsschwankung. Dieser Ansatz hat Charme und würzt das Theatererlebnis für den Literaturkenner auf unverhoffte Weise. Freilich hätte es davon gern auch mehr sein dürfen, aber womöglich wäre dann die Identifikation der jüngeren Besucher mit dem Prinz nicht so leicht gefallen. Die Ausstattung (Barbara und Klaus Noack) trägt dem märchenhaften Sujet Rechnung und bietet in Pferd, Tauben, Waldtieren, überdimensionierten Pilzen und Pflanzen sowie Schloss, Ballkleider etc. alles auf, was Film und einschlägige Bilderbücher an optischen Eindrücken zum Märchen von „Aschenputtel/Aschenbrödel“ seit Generationen nahe legen. In diese Reihe bewährter Zutaten gehört Klein Röschens (Thomas Strangfeld) Oberarmtätowierung jedoch sicherlich nicht. Bestimmt könnte ohne Einbuße an darstellerischer Kraft hier eine andere Lösung für das Kostüm gefunden werden.
Eine andere Lösung als die oben erwähnte Doppelbesetzung der Rollen scheint aufgrund organisatorischer und personeller Sachzwänge offenbar nicht auf der Hand zu liegen. Denn ohne Zweifel stellt ein Musical mit seinen Anforderungen an Stimmkraft, Gestaltungsvermögen und Intonationssicherheit für Schauspieler eine besondere Herausforderung dar. Insofern kann vermutet werden, dass das musikalische Vergnügen in der Besetzung mit ausgebildeten Sängern größer wäre. Dennoch sparte das Publikum nicht mit Beifall für alle Akteure.
Bertram Kazmirowski

Thienemänner in der Lößnitz

Familiengeschichtliche Betrachtungen zum 150. Todestag von Wilhelm Thienemann

Der Name Thienemann ist allen an Heimatgeschichte und Weltliteratur interessierten Radebeulern selbstverständlich ein Begriff. Das liegt nicht so sehr an den Thienemännern als an den Thienefrauen oder, besser gesagt, den reichen Thienetöchtern Adele, Marie und Martha aus Zitzschewig – auch bekannt als »die Jungfern vom Bischofsberg« –, die sich zu Anfang der 1880er Jahre die armen Hauptmänner Georg, Gerhart und Carl angelten oder umgekehrt. »Die Goldfüchse müsst ihr holen«, soll Vater Hauptmann seinen Söhnen eingeschärft haben.

