Editorial 02-16

Ein ungekannt frühlingshafter Dezember im Ausklang des letzten Jahres wird lange in Erinnerung bleiben. Blühende Bäume, Schneeglöckchen und ein munteres Vogelgezwitscher lockten zu ersten Gartenarbeiten, während man sich in kalendarischer Abfolge anschickte, den Weihnachtsbaum in der guten Stube zu schmücken.

Nun hat er es doch noch geschafft – der Winter ist da! Radebeul wieder ein Wintermärchen! Kaum lag die erste Flocke, riefen die Kinder zum Schneemannbauen. Leicht gesagt, schwer getan. Musste doch die dünne und durchaus pulvrige Schicht mühevoll aus allen Ecken des Gartens zusammengekratzt und in die tradierte Form gebracht werden. Wider Erwarten gelang es mit ausdauernder Handarbeit zur Zufriedenheit aller großen und kleinen Mitarbeiter.

Naturgemäß mahnten die Kinder zu weiteren wintersportlichen Betätigungen. Na klar, es ging ums Rodeln. Nun ja, leicht gesagt, schwer gefunden so ein Rodelberg in Radebeul. Seit meinen Kindertagen bereitet mir der Gedanke Kopfzerbrechen. Die terrassierten Steillagen der Weinberge scheinen ebenso wenig geeignet wie die Ebenen der Elbwiesen.

Als Kind fuhr ich noch die halsbrecherisch und baumumsäumten Pisten auf dem Weg zu „Schwarzes Teich“. Eine Strecke, die ich bei aller väterlichen Gelassenheit meinen Kindern nicht angedeihen lassen möchte. Auf Nachfrage schwärmte eine gute alte Bekannte von der Straße unterhalb von Hoflößnitz, eine Erinnerung, die sich auf Kindheitstage aus der Zeit noch vor dem Zweiten Weltkrieg beruft. Ein Auto wurde da einst noch kaum gesehen.

Kenntnis habe ich noch vom „Katzenbuckel“ am Seegraben in Serkowitz. Im Weinberg „Auf den Bergen“ soll Rodeln auch möglich sein, und der Sage nach irgendwo am „Graue-Presse Weg“.
Bei unserer Suche wurde es aber schon dunkel und so begnügten wir uns zur Freude aller mit dem gemütlichen Wiesenhang vorm Ermelhaus am Fiedlergrund.

Sascha Graedtke

Titelbildserie 2016

Das Künstlerehepaar Brian Curling
und Friederike Curling-Aust begleitet
uns mit ihren Bildern durch das Jahr.
Sie geben Einblick und Ausschau
in Radebeuler Landschaften.

Titelbild Januar:

„As the crow flys“
Farbholzschnitt 2013 (Brian Curling)

Der Holzschnitt der sich tummelten
Krähen im Januar besteht aus mehrschichtig
bedruckten dünnen Japanpapieren,
die übereinander gelegt eine Tiefe
schaffen.
Brian Curling findet Gleichnisse im
Werden und Vergehen der Natur.
Malschule und Atelier
Friederike Curling-Aust und Brian Curling
Weinbergstrasse 10
01445 Radebeul
Tel. 0351-79557093
friederikeaust@gmail.com
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Im Januar beginnen wieder Kinderkurse:
– Dienstags 16-17.30 Uhr

Kreatives Ferienprogramm für Kinder
in den Winterferien in der 1. Ferienwoche
– täglich von 9.30 Uhr bis 15.30 Uhr

 

»Mit Freude am Leben !«

Im Foyer der Landesbühnen Sachsen würdigt eine Ausstellung das Werk der 90-jährigen Malerin Lieselotte Finke-Poser

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Die Jubilarin im Gespräch                                              Foto: W. Zimmermann

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»Der Dirigent Kurt Masur« Aquarell, 2015 Repro: W. Zimmermann

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»Sturm« Aquarell, 1999               Repro W. Zimmermann

Ohne Zweifel, sie ist die anerkannte Seniorin unter der zahlenmäßig sehr üppigen Mannschaft der Radebeuler Maler. Ihren gewichtigen runden Geburtstag wird Lieselotte Finke-Poser feiern wenn das Jahr zu Ende geht. Denn ab dem 29. Dezember 2015 kann sie auf stolze 90 Jahre Leben zurückblicken. Zugleich also auf fast ein komplettes Jahrhundert Leben. Ein Mensch, dem ein solch hohes Alter vergönnt ist, der muss zweifellos schon etwas Besonderes an sich haben.
Bei Lieselotte Finke Poser ist das zunächst einmal ihre große Lust am Leben überhaupt. Dann natürlich ihr besonderes Metier, die Malerei. Und deshalb nutzte die Malerin die meisten ihrer Lebensjahre dafür, Bilder zu malen. Eigentlich hat sie das schon immer getan seit sie zurückdenken kann. Und sie tut es heute immer noch, mit nicht nachlassender Energie.
Ihre aktuelle Ausstellung nun hat diesen ihren 90. Geburtstag im Fokus. Das heißt, dass man seit dem 4. Dezember 2015 einen repräsentativen Ausschnitt ihres künstlerischen Lebenswerks im Foyer der Landesbühnen Sachsen besichtigen kann. Die Vernissage dazu fand am Abend des 4. Dezember statt. Überwiegend zeigt die Ausstellung ihre in den sanften Aquarellfarben gemalten Bilder, aber auch Ölbilder und ein kleiner Teil an Kreidezeichnungen findet man ebenfalls in der Exposition.
Lieselotte Finke Poser, die 1925 in Hessisch-Lichtenau (der Nähe von Kassel) geboren wurde, studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und war im Anschluss daran viele Jahre als Illustratorin vorwiegend im wissenschaftlichen als auch im Buchbereich beschäftigt. Die heute 50-jährigen sind in ihrer Kindheit ganz sicher den wunderbaren Kinderbüchern begegnet, die von ihr illustriert wurden. „Beobachtungen am Wegesrand“ nannte sich eines dieser Bücher und es erzählte in Text und vor allem im Bild von der Schönheit der Natur.
Seit 1953 lebt und arbeitet sie in Radebeul und gehörte 1979 hier zu den Mitbegründerinnen des anerkannten Radebeuler Grafikmarktes. In der reizvollen Landschaft von Radebeul bis Moritzburg wiederum hat die Malerin ein üppiges Betätigungsfeld gefunden. Daneben widmete sie sich aber auch immer mal wieder dem Porträt, malte Kinder, alte Menschen, christliche Symbolfiguren etc.
Die aktuelle Ausstellung nun konzentriert sich vor allem auf Landschaften und Porträts. So zeigt sie eine „Abendstimmung“(1999), widmet den „Kopfweiden bei Serkowitz“ ein Bild, hat den Dirigenten Kurt Masur in eindrucksvoller Gestik porträtiert und lässt es in ihrem Bild „Sturm“ fast körperlich spürbar stürmen.

