Stolzes Jubiläum!

Das traditionsreiche Radebeuler „Reformhaus Schreckenbach“ wurde vor 120 Jahren gegründet

Es gehört heute wohl eher zu den Seltenheiten der Geschichte des Handels, dass ein Familienunternehmen auf eine mehr als hundert Jahre andauernde erfolgreiche Geschichte zurückblicken kann. Ein solches Unternehmen aber ist in Radebeul seit nunmehr 120 Jahren ansässig. Gegründet wurde es 1896 von dem Drogisten Carl Schreckenbach, der im Geschäft fortan seiner Kundschaft Drogen, Farben, Chemikalien und Sämereien anbot. Darüber hinaus konnte man bei ihm auch Zigarren kaufen. Ohne größere Blessuren überstand das Geschäft das deutsche Kaiserreich, die Weimarer Republik, das nationalsozialistische 3. Reich und den DDR-Sozialismus (inklusive zweier Weltkriege). In der freien Marktwirtschaft angekommen, entwickelte sich das Reformhaus auf der Hauptstraße im Radebeuler Osten zu einem von seiner Kundschaft bestens reflektierten Einkaufsort. Dies alles geschah immer unter dem Namen Schreckenbach; beginnend mit dem Gründer Carl Schreckenbach (1858 bis 1930), dem Johannes Schreckenbach von 1945 bis 1993 (die Kriegszeit ausgeklammert) folgte. Er gehörte in der DDR zu den wenigen Privatunternehmern, die dafür aber die Macht des Staates besonders zu spüren bekamen. Sämtliche Vorhaben und Pläne zu einer Erweiterung bzw. Modernisierung des Unternehmens wurden verhindert. Erst nach der Wende von 1990/91 wurde eine Neuorientierung der Firmenpolitik überhaupt möglich.

Gründungsurkunde

Gründungsurkunde


Es war die Zeit, als der promovierte Mathematiker und Informatiker Dr. Roland Schreckenbach sich der Fortführung des Familienunternehmens annahm und es gemeinsam mit einer seiner Töchter (der gelernten Drogistin Christina Jende) in eine erfolgreiche Zukunft steuern wollte.
Christina Jende, die Chefin des Reformhaus Schreckenbach, im Kundengespräch

Christina Jende, die Chefin des Reformhaus Schreckenbach, im Kundengespräch


Christina Jende erhielt bereits im Jahre 1990 an der Fachakademie in Oberursel eine Lizenz als „Reformhaus – Fachberaterin“. Und unter dem Motto „Gesunde Lebensweise auf natürlicher Basis“ startete die Umgestaltung des Unternehmens, das unter der Leitung von Christina Jende im Jahre 1994 folgerichtig seine Pforten öffnete. Vier Jahre später kam als zweites Standbein ein Naturkostladen (unter der Bezeichnung „Pro natura“) auf dem Altkötzschenbrodaer Anger hinzu. Gleichzeitig entstand 2006 im Zuge der Umgestaltung der Hauptstraße der attraktive Einkaufsbereich „Paul-Große-Passage“, der sich als eine neue Möglichkeit der Kommunikation zwischen Verkäufern, Fachberatern und der Kundschaft bestens positionierte. Interessenten der Geschichte des Reformhauses können sich aus Anlass des 120-jährigen Jubiläums in einer Ausstellung über die wechselvolle Geschichte des Reformhauses informieren. Am 20. Mai 2016 gibt es zudem einen Tag der offenen Tür. Tags darauf – am 21. Mai – startet dann das Passagefest, das mittlerweile auch schon Tradition ist.

Wolfgang Zimmermann

Fotos (Zi)

Editorial 4-16

Die erste Frühlingssonne lockt die Groß- und Kleinwinzer wieder in ihre Weinberge. Der Rebschnitt will beendet sein, bevor der aufsteigende Saft die Stöcke bluten lässt.

Bluten muss der sächsische Weinbau in diesem Jahr wohl auch in artverwandter Weise. Immerhin überschattet seit Jahresanfang ein unschöner „Weinskandal“ die hiesige Kulturlandschaft. Vereinzelte Kleinwinzer im Raum Meißen, die ihre Trauben an große Weinbetriebe lieferten, verwendeten ein für den Weinbau nicht (mehr) zugelassenes Spritzmittel. Bei einigen anderen Obstkulturen kann es jedoch mit Rechtsgrundlage verwendet werden, sodass gar die eher unwahrscheinliche Spritzabdrift benachbarter Felder kolportiert wurde.