Altfriedstein, um 1865
Altfriedstein, um 1865

Drei Hochzeiten und ein Nobelpreis waren die Folge, denn ohne seine vermögende Muse Marie, von der er freilich 1912 schon längst wieder geschieden war, hätte Gerhart Hauptmann den literarischen Olymp – wenn überhaupt – sicher nicht so geradlinig erklommen. Dass drei Schwestern drei Brüder heiraten, lag bei den Thienemanns übrigens, wie wir sehen werden, sozusagen in der Familie.1-tex-ander-thienem
Die Hauptmann-Bräute und ihre früh verstorbenen Eltern waren keineswegs die einzigen und ersten Mitglieder der Familie, die es in die Lößnitz verschlagen hatte. Im Gegenteil ist die Thienemannsche Sippe im 19. Jahrhundert hier derart breit vertreten, dass es selbst eingefleischten Radebeul-Kennern schwer fällt, den Überblick zu behalten. Wenn etwa Dietz Lohse in seinem interessanten Beitrag über das Weingut »Karlshof« in der Juni-Vorschau 2013 schreibt, »1843 erwirbt das Anwesen der Kaufmann Rudolf Thienemann (damals auch Besitzer des ›Hohenhauses‹)«, so hat er sich im Stammbaum um einen Ast vergriffen. Nicht Rudolf August Theodor Thienemann (Rufname August, 1786-1853), dem seit 1832 das Hohenhaus gehörte, sondern sein jüngerer Bruder Carl Gottfried August (kurz Carl, 1788-1873), von Beruf Landwirt, kaufte 1843 den damals noch nicht so genannten Karlshof in Zitzschewig, um ihn schon zwei Jahre später mit der »Karrasburg« in Coswig zu vertauschen, die bis 1919 in Familienbesitz blieb.
Mit unserer Gegend bekannt geworden waren diese beiden Thienemänner vermutlich durch ihren jüngeren Bruder, den Arzt und bedeutenden Zoologen Dr. Friedrich August Ludwig Thienemann (1793-1858), der seit 1825 als zweiter Inspektor des königlichen Naturalienkabinetts in Dresden wirkte und sich 1831 das Weingut mit dem heute so genannten »Spiegler’schen Haus« (Döbelner Str. 24) in den nahen Trachenbergen zugelegt hatte, wo er mit Akribie Weinbau betrieb. (1839 publizierte er seine ausführliche Bibliographie »Die Weinwissenschaft in ihrem ganzen Umfange«.)
Zu diesen drei Brüdern gesellte sich 1856 noch der emeritierte Pfarrer Georg August Wilhelm Thienemann, der am 6. September 1781 – wie seine jüngeren Brüder – im evangelischen Pfarrhaus von Gleina bei Freyburg an der Unstrut geboren war. Dieser Wilhelm Thienemann, der vor genau 150 Jahren, am 8. oder 9. Dezember 1863 in Kötzschenbroda starb, weswegen wir uns bei ihm etwas länger aufhalten, hatte von klein auf eine besondere Leidenschaft für die Vogelwelt, mit der er sowohl seine jüngeren Geschwister wie auch seine Kinder und Kindeskinder ansteckte. Gemeinsam mit seinem bekannteren Arzt-Bruder Ludwig und dem »alten« (Christian Ludwig) Brehm (1787-1864, Pfarrer- und Ornithologenkollege sowie Vater des durch »Brehms Tierleben« unsterblich gewordenen Alfred Brehm) gab er ab 1825 eine »Systematische Darstellung der Fortpflanzungsgeschichte der Vögel Europas« heraus und publizierte auch zahlreiche Aufsätze zu vogelkundlichen Themen. Dass ihm der preußische König zum 50. Dienstjubiläum als Pfarrer (zunächst in Droyßig bei Zeitz, ab 1836 in Sprotta bei Eilenburg) einen roten Adler(-Orden 4. Klasse) verlieh, war demnach nur passend.

