Wein & fein, wieder einmal eine feine Ausstellung

Zeichnungen und Druckgrafiken von Tobias Wolf

Die Ausstellung, wie so oft launig und Hintergrundwissen vermutend, aber nicht gesagt, kuratiert und von D. Reinemer eingeführt, lässt den Betrachter eine Bilderwelt anschauen: witzig, sarkastisch, weise und in eine Bildsprache übersetzt, die überrascht und zum wissenden Lächeln animiert. Ja, ja, so ist das.

Dabei ist der Mann noch gar nicht so alt (Geburtsjahr 1978 in Räckelwitz)

Er hat 3 Kinder und ist seit 2014 als Künstler tätig.

Stationen: Schule, Grundwehrdienst, Gasthörer HfBK, Student an der HfBK 2001 – 2008 (Bildhauerei), Student an der HTW Dresden Fachrichtung Umweltmonitoring (2008-2016).

Es war angenehm zu erleben, dass am Abend der Eröffnung – M. Gräfe und Co. wuselten wie immer eilfertig und gästefreundlich mit Schnittchen und Weinchen um die Vernissage-Gäste herum, außer Trommelwirbeln von Björn Reinemer an markanten Stellen – kein zusätzlich geladener Kunstwissenschaftler zugegen war, um dem Publikum zu erklären, was es denn so sähe. Quasi in Vertretung dessen, sprach der Künstler selbst zu seinem Werk bzw. zum zu erwartenden Verständnis seiner Bilderwelt.

Bild: T. Wolf

Mit Erlaubnis von Tobias Wolf möchte ich Auszüge aus seiner Rede, auf einem langen Papierband festgehalten, wortwörtlich zitieren.

Übrigens ist dieses Original in die städtische Kunstsammlung eilfertig und beflissen von Frau Baum übernommen worden. (Kostenlos, Künstler gib acht!)

„Ich weiß nicht, ob ich ein guter Künstler bin, aber immerhin weiß ich, dass ich ein Künstler bin. Und so wie der Anwalt den Paragraphen reitet… so mache ich BILDER. Und weil ich BILDER mache, kann ich darüber reden und ich sage: BILDER SIND WICHTIG“

„Nun bedenken sie aber, dass wir heute mit BILDERN erstickt werden. Wo man hinschaut BILDER. Fernsehen, Internet, Werbung, Magazine, Piktogramme… aber, all diese BILDER wollen den Betrachter nicht herausfordern, im Gegenteil, sie wollen den Betrachter einschlummern… damit er aufhört, über seine Gefühle nachzudenken, in dem er sie beschreibt, dass er statt dessen ein kleines gelbes Strichgesicht anklickt… und das ist nicht gut.“

“ Was unsere Zeit so anders macht, das ist die Masse und die totale Verfügbarkeit von BILDERN! Es heißt ja, ein BILD sagt mehr als 1000 Worte. Ich behaupte, dass heute 1000 BILDER kaum noch etwas zu sagen haben. Und weil das stimmt, was ich gerade gesagt habe, ist es wichtig, dass die Menschen anfangen, darüber nachzudenken, was ein BILD ist. Und wer kann denn da ein besserer Gesprächspartner sein als der: Künstler, der die BILDER macht.“

„In diesem Sinne möchte ich sie bitten, erst morgen anspruchsvoller zu werden und heute meine BILDER einfach toll zu finden.“

Erfreulich, so auch die Feststellung D. Reinemers, der Altersdurchschnitt an diesem Abend wurde durch die Anwesenheit von vielen jungen Besuchern bemerkenswert nach unten gedrückt. Also: auf nach neuen Wegen, Jugend empor, Prost!

Apropos: die Weine von Gräfe sind empfehlenswert, zumindest bei Ausstellungseröffnungen. Das sei dem interessierten Publikum mit auf den Weg gegeben.

Dietmar Kunze

Schüler entdecken Zukunft und Vergangenheit

Einladung zur Präsentation eines Schülerprojekts zu Gebäuden in Radebeul

Wenn man Veranstaltungen des Vereins für Denkmalpflege und neues Bauen oder anderer, sich mit Kultur, Geschichte und Kunst in Radebeul beschäftigender Vereine besucht, trifft man zumeist auf die für diese Belange interessierte Generation 55+. Warum ist das so?

Blick auf Schloss Hoflößnitz
Foto: M. Mitzschke

Vor ca. 30 Jahren, als sich im Schwung der Wende viele Vereine und Gruppen bildeten, um an den unterschiedlichsten Stellen bei der Gestaltung unseres Gemeinwesens mitzuwirken, waren doch auch viele junge Engagierte zu finden.

Welche Beweggründe führten junge Leute damals dazu, die gleichgesinnte Gemeinschaft zu suchen und die neuen Freiheiten auch im Engagement und Bildung zu Kunst, Kultur und eben auch Denkmalpflege zu leben? Wie kam es, dass Umwelt, Baudenkmale etc. als so hohe Werte betrachtet wurden, dass diese es wert waren, dafür Freizeit aufzubringen?

Wo liegen die Gründe, dass der Verein junge Leute in seinen Reihen beim Thema Denkmalpflege vermisst?

Blick in Richtung Westen: Villa und Minckwitzsches Weinberghaus
Foto: M. Mitzschke

Richtig, 1989 drohte vielen Gebäuden der Verfall oder dann auch die unsachgemäße Sanierung. Vieles rief förmlich danach angepackt zu werden. Leidenschaftlich wurden Ideen und Ideale zur Umgestaltung der Gesellschaft, zur Förderung und Bewahrung unserer gebauten und natürlichen Umwelt diskutiert. Es bot sich die Gelegenheit, mit Leidenschaft für Veränderungen zu wirken, Schätze vergrauten Glanzes zu heben. So vieles konnte aus der Taufe gehoben werden, was schon bald erlebbar war (der Bauherrenpreis, die Beiträge in der Losen-Blatt-Sammlung, Chronos und die Trauernde…) Engagement führte bald zu sichtbaren Früchten und das ist wichtig, um junge Leute zu begeistern. Auch das Zusammenfinden in einer Gemeinschaft für gemeinsame Ziele war nicht ungewohnt.