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»Kopfweiden bei Serkowitz«, Aquarell, 1979,        Repro: W. Zimmermann

An Gratulanten mangelte es nicht an diesem Abend. Musik vom Piano, Cello und Violine erklang zum Auftakt der Vernissage. Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche und Landesbühnen-Intendant Manuel Schöbel gehörten zu den ersten Gratulanten.

Wolfgang Zimmermann

Die Ausstellung wird bis ins kommende Jahr 2016 hinein zu besichtigen sein. Zeitgleich kann man unter dem Titel „Jung und Alt“ eine zweite Ausstellung von Lieselotte Finke-Poser im Radebeuler Familienzentrum auf dem Altkötzschenbrodaer Anger besichtigen

Radebeul – eine Stadt?

Eine Stadt – was ist das? Ist Radebeul eine Stadt? Natürlich, werden die Radebeuler sagen. Ist sie aber so, wie andere Städte auch? Natürlich nicht, werden wieder die Radebeuler sagen.
Unsere Stadt ist eben etwas Besonderes, mit anderen Städten nicht zu vergleichen. Aber was ist dieses Besondere? Was macht eine Stadt überhaupt zur Stadt? „Es ist unklar, warum ein Ort als Stadt bezeichnet wird und ein anderer nicht“, kommt hierzu ein Eintrag bei Wikipedia zum Schluss. Der Autor fügt aber bedenkend dazu an, dass eine von der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung abgetrennte Sicht auf Städte problematisch ist.
Stadt, Stadtentwicklung an sich, abgekoppelt von der gesellschaftlichen Situation, funktioniert demnach nicht, „da nicht die Philosophen und Soziologen und auch nicht die Städtebauer die Entwicklung der Städte wesentlich beeinflussen, sondern die Menschen, die in einer Region siedeln, die ihnen Arbeit, Lohn, Essen und Unterkunft ermöglicht“. Ob sie eine Stimme im alltäglichen Getriebe haben, sei dahingestellt. Sie geben der Stadt ihr Gepräge, einfach in dem sie da sind und in ihr leben.

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Lückenbebauung an der Burgstraße                                         Foto: KUB

