Bürgerbeteiligung- aber wie?

In der Mitgliederversammlung von Vorschau & Rückblick Anfang Februar diskutierten wir über die Möglichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern, sich zu kommunalen Themen zu äußern beziehungsweise auch Einfluss auf Entscheidungen nehmen zu können. Diese werden in Grundzügen nachfolgend aufgezeigt.
Laut Hauptsatzung der Stadt Radebeul sind der Stadtrat und der Oberbürgermeister Organe der Stadt, zuletzt gewählt am 25.Mai 2014. Die 34 Stadträte/Innen gehören zu sechs Fraktionen: der CDU-Fraktion (11), der Freie Wähler-Fraktion (8), der Bürgerforum/Grüne-Fraktion (5), der LINKEN-Fraktion (4), der SPD-Fraktion (3) und der FDP-Fraktion (2). Eine Stadträtin vertritt die NPD. Stadtratssitzungen sind jeden 3. Mittwoch im Monat . Die Tagesordnungen und Themen finden Sie im Netz unter www.radebeul.de /Einwohnerportal/Stadtrat/Sitzungskalender-Ratsinformationssystem oder im Schaukasten vor dem Rathaus. Im Amtsblatt stehen sie leider nicht- Prinzipiell können Sie sich mit Ihren Anliegen an die von Ihnen gewählte Fraktion wenden, natürlich auch an alle anderen gewählten Vertreter. Die meisten Fraktionen unterhalten ein Bürgerbüro.
Hier sind nun für Sie, liebe Leserinnen und Leser, die einzelnen Büros aufgeführt:
Mitglieder der CDU-Fraktion Radebeul sind nach Anmeldung im Büro des Mitgliedes des Sächsischen Landtages, Dr. Matthias Rößler, in Altkötzschenbroda 32 zu treffen. Unter www.cdu-fraktion-radebeul.de können Sie sich anmelden. Wenn Sie kein Internet haben, wird es schwierig.
Besser geht es bei der Freie Wähler-Fraktion. Hier ist das Bürgerbüro in Altkötzschenbroda 5, dienstags von 10-12 und donnerstags von 17-19 Uhr besetzt, Telefon 0351 47978424, im Netz www.freie-waehler-radebeul.de.
Die Bürgerforum/Grüne-Fraktion öffnet donnerstags 16.30 – 18.00Uhr ihr Büro auf der Güterbahnhofstr.1 in Radebeul-West, im Netz unter www.buergerforum-gruene.de.
Die SPD-Fraktion erreichen Sie im Bürgerbüro des sächsischen Wirtschaftsministers Martin Dulig auf der Meißner Str.273 in Radebeul-West donnerstags 12-19 Uhr, Telefon 0351 6538989(AB). Im Netz unter www.spd-radebeul.de .
Die Linke-Fraktion ist montags zwischen 9 – 12 Uhr auf der Wasastr. 50 in Radebeul-Mitte zu erreichen, zusätzlich besteht jeden 1.Montag im Monat zwischen 16 – 18 Uhr die Möglichkeit, eine Stadträtin oder einen Stadtrat zu sprechen, Telefon 0351 838165, im Netz unter www.dielinke-radebeul.de.
Die FDP-Fraktion ist unter www.fdp-radebeul.de im Netz zu finden. Der Fraktionsvorsitzende Frank Sparbert ist telefonisch unter 0351 8305106 erreichbar.

Für kleinere Anliegen können Sie sich natürlich auch an Mitarbeiter/Innen der Stadtverwaltung wenden. Sollte das erfolglos sein, dann nur zu, gehen Sie zur öffentlichen Fragestunde immer vor der Stadtratssitzung oder wenden Sie sich an IHRE Abgeordneten.
Viel Erfolg!

Ilona Rau

Ist das Kunst oder kann das weg?

Die Frage, was ist Kunst, bewegt seit Jahrhunderten die Gemüter. Freilich wird sie erst in unserer Zeit so radikal gestellt, was sicher noch auf andere Aspekte in der Entwicklung der Gesellschaft verweist. Und mit dieser Frage schwingt auch immer wieder der Vorwurf des Dilettantismus mit, wobei man heute diesem durchaus positive, befreiende Aspekte gegenüber dem Professionellen zuspricht.
Andererseits hält sich hartnäckig die allgemeine Meinung, dass Kunst eben von Können und nicht von Kunsthonig komme. Markus Lüpertz, ehemaliger Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie, pflegte darauf zu erwidern, dass es dann eben „keine Künstler, sonder Könner“ geben müsste.

Kunst kann man sicher nicht erlernen oder lehren, weder an Kunstschulen noch autodidaktisch. Sie ist einem gegeben und nicht zu verwechseln mit handwerklichem Vermögen. Erlernen kann man die Organisation dieser Prozesse. Was aber macht dann Kunst aus? Das Handwerk, wie es Schiller in der Zeit der Aufklärung forderte, ist es also nicht. Allein die naturgetreue Abbildung von Landschaften, das Zeichnen einer Person sind noch keine Kunst. Man erwirbt dadurch Anerkennung, aber keine Künstlerschaft.

Kunst definiert die Wissenschaft als etwas Kreatives, Neues, etwas Einmaliges und somit noch nie Dagewesenes. Es wird also im Idealfall mit ihr und durch sie eine andere Ebene, als die des Faktischen und Wirklichen erklommen. Mehr denken, mehr wagen, über das Erlaubte hinaus. Nicht von ungefähr galten und gelten große Künstler als Visionäre, Vorwegnehmer ihrer Zeit. So etwa wie Alfred Jarry, der 1893 den pervertierten Kleinbürger Udu literarisch zeichnete. Dieser Kleinbürger zog 22 Jahre später klingenden Spiels in den Ersten Weltkrieg. Oder etwa John Heartfields Fotomontage „Krieg und Leichen – Die letzte Hoffnung der Reichen“ von 1932, der mit dieser Arbeit den kommenden Krieg vorhersah.

