Editorial Maiheft 2011

Schon längere Zeit ist Unruhe hinter den »Kulissen« der Landesbühnen Sachsen zu vernehmen. Dringen doch mal wilde Gerüchte, mal konkrete Planungen in die zusehends verwirrte Öffentlichkeit und künden von einer bisher beispiellosen Fehde zwischen den Interessen von Stadt und Land. Denn im Rahmen des sogenannten Kulturraumgesetzes geht es um nichts weniger, als die Frage, inwiefern sich Einsparungen auf das zweitgrößte deutsche Reisetheater auswirken werden. Dass in dem intonierten »Streichkonzert« nun das Orchester auserkoren wurde, führt nicht nur bei den Musikern zu derben Misstönen. Eines aber ist klar, jede Sparte wäre von Kürzungen nicht nur betroffen, sondern wäre aufgrund der bereits bestehenden nicht unempfindlichen Einschränkunken in ihrer Existenz grundsätzlich zur Disposition gestellt. Geplant ist nach den jüngsten Verlautbarungen eine Fusion der Neuen Elbland Philharmonie mit dem Orchester der Landesbühnen herbeizuführen, die nach dem Willen der Staatsregierung zur gewünschten »Gesundung« führen soll. Ins Felde geführte Synergieeffekte sollen die Maßnahmen weitgehend entmystifizieren. Tatsächlich aber ist nicht abzusehen, welche orchestralen Werke bei derartigen Kürzungen dann überhaupt noch aufführbar sein werden. Intendant Christian Schmidt sieht seine langjährigen Bemühungen zum Erhalt der gewachsenen Strukturen nun derart unterhöhlt, dass er als Konsequenz seine vorzeitige Vertagsauflösung ankündigte. Nun ist vom Kunstministerium auch schon über seine Nachfolge entschieden worden. Manuel Schöbel, seit 2006 Intendant des Mittelsächsischen Theaters in Freiberg, wird ab Mitte 2012 seine Position an der dann wohl vom Staatsbetrieb in kommunale Trägerschaft überführte privatisierte „Theater GmbH« leiten. Es ist nicht zu übersehen: Die Ampeln der Kultur stehen immer öfter auf Rot. Zu wünschen bleiben für den Fortbestand eines soliden kulturellen Fundaments aber auch künftig maßvoll gestaltete Grünphasen.

Das unvergänglich Schöne

Eine Ausstellung zum 125. Geburtstag des Radebeuler Malers Paul Wilhelm

»Paul Wilhelm ist der Vollender und letzte bedeutende Führer einer typischen Dresdner Malkultur, die kurz vor der Jahrhundertwende ihren Anfang nahm, alle Stürme eines halben Jahrhunderts überdauerte und heute geläutert in der dritten Generation eine Reihe trefflicher Vertreter als Beitrag zur deutschen Kunstgeschichte stellt.« Diese Einschätzung hatte der Dresdner Kunsthistoriker Dr. Fritz Löffler im Jahr 1956 getroffen, als sich Paul Wilhelm auf dem Höhepunkt seines Schaffens befand und dessen Werk weithin große Anerkennung genoss. So bot damals der 70. Geburtstag des Künstlers Anlass für Würdigungen der verschiedensten Art. Die Stadt Radebeul verlieh dem Maler und Beförderer des Radebeuler Kulturlebens im Jahr 1956 die Ehrenbürgerschaft. Retrospektiven fanden in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, in den Kunstsammlungen Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) und in der Nationalgalerie Berlin statt. Museen und Sammlungen erwarben von ihm Gemälde und Aquarelle. Eine Ehrenpension, die Paul Wilhelm ab 1960 erhielt, ermöglichte dem Künstler in seinen letzten Jahren das Arbeiten ohne Sorge um die Existenz. Als er im Jahr 1965 starb, hinterließ er ein umfangreiches künstlerisches Werk, welches in selten schöner Geschlossenheit zu treuen Händen in fachkundige Nachlassverwaltung übergeben werden konnte.

Paul Wilhelm (Foto aus Privatbesitz)

Seitdem ist wiederum fast ein halbes Jahrhundert vergangen und es stellt sich die Frage, welche Spuren der einst so geschätzte Künstler in seiner Wahlheimat und über deren Grenzen hinaus hinterlassen hat. Werke von Paul Wilhelm befinden sich in Museen und Sammlungen des In- und Auslandes, aber auch im Sächsischen Weingutmuseum Hoflößnitz und in der Städtischen Kunstsammlung Radebeul. Allerdings hätte der relativ leicht zugängige Bestand der Radebeuler Institutionen für eine Gedenkausstellung bei weitem nicht ausgereicht, zumal die der Hoflößnitz und dem Weinbau verbundenen Gemälde bei anderen Gelegenheiten der Öffentlichkeit präsentiert werden sollen. So ist es schließlich sehr erfreulich, dass die Städtische Galerie Dresden, das Museum Bautzen und die Städtischen Sammlungen Freital Werke von Paul Wilhelm zur Verfügung stellten. Außerdem zeigten mehrere Radebeuler Bürger großes Entgegenkommen, in dem sie die Ausstellung durch bisher unbekannte Arbeiten – die ältesten sind mit dem Jahr 1903 datiert – aus ihrem Privatbesitz bereicherten. Leihgaben  aus dem eingangs erwähnten künstlerischen Nachlass von Paul Wilhelm wurden von den jetzigen Besitzern für die Gedenkausstellung leider verwehrt. Und so ist die Ausstellung zum 125. Geburtstag von Paul Wilhelm auch ein Spiegelbild dessen, was eine kleine städtische Galerie mit ihren bescheidenen personellen wie finanziellen Ressourcen in heutiger Zeit zu leisten vermag.

Das Motto der Ausstellung »Das unvergänglich Schöne« wurde bewusst gewählt. Ihm liegt ein Zitat des Kunsthistorikers Prof. Dr. Werner Schmidt zugrunde, der im Katalog der Dresdner Aquarell-Ausstellung von 1966 feststellte, dass man in Wilhelms Werken »während der Kriegszeit zuweilen auch ein mühevolles Abschirmen, ein behutsames Wachhalten des unvergänglich Schönen gegenüber der Welt des Grauens« spüren kann. Diesen interessanten Gedanken könnte man fortführen, denn Paul Wilhelm ließ sich von keinem System vereinnahmen. Sein Werk war einzig und allein dem eigenen künstlerischen Anspruch verpflichtet und den Rankinglisten des heutigen Kunstmarktes würde Paul Wilhelm wohl völlig verständnislos gegenüberstehen.

Paul Wilhelm, Haus und Garten des Künstlers (Foto K. Gerhardt)

Paul Wilhelm wurde am 29. März 1886 in Greiz als Sohn eines Tuchfabrikanten geboren. Seine Ambitionen lagen sowohl auf naturwissenschaftlichem (Biologie und Zoologie) als auch auf künstlerischem (Malerei und Musik) Gebiet. Er entschied sich für die Kunst, speziell die Malerei. Im Jahr 1904 begann er in Dresden an der Kunstgewerbeschule zu studieren, doch schon bald wechselte er an die Akademie. Obwohl er Meisterschüler bei Gotthardt Kuehl wurde, fühlte er sich seinem Lehrer Oskar Zwintscher künstlerisch viel näher. Bereits im Jahr 1910 hatte Paul Wilhelm im legendären Kunstsalon von Emil Richter seine erste Einzelausstellung. Wenngleich die impressionistischen Einflüsse auf das Frühwerk  unübersehbar waren, wurde dem jungen Maler eine ausgewogene künstlerische Reife zugesprochen.

Die Auseinandersetzung mit dem Expressionismus, vor allem mit den Künstlern der »Brücke« und des »Blauen Reiter«, die das Aquarell zu einer neuen Qualität erhoben hatten, führte dazu, dass die Aquarelle neben den Gemälden zum wichtigsten Bestandteil seines Schaffens wurden.