Die Tatsache, dass für den Zeitraum bis 2025 zwei sich extrem widersprechende Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung der Stadt Radebeul vorliegen, zeigt die Schwierigkeit einer genauen Vorhersage für dieses Gebiet. Es wird sowohl eine Bevölkerungszunahme von 2 Prozent als auch ein Rückgang von 1,5 Prozent angenommen. Dies kann nur die Schlussfolgerung zulassen, möglichst alles zu tun, um junge Menschen in Radebeul anzusiedeln. Gleichwohl ergibt sich daraus eine komplizierte Lage, wenn man auf der Grundlage der ersten Version Kapazitäten entwickelt und vorhält, die möglicherweise später nicht benötigt werden. Sicher ist die Entwicklung der Bevölkerung, speziell in ihren einzelnen Altersgruppen, eine maßgebliche Größe für die künftige Stadtplanung. Gerade die Gruppe der Erwerbstätigen (15 bis 65 Jahre) wird sehr entscheidend für die zu erwartenden Steuereinnahmen sein. Auch ergeben sich daraus für die Entwicklung der Versorgungseinrichtungen und der Wirtschaftsförderung maßgebliche Planungsziele. Letztendlich aber reichen die aus der Bevölkerungsprognose erlangten Parameter nicht aus, um daraus ein schlüssiges Stadtentwicklungskonzept zu erstellen.
Eine Stadt ist eben mehr als eine Ansammlung von Gebäuden. Die Stadt ist vor allem ein sozialer Raum, der wesentlich von den in ihm lebenden Menschen geprägt wird. Sie aber muss auch die Funktion eines sozialen Raumes ausfüllen. Deshalb ist die Haltung „erstmal bauen, der Inhalt kommt später“ – wie gelegentlich zu hören ist – ein Tanz auf dünnem Eis.
Stadtentwicklung muss als erstes von den Menschen her gedacht werden. Und wenn INSEK 2014, das integrierte Stadtentwicklungskonzept, etwas vermissen lässt, dann ist es gerade eine Betrachtung zur sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung und der sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für künftige Entwicklungen. Dies gehört schon deshalb in die Konzeption, weil diese eine komplexe Betrachtung der Entwicklung Radebeul für die nächsten 20 Jahre anstellt.
Sicher sind es gerade die 25- bis 40-jährigen, die bisher die größte Gruppe der Zugezogenen stellten. Bis 2025 aber wird diese Altersgruppe in der Stadt eher abnehmen. Man kann davon ausgehen, dass die Zuzügler in der Regel zu den sozial besser abgesicherten Bevölkerungsschichten gehören, da sie entweder Wohneigentum erwerben oder die relativ hohen Mieten auch zahlen können. Dieses Klientel greift auf Wohnungen mit 3 bis 5 Räumen zurück, welche nahezu 70 Prozent des Bestandes ausmachen. Über 80 Prozent der Gebäude befinden sich in Radebeul aber in Privatbesitz. Und gebaut wird weiter, wenn sicher auch nicht mehr in dem Umfang vergangener Jahre. Verdichtung und Lückenbebauung weist das Stadtentwicklungskonzept als künftigen Ansatz aus. Braucht es da nicht auch eine Bausatzung, wenn, wie im Abschnitt „Städtebau und Denkmalschutz“ formuliert, die „Erhaltung der Identität der Stadt“ als ein Ziel ausgegeben wird? Gerade die Lückenbebauung der letzten Jahre hat hier nicht nur Begeisterung ausgelöst.
Was also macht Radebeul aus? Die Denkmale, der Weinterrassen, die Elbe, der Gartenstadtcharakter oder die vielen über die Jahrhunderte hier ansässigen kreativen, schöpferischen wie künstlerischen Menschen, die diese Gegend erst zu einer unvergleichlichen Kulturlandschaft erschaffen haben? Das Eine ist ohne das Andere nicht denkbar. Ohne das fruchtbare, milde Klima kein Weinanbau. Ohne Weinanbau eben auch keine „Hoflößnitz“ mit ihren kultur- und kunstvollen Bauten. Und ohne all dies eben auch keine klugen und kreativen Köpfe, die sich in der anregenden Atmosphäre niederließen. Selbst wenn das Merkantile sicher eine große Rolle gespielt haben mag, wurde das Schöne immer mitgedacht und je nach Geldbeutel pompös oder eben zurückhaltend gestaltet. Heute kann man lange suchen nach der sprichwörtlichen „Kunst am Bau“. Das Profane dominiert. Besonders erfreulich ist allerdings, dass das „Denkmalschutzgebiet historischer Weinbau“ festgeschrieben wurde.
Auch die Dorfkerne und die Gebiete mit hoher Denkmaldichte bedürfen einer sensiblen Betreuung, wenn deren Charakter erhalten bleiben soll. Die Bevölkerung darf hier nicht außen vor bleiben. Nicht immer haben die favorisierten und geförderten Sanierungsgebiete zu Ideallösungen geführt, wie man am Beispiel Altkötzschenbroda sehen kann. Die gegenwärtige Verkehrssituation sowie der beständig wachsende Schilderwald auf dem ehemaligen Dorfanger mindert dessen Attraktivität erheblich. Es leiden die Bewohner wie die Touristen darunter. Abhilfe tut not!
Die Stadt möchte besonders für junge Menschen anziehend sein. In Schulen und Kindereinrichtungen wird auch künftig viel investiert. Das ist zweifelsohne richtig. Arbeitsplätze aber braucht es auch und Wohnraum. Das INSEK stellt besonders einen Mangel an bezahlbaren Wohnungen in der Stadt fest. Wie vertragen sich da angekündigte Mietpreise von über 8 Euro pro Quadratmeter für Neubauwohnungen, wenn die mittelfristig nutzbare Fläche für den Wohnungsbau maximal 390 Wohneinheiten zulassen? Eine Besserung ist da schwer vorstellbar. Da drängt sich auch die Frage auf, wann der Leerstand bei der städtischen Besitzgesellschaft saniert wird?
Ja und da sind noch die beiden Stadtzentren. Welche Funktionen sollen sie künftig erfüllen? Und wo hat darin der Mensch seinen Platz, also, wo kann er sich aufhalten, kommunizieren oder auch nur die zum Leben nötigen Versorgungen und Informationen finden?
Es bleibt also sehr zu hoffen, dass die Bautätigkeit in Radebeul nicht zu sozialen Spannungen in der Stadt führt. Und warum soll eigentlich laut INSEK der „Ausbau von bezahlbaren Atelier- und Werkstatträumen für junge Künstler [nur] im Weißen Haus“ erfolgen? Mal beiseite gelassen, ob das „Weiße Haus“ überhaupt der geeignete Standort dafür ist.
Nachzuschieben wäre auch, warum nur für „junge Künstler“? Denn, so wie es gegenwärtig aussieht, scheint die jahrhundertelange Künstlertradition in der Lößnitz in Bälde ein jähes Ende zu finden, da es an bezahlbaren Wohn- und Atelierräumen für diese fehlt. Aber gerade die Künstler und die kreativen Baumeister waren es ja, die die Lößnitzstadt mitgeprägt haben und heute noch so begehrenswert machen, die Zillerhäuser gebaut, bewohnt und auch belebt haben.
„Radebeul, mit deinen Lößnitzbergen bleibst meine Heimat, Heimat alle Zeit!“ lauten die letzten Zeilen des vor Jahren verfassten Lößnitzliedes. Es ist gewissermaßen die inoffizielle Hymne der Stadt. Sie drückt aus, was viele Radebeuler empfinden. Sie wollen eine Stadt, in der sie sich zu Hause fühlen, in der sich die Veränderungen in Grenzen halten, auch deshalb, weil man das historisch Wertvolle erhalten möchte. Die vielen liebevollen und mit Sachverstand instandgesetzten Gebäude und gepflegten Gartenanlagen belegen dies nachdrücklich. Nachlässigkeiten und Bausünden ärgern sie ungemein und sie greifen hier auch gelegentlich ein. Nicht nur der Bauherrenpreis mag für dieses öffentliche Interesse ein Beispiel sein. Radebeul gestalten und entwickeln geht deshalb nur mit seinen Bewohnern. Die aber müssen sich dieses Recht auch immer wieder aktiv einfordern. „Vorschau und Rückblick“ könnte dafür ein gutes Podium bieten.
KUB

Editorial 01-16

Liebe Radebeuler Bürgerinnen und Bürger!