Grundsätzlich aber existiert kein feststehender Kunstbegriff. Ein Joseph Beuys hat diesen gehörig „durcheinander“ gebracht. Er griff den sich seit den 1920 Jahren entwickelten „erweiterten Kunstbegriff“ auf und setzte ihn mit der vorhandenen Kreativität eines jeden Menschen gleich. Dieses Verständnis tendiert zu der heute festzustellenden Auffassung, dass jeder den Anspruch erheben kann, zu definieren, was Kunst sei, ja, wie Kunst gemacht werden soll. Künstler ist, wer sich als solcher fühlt. Allgemeine Maßstäbe zur Kunst und zu Künstlern gehören somit längst der Vergangenheit an. Dies mag auch der Grund sein, warum die oft langatmigen
Ausstellungseröffnungen mit Reden von sogenannten Kunstexperten und musikalischen Darbietungen in den Galerien und Ausstellungstempeln immer seltener werden, warum aber auch andererseits die Betrachter immer verständnisloser vor den sogenannten Kunstwerken stehen. Der Zugang wird ihm verwehrt, weil den künstlerischen Äußerungen der allgemeinverständliche Ansatz, die Chiffre fehlt, an die der Betrachter oder Leser anknüpfen könnte. Die rein subjektive Kunstäußerung muss somit auf das subjektive Unverständnis stoßen, da der Zugang zur subjektiven Welt des Anderen verschlossen bleibt. Aus diesem Teufelskreis ist schwer zu entfliehen. Man kann sich zweifelsfrei Künstler dünken, ob dies aber auch der andere so sieht, ist nicht ausgemacht. Noch schwieriger aber wird es, wenn man Anspruch auf Öffentlichkeit einfordert. Denn auf der anderen Seite steht nicht nur der subjektive Betrachter, sondern auch der subjektive Verleger oder Galerist, der seinerseits subjektiv entscheidet, was in sein Verlagsprofil oder in seinen Kunsttempel passt.
Ein Recht darauf ausgestellt oder gedruckt zu werden, hat somit niemand, es sei denn, er schafft sich selbst die Möglichkeit.

kuBa

Sachsen dreht am Museumsrad

Heutzutage sind Begriffe dehnbar. Jeder mag unter einer Sache verstehen, was ihm genehm ist. Der Begriff „alternative Fakten“ ist zwar zum Unwort des Jahres erklärt und stellt scheinbar die Welt auf den Kopf, aber man sollte es nicht so verbissen sehen. Alles ist möglich, nichts steht mehr fest: Ist es nun ein Museum oder ist es keins? Woran will man das heute noch festmachen?
Die Sächsische Landesstelle für Museumswesen in Chemnitz und deren Leiterin Katja Margarethe Mieth berufen sich auf die „Ethischen Richtlinien für Museen“ vom Internationalen Museumsrat ICOM und verweigert dem Lügenmuseum in Radebeul die Anerkennung als Museum. Grund: Die Richtlinien werden nicht erfüllt.
Das Vorstandsmitglied der ICOM Deutschland Prof. Dr. Dr. Markus Walz stellt hingegen klar, dass die Richtlinien nur als Handreichungen zu verstehen seien. Liest man dieselben, so ist unschwer zu erkennen dass es sich hierbei um idealtypische Beschreibungen handelt, die auf die tatsächlichen Profile der Einrichtungen herunter zu brechen sind. Wer sie also als Richtschwert benutzt, muss sich fragen lassen, welche „ethischen“ Grundsätze hier hochgehalten werden sollen.
Mit dem Urteil der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen begibt sich die Behörde in auffallende Nähe zu einer schon länger zurückliegenden Bewertung dieses Museums durch die Kulturstiftung Sachsens. Dessen Geschäftsführer schätzte damals ein, dass die Radebeuler Einrichtung keinesfalls zum „Premiumsegment“ der Region zähle und dieser eher Schaden zufügen würde.
Diese Einschätzung war da schon ehrlicher: Das ungewöhnliche Museum, welchem vormals im Bundesland Brandenburg die Anerkennung nicht verwehrt wurde, passt also nicht ins Verständnis des Mainstreams. Mag es daran liegen, dass es zur Entfaltung von Phantasie, zur Schärfung der Sinne, zur Ergründung der Dinge hinter den Erscheinungen, zur Freude an der Kunst und besonders zum Widerspruch anregt? Das Schlimmste aber, was man vermutlich diesem Museum vorwerfen muss ist, keine klaren Aussagen und Positionierungen zu haben. Ein Leitbild sucht man auf seiner Webseite vergebens. Gut, dass es immer wieder Institutionen wie die Landesstelle für Museumswesen und die Kulturstiftung Sachsen gibt, die genau wissen, was der Bevölkerung zugemutet werden kann. Kulturelle Bildung soll schon sein, aber doch nur nach meinem Proporz!
Vielleicht sollten bestimmte Kreise auch einmal darüber nachdenken, ob sie noch auf dem richtigen Dampfer sitzen. Die Welt ist offener und differenzierter geworden. Auch das Verständnis von Kunst und deren Position in der Gesellschaft hat sich gewandelt. Doch der Anspruch an die Kunst aus der Zeit der Aufklärung sitzt tiefer, als man glaubt. Ein Spruch vom „Bayerischen Rundfunk aus den 1990er Jahren scheint sich verfestigt zu haben: „Wir sagen ihnen, was sie hören wollen!“ Und wer nicht hören will, dem entziehen wir die Steuerbefreiung, denn was ein Museum, was kulturelle Bildung ist, bestimmen wir. Ist das Freiheit?!
Ach ja, schon ein Blick ins Besucherbuch dieses Nicht-Museums lohnt sich durchaus und bildet ungemein.

Karl Uwe Baum

Zum Ableben von Klaus Kaufmann – Formgestalter und Innenarchitekt

 

Im April 2004 konnte die Redaktion „Vorschau und Rückblick“ Klaus Kaufmann mit einem Artikel von Dietrich Lohse zum 80. Geburtstag recht herzlich gratulieren. (s. auch Vorschau und Rückblick, Heft 4, 2004)
Nun ist Klaus Kaufmann am 03.02.2018 im Alter von 93 Jahren verstorben.