Mit dem Malerfreund, Wilhelm Claus (1882-1914), siedelte sich Paul Wilhelm im Jahr 1911 in Radebeul-Niederlößnitz an. Beide wohnten und arbeiteten im Turmhaus des Grundhofes. Als der junge Wilhelm Claus plötzlich verstarb, übernahm Karl Kröner (1887-1972) dessen Atelier. Paul Wilhelm blieb Karl Kröner bis zu seinem Tode eng verbunden, ebenso wie dem Dresdner Maler Theodor Rosenhauer. Ohnehin standen die in Radebeul ansässigen Künstler in einem beständigen geistigen Austausch mit einigen Künstlern aus Dresden und der näheren Umgebung wie Johannes Beutner, Erich Fraaß,  Otto Griebel, Hans Jüchser, Fritz Winkler und  Joseph Hegenbarth. Ab Anfang der 30er Jahre, als es nicht ungefährlich war sich mit Gleichgesinnten zu treffen, gab man vor, sich ausschließlich zum Wandern zusammen zu finden und so kam der Begriff von den so genannten »Spaziergängern« auf.

Marion Wilhelm, lesend, 1933

Gemeinsam mit seiner amerikanischen Frau Marion bezog Paul Wilhelm im Jahr 1920 eine kleine Villa auf dem Gradsteg. Haus und Garten strahlten eine gewisse Noblesse und spätbürgerliche Kultiviertheit aus. Wem es vergönnt war, dieses Refugium zu betreten, geriet unweigerlich ins wortschwelgende Schwärmen. Paul Wilhelms »Phantasie entzündete sich nur am Besonderen und Erlesenen« schrieb Dr. Fritz Löffler 1948 in einem Katalog. Wilhelms Musikalität verwob sich mit einem ausgeprägten Farb- und Formempfinden, was in seinen Kunstwerken als auch in seinem unmittelbaren Umfeld zum Ausdruck kam.  Man liebte die Geselligkeit, lud zu Gesprächen und kleinen Konzerten. Den Alltag organisierte die »Wilhelmine«. Sie pflegte Kontakte und Freundschaften, beschaffte alles was zum Leben notwendig war. Neben seinem Wirken als Künstler, erwarb sich Paul Wilhelm Anerkennung als Züchter von Delphinium-Hybriden (Rittersporn) und Sammler von alten Schellackplatten mit Aufnahmen der menschlichen Gesangsstimme. Ein herzliches Verhältnis verband Marion und Paul Wilhelm auch mit dem jungen Künstlerpaar Ute und Werner Wittig.

Paul Wilhelm erlegte sich selbst eine thematische Beschränkung auf, die er zeitlebens beibehielt. Sein Werk reifte in Zurückhaltung und Stille. Reisen ließen ihn nicht unbeeindruckt und fanden beachtenswerten Niederschlag in seinem Schaffen. Doch mit der Lößnitz hatte er seinen eigentlichen Sehnsuchtsort gefunden. Immer wieder stellte er die Blumen in seinem Garten und die ihn umgebenden Lößnitzberge im Wandel der Jahreszeiten dar, vor allem jedoch im Frühling und im Herbst. Eine große Faszination übte auf ihn dabei die magische Wirkung des Lichtes aus. Figürliche Darstellungen und Porträts interessierten ihn mit zunehmendem Alter immer weniger, mit Ausnahme ihm nahe stehender Personen, wie Kinder, die er sehr liebte, und natürlich Frau Marion. Radierungen bildeten in seinem Schaffen eher eine Ausnahme und Zeichnungen dienten ihm vorwiegend als Vorarbeit für die im Atelier entstandenen Bilder. Als seine Kräfte zu schwinden begannen, wendete er sich der Aquarellmalerei zu, die er zu höchster Vollendung führte.

Paul Wilhelm, einer der bedeutendsten Vertreter der »Dresdner Malkultur«, ist aus dem öffentlichen Bewusstsein der Dresdner Kunstmuseen nahezu verdrängt. Ein Werkkatalog steht noch aus. In Radebeul erinnert der »Professor-Wilhelm-Ring« an den Künstler. Und was nur Wenigen bekannt sein dürfte ist die Tatsache, dass im Luthersaal der Radebeuler Friedenskirchgemeinde der originale »Paul-Wilhelm-Flügel« steht. Mit der Gedenkausstellung, die bis zum 8. Mai in der Radebeuler Stadtgalerie zu sehen ist, verbindet sich die Hoffnung, dass dieser Ausstellung weitere an anderen Orten folgen mögen und die Kunst eines Paul Wilhelm vor allem unter den jüngeren Menschen neue Freunde findet.

Karin Gerhardt, Stadtgaleristin

Auf dem Ego-Trip nach Afrika

Zur Premiere von »Benefiz« am 5./6. März 2011 an den Landesbühnen

Auch Sie gehören also zu denen, die ab und zu für ein humanitäres Projekt in der dritten Welt Geld spenden oder sich zumindest vorstellen können, Bedürftige in Afrika, Asien oder Lateinamerika zu unterstützen? Und Sie tun dies einerseits, weil sie erkennen, dass bei Hunger, Elend, Krankheit und Armut Hilfe dringend geboten ist, andererseits, weil Sie ein ganz kleines bisschen damit auch Ihr Gewissen beruhigen wollen, denn Ihnen geht es objektiv gesehen ja ganz gut? Dann kann ich Ihnen die jüngste und mit viel Beifall bedachte Produktion der Landesbühnen empfehlen: »Benefiz – jeder rettet einen Afrikaner« der Gegenwartsautorin Ingrid Lausund (1965 in Ingolstadt geboren) zielt mitten hinein in unsere Wohlstandgesellschaft, die oft genug nicht zwischen ehrlichem Engagement für die Dritte Welt und Betroffenheitstümelei unterscheidet.

In der von Gastregisseur Michael Funke verantworteten Inszenierung nimmt das Publikum Anteil an einer Probe zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung, deren Erlös für eine Schule in Guinea-Bissau (Westafrika) verwendet werden soll. Der Clou: Diese Schule gibt es inzwischen wirklich, nachdem das Stück in den letzten drei Jahren deutschlandweit (Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt u.a.) mit großem Erfolg gespielt wurde und die Zuschauer Spenden für den im Stück verhandelten Zweck gegeben haben. Mit diesem Kniff blendet Lausund Bühnenrealität und Lebenswirklichkeit auf unerhörte Weise ineinander und entlässt das Publikum mit dem zwiespältigen Gefühl, dass das spontane Lachen an vielen Stellen während des (über weite Strecken satirischen) Stückes wohl doch kein Lachen hätte sein dürfen, weil es vielmehr im Halse hätte stecken bleiben müssen. Aber dieses Empfinden stellt sich erst nach und nach ein und umso mehr, je intensiver Eva (Dörte Dreger), Christine (Wiebke Adam-Schwarz), Leo (Michael Mienert), Rainer (Tom Hantschel) und Eckhard (Olaf Hörbe) ihre sehr heutigen Charaktere entfalten. Sie sind überhaupt die größte Stärke des Stückes, denn anders als sonst im Theater entspringen sie in Anmutung und Verhalten der Mitte unserer Gesellschaft, sind Teil von uns allen, kurz: Dem Zuschauer fällt es nicht schwer, sich mit den Figuren zu identifizieren. Jeder kann sich in der einen oder anderen Figur spiegeln und seine ganz persönliche Sicht auf Sinn oder Unsinn von Spendenaufrufen und Sammelbüchsen wieder finden. En passant verwickelt das Stück den Theaterbesucher darüber hinaus auch in einen Dialog über die Tücken und Fallstricke politisch korrekter Sprache, die aus dem angelsächsischen Raum in den letzten 20 Jahren zu uns herübergeschwappt ist und den unbefangenen Gebrauch unserer Muttersprache erschwert. Insbesondere Eva ist einer dieser eifernden Gutmenschen, die es »ganz ganz schlimm« finden, wenn Rainer eine befreundete Afrikanerin als »Schwarze« bezeichnet, weil sie dahinter Abwertung und Rassismus wittert. Dörte Dreger verleiht ihrer Eva den bemitleidenswerten Gestus der ewig an der Welt Verzweifelnden, der durch ein überreflektierendes Helfersyndrom entstehen kann. Kein Wunder, dass sie mit dem hemdsärmlig-leutseligen Pragmatismus von Rainer ebenso wenig etwas anfangen kann wie mit dem lebensfrohen Leo, für den die weiblichen Reize von Christine weitaus interessanter sind als etwa Eckhards ernst gemeinte Erschütterung über das Schicksal afrikanischer Kinder, die finanziell zu unterstützen er sich vorgenommen hat. Mitnichten sind die Fünf also eine Einheit und sich einig, vielmehr fragt jede(r) – ohne es vordergründig zu beabsichtigen – zuerst danach, wie unentbehrlich und wichtig er oder sie für das Gelingen der Veranstaltung ist. Prominentes Beispiel dafür ist Christine, die ein Provinzsternchen ohne näher bezeichnete Qualitäten ist, sich selbst aber als Profi und damit als Garant für den Erfolg der Benefiz-Veranstaltung sieht. Das Stück entlarvt so auf unterhaltsame Weise die Eitelkeiten und den Geltungsdrang aller Charaktere und entwirft damit eine Folie, vor der jeder Zuschauer aufgefordert ist darüber nachzudenken, in welchem Verhältnis für ihn Eigennutz und Selbstlosigkeit bei einer solchen Spendenshow stehen würden. Natürlich ist dieses Stück damit eine Gratwanderung, denn ins Lächerliche gezogen werden soll der Wunsch zu helfen nicht, dazu ist das Thema viel zu wichtig. Dass ein Abdriften ins Alberne oder gar Moralisierende nicht geschieht, ist das Verdienst der Regie, die alle Figuren klar und umrissen auftreten lässt, deren menschliche Schwächen sie mit jeder Faser sympathisch machen.