Hohenhaus, um 1900

Hohenhaus, um 1900

Kurz nach seiner zum 1. April 1856 erfolgten Emeritierung erschien dann noch seine bis heute als Standardwerk geltende kunsthistorische Fleißarbeit »Leben und Wirken des unvergleichlichen Thiermalers und Kupferstechers Johann Elias Ridinger, mit dem ausführlichen Verzeichniss seiner Kupferstiche, Schwarzkunstblätter und der von ihm hinterlassenen grossen Sammlung von Handzeichnungen« (Leipzig 1856). Wilhelm Thienemann war also ein denkbar vielseitiger Kopf: Theologe, Naturforscher, Kunstkenner, daneben ein begabter Zeichner, und auch als Dichter hatte er sich schon auf der Landesschule Pforta hervorgetan, wofür er 1801 mit einer von Friedrich Gottlieb Klopstock gestifteten Medaille dekoriert worden war. Der Nachruf im Organ der naturwissenschaftlichen Gesellschaft Isis zu Dresden, der er seit 1846 angehört hatte, würdigt ihn 1864 als »classisch und vielseitig gebildete[n] Mann, der die allgemeinste Achtung bei allen, die ihn kannten, genoss […] ein treuer Freund, im Umgange höchst liebenswürdig und freundlich«.
In biographischer Hinsicht gibt dieser Nekrolog freilich auch Rätsel auf, heißt es dort doch, als Emeritus sei Thienemann »zu seinen verheiratheten Kindern auf die Höhe des sogenannten Zechsteines nächst dem Paradiese in der Lössnitz« gezogen, um dort – bis zuletzt »ununterbrochen mit Ornithologie, Entomologie und Botanik beschäftigt« – knapp acht Jahre später »in den Armen der Seinigen sanft und ruhig« zu entschlafen. Zwischen »Zechstein« (Zitzschewig) und »Paradies« (Niederlößnitz) liegen zwar nicht Welten, aber doch ein paar Kilometer; sonst wird als Sterbeort immer Kötzschenbroda genannt; und wer ist mit den Seinigen gemeint? Zwei der oben erwähnten Brüder waren 1863 schon tot und einer lebte in Coswig, während Thienemanns berühmtester Sohn, der spätere Vorsitzende des »Deutschen Vereins zum Schutze der Vogelwelt«, August Wilhelm (1830-1884), damals als Pfarrer in Gangloffsömmern in Thüringen wirkte, wo gerade sein (G. A. Wilhelms) berühmtester Enkel Johannes Thienemann (1863-1938), der spätere Begründer der weltbekannten Vogelwarte Rossitten, geboren worden war.
Die Vermutung, dass noch mehr Sprossen des Thienemannschen Stamms in die Lößnitz gewachsen waren, erhärtet sich bei der Beschäftigung mit der verwirrenden Genealogie der Familie. Der Reihe nach: Wilhelm Thienemann hatte elf Geschwister und – mit seiner 1849 verstorbenen Frau Augustine – 14 Kinder; bei Pfarrers war das so üblich. Sein Bruder August (Hohenhaus), über den man sich hinter vorgehaltener Hand noch lange allerlei schlimme Geschichten erzählte, hatte 1843 seine (Wilhelms) Tochter Ottilie (1810-1885), also die eigene Nichte, geheiratet, was damals anscheinend noch kein Problem darstellte. Sein Bruder Carl (Karrasburg) tat nämlich genau das Gleiche und heiratete 1847 seine (Wilhelms) Tochter Laura (1811-1893). Noch verwirrender wird es, als Ottilie Thienemann geb. Thienemann ein Dreivierteljahr nach dem Tod ihres Gatten 1853 ihren sechs Jahre jüngeren Cousin, den Tischler Hermann Thienemann (1816-1891), heiratet, den Sohn ihres Onkels Franz (Wilhelms ältester Bruder, 1778-1834), dem sie knapp neun Monate darauf noch einen Sohn schenkt. Hermanns Bruder Otto (1808-1875) wiederum, der 1841 in Berlin eine gut gehende Wollhandlung gegründet hatte, erwarb 1857 oder 1858 das gerade zum Verkauf stehende Weingut Altfriedstein, wo er später auch starb. (In der Schubertschen Chronik wird als Käufer ein »D. Thienemann« angegeben, zweifellos einer von zahlreichen Druckfehlern, denn die Namensabkürzung »D.« kommt in diesem Werk sonst nicht vor.) Als ob das noch nicht genug wäre, zog 1863 noch Wilhelms jüngster Bruder, der ebenfalls als Ornithologe verdienstvolle Pfarrer emeritus Gustav August Leopold Thienemann (1800-1890), für den Wilhelm nach dem Tod der Eltern die Vaterrolle übernommen hatte, nach Kötzschenbroda. Gustav, der seit 1860 in zweiter Ehe mit einer weiteren von Wilhelms Töchtern, Antonie (1819-1880), verheiratet war, die er, der großen Altersdifferenz zum Trotz, um gut zehn Jahre überleben sollte, galt wegen seiner humorvollen Leutseligkeit später als Kötzschenbrodaer Original.
Als Wilhelm Thienemann vor 150 Jahren starb – vermutlich nicht im Hohenhaus, wo er lange gewohnt zu haben scheint, sondern in der heute unter Denkmalschutz stehenden spätklassizistischen Villa Hermann-Ilgen-Straße 30, die seine Coswiger Tochter Laura 1863 erworben hatte und die später deren Onkel und Schwager Gustav gehörte –, lebten also neben zwei Brüdern (Carl in Coswig und Gustav in Kötzschenbroda), die gleichzeitig seine Schwiegersöhne waren, wenigstens drei seiner Töchter und zwei Neffen, von denen er einen ebenfalls als Schwiegersohn ansprechen konnte, in unmittelbarer Nähe, von deren Nachwuchs und mehreren entfernteren Verwandten gleichen Namens ganz zu schweigen.
Ein weiterer Neffe, Franz Berthold Thienemann (1819-1880), dessen drei jüngste Töchter später von den Hauptmännern »geholt« wurden, – seit 1860 alleiniger Inhaber der von seinem Bruder Otto gegründeten Berliner Firma »Gebr. Thienemann, Woll­, Fonds- und Aktien-Commissionsgeschäft« – kaufte seinem Bruder Hermann dann 1864 das Hohenhaus ab und steckte ordentlich Geld hinein. Dass wir die Geschichte der hiesigen Thienemänner, deren weitere Verästelungen ich den Lesern ersparen möchte, heute noch überblicken können, haben wir schließlich Otto Wilhelm Thienemann (1859-1941, Sohn von Otto, Altfriedstein) zu verdanken, der im Alter in die geliebte Gegend seiner Kindheit zurückkehrte und 1933 in Kötzschenbroda ein Stammregister über »400 Jahre […] der Familie Thienemann, vormals Dienemann und Duhnemann« drucken ließ. Er wohnte zuletzt in Niederlößnitz, Schlageterstraße 7 (heute Horst-Viedt-Str.), zur Miete. Mit seinem Tod 1941 starb der Name Thienemann in der Lößnitz nach drei Generationen bis auf weiteres aus und kommt auch im aktuellen Radebeuler Telefonbuch nicht wieder vor. Nur das Hohenhaus wird zuweilen noch vom Thienemannschen Geist durchweht, sowohl in der Beletage wie im dunklen Keller…
Frank An­­dert