Ich war ihm seit der Zeit meines Studiums der Architektur (1968 bis 1972 an der TU Dresden) sowohl persönlich als auch fachlich sehr verbunden.
Ich erlebte den Kaufmann’schen Haushalt, seine Frau und er, beides Architekten, als eine für mich ganz neue Welt.
Es war ein offenes Haus, es wurden Gäste empfangen, es gab einen großen Freundeskreis, es wurde musiziert, viel gelesen und vor allem mit Lust und Engagement viel gearbeitet. Es herrschte, wie man sagt, eine allumfassende Kreativität.
Bereits mit Beginn des Studiums verdingte ich mich bei dem Ehepaar Kaufmann im damaligen Atelier, im Gartensaal des Hauses Sorgenfrei in der Radebeuler Oberlößnitz als angehender Architekt als „Zeichenknecht“. Neben dem Studium bedeutete das auch, im Nebenjob Geld zu verdienen.
Immerhin stolze 5 Mark der DDR pro Stunde. Dabei lernte ich unglaublich viel vom Handwerk des Architekten. Neben Zeichenarbeit für vielerlei Projekte die bearbeitet wurden, bin ich dann oft mit der Frau des Hauses, eine geborene Jörissen, über die, wie man so sagt, Dörfer gezogen und habe gemeinsam mit ihr Gasthöfe, Ladengeschäfte und andere Baulichkeiten aufgemessen und die Ergebnisse dann aufgetragen.
Klaus‘ Arbeitsweise war äußerst komplex. Die Herangehensweise an seine Aufträge war geprägt von dem Ringen nach Perfektion im besten Sinne des Wortes.
Er war besessen vom Detail. Er nannte es immer: Du musst um die Ecke denken, das hieß, was man im Grundriss entwickelte, musste auch quasi 3-dimensional durchdrungen werden.
Heute, mit der breiten Anwendung der CAD-Zeichentechnik ist das oftmals nicht das Problem (wenn man es beherrscht). Damals wurden die Projekte so ausgelegt, dass neben Grundriss auch sofort Schnitt und Ansicht angelegt wurden, um dieses Um-die-Ecke-Denken frühzeitig prüfen zu können.
Sein Arbeitspensum war atemberaubend: früh waren Baustellen oder Werkstätten zu besuchen, Beratungen zu führen, nachmittags oft bis in den späten Abend hinein wurden die Ergebnisse des Tages gezeichnet und Neues für den kommenden Tag entwickelt.
Neben ganz viel Kaffee, kein Alkohol, kam der Spaß nicht zu kurz. Schallplattenaufnahmen von Emil Steinberger, Karl Valentin oder Spejbl und Hurvínek haben wir rauf und runter gehört, bis wir sie endlich auswendig konnten bzw. haben uns diese so zu eigen gemacht, dass wir uns mühelos in dem jeweiligen Idiom zurechtfanden und aufpassen mussten, um Besucher oder Kunden nicht zu befremden.
In den vielen Stunden der Tätigkeit im Kaufmann’schen Büro lernte ich eine Vielzahl von Kollegen kennen, denen ich noch heute mit großem Respekt und auch Dankbarkeit begegne.
Darüber hinaus half mir meine Tätigkeit letztendlich, einen „richtigen“ Job zu finden. Die Arbeit am „Heiteren Blick“, dem Kulturhaus des damaligen VEB Planeta, brachte mich mit meinem späteren Chef, Herrn Günter Fischer, zusammen, der mir dann letztendlich auch das notwendige Vertrauen für eine weitere Zusammenarbeit entgegen brachte, wofür ich ihm bis heute ebenfalls sehr dankbar bin.
Nach seinem – erzwungenen – beruflichen Rückzug war seine Kreativität jedoch ungebremst.
Unter anderem war es sein Hobby, die Tages- und Jahresereignisse in Versform zu kommentieren und zu interpretieren. Dabei entstanden herrliche, ungeheuer witzige Wortspiele und Reimereien.
Einer der großen Höhepunkte in den letzten Jahren war das von ihm anlässlich seines 88½
Geburtstages inszenierte und von seiner Tochter auch liebevoll und geduldig unterstützte Wochenendfest auf seinem „Landsitz“ in Linstow – Kenner können in Heiterkeit Assoziationen zum berühmten Pettersson (allerdings ohne Kater Findus) nicht leugnen.

Die letzte große Feier im Hotel Stadt Radebeul war kein runder Geburtstag, sondern ein Treffen mit seinen Weggefährten, Kollegen und Freunden aller Altersgruppen – auch mit Rede, Gesang und Gesprächen – wohl verstanden als Abschied von den von ihm geliebten, doch anstrengenden, großen Veranstaltungen.
So wollen wir ihn in Erinnerung behalten.

Dr. Dietmar Kunze

Editorial März 2018

Frühlingserwachen mit Hindernissen in Radebeul!
Während der Frühjahrsputz in den Haushalten in Sichtweite rückt, beherrschen auch weitreichende städtebauliche Themen die Agenda der Radebeuler Bürgerschaft. Derzeit ist das Sanierungsgebiet in Radebeul-West, namentlich die Bahnhofsstraße, ein großes Thema. (Im Heft dazu mehr) Stadtentwicklung hat zum Teil für Jahrzehnte eine nicht unerhebliche Bedeutung für die Ausrichtung tragender Konzepte. Die Urbanität will erhalten bleiben, vielen Bedürfnissen will Genüge getan sein. Dies trifft insbesondere auf die zahlreichen Einzelgeschäfte zu. Leider sieht man immer mehr in verwaiste Ladenfenster oder ein erhöhter Wechsel der Ladeninhaber findet statt. Dem demografischen Wandel folgend, eröffnen derzeit immerhin mit wohl langlebigstem Erfolg mehrere Gesundheitshäuser ihre Pforten.
In Radebeul-Ost hat man mit den „Sidonienhöfen“ im Wechselspiel mit dem Kulturbahnhof vor einigen Jahren einen recht lebendigen Platz geschaffen. Zudem haben zahlreiche Veranstaltungen auf dem Vorplatz einen festen Platz im Jahreskreis gefunden.
Neben dem üblichen Wochenmarkt auf der Hauptstraße setzt mit großem Engagement und wachsendem Erfolg „Wein & Fein“ mit Musik und Wein an ausgewählten Terminen einladende Akzente.
Schaut man die Straße nach oben, so klafft dort auf dem Gelände vom einstigen „Glasinvest“ nach wie vor eine städtebauliche Wunde. Auch einige Meter weiter in Richtung Radebeul-West harrt ein großes Areal seit Jahren seiner Bebauung.
Aber es ist bald Frühling und da wächst Vieles!