Starke Bilder und Töne produziert die Inszenierung auch dank der von Andrea Eisensee besorgten Ausstattung und der von Uwe Zimmermann erarbeiteten Musik. Probebühne und Pausenraum etwa sind zwei parallel geschaltete und vertikal gestufte Spielflächen, auf denen mitunter gegenseitig ausschließende Handlungsstränge ablaufen (etwa wenn Leo und Christine oben heftig flirten und gleichzeitig Eva und Eckhard unten über das Mädchen ohne Arme und den Waisenjungen sprechen). Das von den fünf Protagonisten (beachtlich sicher!) intonierte und Anlass zum Selbstlob gebende »Ukululule« hört sich im ersten Moment an wie ein afrikanischer Gospel, um dann doch als Adaption des urdeutschen Stimmungsliedes vom Eiermann enttarnt zu werden. Wenn man möchte, dann ist dieses Lied eine Metapher für das ganze Stück: Wir tun wohl zu oft etwas, um zuallererst damit uns selbst zu gefallen, und scheitern dadurch grandios an unseren hehren Ansprüchen und Moralvorstellungen.

 

Bertram Kazmirowski

Editorial Märzheft 2011

Der Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus waren im Januar in Radebeul drei Veranstaltungen gewidmet, die eine erfreulich große Resonanz fanden. Zwei davon hatten unmittelbaren lokalen Bezug. »Zwangsarbeit in Radebeul« lautete das Thema der »Reden in Kötzschenbroda«, ein Thema, das durch die letztjährige Sonderausstellung der Hoflößnitz auf die Agenda gesetzt worden war. Dass es dazu mehr zu sagen gibt, als die Ausstellung zeigen konnte, kam sowohl in den Redebeiträgen, von denen wir einen im aktuellen Heft dokumentieren, wie auch in der Diskussion klar zum Ausdruck. Ein Großteil der Quellen zu diesem öffentlichen Verbrechen (nicht nur im Weinbau) harrt auch in Radebeul noch der Aufarbeitung, und dass sich Zeitzeugen generell scheuen würden, persönliche Erinnerungen zum Thema weiterzugeben, wurde schon durch die entsprechenden Diskussionsbeiträge eindrucksvoll widerlegt.

Einen ganz anderen Charakter trug die offizielle Gedenkstunde für die NS-Opfer in der bis auf den letzten Platz besetzten Krankenhauskapelle. Hier kamen nicht Zeitzeugen zu Wort, sondern Schüler einer 9. Klasse. Sie waren in der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein dem Schicksal von Radebeuler Euthanasieopfern nachgegangen, hatten Plakate dazu gestaltet und präsentierten die Ergebnisse ihres Geschichtsprojekts nun auf beeindruckende Art. Nachher hörte ich einen hoch betagten Zuhörer zu einem anderen sagen, das sei diesmal aber keine proletarische Veranstaltung gewesen, sondern eine bürgerliche. Auch wenn das nicht als Lob gemeint war, dürften es die Organisatoren um Couragepreisträger Thomas Berndt als ein solches auffassen. Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gehört in die Mitte der Gesellschaft.

Frank Andert

[V&R 3/2011, S. 1]

»Auf der Flucht erschossen«

Nach Kriegsausbruch holten die Nationalsozialisten Millionen von Zwangsarbeitern aus den von ihnen besetzten Ländern, vor allem aus dem Osten. Zwangsarbeit nutzten sie aber schon vor dem Krieg, wenn auch noch nicht in diesem Ausmaß. Zwangsarbeiter konnten sie zu dieser Zeit jedoch nur in Deutschland rekrutieren. Davon betroffen waren auch Radebeuler Bürger. Das soll am Schicksal des Schlossers Albert Eulitz dargestellt werden. Dazu ist eine kurze Einleitung erforderlich.

1936 begannen die Nationalsozialisten, das System der Konzentrationslager aufzubauen, die die seit 1933 bestehenden politischen Schutzhaftlager ablösten. Mit ihnen wurde die Verfolgungspolitik erweitert, um nichtpolitische »Gegnergruppen« zur Umsetzung ihres »sozialhygienischen« und rassistischen Konzepts. Organisatorisch wurden die KZ der SS unterstellt. Mit Erlass des Reichsinnenministers Frick vom 14. Dezember 1937 fand die bereits seit 1933 angewandte polizeiliche Vorbeugehaft ihre formalrechtliche Regelung und ihre Ausdehnung auf so genannte »Asoziale«. 1 Nun wurde von Heinrich Himmler (Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei) erstmals der Einsatz von KZ­-Häftlingen zur Zwangsarbeit geplant. Er bot an, für die Monumentalbauten des Regimes die benötigten Baustoffe zur Verfügung zu stellen und gründete dazu die SS-eigene »Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH« zum Betrieb von Ziegelwerken und Steinbrüchen. Die Standortwahl für neu errichtete Konzentrationslager war nunmehr auch davon abhängig, ob in unmittelbarer Nähe ein ergiebiger Steinbruch lag oder Tonvorkommen vorhanden waren. 2 Zunehmend wurden die planmäßig vorbereiteten Verhaftungsaktionen wirtschaftlich motiviert, zur Gewinnung von Sklavenarbeitern. Auch für militärische SS-Produktionsstätten im Zuge der Kriegsvorbereitung spielte Zwangsarbeit eine immer wichtigere Rolle. 3

Die zwei Verhaftungswellen von »Asozialen und Arbeitsscheuen« Ende April und Mitte Juni 1938 dienten demnach sowohl dem »Schutz der Volksgemeinschaft« als auch der Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften. Jeder, der seinen Dienst an der »Volksgemeinschaft« nicht erfüllte, sollte in Schutzhaft genommen werden dürfen. Die Definition, wer darunter zu fassen sei, war nicht eindeutig, sodass die Gestapo-Dienststellen Handlungsspielraum hatten. Das konnten Arbeitslose sein oder Menschen, denen vorgeworfen wurde, die verlangte Arbeitsleistung nicht zu erbringen. 4 Schon am 26. Januar 1938 hatte Himmler angeordnet, die Festnahme aller arbeitsfähigen Männer vorzubereiten, »die nachweisbar in zwei Fällen die ihnen angebotenen Arbeitsplätze ohne berechtigten Grund abgelehnt oder die Arbeit zwar aufgenommen, aber nach kurzer Zeit ohne stichhaltigen Grund wieder aufgegeben haben«. Sie galten als »asozial«. 5