Die heutige Situation ist anders. Unsere Baudenkmale sind zumeist saniert. Bei den wenigen verfallenden Bauwerken, wie der Kolbe-Villa oder der Villa Heimburg gibt es scheinbar keinen Ansatz, sich einzubringen, um etwas zu retten. Neubauvorhaben und die „Über-„verdichtung des Stadtraumes sind schwer zu beeinflussen. Die verborgenen Schätze sind zumeist gehoben.

Um Konzepte für Veränderungen in der Stadt wird zäh gerungen, so dass der Ansatz, dass wir uns eine lebenswerte Umwelt bauen wollen, unter widerstreitenden Interessen oft nicht mehr erkennbar ist. Die Möglichkeiten, des sich mit Freude Einbringens und das Erleben von daraus resultierenden, sichtbaren Erfolgen sind wesentlich begrenzter geworden. Da gibt es viele andere Möglichkeiten, um mit mehr Freude wahrnehmbare Erfolgserlebnisse zu haben. Ist es das, was junge Leute abhält, sich heute für ein Thema wie Denkmalpflege zu engagieren?

Andererseits welch tolle Gebäude, Stadträume und gestaltete Landschaft sind in Radebeul zwischen Fluss und Lößnitzbergen entstanden. Wie viele Ideen, Mühen, Schweiß und Geld wurden aufgewendet, um dieses schöne, heute erlebbare Stadtbild reifen zu lassen.

Es ist an uns, dies immer wieder bewusst zu sehen, zu erleben und die Gedanken, was wir als wertvoll empfinden auch an die jungen Leute weiterzuvermitteln. Das ist Herausforderung an den Verein, für jeden Einzelnen in den Familien aber besonders auch für die Schulen.

Schon lange fragen wir uns, wie wir etwas von unserem Engagement für die Qualität des Bauens in Radebeul, für die Erhaltung des besonderen Charakters dieser Stadt an junge Leute weitergeben und mit ihnen weiterentwickeln können. In der Zusammenarbeit mit Radebeuler Schulen hoffen wir, dafür eine Chance zu bekommen.

Spannend wäre es für uns zu erfahren, wie Schüler unser gebautes Stadtbild wahrnehmen. Machen sie sich dazu Gedanken? Was ge- oder missfällt ihnen und warum? Was erscheint ihnen als wertvoll, bewahrenswert und was sind die Gründe dafür? Wie soll sich unsere Stadt einmal entwickeln?

Wir freuen uns, dass es uns im nun begonnenen Schuljahr gelungen ist, eine Möglichkeit zu finden, mit dem Thema „Die Weinberglandschaft – eine Einheit aus Landschaft und Gebäuden“ am Gymnasium Luisenstift mit Schülern in Kontakt zu kommen.

Im Profilunterricht des gesellschaftswissenschaftlichen Profils der zehnten Klasse beschäftigt sich eine Gruppe von 20 Schülern mit der historischen Kulturlandschaft, die im Elbtal durch den Weinbau geprägt wurde.

Es soll der unmittelbare Lebensraum der Schüler, die Nachbarschaft der Schule betrachtet werden, um den Schülern deren Wert und die Notwendigkeit des Denkmalschutzes zu verdeutlichen.

Zunächst haben sich die Schüler mit Fragen – Was ist ein Denkmal? Was ist Kultur- und Naturerbe? Warum ist der Erhalt wichtig? – beschäftigt. In einem nächsten Schritt, soll die Weinberglandschaft und ihre Bebauung erschlossen werden. Dabei sollen sich wiederholende Gebäudetypen oder typische Merkmale erfasst werden, um zu prüfen, ob es eine Vereinheitlichung der historischen Bebauung gibt, ob diese gewollt war und ist. Dazu gehört die fußläufige Erschließung und Erfassung eines Gebietes um die Schule und dessen Kartierung. Die Schüler erfassen und dokumentieren die Gesamtsituation, den Erhaltungszustand und bauliche Details ausgewählter Gebäude. Es werden Materialien und Dokumente zur Geschichte und zum Ist-Zustand der Bebauung in Form von Plänen, Fotos und evtl. Literatur zusammengetragen. Diese sollen dann in eine geeignete Form der Präsentation einfließen. Ziel ist letztendlich durch die Neugier und das Interesse an der Erkundung eine Identifikationsmöglichkeit mit dem Lebensraum zu ermöglichen.

Wenn Sie interessiert sind, zu welchen Ergebnissen die Schüler gekommen sind, laden wir Sie herzlich am 26.10.2018, 19.30 Uhr ins Gymnasium Luisenstift in die Vorhalle des Weinberghauses ein.

Seien Sie mit uns gespannt, in der Veranstaltung zu erleben, wie junge Leute auf unseren Radebeuler Stadtraum sehen und was Ihnen dabei wertvoll erscheint. Stehen sie doch im Luisenstift auch in einem interessanten Spannungsfeld historischer und neuer Gebäude.

Katrin Krüger
Michael Mitzschke

Editorial

Es ist kaum zu glauben, aber unser Monatsheft, so wie die Wende auch, strebt seinem nunmehr 30 jährigen Bestehen unverdrossen entgegen. Zahllose Geschichten zu unterschiedlichsten Themen wurden bisher erzählt, einige sind derzeit im Begriff welche zu werden und viele Kommende harren noch auf ihre Zeit. Ein Kommen und Gehen möchte man sagen. Und doch erfreuen wir uns im Wandel der Zeiten mit unserem Heft einer gewissen Kontinuität im kulturellen Gedächtnis von Radebeul.

Unseren geschätzten Leserinnen und Lesern ist unser Format wohl vertraut. Viele werden sich noch an die ersten Ausgaben ab 1990 erinnern. Kunst und Architektur waren für das Titelbild immer stilprägend. Dann folgte über lange Zeit ein Titelblatt mit kräftigen Monatsfarben geschmückt und die Texte waren unruhig mit wechselnden Schriftgrößen versehen.

Ab 2010 ist das Layout komplett überarbeitet und liegt seither im bekannten und geschätzten Format vor. Die Monatsfarben werden der Tradition folgend nunmehr nur mit einem schmalen Rand markiert.

Eines ist aber immer geblieben – unsere gewollte „Schwarz-Weiß“ Ästhetik – mit der die meisten unserer Beiträge illustriert werden. Zwangsläufig sind viele optische Nuancen, insbesondere bei künstlerischen Abbildungen, leider nicht zu erspüren wie von einigen beklagt.

Dies hatte uns als Redaktion einst schließlich bewogen, auch der wandelnden Medienkultur gebührend, ab 2011 eine Online-Präsenz mit ausgewählten Beiträgen zu pflegen.