Haben wir uns schon mal gesehen?
Wir sind neu, nicht mehr für jeden, aber für die allermeisten sind wir neu. Ein Pfarrerehepaar in der Friedenskirche Radebeul: Annegret und Björn-Hendrik Fischer. Und wir haben drei Kinder mitgebracht: Gregor, Albrecht und Helene.
Werden wir uns mal sehen?
Im Gottesdienst, oder beim Herbst- und Weinfest. Werden Sie uns ansprechen? Werden Sie etwas erzählen von sich und ihrem Leben? Heutzutage braucht ja nicht mehr jeder Mensch einen Pfarrer. Beim Heiraten oder nach der Geburt eines Kindes suchen nur noch wenige Menschen uns auf. Es geht ohne uns.
Wollen wir uns mal sehen?
Ist deshalb die Frage. Und wir haben schon sehr viele Menschen gesehen hier in Radebeul und auch schon viele, viele Namen gehört und den ein oder anderen Namen auch schon gelernt. Bekannte und unbekannte Gesichter grüßen auf der Straße und wir fühlen uns sehr willkommen.
Schön, wenn wir gesehen werden!
Das ist wohltuend für jeden Menschen. Gesehen werden! Beachtet werden und geachtet werden. Ein liebevoller Blick, ein wertschätzender Blick, ein Blick voller Anerkennung und Wohlwollen.
Das tut jedem gut. Wer Ansehen genießt, wird sich sicher fühlen. Ohne Furcht und Misstrauen fröhlich beieinander sein.
In unseren Gottesdiensten sprechen wir Menschen den Segen Gottes zu: Gott segne dich und behüte dich, er lasse sein Angesicht leuchten über Dir und sei dir gnädig, er erhebe sein Angesicht auf dich
und gebe dir Frieden.
Gott lässt sein Angesicht leuchten über Dir und über mir. Ein wohlwollender Blick, eine liebevolle Zuwendung.
Mit diesem Ansehen kann einer gut leben. Mit diesem Ansehen werden wir auch 2016 gut leben.
Ich wünsche uns allen einen guten Start in dieses neue Jahr.
Genießen Sie Ihr Ansehen, dass Sie bei Gott haben!

Pfn. Annegret Fischer

Kunst und Kinkerlitz in der Galerie mit Weitblick

Mit einer ersten Gedächtnisausstellung erinnert die Galerie mit Weitblick auf der Oberen Bergstraße in Radebeul an den vor einem knappen Jahr verstorbenen Maler und Grafiker Horst Hille.
Hille hatte die Galerie vor drei Jahren mit aus der Taufe gehoben, er ist Zeit ihres Bestehens vor allem mit Grafik und Kleinstplastik dort gut vertreten. Nun hat ihm die Galeristin Doro Kuhbandner eine Einzelausstellung gewidmet, deren Herzstück das Lebensbild des Malers Verlorenes und gefundenes Zuhause darstellt, das Hille sich selbst zum 70. Geburtstag geschenkt hatte.

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Horst Hille – Selbstporträt                                         Repro D. Kuhbandner

Hille war am 13. August 1941 in Aussig geboren worden. Sehr bewusst erlebte der Fünfjährige die Deportation nach Rügen; sein Leben lang hat er gegen dieses Kindheitstrauma angemalt. Sein Refugium auf der Kottenleite, wie sein Vaterhaus mit einem Pultdach versehen, kann als das am häufigsten dargestellte Motiv des Malers gelten. Es gibt Bilder, da erscheint es gleich mehrfach, meist von seinem Paradiesgärtlein umgeben.
Ein Zufall hatte es schließlich ermöglicht, daß Hille in Radebeul, und somit doch noch im Elbtal, Wurzeln schlagen konnte. Zwischen Autobahn- und Niederwarthaer Brücke fand der Junge alles, was er zum Leben brauchte, wie der reife Maler die meisten seiner Anregungen aus dieser Landschaft zog.
Zum 20. Geburtstag schenkte ihm Walter Ulbricht die Berliner Mauer. Der gelernte Maurer fand sich da schon ins Wohnungsbauprogramm der DDR integriert, sah sich aber nicht zum Steineschlepper und Kalkmischer geboren. Neben anderen Künstlern nahmen sich besonders Werner Wittig und Gunter Herrmann des jungen Mannes an. Letzterer sorgte mit seiner Bürgschaft dafür, daß Horst um 1970 in den VbK der DDR aufgenommen wurde. Er konnte nun freischaffend als Künstler arbeiten und schließlich der werden, der er war: DER HILLE. Er hat beiden eine lebenslange Dankbarkeit bewahrt.
Mit dem böhmischen Schalk im Nacken hat Hille früh seinen eigenen Stil gefunden. Wir kennen ihn als den Meister der Miniatur. Es gelang ihm, auf kleinstem Format altmeisterliche Akkuratesse und Detailtreue mit dem Verismus Dixscher Prägung zu verbinden. Dabei hat Hille, wie Heinz Weißflog schrieb, immer seine eigene Biografie gemalt. Auch der Zeus, der sich in fröhlicher Gier über eine lebensvolle Antiope hermacht, trägt so unverkennbar die Züge des Malers, dass der Betrachter noch das Lachen zu hören vermeint, mit dem Hille auf die Anfechtungen des Lebens reagierte.

Thomas Gerlach

Nur noch bis Ende Januar ist die Ausstellung jeweils an den Wochenenden zu besichtigen.