Betroffen von diesem umfassenden und überraschenden Zugriff waren auch Radebeuler Bürger. Im Totenbuch des im Sommer 1937 errichteten Lagers Buchenwald findet sich der Name des Schlossers Albert Eulitz, geboren am 4. Februar 1883 in Dresden, wohnhaft gewesen Radebeul, Stosch-Sarrasani-Str. 40a (heute Gartenstr.). Er wurde Ende April im Rahmen der Verhaftungsaktion »Arbeitsscheu Reich« (ASR) verhaftet und kam mit einem Sammeltransport der Kripo Dresden am 30. Mai 1938 in das KZ Buchenwald. Auf der gleichen Seite des Einlieferungsbuches steht ein weiterer Name eines Radebeulers. Wie viele insgesamt aus Radebeul von der Aktion betroffen waren, bedarf noch der Nachforschung. Eingesetzt wurden die »ASR-Häftlinge« vorwiegend zu schwerer körperlicher Arbeit in Schachtkommandos oder im Steinbruch. 6

Zurück zu dem damals 55-jährigen Albert Eulitz. Ob bei seiner Verhaftung auch andere Gründe eine Rolle spielten? Der Willkür waren kaum Grenzen gesetzt. Eulitz war Funktionär in der SPD gewesen. Ein Eulitz war Ende 1892 Mitbegründer der Ortsgruppe der SPD im damaligen Serkowitz. Ob und wie Albert Eulitz mit ihm verwandt war, ist noch festzustellen. Albert Eulitz überlebte in Buchenwald nur wenige Tage. Am 2. Juni 1938 wurde er »auf der Flucht erschossen«. Fiel er einem schießwütigen Wachmann zum Opfer, suchte er den Tod oder wollte er unbedacht eine scheinbar günstige Gelegenheit nutzen? Eine vorbereitete, organisierte Flucht war nach dieser kurzen Zeit im Lager kaum möglich. Seine Lagernummer 4636 wurde noch dreimal vergeben. Zuletzt 1944 an einen 16-jährigen Russen.

Wolfgang Tarnowski

[V&R 3/2011, S. 2f.]

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  1. Zwangsarbeit. die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg. Weimar 2010, S. 183.
  2. Karin Orth: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Zürich 2002, S. 47f.
  3. Carsten Dams und Michael Stolle: Die Gestapo. München 2008, S. 124.
  4. Ebenda, S. 123.
  5. Zwangsarbeit (wie Anm. 1), S. 72.
  6. Ebenda.

Die Mietvilla Ludwig-Richter-Allee 17 in Radebeul

Seit längerem schon habe ich in Vorschau + Rückblick kein Denkmalobjekt vorgestellt; ich bin ja auch nicht mehr im Dienst und damit vom amtlichen Geschehen etwas abgehängt. Nun will ich vorwiegend aus der Erinnerung von einem Kulturdenkmal berichten, an das ich gerne denke – die Ludwig-Richter-Allee 17. Jahrelang kannte man sie nur als »graue Maus«, in wichtigen Details verändert und dringend einer Sanierung bedürfend. Heute ist diese Mietvilla – sach-, fach- und materialgerecht saniert – ein Hingucker in der an schönen Häusern wahrlich nicht armen Ludwig-Richter-Allee!

Das repräsentative, zweigeschossige Gebäude wurde durch den bekannten Architekten und Baumeister Adolf Neumann 1888 im Dreikaiserjahr geplant und bis 1889 fertig gestellt. Stilistisch gehört diese Mietvilla (hier zwei gleichwertige Wohnungen für gehobenen Standard in jeder Etage mit separatem Treppenhaus) zur Bauepoche des Spätklassizismus in der Folge der Nicolai-Schule (Architekt Georg Hermann Nicolai, 1812-1881, ab 1850 Professor und Nachfolger Sempers an der Dresdner Akademie). Vergleichbare Wohnbauten finden wir in Dresden etwa zwischen 1860 und 1880, z. B. »Villa Martha«, Leipziger Str. 43, Gebr. Ziller, 1871/72. Die betrachtete Mietvilla von 1888 liegt zwar später als vergleichbare Dresdner Beispiele, jedoch kann man das auch bei anderen Bauten beobachten – Radebeul erlebte einige »Moden« zeitversetzt später als Dresden.

Im Laufe der Zeit wechselte auch hier der Besitz des Hauses. Nachdem der vorletzte Eigentümer 1957 die DDR illegal verlassen hatte, fiel das Haus an den Staat und die Gebäudewirtschaft verwaltete es. Dieser Betrieb hatte seit etwa 1988 die Absicht, das Haus zu verkaufen, was dann im Sommer 1990 (also noch zur DDR-Zeit) an den jetzigen Eigentümer, Torsten Herrmann, auch geschah. Kurz darauf hörte bekanntlich die DDR auf zu existieren, nun herrschte BRD-Recht. Das heißt, die Erben des Eigentümers von 1957 stellten bezüglich der Immobilie einen Restitutionsantrag, der nach Prüfung 1998 bewilligt wurde. Für Herrn Herrmann bedeutete das, dass der Kauf von 1990 ungültig wurde und rückabgewickelt werden musste. Da die Alteigentümer jedoch keinen Wohneigenbedarf hatten, konnte Torsten Herrmann das Haus nun erneut kaufen, jetzt aber von privat an privat. Abgeschlossen war der Vorgang dann 1999, als der Grundbucheintrag erfolgte. In zehn Jahren der Ungewissheit durfte Herr Herrmann, dessen Verwandte mütterlicherseits seit 1947 als Mieter im Hause wohnten, noch keine Bau- oder Sanierungsarbeiten beginnen. Solch komplizierte Regelungen von Eigentumsfragen waren nach der Wiedervereinigung leider kein Einzelfall!

Jetzt galt es, Geschichte und Wert des Hauses, das seit 1991 als Kulturdenkmal registriert war, zu erkennen und die richtigen Bau-, Sanierungs- und Ergänzungsmaßnahmen einzuleiten. Der zweigeschossige Bau wurde aus Bruchsteinen (Syenit) und verputztem Ziegelmauerwerk errichtet, nach der Straße erhielt er fünf Fensterachsen, nach den Seiten jeweils zwei bzw. drei Achsen, das abgeplattete Walmdach hatte ursprünglich und heute wieder eine Schieferdeckung. Hervorgehoben ist auf der Straßenseite ein dreiachsiger Mittelrisalith mit Loggia, Balkon und Dreiecksgiebel. Folgende Detailmerkmale unterstreichen den spätklassizistischen Charakter der Mietvilla: variierte Säulenordnungen im Risalith – vollplastische Eck- und Rundsäulen im EG, halbplastische Säulen vor der Wand des OG, der Wechsel unterschiedlicher Fensteröffnungen – im EG solche mit Segmentbogen-, im OG mit geradem, im Risalith jedoch mit Rundbogenabschluss. Die Fenster des OG zeigen mit Verdachungen und Konsolen schmückendes Beiwerk, die des EG werden allein durch ein System von Putznutungen (sogen. Rustika) gestalterisch eingebunden. Eine ausgewogene vertikale und horizontale Putzgliederung (Gesimse, Putzbänder und -spiegel sowie Lisenen) und dazwischen fein ausgeriebener Glattputz wurden zur Wandgestaltung eingesetzt. Hinzu kommen die Schmuckformen (Pfeiler und Docken) der Balustrade sowie das reich geschmückte Giebeldreieck mit mittig aufgesetztem Akanthusblatt. Die Kastenfenster, bestehend aus je zwei Flügeln und separatem Oberlicht, konnten aufgearbeitet werden.