Sascha Graedtke

Wilhelm Rudolph – Dresden 45 Zeichnungen, Lithographien, Holzschnitte

»Strich um Strich wie Wunden«

Zum dritten Mal lädt die Ausstellung Dresdner Kunst Besucher und Kunstfreunde aus nah und fern an den Lößnitzhang, diesmal zur Ehrung des großen Dresdner Realisten Wilhelm Rudolph (1889 – 1982) und zum Gedenken an den Untergang Dresdens in der Bombennacht des 13. Februar 1945 und an die vieltausend Toten dieses mörderischen Angriffs.

Wilhelm Rudolph, in Hilbersdorf bei Chemnitz gebürtig, hat schon früh in seiner Kindheit den im Kreise seiner armen Weberfamilie ungewöhnlichen und nur durch persönliches Talent und privates Mäzenatentum gestützten Entschluß gefaßt, Maler zu werden. Das Studium an der Akademie bei Bantzer und Sterl führte ihn nach Dresden, einer Stadt, die er nach Heimkehr aus dem 1. Weltkrieg kaum noch verlassen hat. Als Maler, insbesondere aber als Holzschneider, hat er sich schon früh, in den zwanziger und dreißiger Jahren, einen Namen gemacht. Auch hat er schon in seinen Ausbildungsjahren erste Erfahrungen mit Tuschfederzeichnungen, ausgeführt mit der Rohrfeder, erworben. Willensstärke und Talent widmet Rudolph dem einzigen ihm darstellenswert Erscheinenden: der Wirklichkeit. Gegenstand ist »alles was sichtbar ist«, Tiere und Landschaften, die Größe der unberührten Natur, aber auch Porträts sind bevorzugte Sujets.

Unter den kunstvergessenen Nationalsozialisten wegen seiner frühzeitig antifaschistischen Wesensart als Professor der Dresdner Kunstakademie 1938 nicht weiter beschäftigt, hat er schon lange vor der Katastrophe im Auftauchen alliierter Aufklärungsflugzeuge über der Stadt das aufziehende Unheil gespürt. Auch der erste Angriff auf das Dresdner Elektrizitätswerk im Oktober 1944 war ihm gleichsam eine Ankündigung des Kommenden.

Der vernichtende Angriff in der Nacht des 13. Februar 1945 zerstörte einen Großteil seines bisherigen Werkes, wie auch der geschnittenen Holzstöcke und nur mit Mühe gelang es Wilhelm Rudolph und seiner Frau einige persönliche und künstlerische Habseligkeiten aus den Trümmern seines Wohnhauses zu bergen, darunter Tusche, Rohrfeder und Zanders-Bütten Papier und wohl auch einige Holzschnittplatten.

Das füglich Gerettete erweist sich in der Hand des Meisters als das einzige, was notwendig war, die vernichtete Existenz Dresdens, dieses einzigartigen italienisch-deutschen Barocktraumes nördlich der Alpen, aufzuheben und mit erregt-besonnenen Strichen in mehr als 200 Tuschfederzeichnungen festzuhalten. Rudolph hat rasch beginnend nach den Schreckenstagen des Februar in einer Art Zwangszustand Straße um Straße, Plätze und Gebäude der Überreste der von ihm so geliebten Stadt in diesen inzwischen berühmten Rohrfederzeichnungen gezeichnet. Parallel dazu hat er in Handzeichnungen die Menschentrümmer, die Heimatlosen und Vertriebenen, die »Trümmer der Wehrmacht« und die vor dem »Aus« stehenden Ausgebombten festgehalten.

Einige wenige, rare Beispiele dieses in der Zeichenkunst in der Mitte des 20. Jahrhunderts als einsamer Monolith aufragenden Werkes zeigt die Ausstellung.

Paar in Trümmern . 1945/46 . Feder, Tusche . 25,2 × 32,7 cm
Bild: Repro G. Klitzsch

Das Dresdner Kupferstichkabinett vereint unter dem Titel »Das zerstörte Dresden« die von Rudolph zusammengestellte Gesamtfolge von 150 Rohrfederzeichnungen wie auch weitere Zeichnungskonvolute.

Moritz Strasse . 1945 – 47 . Holzschnitt . 30,8 × 40,4 cm
Bild: Repro G. Klitzsch

Den Zeichnungen fehlt es trotz der technisch schwierigen Darstellung anonymer Steinhäufungen niemals an Individualität. Das gilt gleichermaßen auch für die in der Ausstellung gezeigten Lithographien, die den Zeichnungen am nächsten stehen, und es gilt auch für die auf der Grundlage des Zeichnungswerkes entstandenen Holzschnitte, die Rudolph gleichfalls schon 1945 – 47 geschaffen hat.

Auch in den Trümmern und Ruinen, in den skelettierten Gebäuderesten und Fassaden, aus denen die Fensterhöhlungen, toten Augen gleich, hervorstarren, bewahren die Straßenzüge und Plätze den Formwillen ihrer Schöpfer, zugleich die Banalität des Menschengemachten bloßlegend und so die geistige Kraft des barocken Dresden auch in der totalen Zerstörung dem Schauenden noch einmal vor Augen führend.