Mehr Licht

verein für denkmalpflege und neues bauen

Das aber ist das Schöne am Januar: die Tage werden wieder länger, es wird wieder hell. Wie wir eindeutigen Formulierungen entnehmen können, hatte schon Goethe vermutlich daran seine besondere Freude. Was Goethe nicht wusste: Wir legen jetzt die Lichterketten wieder fein säuberlich in den Karton, führen des glitzernd leuchtende Rentier wieder in seinen Stall und befreien den etwas rachitisch am Fenster hängenden Weihnachtsmann aus seiner Strickleiter. Wir haben nun wieder fast ein ganzes Jahr Zeit (oder: schon wieder kein ganzes Jahr mehr!!) zu überlegen, welcher Festschmuck welchem Gebäude angemessen ist.
Ungeteilte Bewunderung gilt Jahr für Jahr der schönen großen Fichte und ihrer Weihnachtsbeleuchtung auf der Karl-Liebknecht-Straße. Dabei gibt es nicht nur die artistische Leistung zu bestaunen, mit der das oberste Licht stets an die oberste Spitze gelangt, sondern insbesondere auch die bei aller Größe dezente Verteilung der Lichter insgesamt. Da ist wirklich noch etwas von Weihnachten zu spüren – herzlichen Dank dafür!
An ganz anderer Stelle machte ein bis in die Geweihspitzen glitzerndes Rentier samt Paketschlitten auf ein Gebäude aufmerksam, das vermutlich nicht jedermanns Geschmack ist, das jedoch den Geist eines guten Architekten atmet. Beton und Glas wechseln einander in wohl abgestimmten Flächen ab, die großzügig gegliederten Fassaden erscheinen modern und dennoch harmonisch (das muss kein Gegensatz sein) – das heißt alles in allem: die Maßverhältnisse stimmen. Wenn aber nun das erwähnte Tier vom Balkone leuchtet, drängt sich dem besorgten Betrachter eine Frage auf: Haben die Eigentümer die Architektur (und den Architekten) eigentlich verstanden? Sind sie wirklich glücklich mit und in ihrem Haus, oder hätten sie doch lieber ein richtiges Dach gehabt und vielleicht ein Türmchen an der Seite, an dem dann allmal im Dezember ein etwas rachitischer Weihnachtsmann an einer Strickleiter so permanent wie erfolglos emporzuklimmen das Schicksal hat?
Das Detail gehört zum Ganzen, und sei es auch nur für ein paar kurze dunkle Wochen.
Nach 2013 soll es im Jahr 2016 wieder einen Bauherrenpreis geben. Weihnachtsdekoration ist dabei kein Beurteilungskriterium, schon weil der Advent im Beurteilungszeitraum noch lange nicht in Sicht ist.
Dennoch haben wir jetzt wieder fast ein ganzes Jahr lang Zeit zu überlegen, welche Dekoration der Architektur, dem Stadtbild, vor allem aber dem Anliegen des Weihnachtsfestes angemessen ist.
Auf die Fichte in der Karl-Liebknecht-Straße freue ich mich heute schon.
Thomas Gerlach

Paul Wilhelm zum 50. Todestag

Allen Freunden der Lößnitz und ihres Künders Paul Wilhelm ist die facettenreiche Ausstellung einer gelungenen Auswahl seiner Werke in der Stadtgalerie Radebeul 2011 noch in guter Erinnerung.
Nun wurde auch oberhalb der Meißner Straße seiner gedacht und an den 50. Todestag am 23. Oktober 1965 erinnert. In der neu in die Welt getretenen „AUSSTELLUNG DRESDNER KUNST“ wird eine umfängliche Auswahl von Aquarellen an Paul Wilhelm in privaten Räumen auf der Hohen Straße 35 präsentiert.

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Winterabend in Radebeul, Aquarell, 1951                          Foto: G. klitzsch

Seit Werner Schmidts großer Aquarell-Ausstellung aus Anlass des 80. Geburtstages von Paul Wilhelm im Jahre 1966, hat es keinen solchen Blick auf sein Aquarellwerk mehr gegeben. So ist auch vor dem Hintergrund inzwischen eingetretener Kunstentwicklungen der Versuch wichtig, dass auch hier in Radebeul für die Ausprägung der Dresdner Malkultur von Paul Wilhelm Geleistete für eine breitere Öffentlichkeit wieder vernehmbarer ins Gedächtnis zu rufen. Dies auch deshalb, weil von den öffentlichen Museen kaum derartige Impulse ausgehen.
Zunächst noch in der Zeit des ersten Weltkrieges dem große Paul Cézanne verpflichtet, nehmen die Aquarelle, „das Werk der guten Stunde“ (Fritz Löffler) seit Mitte der 20er Jahre auch im Ergebnis seiner Reisen einen zunehmend breiteren Raum im Werk Paul Wilhelms ein. Nach dem zweiten Weltkrieg gewinnen die Aquarelle den Status einer eigenständigen Werkgruppe, die, unabhängig von der Ölmalerei, eigene Geltung beansprucht. Sie sind es auch, die noch einmal beredtes Ausdrucksmittel in seinen letzten Lebensjahren werden, in denen die Anstrengungen der Ölmalerei nicht mehr zu bewältigen sind.

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Winterabend in Radebeul, Aquarell um 1928                          Foto G. Klitzsch