Wahrscheinlich wollte man bei einer Sanierung in den 1930er Jahren die Fassaden modernisieren und vereinfachen. Seitdem fehlten alle Putzgliederungen einschließlich der Rustika. Eine geänderte, massivere Brüstungsgestaltung – die Originalzeichnung von 1888 zeigt dagegen Sandsteindocken wie heute – kann noch während der Bauphase oder später veranlasst worden sein. Die optische Wirkung der geschlossenen Balustrade erschien über den EG-Säulen zu flächig und kopflastig, sodass die durchbrochene Balustrade viel besser zur ansonsten filigran geschmückten Fassade passt. Die alte Bauzeichnung ließ drei bekrönende Akroterien (Akanthusblätter, Material unbekannt) auf dem Giebel erkennen. Vorläufig ergänzte der Bauherr nur das mittlere in Kupfer, die seitlichen, als Ecken ausgebildeten Blätter können ggf. auch später noch hinzugefügt werden. Zu Beginn der Sanierung im Jahre 2000 war am Haus nur noch eine einzige Jalousie mit Blende vorhanden. Hier bat Herr Herrmann den Denkmalschutz, auch auf diese Jalousie verzichten zu dürfen. Viel Mühe machte die Abstimmung hinsichtlich der Fassadenfarben. Durch Neuputz in den 30er Jahren (s.o.) waren keine originalen Putzfarben von 1889 mehr zu finden. Spätklassizistische Häuser waren in der Regel nicht bunt oder mit kräftigen Farben gestrichen, eher in gebrochenen Weißtönen, grauen Tönen oder hellen Steinfarben gehalten. Über Probefarbflächen konnte für den Fond der Fassaden eine hellgraue Sandfarbe und für die Architekturglieder ein Eischalenfarbton gefunden und festgelegt werden.

Der Bauherr achtete auch darauf, Handwerker zu binden, die bereits Erfahrungen im Umgang mit Denkmalobjekten vorweisen konnten, darunter die Firma Robert Bialek. Da Herr Herrmann die Baumaßnahme gut vorbereitet hatte, war nach ein paar auf hohem fachlichem Niveau geführten Gesprächen mit dem damaligen Gebietsreferenten des Landesamtes für Denkmalpflege, Herrn Dr. Pinkwart, eine denkmalschutzrechtliche Genehmigung leicht zu erteilen. Das gute Ergebnis der 2002 abgeschlossenen Sanierung führte fast folgerichtig dazu, dass das Objekt 2004 mit dem Bauherrenpreis der Stadt Radebeul ausgezeichnet wurde, und zu einer Anerkennung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Bonn. Inzwischen konnten auch der straßenseitige Eisenzaun und die Einfriedungsmauern repariert und die Gartengestaltung vollendet werden.

Dietrich Lohse

[V&R 3/2011, S. 6-8]

Und als krönender Abschluss ein »Goldenes RadeBeilchen«

An Preisen herrscht in der Stadt Radebeul wahrlich kein Mangel. Zum Kunstpreis, Bauherrenpreis, Couragepreis und Moritz-Ziller-Preis gesellten sich anlässlich des 75. Stadtgeburtstages zwei weitere Preise. Was ursprünglich als kleiner Scherz innerhalb der Kulturszene gedacht war, wurde schließlich von allen Beteiligten recht ernst genommen. Den »Silbernen KötzschBär« verlieh die Kultur- und Werbegilde von Altkötzschenbroda am 10. April 2010 an den Sieger des ersten Radebeuler Kurzfilmwettbewerbes, welcher unter dem gewagten Motto »Radebeul – rasant, riskant, erotisch« stand. Das »Goldene RadeBeilchen« wurde nach Abschluss des Festjahres, quasi als Nachspiel, am 23. Januar 2011 im Beisein des Oberbürgermeisters durch den Amtsleiter für Kultur und Tourismus in der Stadtgalerie vergeben. Die Auszeichnung für hervorhebenswerte Initiativen zur Ausgestaltung des Festjahres besteht aus einer Urkunde und einer Medaille am rot-weiß-grünen Bande, den Farben des Radebeuler Stadtwappens. Als Gestaltungsvorlage für die Medaille diente ein altes Siegel der Gemeinde Radebeul, dessen Symbolgehalt den Initiatoren im Zusammenhang mit dem Jubiläumsjahr am treffendsten erschien. Das »Rad« steht für Bewegung und das »Beil« für die kulturelle Tat. Unter den zahlreich eingereichten Vorschlägen, die alle fundiert begründet waren, musste sich die Jury für drei Preisträger entscheiden. Die solcherart Geehrten waren zunächst sehr überrascht, dann hoch erfreut. Die Auszeichnung empfanden sie als eine Würdigung ihres kulturellen Engagements, das sich nicht nur auf den Zeitraum des Festjahres beschränkt. Exklusiv in »Vorschau & Rückblick« sollen nun die drei Preisträger etwas ausführlicher vorgestellt werden:


Monika Hornuf (*1955) ist seit 1978 als Pädagogin für Kunsterziehung und Geschichte tätig. Ab 1982 arbeitete sie an verschiedenen Schulen in Radebeul. Gegenwärtig unterrichtet sie an der Mittelschule Radebeul Mitte auf der Wasastraße. Mit ihren Schülern beteiligt sie sich seit einigen Jahren an den Kunstprojekten der Stadtgalerie, die so mehrdeutige Titel tragen wie »ArbeitsWelten«, »Heimat – die ich meine« oder »Paradiesvögel – so wie wir«. Zum Stadtgeburtstag gestalteten Schüler aus zwei 5. Klassen in Korrespondenz mit der Ausstellung »Selbst/Fremd/WunschBILD-www.radebeul.de« ihre Radebeuler Lieblingsplätze als Hut und veranstalteten damit zum Künstlerfest ein fröhliches Modespektakel. Die Frage, warum es für sie wichtig ist, mit der Stadtgalerie zusammenzuarbeiten, beantwortet sie sehr komplex: »Thematische Projekte sind für Kinder besonders interessant. Sie können fabulieren und ihre Phantasie spielen lassen. Dass die Künstler in der Galerie am gleichen Thema arbeiten wie sie, macht alles noch viel spannender, denn das fordert zum Vergleich heraus und es werden viele zusätzliche Anregungen von außen geboten.« Ein weiterer Grund, in die Stadtgalerie zu gehen, ist, dass fast vor der Haustür Kunstwerke im Original zu sehen sind. Bei deren Betrachtung kann man auf den Fußboden sitzen, liegen oder hocken, kann dabei zeichnen und schreiben. Die Galerie ist intim und Berührungsängste kommen so gar nicht erst auf. Das »Goldene RadeBeilchen« wurde an Monika Hornuf verliehen, weil sie die Kinder sensibilisiert für die Stadt Radebeul, für deren geschichtliche und künstlerisch-kulturelle Traditionen. Ihre besondere Leistung besteht darin, aktiv mitzuwirken, dass die Verbindung zwischen den Generationen in unserer Stadt nicht abreißen wird. Monika Hornufs Kredo, ausgesprochen zur Preisverleihung, war knapp und beeindruckend: »Ich mag Radebeul, ich mag meine Arbeit und ich mag meine Kinder und so möchte ich auch weitermachen.«

Klaus Hübner (*1933) war bis 1992 als Energetiker bei der Energieversorgung Dresden (heute ENSO) tätig. Bereits ab Mitte der 60er Jahre begann er, erste 8-Millimeter-Filme zu drehen. Er filmte die Familie, den häuslichen Tagesablauf, und auch während der Urlaubsreisen durfte die Kamera nicht fehlen. Schon 1987 entstand ein 2,5-Minuten-Film vom Festumzug zur 700-Jahr-Feier in Lindenau. Dieser, wie auch die anderen Filme aus jener Zeit, ist kurz. Für Klaus Hübner war das zu DDR-Zeiten eine Kostenfrage. Heute dreht man auf Vorrat und die eigentliche Kunst besteht im Weglassen. Wenn endlose Meter Rohmaterial durchgesehen werden müssen, schaut ihm seine Ehefrau Helga kritisch über die Schulter, was Klaus Hübner mit trockenem Humor kommentiert: »Sinnvolle Hinweise werden berücksichtigt«.