Erhard Frommhold schreibt 1976:
»Natürlich wird nun der Holzstock von ihm … zerrissen, das Messer wütet förmlich im Holz, um Risse und Schraffuren expressiv herauszukratzen. Das Atmosphärische beherrscht nicht nur die skeletthaften Fassaden, die Trümmerlandschaften, sondern auch die in ihnen herumgeisternde Figuren. Die Feder umreißt nicht nur Formen, sie bringt neue Strukturen alter Fassaden hervor, indem sie schwarze Schatten setzt wie Dunkelheiten felsiger Höhlen. Der Stift führt Architektur wieder auf Elementares, auf die zerbrochene Hülle des menschlichen Lebens zurück.« Die Kraft der Zeichnungen und Holzschnitte Wilhelm Rudolphs hält den Terrorangriff und die unmenschliche Zerstörung des Gesamtkunstwerkes »Dresden« und seiner Bewohner über das Gedächtnis unserer Eltern und Großeltern hinaus gegenwärtig. Zu ihrer Wirkung bedürfen sie – wie alle Kunst – der Öffentlichkeit. Den Angriffsopfern, allzumeist Frauen, Kinder und Ältere, ihrem Gedächtnis ist diese Ausstellung gewidmet. Ihres Opfers war sich auch Wilhelm Rudolph bei seiner immensen Arbeit stets bewußt: die Wirklichkeit einer in der Fläche zerstörten Stadt mit den Mitteln seiner Kunst festzuhalten und Zeitgenossen und Nachgeborenen zu überliefern. Sie sind Teil der Seele dieser Stadt geworden. Ihrer zu gedenken, nicht nur am 13. Februar, ist ein Teil unserer Menschlichkeit. Wilhelm Rudolph war nicht der Einzige, der Bilder des zerstörten Dresden geschaffen hat, aber er war der Einzige, dessen Ergriffenheit von der Wirklichkeit in einem solchen Ausmaß überwunden wurde, daß aus ihr eines der größten Zeichnungs- und Holzschnittwerke in der Mitte des 20. Jahrhunderts erwuchs. Sie sind herzlich eingeladen, in dieser Ausstellung große graphische Gestaltungskunst zu erleben, aber auch einen Moment innezuhalten und gewahr zu werden, wes Sie hier eigentlich ansichtig werden.

GK

Ausstellung Dresdner Kunst l Hohe Straße 35 l 01445 Radebeul-West
Ausstellung vom 11.2. – 6.5.2018 l geöffnet Sa, So 11 – 18 Uhr
Ostersonntag (1.4.) geschlossen

Trauerrede für Karl Reiche

Wenn ich an Altkötzschenbroda denke, dann sehe ich Euer Geschäft mit dem frischen Gemüse und dem Hof, das offene Hoftor und im Hof die großen und prächtig blühenden Pflanzen und immer irgendwo mittendrin Karl Reiche. Er gehörte einfach dazu! Bauer Reiche – so nennen ihn die Radebeuler. „Frag mal Bauer Reiche, der weiß bestimmt was!“ Er hatte ein großes Wissen, was die Landwirtschaft und seine Hobbys betraf, aber er kannte eben auch die Geschichte von Altkötzschenbroda und das Leben der Bauern. Er hat den Wiederaufbau des Dorfangers miterlebt, und er war einer, der sich dem Neuen nie verschloss. „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen liegt in des Herren Hand.“ Dieses Lied hat er sich gewünscht, und er hat diese alte bäuerliche Weisheit immer in sich getragen. Unsere Aufgabe ist es, nach bestem Wissen und Gewissen unsere Arbeit zu erledigen. Aber ob es fruchtet, ob es gelingt, ob Leben gedeiht, das liegt nicht allein in unserer Hand! Zu unserem Wollen muss Gott sein Vollbringen geben. Karl Reiche ist viel gelungen. Er war ein guter Sämann. Unter seinen Händen wuchs viel Frucht, von der Ihr, die Kinder, Enkel und Urenkel, von der viele Menschen profitieren konnten. Gott hat immer seine schützenden Hände über ihn gehalten. Viele Male in seinem Leben ist er bewahrt worden. Gott hat ihm ein langes, erfülltes Leben geschenkt. Dafür war er immer dankbar!

Im Volksmund »Bauer Reiche«
Foto: D. Privatbesitz

So wollen wir uns erinnern:
Er wurde am 10. Juni 1920 geboren als viertes von fünf Geschwistern. Mit seiner jüngeren Schwester Gretel hat er Zeit seines Lebens ein enges, inniges Verhältnis gehabt. Sie sind gemeinsam alt geworden. Gretel verstarb vor wenigen Wochen. Die Kinder wuchsen auf dem Bauernhof auf. Arbeit gab es genug. Karl hat in Kötzschenbroda acht Jahre die Schule besucht. Dann ging er auf die Landwirtschaftsschule nach Meißen. Er kam vom Lande. Er kannte sich aus. Er war klug. Er hatte die besten Voraussetzungen, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen. Aber: Es kam der Krieg und die Kriegsgefangenschaft. Die meisten von Ihnen werden sein Buch „Kriegsgefangen“ kennen. Er konnte mit Sprache umgehen. Er hat gern geredet. Wenn man ihn besuchte, musste man immer Zeit mitnehmen. Und er hatte eine ganz akkurate Schrift und eine sehr umfangreiche Korrespondenz bis ins hohe Alter hinein. Durch sein Buch hat er Geschichte wieder lebendig werden lassen. Wir tun gut daran, es weiter zu geben. Die meisten von uns wissen nicht, was Krieg und Gefangenschaft damals bedeutet hat. Karl Reiche beschreibt in seinem Buch, wie er es geschafft hat, das Grauen zu überleben. Aber er verbreitet keinen Hass! Er hat nie aufgegeben. Er kannte die Natur. Er wusste, was helfen kann. So hat er überwunden. Und Gott hat seine schützenden Hände über ihn gehalten. Weihnachten 1949 kam er wieder nach Hause, nach neun Jahren, von denen er fünf in russischer Kriegsgefangenschaft verbracht hat. Die russische Sprache hat er nie verlernt. Anton, ein gebürtiger Pole, half Karls Vater in Kriegszeiten auf dem Bauernhof. Die Freundschaft zu ihm und seiner Familie währte lebenslang. Endlich wieder zu Hause lernte Karl seine Frau Edelgard kennen. Die Hochzeit, die drei Kinder, die Arbeit auf dem Bauernhof.