Zum Titelbild Dezember 2013

Die diesjährige Titelbildserie geht mit dem Torbogen zur „Villa Elisa“, Borstraße 19, zu Ende. Und weil es auf Weihnachten zugeht, ist vielleicht die Lichtstimmung am frühen Abend recht passend, dachte ich.
Villa und Einfriedung wurden 1878 von den Gebr. Ziller für den Bauherrn Carl Christian Petzold errichtet. In der lang gestreckten Syenitmauer ist für mich die in der Höhe gestaffelte Toranlage mit Pforte unter einem Rundbogen der gestalterische Höhepunkt. Jeweils außen stehen zwei Sandsteinpfeiler mit flacher Abdeckung, höher als die Mauer und mit seitlichen, geschweiften Ziersteinen. Dann folgen nach der Mitte hin kurze, gemauerte und verputzte Halsmauern, in deren linker die Briefkästen eingelassen sind. Den Durchgang rahmend stehen zwei weitere Sandsteinpfeiler, die den vom Steinmetz verzierten Sandsteinbogen tragen, darüber ein Kopfstück mit den eingemeißelten Buchstaben VILLA ELISA und einer etwas auskragenden oberen Sandsteinabdeckung. In der Öffnung sitzt ein einflügliges, filigranes Eisentor. Der Torbogen korrespondiert gestalterisch mit drei Fenstern im Risalit des Dachgeschosses und wurde etwa 2005 teilerneuert. Das Werbeschild für eine im Haus betriebene Praxis fällt etwas groß aus, passt aber so genau auf die rechte Putzfläche.
Damit endet diese Titelbildserie – sie wird ab Januar von Grafiken der Radebeuler Künstlerin Liselotte Finke-Poser abgelöst.
Leider konnte ich in den 12 Monaten nicht alle Radebeuler Torbögen zeigen, es hätte fast für zwei Jahre gereicht. Die Eigentümer von nicht dargestellten Torbögen mögen mir das bitte verzeihen!

Dietrich Lohse

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