Intensiv konnte der Hobbyfilmer seine stille Leidenschaft erst als Rentner ausleben. Zunächst begann er, lokale Ereignisse zu dokumentieren wie das alljährlich stattfindende Herbst- und Weinfest mit den vielen internationalen Straßentheatertruppen. Diese bizarren Bilder mit der Kamera einfangen zu können, waren Glücksmomente. Zunehmend interessierte sich Klaus Hübner für Heimatgeschichte und Kultur. Im Eigenauftrag machte er Filmaufnahmen von allen Radebeuler Begegnungen. Anfangs waren es nur kurze Sequenzen, später umfangreiche Dokumentationen. Während des Festjahres traf man Klaus Hübner mit seiner Kamera bei den verschiedensten kulturellen Veranstaltungen an. In der Begründung zur Preisverleihung heißt es: »Er ist ein engagierter Dokumentarfilmer, der durch seine spezifische Sicht auf die Radebeuler Stadtteile einen eigenen Beitrag leistet und das Radebeuler Leben bereichert.« Doch bei Dokumentationen hat es Klaus Hübner nicht belassen. Entstanden ist speziell zum Stadtgeburtstag auch ein sehr humorvoller Kurzfilm, in dem Vertreter aller zehn Ursprungsgemeinen Gelegenheit erhalten, das Pro und Kontra des Stadtnamens »Radebeul« aus ihrem Blickwinkel zu erörtern.

Seinen besonderen Dank richtete der frisch gekürte Preisträger an den anwesenden Christoph Leonhardt, durch den er sehr viel fachliche Unterstützung erhalten hat. Dieser wiederum war Mitglied im legendären Filmklub von Lieselotte Schließer (1918-2004) und ist auch heute noch als Amateurfilmer und geschätzter Gutachter aktiv. Abschließend gab Klaus Hübner zu bedenken, dass er nun schon älter ist als die Stadt Radebeul und es an der Zeit wäre, dass auch mal junge Menschen bei der Filmerei mitmachen.

Stephan Große (*1960) arbeitete zunächst als Facharbeiter für Maschinenbau im Druckmaschinenwerk KBA Planeta. Später wechselte er ins Autohaus Gommlich, wo er bis heute als Verkäufer tätig ist. In der Freizeit pflegt er seine kulturellen Ambitionen, die mit fortschreitendem Alter immer deutlicher zu Tage treten. Zwei Frauen sind es, die an diesem Prozess großen Anteil haben: Isolde Klemmt (1927-2009), die einstige Vorsitzende des Dorf- und Schulvereins Naundorf, als Entdeckerin seiner Talente und Cornelia Große, seine Ehefrau, Kritikerin und Muse. Im Dorf- und Schulverein ist der gebürtige Naundorfer seit 1997 Mitglied und dort wiederum in der Kulturgruppe besonders aktiv. Gelegenheiten zum Schreiben von Festreden, Sketchen oder gar Theaterszenen bieten sich in diesem agilen Verein in Hülle und Fülle. Doch die bisher größte Herausforderung verband sich mit dem Radebeuler Stadtgeburtstag, sowohl für den Verein, der sein aller zwei Jahre stattfindendes Dorf- und Schulfest unter dieses Motto stellte, als auch für Stephan Große, der den staatlich verordneten Zusammenschluss von Radebeul und Kötzschenbroda als Theaterstück im Bunde mit seinen Naundorfern und einem Zitzschewiger auf die Bühne bringen sollte. Wenngleich Stephan Große kurz vorm Auftritt das Textbuch beinahe nicht gefunden hätte und das Lampenfieber bis zum Schluss nicht weichen wollte, war die Aufführung in Naundorf ein großer Erfolg und musste wenige Wochen später auf dem Rathaushof in Radebeul-Ost noch einmal wiederholt werden. In der Begründung zur Preisverleihung heißt es: »Stephan Große – Texter, Sprecher und Regisseur in Personalunion – veranschaulichte das Ereignis als Hochzeit, und nicht nur die Ehrengäste staunten, wie er diese politisch so schwierige Zeit ganz unkonventionell, aber mit Fingerspitzengefühl und Humor darstellte. Er hat sich intensiv mit den historischen Quellen befasst und eine Form der Darstellung gefunden, die nicht nur den Naundorfern lange in Erinnerung bleiben wird.«

Stephan Große meinte rückblickend, dass er bei seinen Forschungsarbeiten durch das Radebeuler Stadtarchiv sehr viel Unterstützung erhalten hat und dass er froh ist, in einer Stadt zu leben, die die Auseinandersetzung mit diesem heiklen Kapitel ihrer Entstehungsgeschichte nicht gescheut hat.

Karin Gerhardt

[V&R 3/2011, S. 9-12]

Heiterer Aufmarsch irrer Typen

»Arsen und Spitzenhäubchen« an den Landesbühnen

Etwa drei Jahrzehnte als Konsument von kulturellen Entäußerungen der unterschiedlichsten Art zum Thema »Mord« haben mich dazu verführt, inzwischen drei Klischees zu mögen, weil sie so liebenswert charmant wie gnadenlos naiv sind. Erstens: Der Mörder ist immer der Gärtner (lies: der am wenigsten Verdächtige). Zweitens: Über Morde spricht man nicht, Morde begeht man diskret. Drittens: Wer schön morden will, muss intelligent sein. Zugegeben, diese Mordromantik verweist auf jene Ecke des literarischen Kriminalfriedhofs, wo Agatha Christie friedlich eingerahmt von Edgar Wallace und Arthur Conan Doyle ruht, zwei Messerlängen entfernt dann Edgar Allen Poe und G. K. Chesterton. Aber warum nicht diese Klassiker der Kriminalgeschichten bemühen, die Meister der perfekten Plots, wenn über ein Theaterstück zu schreiben ist, das selbst schon klassisch zu nennen ist, weil es einerseits Klischees zu brechen scheint (Über Morde spricht man eben doch, noch dazu ohne schlechtes Gewissen!), andererseits aber so hemmungslos im Klischeetopf wühlt (Natürlich ist der Mörder der Gärtner!), dass es weder von musikalisch-literarischen Vorbildern noch den eigenen Alltagserfahrungen jemals aufgefangen werden könnte. Der Plot von Arsen und Spitzenhäubchen ist zu schrecklich, um je wahr sein zu dürfen, zu komisch, um je darüber regungslos hinweggehen zu können, zu absurd, um nicht immer wieder als Kassenschlager inszeniert werden zu müssen. Wer will, möge die Handlung im Lexikon oder Internet nachlesen.

Eine sehr gefällig gebaute und genretypische Devotionalien aufgreifende Bühne (Ausstattung: Alexander Martynow) schafft in der von Arne Retzlaff verantworteten Inszenierung alle Voraussetzungen für einen heiteren Aufmarsch irrer Typen. Ein Telefon für die allfälligen Anrufe bei der Polizei und der Presse; große Fenster mit Blick auf einen Friedhof; weit schwingende Vorhänge mit Kordeln, die zum Erwürgen einladen; eine nach oben führende Treppe, von der sich prima die ganze Bühne überblicken, von der sich herunterbrüllen und herunterrennen lässt; eine seitwärts nach unten führende unheimliche Kellerstiege; ein leicht umkippender Schaukelstuhl; eine Fensterbank, die viel Stauraum für erkaltete Körper bietet; ein Bild, das immer im rechten Moment mit Gepolter von der Aufhängung herunter und damit zu Boden fällt. Bespielt wird diese Bühne von einem menschlichen Panoptikum, das in seiner Gesamtheit ein Jahrhundert nordamerikanischer Kultur- und Sozialgeschichte umspannen und damit eine Brücke von der Entstehungszeit (Joseph Kesselring schrieb das Stück 1939) bis heute schlagen möchte. Streckenweise gelingt das sehr überzeugend, so dass die Zuschauer am Ende der Aufführung mit rhythmischem Beifall für den Theaterabend danken.