Daher möchten wir unsere verehrte Leserschaft freundlichst nochmal darauf verweisen, dass die Schwarz-Weiß-Bilder der Druckausgabe ausgewählter Texte in unserer Internetpräsenz www.vorschau-rueckblick.de quasi simultan in den gewünschten Farben zu erleben sind.

Sascha Graedtke

Geschichtlicher und wirtschaftlicher Abriss von NIEDERLÖSSNITZ anhand seiner Straßen und Bauwerke

Die Radebeuler Gemeinden von Nieder- und Oberlößnitz wurden spät, erst 1839, gegründet. Die anderen Altgemeinden bestanden nach urkundlichen Erwähnungen bereits seit dem 13. und 14. Jahrhundert.
Niederlößnitz liegt etwa in der Mitte der Altgemeinden Naundorf, Lindenau-Oberort, Wahnsdorf, Oberlößnitz, Serkowitz und Kötzschenbroda und war vor 1839 eine sehr dünn besiedelte landwirtschaftliche Fläche. Die Hauptkultur war der Weinbau sowohl in Steillagen als auch in flacheren Lagen. Hier gab es nur ein paar Winzerhäuser und einige Herrenhäuser, meist mit großen Abständen untereinander.

Ehemaliges Rathaus Niederlößnitz,
Rosa-Luxemburg-Platz 1 (1892-95) Foto: D. Lohse

Niederlößnitz erstreckt sich über ca. 3km von Ost nach West und ca. 1,5km von Nord nach Süd – auf der Karte bildet es ein lang gestrecktes Dreieck vom Lößnitzbach bis zu Wacker-barth’s Ruhe und von der oberen Hangkante etwa bis zur Meißner Straße.
Nur wenige archäologische Funde wie südlich vom „Luisenstift“, deuten auf eine ältere Besiedlung vor dem 16. Jahrhundert hin. So könnten auch einzelne Gebäude im 30-jährigen Krieg (1618-1648) total zerstört und nicht wieder aufgebaut worden seien. Größere Häuser, die nach diesem Krieg in Niederlößnitz errichtet und z.T. später umgebaut wurden, sind: Schloß Wackerbarth’s Ruhe, Altfriedstein, das Mohrenhaus, die Friedensburg, Haus Minckwitz und der Grundhof. Daneben existierten noch die kleineren Winzerhäuser u.a. „Fliegenwedel“, „Liborius“, „Lotter“, „Reinhardsberg“, „Möbius“, „Claus“ und „Barnewitz“ in Niederlößnitz.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts war der Weinanbau auf der Heidesandterrasse allmählich rückläufig und wurde schließlich durch die Reblauskatastrophe nach 1885 völlig beendet. Nach 1830 entstanden neben o.g. Winzerhäusern ein paar einzelne Wohnhäuser, u.a. Winzerstr. 1, und ab 1860 setzte in Niederlößnitz schließlich der große „Bauboom“ mit Landhäusern, Wohnhäusern und kleinen und auch großen Villen ein. Den größten Anteil am Aufbau in Niederlößnitz hatten die Baumeisterfamilien Große (Kötzschenbroda) und Gebr. Ziller (Serkowitz). Das spiegelte sich natürlich in der Bevölkerungsentwicklung von Niederlößnitz wider: 1856 nur 668 Einwohner und 1890 schon 2981, was fast einer Verfünffachung entsprach. Niederlößnitz lag damit nach Kötzschenbroda (1890 mit 4577 Einwohnern) auf dem zweiten Platz aller 10 Altgemeinden, hier zum Vergleich die 2017 für Niederlößnitz ermittelte Einwohnerzahl: 8521! Oberlößnitz hat eine ganz ähnliche Entwicklung genommen.
Das hatte auch auf das Straßen- und Wegesystem im Niederlößnitzer Revier Einfluss. Gab es vor 1860 nur Wirtschaftswege, Verbindungen zwischen den Winzer- und Herrenhäusern, Wege die der Topografie folgten – untere, mittlere und obere Bergstraße, diagonal verlaufende, unbefestigte Viehtriebe, so wurde das ehemalige Weingelände nun kleinteilig parzelliert und einem Rastersystem folgend, befestigte Straßen angelegt, parallel verlaufend und sich rechtwinklig kreuzend. So entspricht z.B. der Verlauf der heutigen Dr.-Rudolf-Friedrichs-Straße dem alten Wegesystem, und der der Hohen Straße dagegen dem neueren System. Mit dem neuen Straßensystem entstanden auch kleinere Plätze, wie der Rosa-Luxemburg-Platz oder der Zillerplatz.
Mit Gärten, Parks und Straßenbäumen in Niederlößnitz kam es zu einer überdurchschnittlichen Begrünung und damit zu einer guten Lebensqualität – zum Vergleich muss man nicht Stadtteile von Radebeul ansehen, sondern sollte andere Städte mit geschlossener Bebauung wie Meißen oder Großenhain betrachten.