Das Aquarell muss „sitzen“, da ist nachträglich nichts zu beschönigen oder zu korrigieren.
Daher begegnet uns Paul Wilhelm hier daher mit Komposition, Tektonik und Weltsicht, vor allem aber in seiner sublimen Farbsetzung ganz unmittelbar und persönlich. Es sind die Eindrücke des italienischen Lichts südlich der Alpen, die seine expressiven Blätter aus den frühen 20er Jahren bestimmen und denen in der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet ist.
Ihnen stehen die flammenden Himmel der Lößnitz mit ihrem Orange und Tief-Violett in nichts nach, wie die Ausstellung ebenfalls nachweist. In der Schilderung seines Gartens und dessen Blumenpracht zwischen Rittersporn, Phlox und chinesischer Wildrose erweist sich das Aquarell in seinen besten Arbeiten als ein Gegenüber äußersten künstlerischen Anspruchs.
Weniger bekannt sind der breiteren Öffentlichkeit bisher die Porträts von Jungen und Mädchen oder jungen Frauen. In der Ausstellung ist diesem Aspekt des Wirkens von Paul Wilhelm breiterer Raum gegeben.
In seinen letzten Lebensjahren fand die lebenslange Zuneigung Paul Wilhelms zur kontemplativen Kunst Japans und seiner meisterlichen Farbholzschnitte, Ausdruck in seinen Aquarellen auf feinstem Japanpapier, die klassische japanische Holzschnitte zitieren. Die besondere Papiertextur reizte ihn auch zu Erinnerungsbildern früherer Reisen, vielfach auf der Basis von Gedächtnisprotokollen in Form von feinen Graphitzeichnungen. Paul Wilhelms späte Aquarellkunst erreicht mit sparsamen graphischen Zeichen ein Höchstmaß an künstlerischer Konzentration, ausgewogener Komposition der Darstellung in der farblichen Realisierung.
Die Ausstellung zum 50. Todestag Paul Wilhelms vereint Arbeiten des Künstlers, die über einen Zeitraum von ca. 50 Lebensjahren entstanden sind. Sie geben Zeugnis von seiner Zeichenkunst ebenso wie von seinem treffsicheren, musikalischen Farbgespür, das auch heikelste Farbkombinationen (z. B. in den Stillleben) sicher meistert.
Paul Wilhelms Aquarelle verführen und wecken in einer glücklichen Stunde in uns die Kräfte einer poetischeren Weltsicht, der sich zu überlassen alle Besucher herzlich eingeladen sind.
Gottfried Klitzsch

Ausstellungsort:

AUSSTELLUNG DRESDNER KUNST
Hohe Straße 35
01445 Radebeul-West

Öffnungszeiten:
07. November bis 19. Dezember 2015
01. Januar bis 28. Februar 2016
jeweils samstags von 11.00 bis 18.00 Uhr

Mit Tom Tagtraum durch das Jahr 2016

Liebe Leserinnen und Leser,
seit vielen Jahren gehört Literatur zu den Themen in „Vorschau und Rückblick“, die unser Heft bereichern und lesenswert machen. War es über lange Zeit einerseits der Kreis der „Schreibenden Senioren“, deren Lyrik und kurze Geschichten aus dem Alltag für Schmunzeln und Nachdenklichkeit sorgten, andererseits Reiner Roßberg, der über viele Jahre uns an den Erlebnissen von Karalambos und dem Winzer teilhaben ließ, so verdanken wir vor allem Thomas Gerlach seit geraumer Zeit monatlich neu aufleuchtende „Radebeuler Miniaturen“. Darüber hinaus stellt uns aber auch schon einige Jahre unser treuer Leser Tobias Märksch (aufgewachsen in Radebeul, inzwischen aber seit zweieinhalb Jahrzehnten in Dresden wohnend) eigene Texte zur Verfügung, meistens Gedichte, gelegentlich aber auch Prosatexte (erinnert sei z.B. an die Weihnachtsgeschichte im Dezember-Heft 2014). Wir haben uns entschlossen, das Angebot von Tobias Märksch anzunehmen, seine bisher noch unveröffentlichten Geschichten um den liebenswerten Tom Tagtraum fortlaufend ab diesem Heft bis zum Jahresende zu publizieren. Zum einen, weil wir von der Qualität der Texte überzeugt sind, zum anderen, weil wir damit auch bislang noch nicht bekannten literarischen Talenten unter unserer Leserschaft Mut machen wollen, uns ihre Texte einzusenden. Zwar verfügt die „Vorschau“ zum Glück über einen festen Stamm an regelmäßigen Schreibern, aber wir sind immer dankbar für Beiträge, die unser Heft vielfältig machen.
Begleiten Sie also Tom Tagtraum über die nächsten 12 Monate hinweg – getreu dem Motto: Du musst Träumen ihre Entstehung zulassen, denn nur so kann irgendwann ein Teil davon auch Wirklichkeit werden.
Bertram Kazmirowski


Na? Neugierig geworden? Ihr glaubt ja nicht, was dem Tom alles passieren wird! In einem dunkelroten Zug fährt Tom einem vergangenen Traum nach; mit dem kleinen hellblauen Flugzeug bringt ihn Thomas, der Pilot, mitten im Schmuddelwetter auf eine Sonneninsel. Ob ein Oldtimer träumen kann, Herr MAY hinterm BACH wird es wissen. Tom wird in den Geschichten etwas reifer, ja erwachsener, besteht eine Aufnahmeprüfung für ein Spezialgymnasium, erfindet selber den unsichtbaren Schlittenlift, findet zu seinem Berg Überall und entdeckt in einem scheinbar wertlosen Stein im Gebirge das Geheimnis der Chemieformeln der Erde (und des Schulunterrichts). Sein kleines hellblaues Flugzeug bringt Tom in den Orient. Wundersame Schals schützen ihn in Zukunft vor Angina, nach einiger Beobachtung in Teppich-Manufakturen erkennt er, welche der Teppiche fliegen könnten und warum andere nie. Schließlich braucht’s in der Ferne eine Zauberformel, um eben den Inhalt des heimischen Sparschweins, praktischer Weise gleich in die Landeswährung „Korinthen“ gewechselt, aus einem orientalischen Geldautomaten klimpern zu lassen. Blieben vielleicht am Ende doch Zeitreisen? Mag Ferdinand, der verrückte Luftgraf, mit Nachnamen Zeppelin heißen; der stumme König Sissis Cousin Ludwig II. sein; Nick, der Astronom (Kopernikus) auf dem Domhügel heute noch zweifeln ob seiner deutsch-polnischen Doppelstaatsbürgerschaft. Nur, das wäre keine Geschichte, gäbe er Tom, der mit einem zinnoberroten Fährboot und signalrotem Flitzefahrrad mit Weitsprungfunktion ans baltische Meer zu ihm hinfuhr, nicht ein ganz verblüffendes Weltbild mit auf dem Weg, dies-zeits. Die Erde ist da gar keine Kugel mehr. Und erst die Graugänse, ist ihr Flügelschlag vielleicht der Endlosgedanke der Welt? Tom Tagtraum findet noch einmal zurück in die Märchen aus seiner Kindheit – in einem viertürmigen Schloss gibt es eine Ausstellung zur Entstehung eines Märchenfilms, der nun schon Generationen bewegt, weil, nun, man hatte damals einem Traum seine Entstehung zugelassen und er ist Wirklichkeit geworden! Das begreift auch Tom. Aus allerhand anderen, wundersamen Verkehrs- und Fortbewegungsmitteln entgleitet er dem Dichter in die Erwachsenenwelt, geradeaus,
auf einem stolzweißen Ozeandampfer.
Bliebe ein Epilog. Ich mag das Jahr ganz genau benennen, klar, wir haben’s Zweitausendännafännuffzig. Herr Tagtraum verweilt spazierstockgestützt im Park vor dem kleinen Theater. Auf dem Zifferblatt seiner Uhr reichen sich Juri Gagarin und Neil Armstrong die Hand, der Sekundenzeiger hängt schon seit Jahren. Und über der Stadt kreist ein allweis(s)es Sternenschiff. Herr Tagtraum ist glücklich auf seinem Weg nach Hause…
Und, immer noch neugierig ? Das Lesealter für diese Geschichten, nun, ich vermute, es verhält sich damit so wie mit der Klaviermusik der KINDERSZENEN op. 15 von Robert Schumann. Sagen wir ab 7 bis 107 Jahre. Aber wer weiß das schon so genau?
Tobias Märksch