Der Tatbestand soll nichts Beschönigen, hingegen auch nicht der antizipierten Hysterie verfallen, wie es diverse Gazetten propagierten. Die Sache gehört aufgeklärt, fraglos und mit allen Konsequenzen! Immerhin geht es um den Ruf einer ganzen Gilde, die mit Herzblut seit der Wendezeit eine Renaissance der regionalen Weinkultur ermöglichten und mit all ihren Winzerhandschriften ganz individuelle vinophile Facetten erschuf.

Also, Augenmaß ist gefragt!

Radebeul hat in Hinblick auf die hiesige Weinbautradition in diesem Jahr immerhin ein kleines Jubiläum zu verzeichnen. Die traditionsreiche „Sektkellerei Bussard“ wurde vor 180 Jahren als „Actienverein zur Fabrikation moussierender Weine“ auf der Moritzburger Straße gegründet. Damit war sie die älteste sächsische und lange Zeit gar zweitälteste Sektkellerei Deutschlands. 1979 wurde die Produktion und einhergehende Namensrechte an Schloss Wackerbarth überführt, sodass das schon zu DDR-Zeiten unter Denkmalschutz stehende Gebäudeensemble seinem Zweck enthoben wurde. Nach langem Leerstand und Verfall beherbergt die aufwendig sanierte Anlage heute zahlreiche Wohnungen.

Sascha Graedtke

Mit Tom Tagtraum durch das Jahr 2016

Du musst Träumen ihre Entstehung zulassen, denn nur so kann irgendwann ein Teil davon auch Wirklichkeit werden.

Kapitel 3:

Zur Insel Golanzkanafuetenero

Es muss ein Jahr gewesen sein, in dem 13 Monate hintereinander November hießen. Und nicht mal solche ruhigen November, wie wir sie vielleicht mit Spaziergängen auf ockerbuntem Lärchennadelteppich, Drachensteigen und bei heißem Holunderbeersaft angenehm in Erinnerung haben, sondern jene, für die der arme Monat oft als schlechter Vergleich herhalten muss: Nebel, Sturm über Stürme, Nasskälte und peitschender Regen, ein Gefühl, als ob der alte Friedhof noch der lebendigste Ort weit und breit wäre. An solch einem Tag, es mag noch nicht der 35., vielleicht der 34. aber ganz bestimmt schon der 33. November sein, verlässt Tom Tagtraum ganz früh das Haus. Seine quietschgelbe Straßenbahn bringt ihn im müden Tempo zum noch leeren, auch längst noch nicht ausgeschlafenen dunkelroten Zug, und als der seine Fahrt in einem Tunnelterminal beendet, wartet zwei Etagen darüber schon Toms kleines, hellblaues Flugzeug. Über eine schmale Leiter klettert Tom mit seinem Gepäck hinauf, Thomas, der Pilot, grüßt ihn mit Handschlag und Schulterklopfen. Wie nur lassen wir den Piloten Thomas aussehen, nach der doch so ulkigen Verkleidung des Fahrers der quietschgelben Straßenbahn? An dieser Stelle fallen dem Erzähler zwei Möglichkeiten ein: Entweder ein Flugkapitän alter Schule in dunkelblauer Uniform, mit Schirmmütze und vier goldfarbenen Ärmelstreifen oder eine Art Comicfigur in einer zum Flugzeugmodell umgeschmiedeten Ritterrüstung mit einer Amtskette aus lauter Schlagsahne-Windbeuteln um den Hals. Es stünde die Frage, ob Tom eine Reise als Beinahe-Diplomat anträte in ein gediegenes Hotel nach Paris, New York, Moskau oder Brüssel, oder eher nach Fantasialand, dorthin, wo alle Comics ihr Zuhause haben. Aber unsere Frage erübrigt sich. Durch die Fenster des Flugplatzcafés ist trotz des Morgendunkelgraus nicht nur zu erkennen, wie Tom im kleinen, hellblauen Flugzeug verschwindet, sondern auch wie Thomas, der Pilot, in Jeans und Kurzarmhemd die Tür verschließt. Noch ehe eine weitere Tasse Kaffee bestellt ist, saust der kleine Flieger auch schon los und ist schnell mit Tom Tagtraum über all den Grauwolken in die Morgensonne aufgestiegen. Tanja, die Stewardess, bringt Tom einen Schokoladeneisbecher mit vielen Früchten, Schlagsahne, Himbeerstreuseln, Quittensirup und Vanillewaffel. Fort geht’s aus dem Novembergrau zur Sonneninsel Golanzkanafuetenero.