Siedlungshaus, Rosa-Luxemburg-Platz 3 (1924) Foto: D. Lohse

In der Zeit des Aufschwungs – auch als Gründerzeit bezeichnet – entstanden in Niederlößnitz Schulen (Luisenstift), Kranken- und Pflegeeinrichtungen (Krankenhaus Heinrich-Zille-Str.), Verwaltungs- (Rathaus Niederlößnitz) und Handelseinrichtungen (priv. Läden), Gaststätten (Goldne Weintraube), etliche Gartenbaubetriebe und einzelne andere Betriebe (Bussard-Sekt-Kellerei), also ein funktionierendes Gemeinwesen. Die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts brachten für Niederlößnitz ein paar neue Siedlungshäuser (Gebiet zwischen Heinrich-Zille-Str. und Winzerstr.), eine katholische Kapelle an der Borstraße (die spätere Kirche) und den Verwaltungsbau des Elektrobetriebes Gröbawerke im Körnerweg. In jener Zeit bestand in Niederlößnitz ein dichtes Netz von Läden und Versorgungseinrichtungen mit kurzen Wegen für die Anwohner – über diese gute Versorgung können wir heute nur staunen!
Zerstörungen aus dem 2. Weltkrieg sind in Niederlößnitz zum Glück nicht zu beklagen gewesen. Zwischen 1945 und 1989 änderte sich hier wenig, es entstand ein Theater, die Landesbühnen Sachsen in der ehem. Goldenen Weintraube, eine Reihe von DDR-mäßigen, größeren Neubauten (Hohe Straße), ein paar Typen-Einfamiliehäuser kamen hinzu, Kindergärten entstanden in alten Villen oder auch als Neubau, ein Krankenhausneubau und eine neue Kaufhalle am Rosa-Luxemburg-Platz wurden errichtet, dafür schlossen ein paar kleinere Läden – der Charakter unseres Stadtteils blieb aber im Wesentlichen erhalten.
Ab 1990 erkennen wir dann ein paar weitere Veränderungen in Niederlößnitz. Von den vielen bis dahin noch arbeitenden Gärtnereien schließt eine nach der anderen, u.a. weil der holländische Einfluss auf diesem Wirtschaftssektor zu stark war. Die Suche nach Baulücken (da gibt es durchaus einen Zusammenhang mit o.g. Gärtnereien) und darauf fußend der Wunsch, sich ein möglichst individuelles Eigenheim oder ein eher rentierliches Mehrfamilienhaus bauen zu lassen wuchs, sowohl durch immer hier ansässige, wie auch durch zugereiste Bauherren, von denen ein paar inzwischen auch Niederlößnitzer geworden sind und sich hier wohl fühlen. Schule und Krankenhaus konnten abermals erweitert werden und beim Krankenhaus (Elblandkliniken) wird demnächst eine erneute Erweiterung vollendet werden. Niederlößnitz hat mehrere Pflegeheime, teils in Altbauten, teils als Neubau. In Radebeul insgesamt gesehen kamen einige neue Kaufhallen hinzu und zwangsläufig änderte sich erneut das Kaufverhalten, was dazu führte, dass der Einzelhandel in Niederlößnitz abermals, fast könnte man von „gegen Null“ sprechen, zurückging. Mein Bäcker Ecke Humboldtstraße/ Winzerstraße blieb uns bis jetzt aber erhalten! Aus ehemaligen Eckläden entstanden jetzt in den meisten Fällen Wohnungen. Hausabrisse blieben die Ausnahme (wie der ehem. Ratskeller Niederlößnitz), dafür wurden viele Häuser (stellvertretend seien die Gröba-Häuser an der Ostflanke des Rosa-Luxemburg-Platzes genannt) und Villen saniert. Wir stellen fest: Niederlößnitz ist immer noch relativ locker bebaut, gut durchgrünt und lebenswert. Und nun wird gerade zum Fest die Neugestaltung des zentralen Rosa-Luxemburg-Platzes fertig sein, na ja, sagen wir fast fertig, da dürfen wir uns doch freuen!
Die für mich über die Zeit auffälligsten Veränderungen sehe ich beim Wegfall der ehemals zahlreichen Gartenbaubetriebe und privaten Läden im Kernbereich von Niederlößnitz, also im Radius von etwa 500m um das ehem. Rathaus und dafür aber eine Zunahme von Wohnbebauung.

Dietrich Lohse

Bläserquintett CARION aus Dänemark

Zum Benefizkonzert in Coswig/Neusörnewitz zu Besuch

Foto: PR Bläserquintett

Zu einem im doppelten Sinne ungewöhnlichen Benefizkonzert lädt die Initiative Coswig – Ort der Vielfalt in diesem Jahr nach Neusörnewitz ein. Zum einen ist das Bläserquintett CARION aus Dänemark etwas ganz Besonderes und zum anderen ist auch der Ort des Konzerts, die Betriebsräume der SUPERIORE.DE GMBH (Köhlerstraße 22), eine Rarität. Vor neun Jahren erwarb die Firma das Gebäude der ehemaligen Elektrowärme Sörnewitz und baute das denkmalgeschützte Gebäude in vier Jahre zum Stammsitz eines der größten Online-Weinhändler italienischer Spitzenweine in Europa aus und um. Alles läuft wie auch in den Jahren zuvor unter Schirmherrschaft des Coswiger Oberbürgermeisters Frank Neupold.
Das Ensemble CARION präsentiert an diesem Abend seine neue CD unter dem Titel „Dreams of Freedom“. In diesem Programm präsentieren CARION das große Thema „Sehnsucht nach Freiheit“ mit Werken von Komponisten, die unter den Verhältnissen ihrer Zeit weder arbeiten noch leben konnten und deshalb Wege in die Freiheit suchten. Zur Uraufführung kommt dabei ein eigens für das Ensemble komponiertes Werk eines jungen syrischen Musikers und Komponisten, der derzeit als Flüchtling in der Türkei lebt und von einer Fortsetzung seines Kompositionsstudiums in Europa träumt.
„Für uns als Initiative ist es etwas ganz außergewöhnliches, solch schöne Musik und so tolle Architektur hier zu einem Benefizkonzert verbinden zu dürfen“ erklärt Christiane Böttger (Vorsitzende des Vereins Coswig – Ort der Vielfalt e.V.) zu diesem Konzert. „Es ist uns einmal mehr gelungen, für unsere Arbeit als Initiative ein Highlight nach Coswig zu holen“. Alle Einnahmen aus dem Konzert fließen zu 100% in die Arbeit mit Flüchtlingen.

Sven Böttger

Das Konzert findet am 7.9.2018 ab 20 Uhr statt und die insgesamt 200 Karten zu 20 € gibt es in der Geschäftsstelle der Initiative auf der Karrasstraße 3 oder bei der Buchhandlung Ernst Tharandt bzw. unter der Telefonnummer 03523-2390879 oder unter initiative@coswig-ort-der-vielfalt.de.

175 Jahre Männerchor Radebeul e.V. „Liederkranz 1844“

Am 19. Mai 1844 fand die Gründung des Gesangvereins „Liederkranz 1844“ im Bahnhotel Radebeul statt. Seitdem treffen sich die Sänger allwöchentlich um die Tradition fortzuführen.
Der Gründer dieses Männergesangvereins war ein berufener und fähiger Mann, der viel von seinem Können und Wissen an die Mitglieder weitergab. Es war der Kantor der Kirche zu Kötzschenbroda, Traugott Friedrich Keller.