Kapitel 1: Die quietschgelbe Straßenbahn
Stell dir vor, durch deine Stadt, dein Dorf oder wo immer du auch lebst, fährt eine quietschgelbe Straßenbahn. „Das gibt es hier alle Tage“, wirst du jetzt denken, lebst du, sagen wir in Ulm, Rostock, Prag, Breslau, Wien, Dresden, Budapest, Lissabon oder Bad Schandau. „Halt mal“, wirst du vielleicht erwidern, in meiner Stadt sind die Farben der Straßenbahnen aber gewitterblau, brombeerrot, pfefferminzgrün oder einfach nur reklamebunt zugeklebt. Ein simples „Kann ich mir lange vorstellen, ich müsste schon nach Görlitz, Berlin, Schwerin oder Amsterdam fahren, Krakau oder Barcelona, Lemberg oder Leipzig, um überhaupt mal Straßenbahn fahren zu können“ ist auch als Antwort zu erwarten. Gut. Alles gut und schön.
Aber unsere quietschgelbe Straßenbahn fährt jetzt gerade mitten durch die Straßen einer Stadt, in der es noch nie eine Straßenbahn gab. Schienen und Oberleitungen tauchen kurz vor der Bahn aus dem Nichts auf und verschwinden gleich nach der Durchfahrt wieder, ohne Spuren zu hinterlassen. Selbst wenn es Hochsommer sein sollte, trägt der Fahrer eine tannenbaumfarbene Pudelmütze zur gelb-silber karierten Uniform und als Krawatte hat er einen Plüschhering umgebunden.
Unsere quietschgelbe Straßenbahn wird nirgendwo halten und es gibt weder Weichen noch eine Endhaltestellenschleife. Einziger Fahrgast ist Tom Tagtraum. Zwei Sitze der Bahn sind noch mit seinem Schulrucksack und der Sportsachentasche belegt, ansonsten ist und bleibt die Bahn leer.
Das ist alles nicht möglich, magst du dem Erzähler jetzt sagen. Ja, sicherlich… Aber unsere Geschichte begann ja auch mit den Worten „Stell dir vor“. Also, stellen wir uns einfach vor, Tom Tagtraum ist auf Entdeckungsreise. Für das Weiterlesen wirst du eine gehörige Portion Fantasie brauchen und musst zulassen, dass Bilder in dir entstehen. Wenn du gern malst, dann nimm Stifte oder Farben zur Hand und mal was auf, wenn nicht, schneide aus alten Zeitschriften oder abgelegten Ansichtskarten etwas aus und klebe es auf einem Blatt Papier neu zusammen.
So werden aus Toms Träumen schon mal reale Vorstellungen in dir. Weißt du, es ist schließlich so, dass wir Träumen und Spinnereien in uns ihre Entstehung zulassen sollten, auch wenn es nur ein Teil sein wird, der sich irgendwann erfüllt und unserem Leben Sinn und Raum gibt. Und übrigens, so ganz nebenbei – dort, wo heute Straßenbahnen fahren, Flugzeuge landen, Züge durch Tunnel flitzen, Brücken kühn ihre Bahn schwingen durchs Meer, das Internet die ganze Welt in den kleinsten Raum bringen kann, Raumfähren starten, um das All zu erkunden, ja selbst da, wo so ganz unscheinbar ein wackeliger Holzsteg über einen Bach im Gebirge führt, gab’s erst mal Menschen, die wie Tom davon träumten. Mitunter teilte sich einer seiner erstaunten Umgebung mit. „Stell dir vor…!“, begann dann sein Satz und nicht selten wurde er ausgelacht und ein Tagträumer genannt. Nun, kannst du dir das vorstellen?

Tobias Märksch

Zum 80. Geburtstag von Prof. Ursula Sax

Ein Beitrag von Uwe Wittig, Radebeul

Im Frühjahr 2008 zeigte die Stadtgalerie des Kulturamtes Radebeul in einer Ausstellung „Fasten-und andere Tücher“ von Ursula Sax. Freilich waren es in erster Linie die berühmten Zittauer Fastentücher, von denen sie sich zu den farbenfrohen Arbeiten, vornehmlich aus Packpapier, inspirieren ließ. Auch überdimensionale mehrere Meter hohe Segel, scheinbar vom Sturm zerrissen, bei denen man in diesem Kontext durchaus an die Arche Noah denken konnte,waren zu sehen. Dass es also möglich ist, auch mit einfachsten Materialien ein so komplexes Thema wie Religion künstlerisch zum Ganzen zu bringen, davon konnte sich in den Wochen der Ausstellung auch ein breites Radebeuler Publikum überzeugen.
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Ein Jahr zuvor waren in der Dresdner Galerie Friesen übrigens auch Arbeiten von ihr zu sehen. „Numen“- also „Wink Gottes“- hieß die Ausstellung, in der auch eine kleine anrührende Arbeit zu sehen war-Christus am Kreuz- aus Packpapier. Später sollte sie noch viele Jahre in ihrem Radebeuler Atelierhaus zu sehen sein.