Diesmal ist Tom längst nicht der einzige Gast, der auf dem Flugplatz der Sonneninsel landet. Massen von Menschen warten auf ihr Gepäck, drängeln sich in der Ankunftshalle, warten, bis sie zu den Taxis und Bussen können, die sie in ihre Ferienhotels bringen sollen. Aber Tom weiß längst, wo sich sein Zimmerchen auf der Sonneninsel befindet, gleich hinter den zwei Bergen am Ende der Meeresbucht ist es. Aus dem Handgepäck holt er seine mausgrauen Meilensprung-Stiefeletten, die, mit einem zusätzlichen, riesig-stahlschwarzen Hufeisenmagneten versehen auch gleich seinen großen Reiserucksack aus all den Gepäckmassen ziehen. Schritt-Sprung-Schritt-Sprung-Sprung. Schon blickt Tom vom Balkon seines Zimmerchens aufs Meer, und als dann noch ein geheimnisvolles Geräusch wie pengknatterdieuff-uff zu vernehmen ist, liegt das große Tom-Abenteuer-Notizbuch auf dem Tisch, sind alle T-Shirts, Schlüpfer, Shorts und Sandalen im Schrank verstaut, steht das Waschzeug im Bad in Reih und Glied und sein Handy tankt Strom an der Steckdose. Das dies alles in bester Ordnung geschah, wird Tom später feststellen, denn längst schwimmt er im Meer, springt in die kleinen Wellen, taucht über den sandigen Grund, lässt sich in der Sonne trocknen, rennt den Strand auf und ab… Wie hatte doch gleich der Tag heute begonnen?
Nun, sein kleines Flugzeug in Hellblau wird die nächsten Tage etwas verschlafen sein, wie die quietschgelbe Straßenbahn und der dunkelrote Zug am Morgen. Termine hin und Schulferien her, ein Weile wird Tom auf der Sonneninsel Golanzkanafuetenero bleiben, bevor er wieder die mausgrauen Meilensprung-Stiefeletten hervorholt, um vom Ende der Seebucht über die zwei Berge zurück zum Flugplatz zu gelangen. Schließlich gibt es auch etwas, das ihn immer wieder nach Hause zieht.