Der Männerchor vor dem Hotel »Goldener Anker« Foto: H. Ebert

Schon zu Anfang fanden sich 21 sangesfreudige Kötzschenbrodaer zusammen, um gemeinsam das deutsche Liedgut zu pflegen. Kantor Keller prägte und leitete den Chor 21 Jahre von seiner Gründung bis August 1865.
Die Sängerfrauen fertigten in Handarbeit eine Vereinsfahne und stifteten sie dem Verein. Damit unterstützten sie aktiv das Hobby ihrer Männer. Am 16. November 1873 wurde die Fahne feierlich geweiht und noch heute wird sie zu besonderen Anlässen stolz gezeigt. Dem Vereinsvorstand Fleischermeister Gerhard Schiefner (Vorstand: 1947–1991) ist es zu verdanken, dass es die Fahne noch gibt. Er hatte sie in den Kriegswirren versteckt und damit für den Chor bewahrt. Der Zahn der Zeit war auch an der Fahne nicht spurlos vorübergegangen, der Stoff war porös und die Lyra auf der Rückseite kaum noch zu erkennen. So entschlossen sich die Sängerfrauen die Fahne erneuern zu lassen und übernahmen hierfür die Kosten. Zur Weihnachtsfeier am 16. Dezember 2009 übergaben sie dann die restaurierte Fahne zur Freude ihrer Männer.
Bereits 1869 wurde der Chor in den „Deutschen Sängerbund“ aufgenommen. Die Sänger sahen es als Verpflichtung und Ehre. Nach einigen Unterbrechungen um den 2. Weltkrieg nahm in den 50er Jahren die Pflege von Geselligkeit und Frohsinn wieder zu. Chorproben und Auftritte wurden wieder zum Bestandteil des Lebens der Sangesbrüder. Nach der Wende wurde der Männerchor Radebeul e.V. „Liederkranz 1844“ auch ein fester Bestandteil im Rahmen der Eröffnung des Radebeuler Herbst- und Weinfestes auf dem Kirchvorplatz.
Anlässlich des 170-jährigen Jubiläums übergab nun Hans Jürgen Wächtler den Taktstock an seine Nachfolgerin, Frau Maria Meckel (jetzt Schreyer). Zum ersten Mal in der 170jährigen Geschichte wird ein Radebeuler Männerchor von einer jungen Chorleiterin dirigiert. Sie wurde von Anfang an von allen Sängern akzeptiert und mit Freude auf- und angenommen.
Das vorhandene und über viele Jahre gesungene Liedgut wurde auch weiterhin gepflegt, aber sie hat es von Beginn an verstanden, die Sänger auch an neuere, anspruchsvollere Lieder heranzuführen. Dadurch hat sie mit dem Chor auch einen Anklang bei den Zuhörern bei Auftritten erreicht.
Traditionsgemäß wird auch am 28. September 2018 um 17.30 Uhr das Radebeuler Herbst- und Weinfest vom Männerchor eröffnet. Diesen können Sie wie auch in den Vorjahren danach in verschiedenen Höfen mit seinen Liedern hören.
2019 wird für den Chor ein besonderes Jahr. Da feiert er sein 175-jähriges Jubiläum. Das soll ein ganz besonderes Erlebnis werden und dafür sind die Vorabsprachen und Vorbereitungen bereits gestartet.
Zum Abschluss ein Appell an alle Leserinnen und besonders an alle Leser, die Freude am Gesang und am Vereinsleben haben: Besucht uns an unseren Probeabenden im Hotel „Goldener Anker“ in Radebeul, immer montags 19 Uhr.
Ein schöner Sängerspruch, mit dem wir meistens unsere Proben beenden lautet:

„Gesang verschönt das Leben,
Gesang erfreut das Herz,
Ihn hat uns Gott gegeben,
zu lindern Leid und Schmerz!“

Georg Kabisch

„Tag des offenen Denkmals 2018“ am 9. September

Der „Tag des offenen Denkmals“ feiert in diesem Jahr 25-jähriges Jubiläum in Deutschland. Seinen Ursprung hatte er in Frankreich, wo er 1984 erstmalig stattfand. Die Idee wurde bis heute von 50 europäischen Ländern aufgegriffen und wird seit 1993 in Deutschland durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz koordiniert.
In diesem Jahr steht der Tag unter dem Motto „Entdecken, was uns verbindet“. Das Motto regt wie immer zu verschiedenen Möglichkeiten der Annäherung und Schwerpunktsetzung an. Ziel ist stets „Bekanntes einmal anders zu sehen“ – so der Grundsatz der Initiatoren. Wir als Verein sind auf die Suche nach FREMDEN Einflüssen in Radebeuls Stadtlandschaft gegangen. Wo finden sich ortsUNtypische Materialien, Baustile oder Bauweisen?

»Villa Waldhof«, Paradiesstraße 46 (1920) Foto: Stadtarchiv

Radebeul bietet mit seinen Villenvierteln der Ober- und Niederlößnitz geradezu ein Feuerwerk von Erkundungs- und Entdeckungsmöglichkeiten. Griechische Stilelemente lassen sich an Villen wie z.B. auf der Nizzastraße Nr. 9, 11, 12, 13 finden. Vorbild für die Grabstädte Karl Mays war für Paul Ziller der Nike-Tempel auf der Akropolis. Den Bauerngarten der Bischofspresse – ein eher traditionelles Winzerhaus in Fachwerkbauweise – schmückt ein „griechischer“ Rundtempel. Gerne ließ man den Blick auch nach Italien schweifen. Baumeister und Bauherren griffen antik-römische, venezianische oder toskanische Stilelemente und Gebäudetypen auf, wie z.B. am Katholischen Pfarramt (Borstraße 11) oder Augustusweg Nr. 1 und 3 zu sehen ist. Am ehemaligen „Töchterheim Sallawa“ in der Ludwig-Richter-Allee sind mit der pagodenartigen Dachkonstruktion sogar fernöstliche Einflüsse zu entdecken.
Besonders oft ist in Radebeul jedoch der sogenannte “Schweizer Stil“ anzutreffen, der Anleihen an der alpenländischen Landhausarchitektur nimmt. Wir freuen uns sehr, Ihnen hierfür zwei Beispiele am „Tag des offenen Denkmales“ näherbringen zu können. Herzlicher Dank geht dafür an die Bauherren der aufwendig sanierten „Villa Waldhof“ (Paradiesstraße 46) und an die Bauherren der in Sanierung befindlichen „Villa Walter“, Bennostraße 23. Passend zum Thema war bereits im April 2018 ein Artikel von Dietrich Lohse in der „Vorschau und Rückblick“ zu finden, auf den ich gerne verweise.
Viele Male nahm bereits die Friedenskirchgemeinde am „Tag des offenen Denkmals“ teil. In diesem Jahr wird das Augenmerk insbesondere auf den Wiederaufbau der Kirche und des Kirchturms nach dem 30-jährigen Krieg durch Baumeister Ezechiel Eckhardt im Auftrag von Kurfürst Georg I. gelegt. Die Kirche war im Krieg 1637 durch schwedische Truppen zerstört worden. Das Motto des Tages wird damit als zeitliche Dimension erfasst – was verbindet uns heute mit Zeit und Geschehen vor 400 Jahren? Pfarrerin Annegret Fischer greift bereits im Rahmen des Gottesdienstes das Thema auf und lädt 9.30 Uhr in die Friedenskirche ein. Danach ist die Kirche offen. Kirchenhüter sind vor Ort und führen nach Bedarf durch das Objekt. Eine Turmbesichtigung ist derzeit leider aufgrund der Baumaßnahmen nicht möglich.