Nur ein Jahr später wurde in Radebeul der Skulpturenpark eingeweiht und war damit ein klares Bekenntnis von Stadtrat sowie Stadtverantwortlichen zu „Kunst im öffentliche Raum“ auch in der Stadt Radebeul.

Gestaltet wurde das Quintett bekannterweise von Radebeuler Kunstschaffenden entsprechend ihren eigenen künstlerischen Handschriften. Fast wie aus der anfangs genannten Ausstellung herausgenommen, dreht sich seitdem fünf Meter über dem Erdboden und an prominenter Stelle, Ursula Sax Beitrag: Ein großes „Sax- Gelbes“ Segel. Vielleicht kann dieser Beitrag animieren, dem Ensemble wieder einmal mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Einer großen Einzelausstellung in der Berlinischen Galerie 2010 folgt in Dresden ein weiteres großes Projekt: Sie bekommt 2012 das Angebot, für den neu entstandenen und nun überdachten Innenhof des Albertinums eine Plastik zu schaffen. Es entsteht „Raummesser UX 35“eine imposante, fein auf den besonderen Raum abgestimmte Installation. (V&R 07/2012)

Support erhielt sie im übrigen von Prof. Ulrich Eissner, seines Zeichens Dozent.für Theaterplastik an der HfBK Dresden und im übrigen der Schöpfer der herrlichen neuen Tier- Plastiken südwestlich des Robert- Werner Platzes in Radebeul-Ost.

Sicher war es kein Zufall, dass sich im April 2012 Hartwig Fischer in einem Beitrag der Wochenzeitung DIE ZEIT , der seine Ernennung zum neuen Generaldirektor der SKD beinhaltete, genau vor dem „Raummesser“ ablichten ließ.

„Gott und die Welt,- Werke von Ursula Sax für Zittau“ waren zu Beginn dieses Jahres in den Städtischen Museen Zittau zu sehen. Ein umfangreicher Werkblock, welcher wieder einmal mehr auch Themen wie „Glauben“ und „Verhüllen“ zum Inhalt hatte.

Arbeiten von ihr finden sich in privatem und öffentlichem Besitz, so z.B. in der Berlinischen Galerie,den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und nun auch Zittau. Die Städtischen Museen Zittau haben einige Werke der vielbeachteten Ausstellung erworben und an dieser Stelle schließt sich der Kreis, Fasten-und andere Tücher. Selbstredend finden sich auch im Depot der Städtischen Kunstsammlungen Radebeul Arbeiten von der Künstlerin.

Ursula Sax, einst Meisterschülerin bei keinem geringeren als Hans Uhlmann einem der bedeutendsten Bildhauer im Nachkriegs-Westdeutschland, gelangte nach dem Studium der Bildhauerei in Stuttgart und Berlin, nach vielen Jahren des freischaffenden Arbeitens und Gastprofessuren in Berlin und Braunschweig nach Dresden, wo sie 1993 als Professorin für Bildhauerei an die HfBK in Dresden berufen wurde. Auch nach ihrer Emeritierung im Jahre 2000 arbeitete sie wieder freischaffend.

Im Sommer konnte Ursula Sax ihren 80.Geburtstag feiern. Gesundheit ist ihr zu wünschen, Inspiration und Schaffenskraft. Die besitzt Ursula Sax allemal: Ihre erste Ausstellung im neuen Lebensjahrzehnt „Ursula Sax: Modell & Wirklichkeit/ Realisierte und nicht realisierte Projekte“ war vom 11.September 2015 bis zum 21. November 2015 in der Berliner Galerie Semjon Contemporary zu sehen.

Auch weniger reisefreudige werden die Gelegenheit haben die Ausstellung, zu der übrigens ein umfangreicher Katalog erschien, zu sehen: Vom 2.Dezember an bis zum 26.Februar 2016 im Gebäudeensemble der Deutschen Werkstätten Hellerau.

Die Arbeiten aus einem Zeitraum von 1950 bis 2015 stellen Zeugnisse einer Künstlerin dar, die uns in berührender Art und Weise unermüdlich und stetig zugleich teilhaben lässt, einen nun schon Jahrzehnte andauernden Schaffensprozess zu untersuchen.

„Eines meiner Charakteristika ist die Veränderlichkeit, diese Freiheit nehme ich mir“, sagte sie einmal. In jedem Fall ist dies auf die Fülle der verschiedensten Materialien zu beziehen, mit denen die Künstlerin Zeit ihres Lebens gustierte und arbeitete und so ein mannigfaltiges OEuvre schuf. Zur Vertiefung sei für den interessierten Leser an dieser Stelle auf das erst kürzlich im renommierten Kerber-Verlag erschiene Buch “SAX- Arbeiten 1956-2012“ verwiesen.

Aber auch Orts-Veränderungen sind für sie nichts Unpassendes: Genau neun Jahre hatte Ursula Sax in Radebeul ihr Schaffens-und Lebenszentrum, bis sie zu Beginn 2013 (wieder) nach Berlin ging.

In Radebeuls Mitte jedoch, hat Sie uns ein Souvenir dagelassen und ist doch gerade dadurch immer auch ein bisschen bei uns und wenn der Wind ihr großes Segel bewegt und es sich einem Spielzeug gleich „um sich selber dreht“, denkt sie vielleicht gerade in diesem Augenblick an ihre Schaffenszeit im sächsischen Radebeul.

Radebeul, im Oktober 2015

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