Es kam die die Zeit der LPG, Typ1, später dann Typ3. Auch darüber hat er geschrieben, und ich hoffe sehr, dass das Buch über das bäuerliche Leben bald erscheint. Auch dieses Buch wird Geschichte schreiben. Er hat mir so oft davon erzählt. Von den Vorsitzenden, den Parteigenossen, die leiten mussten, aber doch keine Bauern waren, sich einfach nicht genügend auskannten. Und heraus kam manchmal der größte Unsinn! Karls Gesundheit war angeschlagen. Von der Kriegsgefangenschaft, vielleicht von so mancher unsinniger Entscheidung, die ihm auf den Magen schlug. Auf jeden Fall arbeitete er ab 1974 als Küchenchef im Gasthof Kaditz. Ich habe mich immer gewundert, wie sicher er sich in der Küche bewegen konnte. Bis ins hohe Alter hinein hat er Obst und Marmelade eingekocht und großzügig wieder verschenkt! Lebensbestimmend waren seine Hobbys: Die Tauben- und die Orpingtonzucht hat er von seinem Vater übernommen und mit großer Sachkenntnis und Leidenschaft weitergeführt. Er war Landes- und Bundesehrenmeister. Internationale Rassegeflügelausstellungen brachten ihm viele Auszeichnungen. Das Vereinszimmer im Hof war voller Ehrennadeln, Pokalen und Urkunden. Mit wie vielen Menschen hat er dort gefeiert! Auch der Wein gehörte zu seinem Hobby. 2016 stand er noch auf der Leiter, um den Wein zu verschneiden! Die blühenden Pflanzen auf dem Hof waren sein ganzer Stolz! Auch nach 2000 gab es noch schwere Zeiten: 2002 die Flut! Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Elbe so hoch steigt. Als er den Hof verlassen musste, war er richtig gealtert! Aber er hat sich erholt. Auch 2008 war ein schweres Jahr. Da starb seine geliebte Edelgard. Er wurde richtig krank! Mit Gottes Hilfe, mit Hilfe seiner Kinder, Enkel und Urenkel hat er überwunden. Im Herbst 2009 erschien das Buch über die Kriegsgefangenschaft. Es wurde ein großer Erfolg. Bis zu seinem 95. Lebensjahr kam er gut allein zurecht. Dann wurde er liebevoll versorgt, umgeben von seinen Kindern, Enkeln und Urenkeln. Am 29. Dezember 2017 hat Gott ihn im Alter von 97 Jahren und 6 Monaten gerufen. Die Friedenskirchgemeinde in Radebeul Kötzschenbroda war für ihn und seine Familie immer Heimat, und die Bindung wurde mit den Jahren immer enger! Karl Reiche war ein kluger, interessierter und aufrechter Mann, der sich und dem Glauben immer treu geblieben ist. Und er war gesegnet mit einer großen inneren Weite! Das hat ihn so überaus sympathisch und liebenswert gemacht. Jetzt ist er erlöst worden von den Lasten des Alters. Er hat Gottes Nähe so viele Male in seinem Leben erfahren, er wird sie auch im Tod spüren. Darauf dürfen wir vertrauen. Gott spricht: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein. (Jesaja 43,1)

Brigitte Schleinitz (Pfarrerin in der Friedenskirchgemeinde von 1994- 2009)

„Geh in ein Land, das ich dir zeigen werde“

Malerei und Grafik von Renate Winkler in der Evangelischen Akademie Meißen

Die Evangelische Akademie Meißen zeigt in ihrer aktuellen Ausstellung einen Teil der künstlerischen Ernte von Renate Winklers Reisen in den Nahen Osten.

Es war Liebe auf den ersten Blick: weil sie „malen“ wollte, hatte die Radebeulerin Renate Winkler an einer Malreise nach Ägypten teilgenommen. Während ihre Reisegefährten unter der Sonne und der enormen Hitze mehr litten, als sie malten, zeichnete Renate nicht nur, sie verliebte sich auch in die Wüstenlandschaft und ihre Menschen. Diese Liebe ist im Laufe der Zeit ebenso gewachsen, wie ihre Lust am Malen. Es verging seither kein Jahr mehr, in welchem sie nicht auf die Sinaihalbinsel, nach Oman oder Palästina aufgebrochen wäre, um dort zu zeichnen und Menschen zu treffen. Besonderen Gewinn zog sie aus den von Prof. Ulfrid Kleinert geführten biblischen Reisen. Vor Ort wurde, wie sie selbst sagt, das Land mit seinen jahrtausendealten Überlieferungen lebendig, wodurch sie selbst zu einem neuen, gewachsenen Verständnis für die Wurzeln unserer eigenen abendländischen Kultur gelangte und gleichzeitig Anteil nehmen konnte an jahrtausendealter Weisheit. So nimmt es nicht Wunder, daß Renate in ihren künstlerischen Arbeiten zunehmend biblische Themen reflektiert: Abraham und Isaak, der Tanz ums goldene Kalb (der ja heute unseren Alltag bestimmt), Aufstieg zum Mosesberg.

»Stufen zum Mosesberg/Sinai«, 2012
Bild: R. Winkler

Renate Winkler war Fachschullehrerin und Kursleiterin. Über die Keramik – hier lernte sie u.a. bei Lothar Sell – fand sie zur Kunst. Seit Mitte der 1990er Jahre beschäftigt sie sich mit Druckgrafik und gehört seit 2003 der Grafikgemeinschaft Oberlicht um Markus Retzlaff an.

Ihre Orientreisen haben auch ihre Kunstauffassung beeinflußt. Ihre Portraits zeigen die Menschen vorzüglich als Menschen, also nicht von vornherein nach Herkunft klassifiziert.

Die Ausstellung im Kreuzgang des ehemaligen St.-Afra-Klosters zeigt 41 Arbeiten der Künstlerin, darunter Aquarelle aus Sinai, Grafiken aus Jerusalem, Holzschnitte zum 1. Buch Mose, dem ja auch der Titel der Schau entnommen ist. Auch sind Ölbilder zu sehen, in denen sie im Atelier ihre Eindrücke verarbeitete.

Das große Bild „Mauer in Bethlehem“ entstand in seinen Grundzügen während der WUKAMENTA 2017 auf dem Neumarkt in Dresden in ihrem temporären „orientalischen Atelier“, was schon vor Ort heftig diskutiert wurde. Auch dabei, erzählt die Künstlerin, gab es zum Teil bedrängende Erlebnisse. Das Bild zeigt die Ergriffenheit der Malerin angesichts der Tatsache, daß die Nachkommen der ungleichen Brüder Ismail und Isaak bis auf den heutigen Tag nicht zueinander gefunden haben.

Die Ausstellung ist noch bis zum 28. 2. 2018 in Meißen zu sehen, eine telefonische Anmeldung (03521 4706-0) wird empfohlen.