»Villa Walter«, Bennostraße 23 (2018) Foto: Verein f. Denkmalpflege u. neues Bauen

Kurfürst Johann Georg I. und Ezechiel Eckhardt sind aber vor allem mit der Hoflößnitz „in Verbindung zu bringen“. Sie hielten mit dem Bau des Lust- und Berghauses von 1648 bis 1650 die Geschicke für die erste größere höfische Baumaßnahme nach dem 30-jährigen Krieg in den Händen. Traditionell öffnet das Sächsische Weinbaumuseum Hoflößnitz am „Tag des offenen Denkmals“ kostenfrei seine Türen. Bereits am Samstag wird dort die neue Sonderausstellung „Hund und Wild. Die kurfürstliche Jagdlust im Spiegel von Tierporträts in der Hoflößnitz“ eröffnet.
Katja Leiteritz

Programm „Tag des offenen Denkmals“ 2018 am 9. September in Radebeul:

Friedenskirche
Radebeul-Altkötzschenbroda
9:30 Uhr Gottesdienst
11:00 Uhr – 16:30 Uhr
Offene Kirche – Führungen nach Bedarf

17:00 Uhr – Orgelsommer
Friedenskirche umgebaut 1884/85 im neogotischen Stil; Arch.: K. R. Weissbach
Ort der Unterzeichnung des „Waffenstillstandes von Kötzschenbroda“ von 1645 zwischen dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. und dem schwedischen General Lennart Torstensson
Musik für Flöte, Kontrabass und Orgel

„Villa Walter“
Landhaus Bennostraße 23
Baustellenbesichtigung
10:00 Uhr – 12:00 Uhr
Führungen durch Architekten hinte + beyer architektur nach Bedarf
Landhaus im Schweizer Stil, errichtet durch die Fa. Gebrüder Ziller 1873/74;
Sanierung Fassade 2007;
z. Zt. Komplett-Sanierung der Innenräume

„Villa Waldhof“
Paradiesstraße 46
14:00 Uhr – 16:00 Uhr
Vortrag – Dauer ca. 1 h
Zweigeschossige Villa im Schweizer Stil, als
Familienpension gebaut;
1862 Errichtung Wohnhaus; A: Moritz Ziller
1910/11 Aufstockung Nebengebäude; A: Paul Ziller

Hoflößnitz
Knohllweg 37
10:00 Uhr – 18:00 Uhr
Freier Eintritt

11:00 | 15:00 Uhr
Kuratorenführungen
Historische Weingutanlage mit Herren-, Press- und Verwalterhaus sowie Wirtschaftsgebäuden;
Weinbaumuseum; Sonderausstellung „Hund & Wild“
1648-50 Errichtung des Lust- und Berghauses für Johann Georg I.

Editorial 9-18

Am 22. August hatte ich die Gelegenheit, im vollbesetzten Minckwitzschen Weinberghaus einen spannenden Vortrag von Dr. Sebastian Storz über Johann Joachim Winckelmann (1717 – 1768) anzuhören.
Frau Stiller und Herrn von Minckwitz für die Initiative ein herzliches Dankeschön.
Schon einmal, nämlich zur Feier des 20.Geburtstages des „vereins für denkmalpflege und neues bauen radebeul e.v.“, war Dr. Storz mit diesem Vortrag vorgesehen. Leider musste Dr. Baumann damals den Referenten um eine Kurzfassung bitten, da die vielen Festtagsredner den vorgesehenen Zeitplan sprengten. Nun also, in entspannter Atmosphäre bei einem Glas Wein, konnte ich dem ausführlichen Vortrag lauschen. Zweigeteilt, in Anliegen des Vereins „Forum für Baukultur e. V. Dresden“, dessen Vorstandsvorsitzender Dr. Storz ist und der Darstellung der Beziehung des Vereins zu Johann Joachim Winckelmann und dessen Wirken in Dresden und europaweit, wies er auf große Defizite in der Bildungslandschaft hin. Die aller drei Jahre veranlasste PISA-Studie der OECD vergleicht nicht etwa ein Allgemeinwissen der Fünfzehnjährigen, nein, Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften sowie die Lesefähigkeit stehen im Focus. Nur diese Bereiche gelten als wichtige Indikatoren für gebildete Jugendliche.
Andere Bildungsinhalte wie Philosophie, Ethik, Geschichte, Geographie, Kunsterziehung, Musik oder gar alte Sprachen spielen keine Rolle. Dabei sind es gerade diese Fächer, die Kinder für den „Gemeinsinn einer Gesellschaft“ sensibilisieren, „ weil sie die Entstehung eines Identitätsbewusstseins befördern“. Für mich sind diese Gedanken zwar nicht neu, aber im Kontext zu Winckelmann sehr interessant. Und da ich hoffe, vielen von Ihnen liebe Leserinnen und Leser geht es auch so, habe ich Dr. Storz dafür gewonnen, in einigen der nächsten Hefte, sowohl zum „Forum für Baukultur“ und dessen Anliegen als auch zu Johann Joachim Winckelmann Beiträge beizusteuern.
Seien Sie gespannt. Es lohnt sich.