Der Applaus gilt vor allem dem irren Typ 1, der durch die etwa 60-jährigen Jungfern Abby (Anke Teickner) und Martha Brewster (Julia Vincze) verkörpert wird. Diese brechen allerdings nach meinem Geschmack aus ihrer durch den Autor des Stückes verordneten unbedingten Harmlosigkeit und Tugendhaftigkeit angelsächsischer Prägung zu sehr aus, wodurch sie ihrer Rolle einen Teil des absurden Charmes nehmen. So sehr es z.B. passt, dass sie alle Gäste mit Tee und Gebäck verwöhnen möchten und dieses auch auf Silbergeschirr servieren, so sehr stimmig etwa ihre ehrliche Besorgnis um die Qualität der Hühnerbrühe und deren heilsame Wirkung bei der kranken Nachbarin ist, so wenig rollenkonform sind der Abklatschreigen, der die beiden um gefühlte 30 Jahre jünger machen soll, und die von aufgeregten Trippelschritten begleiteten Stimmeskapaden, die mehr Aufregung verursachen, als der erforderlichen Bühnenlautstärke dienlich ist. Dennoch ist den beiden Protagonistinnen zu bescheinigen, dass sie mit ihrer plüschigen Nächstenliebe, unter deren Deckmantel sie 12 einsame Herren mittels hausgemachten Holunderweins plus einer Prise Arsen mit bester Absicht ins Jenseits befördern, Sympathieträger im Wettstreit um die Gunst des Publikums sind. Diese verdienen sich unzweifelhaft auch die Typen 2 und 3, Jürgen Stegmann und Holger Uwe Thews als Teddy und Mortimer Brewster, die als die »guten« Neffen der beiden Damen ganz unterschiedliche Positionen auf der Skala der Verrücktheit einnehmen. Der eine (Teddy) ist es wirklich, denn er hält sich für Präsident Teddy Roosevelt, der andere (Mortimer) wird es fast, weil er wie der frühe Woody Allen sich den Fährnissen des New Yorker Lebens hilflos ausgesetzt sieht. Diese bestehen für Mortimer konkret darin, dass er sich im Zustand der seelischen Verwirrtheit und im Wissen um die Zuneigung einer Frau (Sandra Maria Huimann) von einem Moment zum nächsten der Tatsache klar werden muss, nicht nur zwei mordende Tanten zu haben, sondern auch von seinem weltweit gesuchten Mords-Bruder Jonathan (Matthias Henkel) als nächstes und damit 13. Opfer auserkoren zu sein. Jonathan ist Typ 4 und bedient als Boris-Karloff-Wiedergänger das Schaurigschreckliche, ohne das eine richtige Mordsgeschichte ja nicht auskommt. Typ 5 ist Dr. Einstein (Mario Grünewald), der sehr leicht als skrupelloser Gewinnler zu erkennen ist und dessen Verhältnis zu Jonathan etwa dem von Promoter Don King zu seinem schlagenden Brutalo-Boxer Mike Tyson in den 1990er Jahren entspricht. René Geisler darf Typ 6 sein und, herausgeputzt als Eddy Murphy, den supercoolen Cop O’Hara geben, der einem billigen Hollywoodstreifen der 1980er Jahre entsprungen zu sein scheint. Ob diese Stilisierung nötig war, ist ebenso fraglich wie jene von Mr. Witherspoon (Jost Ingolf Kittel) als buddhistischer Mönch, der so richtig weder in die Zeit noch in den Raum passt. Michael Heuser, Franziska Hoffmann und Marc Schützenhofer in kleineren Rollen würzen das Geschehen mit Normalität, was ihm nichts von seinem schwarzen Humor und seiner absurden Weltverfremdung nimmt, sondern im Gegenteil das alles nur noch stärker hervorscheinen lässt.

Es ist zu erwarten, dass diese Inszenierung den Landesbühnen dazu verhilft, ihre Zuschauerquote im Jahr 2011 auf hohem Niveau zu halten. Und auch das wäre ein legitimes Kriterium für die Platzierung des Stückes im Spielplan in diesen nicht einfachen Zeiten.

Bertram Kazmirowski

[V&R 3/2011, S. 15-17]

Eine Geschichte der Superlative

850 Jahre Weinanbau in Sachsen

Dieses Jahr wird groß gefeiert – im ganzen Elbtal zwischen Diesbar-Seußlitz und Dresden-Pillnitz, ja bis nach Pirna. Gilt es doch, dem sächsischen Wein in seinem Jubiläumsjahr entsprechend zu huldigen. Freilich ist gar nicht sicher, dass hier erst seit 850 Jahren Weinanbau betrieben wird; der Sage nach ließ Bischof Benno ja bereits Anfang des 12. Jahrhunderts die ersten Reben nahe dem Meißner Burgberg pflanzen. Doch da in der Geschichte nur zählt, was urkundlich dokumentiert ist, dient die im Staatsarchiv verwahrte Urkunde von 1161 als frühestes historisches Beweisstück. Sie belegt, dass Markgraf Otto der Reiche damals einen schon gut im Ertrag stehenden Weinberg (also keine Neupflanzung!) an die Kapelle Sankt Egidien übereignete.

850 Jahre später gilt das sächsische Weinanbaugebiet als das kleinste und nördlichste Deutschlands; viele halten es auch für das schönste, aber das ist Geschmackssache – wie der Wein selbst. Die Rebfläche beträgt nur noch knapp 480 Hektar – das ist im Vergleich zu Rhein und Mosel lächerlich wenig, aber »uns kommt es nicht auf die Quantität, sondern auf Qualität an«, betonte der Schirmherr des Jubiläums, der Präsident des Sächsischen Landtags Matthias Rößler. Wenn man alle Beteiligten, die mit dem Weinbau zu tun haben, alle Winzer und Kellermeister, Touristiker und Wirtsleute zusammenrechnet, so die Ansicht des CDU-Politikers, handelt es sich um eine regelrechte »Bürgerbewegung« .

Bei der Pressekonferenz Mitte Februar auf Schloss Wackerbarth ergänzte der Geschäftsführer des Sächsischen Weinbauverbandes, Christoph Hesse, die Reihe der Superlative, bevor er auf die vielen Veranstaltungen in der Region zu sprechen kam. So soll es in Meißen die erste Winzerschule in Europa gegeben haben, deren Besuch junge Männer vom Kriegsdienst befreite, und der in Diesbar stehende alte Rebstock von 1907, an dem die im Gefolge der Reblauskatastrophe neu entwickelte Methode der Pfopfreben erfolgreich durchgeführt wurde, sei einmalig in Deutschland.

Interessant in dem Zusammenhang ist auch der für Radebeul so wichtige, das Ortsbild prägende Terrassenweinbau; ihn gibt es hier aber erst gut 400 Jahre. 1603 wurde auf kurfürstlichen Befehl und mit Unterstützung von Fachleuten aus Stuttgart der Grundstein dafür gelegt, zunächst in Cossebaude und Zscheila. »Wirtschaftlich eine harte Notwendigkeit und heute ein weicher Standort-Faktor«, so der Chef des Weinbauverbands abschließend.

Doch nun zu den Veranstaltungen, die offiziell im April beginnen und erst im November enden werden. Am Anfang stand die Idee, ein Weinfass als Symbol zu nehmen und es jeweils dorthin zu rollen, wo gerade gefeiert wird. Allerdings hätte das vermutlich viele blaue Flecke und ein geschundenes Fass zur Folge gehabt. Nun soll ein zünftiger Pferdewagen das Fass an den Ort der Feierlichkeiten bringen. Meißen macht den Anfang am 14. April auf dem Marktplatz, am Tag darauf folgt die Jungweinprobe in Weinböhla und am 16. April wird die Porzellanmanufaktur Meißen ihren »Tag der Offenen Tür« unter das Thema Weinmotive stellen. So geht es dann Wochenende für Wochenende weiter. Bei der Vielfalt der Angebote ist es empfehlenswert, sich vorher zu überlegen, was einen interessiert. Ist es eher eine Ausstellung, zum Beispiel zur Geschichte des Weins in der Karrasburg in Coswig oder in der Radebeuler Hoflößnitz? Ist es eher eine Weinprobe mit Führung inmitten der Weinberge (wie jedes Jahr am Tag des offenen Weinbergs Mitte Juni)? Oder doch »nur« ein gemütliches Hoffest – vielleicht auch mit Führung oder Gesang – zum Beispiel im Weinhaus Schuh zu Füßen der Bosel? Für jeden Geschmack ist etwas dabei.