Thomas Gerlach

„Bilz – Ein sächsischer Visionär“


Anlässlich des Veröffentlichungsjubiläums des Hauptwerkes von Eduard Bilz laden der Bilz-Bund für Naturheilkunde e. V. und der Verein für Denkmalpflege und Neues Bauen Radebeul e. V. zum Vortrag „Bilz – Ein sächsischer Visionär“ von Frau Dr. Marina Lienert ein. Der Vortrag findet am Freitag den 23. 2. 2018, 19:30 Uhr im Vortragsraum der Bibliothek Radebeul-Ost statt.

Bild: Bilz-Bund für Naturheilkunde e.V.

Vor 130 Jahren, im Februar 1888, veröffentlichte Friedrich Eduard Bilz (1842-1922) erstmalig „Das neue Heilverfahren und die Gesundheitspflege“ als 1. Band des zweibändigen Werkes „Das menschliche Lebensglück. Ein Wegweiser zu Gesundheit und Wohlstand durch die Rückkehr zur Natur“ (im Selbstverlag). Damit begann der Aufstieg des Webergesellen, Kolonialwarenhändlers und Autodidakten zum Bestsellerautor, der 3,5 Millionen Exemplare des bald in „Das Neue Naturheilverfahren“ umbenannten und im Volksmund als „Bilz-Buch“ bekannten Naturheilkunde-Buches verkauft haben soll. Es war nach einer Erhebung aus dem Jahr 1907 das in sächsischen Arbeiterhaushalten am häufigsten vorhandene Buch. Bilz hat es bis zu seinem Lebensende immer wieder überarbeitet und um die neuesten Verfahren erweitert. Zum Verkaufserfolg trugen seine modernen Werbe- und Vertriebsmethoden bei, für die er insbesondere von Ärzten hart kritisiert wurde. Auch der Erfolg seines Naturheilsanatoriums war ihnen ein Dorn im Auge, weshalb sie mehrfach dessen Schließung verlangten. So schwankte sein Bild in der Öffentlichkeit zwischen Begründer der Naturheilkunde und gierigem Scharlatan und Kurpfuscher, der mit unwissenschaftlichen Methoden gutgläubige Patienten um Geld und Gesundheit brächte.

Eduard Bilz, um 1910
Foto: Bilz-Bund für Naturheilkunde e.V.

Zu seinen Lebzeiten gehörte er neben Kneipp und Lahmann zu den bekanntesten Vertretern der Naturheilkunde, heute ist sein Name nur noch in Sachsen, an seinen Wirkungsstätten bekannt. Doch trifft man noch so Manchen, in dessen Bücherregal ein ererbtes „Bilz-Buch“ steht. Die prächtigen Jugendstil-Bände lassen nostalgische Erinnerungen wach werden; dienten doch deren bunte aufklappbaren Körper-Darstellungen oft heimlich den Heranwachsenden zur ersten sexuellen Aufklärung – ein Effekt, der von Bilz durchaus beabsichtigt war. War er doch Lebensreformer im umfassenden Sinne, der sich die Aufklärung der Menschen in den verschiedensten Lebensbereichen zur Aufgabe gemacht hatte. Das war der Antrieb, 1882 sein erstes Buch „Der Schlüssel zur vollen menschlichen Glückseligkeit oder Umkehr zum Naturgesetz. Ein Beitrag zur Lösung der zeitgemäßen Frage: Wie hat die heutige Menschheit sich einzurichten, wenn sie Siechtum, Krankheit, Armut und sonstiges Elend meiden und den Vollgenuss der irdischen Glückseligkeit dauernd erringen will?“ zu veröffentlichen.

Seine darin geäußerten Vorschläge zur Gesellschaftsreform scheinen aus heutiger Sicht etwas naiv, vertraute er doch auf die Vernunft der Menschen. Doch solche Forderungen wie nach einem „Grundgehalt“ (entspricht dem heute viel diskutierten und erprobten bedingungslosen Grundeinkommen), nach Arbeitszeitverkürzung auf vier bis sechs Stunden täglich sowie nach einer – modern ausgedrückt – nachhaltigen Wirtschaftsweise scheinen wieder sehr aktuell und heute besser zu verwirklichen als je zuvor.

Bilz ging davon aus, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse den Menschen formen, und forderte deshalb deren Veränderung, die von immer besser und umfassender gebildeten Menschen ausgehen sollten. Deshalb stellte er die Erziehung der Kinder an den Anfang aller Bemühungen. Er hat versucht, seine Ideale zu leben. Das größte Denkmal errichtete er sich selbst, als er 1905 ein Licht-Luft-Bad eröffnete – das heutige beliebte Bilz-Bad – wie er es schon 1882 beschrieben hatte. Damit war er der einzige Naturheilkundler oder Naturarzt, der einen Teil des erworbenen Wohlstands zur Verwirklichung seiner lebensreformerischen Ideale einsetzte.