Ilona Rau

Ein Tusch dem Meister

Zum 75. Geburtstag von Günter Baby Sommer

Foto: G. Sommer

Vorweg gesagt: Die Stadt Radebeul kann sich glücklich schätzen, so einen Meister des Schlagwerks als Bürger zu wissen. Günter Baby Sommer ist einer der wenigen Weltstars, der in der Kultur- und Weinstadt zu Hause ist. Auf der Wilhelmshöhe fand der Musiker vor über zwei Jahrzehnten seine neue Soundschmiede – und einen Ruhepol neben dem ganzen Touralltag. Regelmäßig rollt sein Bus bis heute durch ganz Europa, immer gut gefüllt mit allerhand Drums und Percussion. Er ist ein gefragter Mann in der Musikwelt, spielt mit jungen sowie mit etablierten Musikerkollegen aus nahen und fernen Ländern. Musik verbindet – so auch bei Baby Sommer, der schon immer ein Bindeglied zwischen den Künsten ist. In der Literatur-, Theater- und natürlich Musikwelt, überall kennt und schätzt man ihn. Über 125 Tonträger, Zusammenwirken mit Günter Grass, Wolf Biermann, Nora Gomringer oder Alexander von Schlippenbach, um nur einige zu nennen, sind uns gut in Erinnerung und »grooven« immer noch im Ohr.

Der Musiker bleibt ein junggebliebener Klangforscher. Sobald er die Bühne betritt, begibt er sich in den freien Lauf der Improvisation, um im nächsten Moment in den Beat zurückzukehren. Sein Proberaum gleicht einem Labor voller Schlagwerk aus aller Welt, welches darauf wartet, immer wieder neu kombiniert zu werden. Doch was wäre ein kraftvoller Künstler und großer Musiker ohne die Unterstützung seiner Frauen und Musen? An dieser Stelle gilt es, Mutter Erna und seine Frau Katharina zu nennen. Beide sind nicht nur bei seinen Events dabei. Die eine als Gast, die andere ab und an als Mitmusikerin, beide engagieren sich auch darüber hinaus und sorgen auch für die herzliche Atmosphäre auf dem Hofe Sommer. Nicht ohne Grund ist Baby noch vielen ehemaligen Schülern bis heute verbunden: Steffen Roth, Christian Lillinger oder Demian Kappenstein sind zuweilen Gäste des Hauses. Zudem trifft der Meister auch immer wieder musikalisch auf sie. In guter Erinnerung blieb das Zusammentreffen von Schüler und Lehrer 2016 im Rahmen der ersten Ausgabe des Jazzfestivals XJAZZ Edition Radebeul. Günter Sommer und Demian Kappenstein zauberten dort eine besonders vielfältige Klangwelt in der Lutherkirche Radebeul. So ist er es auch als Festivalschirmherr, welcher jährlich internationale Künstler im Rahmen des Festivals bei sich beherbergt und somit auch eine Brücke zwischen Radebeul und der Welt schlägt.

Abschließend soll noch eines erwähnt sein, an das vielleicht nicht jeder sofort denkt, wenn man vom Musiker liest: Günter Sommer ist schon immer politisch interessiert und engagiert gewesen. Einen guten Einblick in diese Arbeit bildet das Kommeno-Projekt. Zudem verschließt er sich nicht der Zusammenarbeit mit jungen Kollegen, wie zum Beispiel der Konzertagentur Dynamite Konzerte – auch wenn die Auffassungen wohlgemerkt sicherlich manchmal unterschiedliche sein mögen.
In diesem Sinne, weiter so! Bleib vielfältig, streitbar und sei definitiv als Mensch kein Solist! Alles Gute, Günter Baby Sommer, zum 75. Geburtstag am 25 August!

Björn Reinemer

 

Schätze, dem Himmel so nah!

Historisch bedeutsame Funde im Turmknopf der Friedenskirche

Foto: S. Graedtke

Schon seit Monaten ragt weit sichtbar der eingerüstete Turm der Friedenskirche ins Land. Umfangreiche und längst überfällige Sanierungen erfolgen derzeit nach jahrelanger Vorbereitung am Außenbau. Ein sprichwörtlicher Höhepunkt in 47m war im Zuge dieser Arbeiten die Abnahme des Turmkreuzes mit der darunter befindlichen Turmkapsel. Nicht selten bergen jene über die Zeiten hinweg ungeahnte Geheimnisse, welche von kirchen- und stadtgeschichtlicher Bedeutung sein können. Die letzte Einsicht liegt mit den Renovierungen von 1962/63 immerhin bereits über ein halbes Jahrhundert zurück.
Was für ein erhebender Moment mag es daher eine Woche vor Pfingsten für die Anwesenden, darunter federführend Pfarrerin Annegret Fischer und Restauratorin Christina Nehrkorn-Stege wohl gewesen sein, der Öffnung von zunächst zwei von insgesamt drei versiegelten Kassetten beizuwohnen. Die Spannung war sicher groß, auch wenn eine Inhaltsliste aus den 1960er Jahren im Kirchenarchiv vorlag.
Wie erwartet traten, insbesondere aus den frühen Zeiten, zahlreiche handschriftliche Dokumente zutage. Sie wurden in enger Zusammenarbeit mit dem Radebeuler Stadtarchiv sachkundig gesichtet und dokumentiert. Aufgrund der in den letzten Jahren gewonnenen technischen Möglichkeiten, konnten dort

Blick in den Luthersaal mit den ausgebreiteten Fundstücken Foto: S. Graedtke

alle relevanten Autographe umfänglich digitalisiert werden, sodass sie der Nachwelt auch in diesem Medium erhalten bleiben. Dies ist insbesondere für die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung interessant, da die oft nur schwer lesbaren Originaltexte einer geduldigen Transkription bedürfen. So gesehen bleibt auch uns Zeitgenossen manches schriftlich verfasste Detail zunächst auf Weiteres verschlossen. Immerhin geben die mit Initialen oft reich verzierten Deckblätter der Niederschriften zumeist über Autoren, Inhaltsangaben oder Jahreszahlen hinreichend Auskunft.