Ob die Kunde vom Jubiläumsjahr allerdings auch über Sachsen hinaus dringt und der Tourismusverband genügend Werbung macht, muss sich zeigen; zumindest im Februar gab es darauf keine klare Antwort seitens des Weinbauverbands. Die geplanten Veranstaltungen sind in dem Festkalender »850 Jahre Weinbau in Sachsen 1161-2011« auf über 80 Seiten zusammengefasst, allerdings nicht vollständig. So ist beispielsweise die Aktion, die die Radebeuler Stadtgalerie zum Künstlerfest am 3. September vorhat, gar nicht erwähnt. Und für spontane Aktionen bleibt immer noch genügend Raum.

Karin Funke

Das historische Porträt: Benjamin Gottfried Weinart (1751-1813)

In einer knappen Übersicht von 1840 über die Kötzschenbrodaer Weinbergsflur stieß ich vor einiger Zeit auf den Namen »Weinartsruh, wo vor 30 J. der berühmte Schriftsteller Finanzproc. Weinart privatisirte«. Wackerbarths Ruhe kennt man noch, auch wenn das Staatsweingut diesen schönen Namen leider zu den Akten gelegt hat. Aber »Weinarts Ruhe«? – Nie gehört. Was steckt also dahinter?

Welcher berühmte Schriftsteller da beim alten Reichsgrafen abgekupfert hatte, ließ sich relativ leicht ermitteln: Es handelt sich um Benjamin Gottfried Weinart, Mitglied diverser gelehrter Gesellschaften, der um 1800 als ausgewiesene Kapazität auf dem Gebiet der sächsischen Geschichte galt. Am 4. Mai 1751 in Dohna als Pfarrerssohn geboren, hatte Weinart in Leipzig Jura studiert und sich schon bald nach Erwerb des Magistergrads 1774 »durch seine rasche litterarische Production den Ruf eines vielseitigen Geschichtsforschers und federgewandten Schriftstellers« erworben, wie es 1910 in der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB) heißt.

Sein erstes größeres Werk war eine »Topographische Geschichte der Stadt Dresden und der um dieselbe liegenden Gegenden«, die zwischen 1777 und 1781 erschien und vor allem wegen der zahlreichen Kupferstiche noch heute eine gesuchte Rarität darstellt. Von Dresden, wo Weinart nach der Approbation als Advokat tätig gewesen war, wechselte er 1779 als Amtmann ins damals noch sächsische Städtchen Ruhland in der Oberlausitz. Dieser Brotberuf ließ ihm Zeit für seine Studien, die sich nun vor allem auf die Rechtsgeschichte der beiden Lausitzen konzentrierten und in mehreren Publikationen ihren Niederschlag fanden.

Daneben betätigte er sich als Sammler und Bibliograph und legte 1790/91 in zwei Bänden seinen »Versuch einer Litteratur der Sächsischen Geschichte und Staatskunde« vor, den er später noch mehrfach ergänzte und der wegen seiner Materialfülle lange ein Standardwerk blieb.

1797 wurde Weinart zum kurfürstlich sächsischen Finanzprokurator in den Ämtern Senftenberg, Finsterwalde und Doberlug ernannt und kehrte nach Dresden zurück, wo er fortan auch anwaltlich und für verschiedene Periodika tätig war. Auch die ADB erwähnt, dass er sich als Wohnsitz »nahe bei der Stadt einen Weinberg mit einem Landhause [kaufte], das er Weinartsruhe nannte«. Doch um welchen Berg handelte es sich?

Aus Gustav Wilhelm Schuberts »Chronik und Topographie der Parochie Kötzschenbroda« (1865) geht hervor, dass Weinartsruh mit dem später v. Minckwitzschen Anwesen, heute Obere Bergstraße 30 in Niederlößnitz, identisch ist. Dessen Geschichte hat Liselotte Schließer akribisch erforscht. Ihre Ausarbeitung belegt auch, warum sich Weinart gerade dieses Weingut aussuchte. Das gehörte nämlich bereits seit 1762 seiner inzwischen verwitweten Mutter Christiane Johanna Weinartin geb. Krause, einer Enkelin von Caspar Christian Kober, der 1713/14 das Herrenhaus und 1729 das weithin sichtbare Belvedere hatte erbauen lassen. Der Kaufkontrakt vom 7. Januar 1797 liefert eine detaillierte Aufstellung des umfangreichen Besitzes, der aus verschiedenen Einzelbergen und Feldparzellen mit den zugehörigen Baulichkeiten, mehreren Brunnen am Rieselgrund sowie dem Koberschen Betstübchen samt Erbbegräbnis in der Kötzschenbrodaer Kirche bestand und – zumindest auf dem Papier – für 4.000 Taler den Eigentümer wechselte. Damals wurde das Anwesen noch »Hausberg« genannt. Am 14. September 1798 verkaufte Weinart drei der zugehörigen Weinberge für 1.700 Taler; dieser Kontrakt trug schon die Ortsbezeichnung »Weinarts Ruhe«.

Dass seine Ruhe hier nur von kurzer Dauer war und der Name bald wieder verschwand, hatte er sich selbst zuzuschreiben. Im Jahre 1800 veröffentlichte Weinart ein Buch »Über die chursächsische Steuer-Verfassung«; das Manuskript stammte aber gar nicht von ihm, sondern von Dr. jur. Friedrich August Eichhoff (1769-1830). Ein Freiherr kann sich bei so was vielleicht gewisse Freiheiten erlauben, aber Weinart fehlte das Von und Zu. Dr. Eichhoff strengte einen Plagiatsprozess an, der für den Beklagten 1804 mit Arrest und erheblichen Schadenersatz- sowie Gerichtskosten endete. Vermutlich zu deren Bestreitung versuchte Weinart 1806 von der Lößnitz aus, Teile seiner umfangreichen Bibliothek zu veräußern – für einen Büchermenschen ein hartes Los. Offenbar reichte das trotzdem nicht, denn am 12. Juni 1810 wurde »Weinarts Ruhe« (seit 1685 quasi im Familienbesitz) samt allen Zubehörungen »schuldenhalber« zwangsversteigert.

Erstaunlicherweise behielt der im Alter schwer kranke Weinart seinen Posten als Fiskal und ist im Dresdner Adresskalender auch weiterhin als Rechtskonsulent verzeichnet. Im Juli 1811 meldete die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, für die er als Rezensent tätig gewesen war, dann voreilig sein Ableben. Tatsächlich starb Benjamin Gottfried Weinart aber erst 1813, am 1. oder, nach anderen Quellen, am 9. September, in Dresden-Neustadt. Seine »Ruhe« und den Platz im Koberschen Erbbegräbnis hatte er verwirkt. Das einzige, was in Radebeul heute noch an ihn erinnert, ist ein großformatiges Ölgemälde »Der Leichnam Christi« von unbekannter Hand, das Weinart der Kötzschenbrodaer Kirchgemeinde im Jahre 1800 gestiftet hatte und das seinen Platz inzwischen unter der Orgelempore der Friedenskirche gefunden hat.

Frank Andert

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An dieser Stelle möchte ich mich bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, als verantwortlicher Redakteur von ›Vorschau & Rückblick‹ verabschieden. Ich habe diese Funktion 2009 gern übernommen und mich – aus Hochachtung vor dem Publikum und der Tradition der ›Vorschau‹ – seitdem bemüht, das inhaltliche und gestalterische Niveau dieser für die Radebeuler Kultur so wichtigen kleinen Zeitschrift hoch zu halten. Der schwer gefühlte Mangel an Verständnis und Unterstützung für dieses Anliegen veranlasste mich, zu Jahresbeginn meinen Rücktritt zu erklären. Ich wünsche meinem Nachfolger Sascha Graedtke von Herzen immer gute Texte und die Hilfe, die er braucht. Mir und Ihnen wünsche ich, dass die ›Vorschau‹ noch viele Jubiläen feiern möge. Eine Kästner-Moral auf den Weg: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

F. A.

[V&R 3/2011, S. 22-25]


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