Dr. Marina Lienert

Beseelt von der Kraft der Musik

Zum 90. Geburtstag von KMD i.R. Hans-Bernhard Hoch

Schon beim Eintritt in die Wohnung höre ich Klavierspiel, sanft flutet es die Räume und schafft eine Stimmung, die mich willkommen heißt. Hans-Bernhard Hoch sitzt am Instrument, die Finger gleiten unangestrengt über die Tasten, mit lockerer Hand durchmisst er die Oktaven, ein Lächeln schenkend dem Besucher. Noten braucht der KMD i.R. nicht, dazu hat er sich viel zu viele Jahrzehnte im Improvisieren geübt und seine Intuition dafür geschärft, welche Töne angeschlagen werden müssen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Wüsste man nicht, dass hier der älteste noch lebende Kunstpreisträger der Stadt Radebeul musiziert (Hans-Bernhard Hoch erhielt ihn 2004 in Würdigung seines fast vierzigjährigen Schaffens als Kantor an der Friedenskirche Kötzschenbroda), würde man einen jüngeren Menschen erwarten. Wie gut, dass Musik durchs Ohr (und nicht durchs Auge!) ins Herz und ins Hirn geht, denn so ist man nicht voreingenommen davon, dass der bald 90-Jährige natürlich heute nicht mehr derjenige sein kann, als den ihn viele langjährige Freunde der Kirchenmusik in Erinnerung haben: als energiegeladenen, beweglichen und mitreißenden Kantor, der Chöre, Kurrende und Orchester einst zu Höchstleistungen führte. Dass das Alter von jedem Menschen Tribut fordert ist eine Binsenweisheit, aber Altkantor Hoch scheint (s)ein Mittel schon lange gefunden zu haben und beharrlich zu pflegen, womit er sich dagegen so gut wie möglich wehrt: Musik in hoher Dosis! Nicht nur tägliches eigenes Spiel, sondern auch regelmäßige Konzertbesuche gemeinsam mit seiner Frau Ilse verschaffen ihm nach wie vor Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Stadt Dresden, wohin das seit 1954 verheiratete Paar nach mehr als 60 Jahren in Radebeul 2016 gezogen war, um in einer altersgerechten Wohnanlage der Diakonissenanstalt bessere Bedingungen für die verbleibende Zeit zu finden. Auch Konzertübertragungen im Fernsehen, wie etwa vor Weihnachten der Auftritt des Kreuzchors im Dresdner Stadion oder das Adventskonzert aus der Frauenkirche, verfolgt der Altkantor mit Interesse, denn natürlich bemerkt er als langjähriger Kenner der Materie Entwicklungen in der Aufführungspraxis, vor allem bei chorischen Werken. Achtete man zu seiner aktiven Zeit strenger darauf, dass sich die Musik als Diener am Text verstand, so ist es heute manchmal umgekehrt, gilt der musikalische Effekt mehr als die Botschaft des Textes. Einmal, so erzählt mir Kantor Hoch mit Schmunzeln, kam er darüber sogar mit Christian Thielemann ins Gespräch. Der renommierte Stardirigent der Staatskapelle war für seine Interpretation des Bachschen Weihnachtsoratoriums kritisiert worden, denn Thielemann hatte dieses in unseren Breiten sehr bekannte und beliebte Werk zuvor noch nicht dirigiert und es mit seinem romantischen, an Bruckner, Wagner und Brahms geschulten Musikverständnis überformt. Verübeln könne man ihm das zwar nicht, so Hoch, aber einige wohlgesetzte Einlassungen bestimmter Aufführungstraditionen das WO betreffend, das Hans-Bernhard Hoch selbst zwei Dutzend Mal zum Erklingen gebracht hatte, hörte sich Thielemann dann doch mit Interesse an. Apropos Interesse: der Altkantor verfolgte aufmerksam aus dem Zuschauerraum die Aufführung des geliebten Weihnachtsoratoriums in „seiner“ Friedenskirche im Dezember 2017 unter der erstmaligen Leitung seines Nach-Nachfolgers, Peter Kubath. Obwohl die beiden noch immer Mitglieder der Kantorei sind, so hat Hans-Bernhard Hoch dennoch inzwischen von der aktiven Mitwirkung Abschied genommen, denn zu beschwerlich ist ihm das lange Stehen geworden. Seine Frau dagegen singt nach wie vor mit Hingabe im Alt. Hans-Bernhard Hoch freut sich darüber, dass die Kantorei weiter blüht und mancher Samen, den er vor Jahrzehnten legte, aufgegangen ist. Auch die Arbeit seines unmittelbaren Nachfolgers, Karlheinz Kaiser, schätzt er. Die Breite an Chorliteratur, die während dessen Amtszeit erarbeitet wurde, nötigt ihm Respekt ab und lässt ihn dankbar auf die mehr als 20 Jahre zurückblicken, in denen er unter Kantor Kaiser den Bass im Männerchor verstärkte.

Hans-Bernhard Hoch
Foto: B. Kazmirowski

Welche Pläne und Wünsche kann einer noch haben, wenn er vor seinem 90. Geburtstag steht? Hans-Bernhard Hoch wiegt den Kopf. Nach Bad Pyrmont möchte er gern wieder im Sommer reisen, dort gefällt es den Hochs sehr gut. Weit entfernt liegende Orte reizen sie nicht mehr, obgleich sie noch immer dankbar dafür sind, in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten u.a. berühmte Städte wie Rom und Athen besucht und ausgiebig Regionen wie Süddeutschland und das Loiretal in Frankreich erkundet zu haben. Seine Kinder, Enkel und Urenkel möchte er gern regelmäßig um sich haben, so wie jetzt am ersten Februarwochenende, wenn die Sippe zum Jubiläum in Dresden zusammenkommt. Und natürlich wünscht er sich, noch möglichst viele Jahre bei passabler Gesundheit zu sein, damit sich seine liebevoll kümmernde Frau nicht zu sehr um ihn sorgen muss. Und, frage ich zum Abschluss des anregenden Gesprächs, wen würde er gern als Überraschungsgäste zum Geburtstag einladen, mit wem würde er gern einmal plaudern, wenn es denn möglich wäre? „Johannes Brahms“ kommt es wie aus der Pistole geschossen. Er ist Hochs Lieblingskomponist, dessen 1. Sinfonie schätzt er besonders. Wen noch? „Den Dirigenten Herbert Blomstedt“, entfährt es ihm. Blomstedt, der bereits 90 ist, sei ein Vorbild für ihn, da er im hohen Alter noch bemerkenswerte künstlerische Leistungen vollbringe. Und welche Sänger? „Adele Stolte, Britta Schwarz und Andreas Scheibner“, braucht er nicht lange zu überlegen. Mit diesen Künstlern hat Kantor i.R. oft zusammengearbeitet, hat sie zu seinen Zeiten als Solisten engagieren können. Aber auch ohne diese Musiker wird Hans-Bernhard Hoch eine würdige Feier begehen können, da bin ich mir sicher! Lieber Hans-Bernhard Hoch, „Vorschau & Rückblick“ schließt sich den vielen Gratulanten mit herzlichem Glückwunsch zum 90. Geburtstag am 30. Januar an!

Bertram Kazmirowski
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Wer mehr über den beruflichen und künstlerischen Werdegang von Hans-Bernhard Hoch erfahren möchte, dem sei das umfangreiche Porträt in der Ausgabe 1/2003 von „Vorschau & Rückblick“ empfohlen.

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