Kassette von 1746 Foto: S. Graedtke

Am 18. August wurden schließlich alle aufgefundenen Dokumente im Luthersaal der Friedenskirche der interessierten Öffentlichkeit – gemessen an einem Menschenleben durchaus einmalig! – zugänglich gemacht. Auf mehreren Tischen wurden die Kassetten platziert und ihre jeweiligen Fundstücke nummeriert nach ihrer Einlage aufgereiht. Ausgelegte Inhaltsverzeichnisse machten eine Übersicht und Zuordnung leichter. Die eintägige Ausstellung erlebte nach Öffnung am Vormittag regen Andrang, war über Mittag dann überschaubar, bis schließlich die an diesem Tag von kultureller Station zu Station wandernden Radebeuler vom „Bürgertreff“ kurz vor Toresschluss mit ihrem letzten Programmpunkt den Saal stürmten. Wer den Weg also nicht scheute, konnte sich über ein Schriftkonvolut aus über dreieinhalb Jahrhunderten einen Überblick verschaffen und in sich so in unterschiedlichste Zeitschichten vertiefen.

Älteste Handschrift von 1656 Foto: S. Graedtke

Im Rahmen des Gottesdienstes am 25. August werden die Kassetten vor der Gemeinde präsentiert und neu bestückt, um schließlich am 1. September an seinen angestammten Platz an der Spitze des Turms zurückzukehren.
Im Folgenden lohnt es sich, etwas genauer über den Inhalt der drei Kassetten zu berichten. Insgesamt beherbergen sie etwa einhundert gezählter Posten, auf die an dieser Stelle nur stichpunktartig eingegangen werden kann. Die zeitliche Abfolge aller Schriften steht nicht zuletzt im festen Zusammenhang mit den Arbeiten und Umbauten an Kirche und Turm in den Jahren 1746, 1834, 1885, 1912, und 1962.

Fundstücke aus der mittleren Kassette von 1834 Foto: S. Graedtke

In seiner wechselvollen Geschichte, die bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhundert zurückreicht, war die Zerstörung des Gotteshauses während des Dreißigjährigen Krieges durch schwedische Truppen im Jahr 1637 die letzte dramatische Zäsur. Schon im selben Jahr erfolgte durch Landbaumeister Ezechiel Eckhardt und großzügig gefördert durch Kurfürst Johann Georg I. der Wiederaufbau. Während dieser Zeit, seit 1623, war Augustin Prescher (1593-1675) Pfarrer der Kirche, der schließlich über 50 Jahre dem Ort sein Gepräge geben sollte. Von überregionaler Bedeutung ist, dass Prescher 1645 in Kötzschenbroda Gastgeber für die Friedensverhandlungen zwischen Sachsen und Schweden war. Eine Denkschrift aus seiner Feder, datiert vom 25.9.1656 dokumentiert den 20 Jahre währenden Wiederaufbau der Kirche. Sie zählt zum ältesten und wohl kostbarsten Fundstück. Eine weitere Denkschrift vom 22.9.1699 ist mit der Unterschrift von Georg Friedrich Köhler versehen.
Warum die mit Abstand beiden ältesten Schriftzeugnisse in der dritten Kassette mit den „neuesten“ Unterlagen aus der Zeit zwischen 1884 und 1962 völlig zeitfremd verbracht wurden, muss ein Rätsel bleiben.

Fundstücke aus der großen Kassette von 1886 Foto: S. Graedtke

Auf der ersten und weitaus kleinsten Kassette, kaum größer als eine Postkarte, ist im Deckel die Jahreszahl 1746 eingestanzt. In ihr befanden sich 12 Posten mit Münzen und Handschriften zu unterschiedlichen Themen. So u.a. ein Bericht über den Friedensschluss zwischen Preußen und Ungarn, …, eine Liste über Getreidekosten in Dresden oder Reparationszahlungen. Zudem wird auch das trockene Wetter erwähnt. Erwähnenswert ist ferner eine gebundene Zeitschrift mit dem blumigen Titel: „Genealogisch-historische Nachrichten von den Allerneusten Begebenheiten, welche sich an den Europäischen Höfen zugetragen worinn zugleich Vieler Standes-Personen und anderer Berühmter Leute Lebens-Beschreibungen vorkommen, als eine Fortsetzung des Genealogisch Historischen Archivarii“.
Die zweite Kassette, in der Größe eines schmalen und überhöhten Schuhkartons, mit über 40 Einzelposten aus den Jahren zwischen 1812 und 1834 gefüllt, stammt von Sanierungsarbeiten aus dem Jahr 1834. Als zentrale Gestalt ist hier Pfarrer Johann Gottlob Trautschold (1777-1862) zu nennen, der sich in zahlreichen Denkschriften und im Rahmen anderer Feierlichkeiten umfassend verewigte. Ferner sind u.a. Münzen, Meißner Gemeinüziges Wochenblatt von 1827, Dresdner Anzeigen von 1812, Predigten u.a. zur Taufe und Ernte, Jubelfeiern, „Zum festlichen Empfang der neuen Glocken“ 1834 oder eine Chronik der Stadt Dresden und ihrer Bürger in 15 Heften zu nennen.
Wann die dritte, jüngste und zugleich größte Kassette erstmalig Verwendung fand, ist nicht mit Gewissheit zu sagen. Sie enthält mit etwa 50 Einzelposten von 1862 bis 1962, bis auf die o.g. beiden Ausnahmen, die meisten Dokumente. Der umfassenden Verbreitung drucktechnischer Erzeugnisse im 19. Jahrhundert folgend, waren hier weitgehend publizierte Hefte, Blätter und Fotos in ungeordneter Reihenfolge zu finden. Stellvertretend seien genannt: Adressbuch von Kötzschenbroda 1883, Denkschrift für den Turmknopf zu Kötzschenbroda vom 6. August 1885, Bild vom Turm mit Gerüst/ Umbau des Turmes 1886, Fotopostkarte zum Besuch von König Friedrich August in der Kirche zu Kötzschenbroda am 4. Mai 1908, Programm des Weihnachtsoratoriums von 1960, Leitung Kantor Hoch, Abschrift: Gutachten zur Erneuerung der Kirche, gez. Dr. Magirius.
Und die Geschichte geht weiter. Eine neue, vierte Kassette wird mit lebendigen Grüßen unserer Tage, so von Pfarrern, Gemeindemitgliedern, Bürgern und Broschüren für kommende Generationen befüllt. Wohl wissend um die Inflation des gedruckten Papiers und in Bewahrung der individuellen Handschrift jetzt wieder weitgehend mit persönlich notierten Gedanken.
Die erste Ausgabe vom Mai 1990 und das aktuelle Heft von „Vorschau & Rückblick“ gehen auch auf die Zeit-Reise. Wo wären sie denn auch besser aufgehoben – als dort oben?

Sascha Graedtke

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