Tobias Märksch

Das Mittelalter lässt grüßen: der Hohlweg bei Constappel

Wanderfreund Thomas Gerlach

Wanderfreund  Thomas Gerlach

Autor Dietrich Lohse

Autor Dietrich Lohse    Foto: D. Lohse

Meine Ausflüge im vergangenen Jahr in die linkselbischen Täler zum Finden von Titelbildmotiven für unser Blatt – es waren mehr als 12 Fahrten, denn nicht jedes fotografierte Gebäude wurde dann ein Titelbild – brachten mir über die Bilder hinaus Freude und auch Erkenntnisgewinn. Wenn man mich vorher zum anderen Elbufer gefragt hätte, hätte ich sicherlich geantwortet: kenn ich doch alles! Aber so war es nicht, es gab auch für mich noch einiges Neues zu entdecken.
Im Frühjahr 2015 wollte ich dann das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Ich erinnerte mich an einen Wandertag als Achtjähriger mit der Schulklasse ins Saubachtal, eine gemischte Erinnerung mit Fassbrause und einem aufgeschrammten Knie. Nun wollten wir unserer Enkelin Priska (7 Jahre), die in ihren Ferien in Radebeul war, ein ähnliches Erlebnis mit Saubachtal und Neudeckmühle bieten. Das Wetter spielte mit, die Mühle wurde dann zwar kein Titelbild aber hatte als Gaststätte geöffnet, so dass der familiäre Halbtagsausflug auch als Erfolg verbucht werden konnte. Unser Rückweg führte über das Hochland, Kleinschönberg und zurück nach Constappel, wo ich das Auto geparkt hatte. Der Weg ging lange recht eben dahin, senkte sich dann aber steil und plötzlich in die Weitung des Elbtals von Constappel und Gauernitz. Der wohl selten begangene Weg war auf der Gefällestrecke im Wald zunächst tief eingeschnitten und gliederte sich am Hangfuß in mehrere Spuren auf – war das ein alter Hohlweg, etwa ein vergessener Handelsweg? Da er in keiner Weise beschrieben oder beschriftet war, wollte ich zu meiner Vermutung noch mal einen Fachmann fragen.
Es sollte Herbst werden, genauer gesagt der 4. November 2015, bis wir, mein Freund Thomas Gerlach (langjähriger Mitarbeiter im Landesamt für Archäologie) und ich (ein paar Jahre mit zuständig für Denkmalschutz in Radebeul), uns zu einer kleinen Wanderung zu o.g. Hohlweg aufmachten. Außer Fotoapparat und Notizblock brauchten wir keine weitere Ausrüstung und die Neudeckmühle erreichten wir auch nicht, sonst säßen wir vielleicht noch beim Biere – kleiner Scherz! Ohne Umschweife näherten wir uns dem mit Laubwald bewachsenen Steilhang zwischen Saubach und Prinzbach. Wir querten eine Weide, aber ab dem Waldrand stieg dann das Gelände leicht an. Hier waren etwa vier oder fünf sich verzweigende, parallele und flacher (seitlich 0,5 – 2m Böschungen) ausgefahrene Wegespuren im herbstlich lichten Wald zu erkennen. Es gibt mehrere Erklärungen für solche Spuren, sagte mein Freund: erst mal muss es das Geländeprofil zulassen, dann wäre es möglich, dass der Wegabschnitt unpassierbar geworden wäre und die Fuhrwerke eine neue Spur finden und einfahren mussten oder dass ein Wegepaar absichtlich eine Ausweichspur für entgegen kommende Fuhrwerke bilden sollte. Neben einer der Spuren fanden wir den Forststein 44 mit dem auch eine Lagedefinition dieses Bereiches möglich ist. Da, wo sich die Spuren zu einem Strang bündelten, änderte sich das Geländegefälle deutlich und nach ein paar Schritten bergan schnauften wir hörbar. Der Hohlweg hatte einen schrägen Verlauf im Steilhang eingeschlagen und ist hier besonders tief eingeschnitten, etwa zwischen 1,5 und 3,5m. Eine Begegnung zweier Fuhrwerke war hier in grauer Vorzeit nicht möglich, sie hätte unweigerlich zu einem Unglück geführt. Um dem vorzubeugen, musste der von Oben kommende durch Rufen, Klatschen oder ein Hornsignal sein Kommen ankündigen und der Untere musste warten bis die Engstelle (etwa 200m) frei war. An diesem Bereich der Wegstrecke wird uns auch klar, wo die Bezeichnung Hohlweg oder Hohle herrührt – der Weg wurde über die Jahrhunderte durch die schweren Räder von Fuhrwerken eingegraben, bzw. ausgehöhlt. Zwischen den Weiden unten und Feldern auf dem Hochland mussten ca. 80m Höhe überwunden werden. Oben angekommen erkennen wir, dass der Weg nun einen geraden, nahezu ebenen Verlauf zwischen Feldern annimmt. Hier, als Feldweg von Kleinschönberger Bauern benutzt, ist er ganz sicher über die Zeit sicher mehrfach planiert oder befestigt worden. Der Hohlweg dagegen ist, seit die alte Nutzung aufhörte, unbearbeitet geblieben und bildet so ein Zeugnis für einen mittelalterlichen Weg. Ja, Thomas Gerlach ist sich auch recht sicher, dass diese sich deutlich von heutigen Straßen unterscheidende Hohle wohl schon im 12. oder 13. Jahrhundert existiert haben könnte. Eine Verbindung mit der Via Regia und der auch sehr alten Salzstraße auf dem Hochland der rechten Seite der Elbe kann ausgeschlossen werden. Eher könnte unsere betrachtete Hohle eine Verbindung mit der Silberstraße haben oder allgemein ein örtlicher Handelsweg sein, der auf eine Elbfurt bei Gauernitz zielte. Wenn wir aber wissen, dass die alte Nikolaikirche von Constappel (heutige Kirche von 1882-85 errichtet) im 11. Jh. gegründet wurde und vom Mittelalter bis ins Spätmittelalter als Wallfahrtskirche diente, kann noch ein anderer Zusammenhang zum Hohlweg vermutet werden: unsere Straße wäre ein auch befahrener Pilgerweg über Freiberg, Tharandter Wald und Constappel, ein Abzweig der Frankenstraße. Vielleicht ist aber eine viel näher liegende Entstehung, bzw. Nutzung der Hohle zutreffend, die mit einer nicht mehr existierenden Mühle am unteren Saubach (etwa da, wo jetzt die großen Rinderställe stehen) zusammenhängt. Kleinschönberger Bauern könnten im Mittelalter durch einen Mahlzwang an diese deutlich tiefer liegende Mühle als z.B. die Lehmann- oder die Neudeckmühle gebunden gewesen sein. Solch einen Mahlzwang konnte man früher nicht umgehen! Und schwere Bauernwagen mit Korn oder Mehl graben sich über Jahrhunderte an solchen Stellen auch tief ins Erdreich ein. Damit sind ein paar historische Möglichkeiten genannt, die einzeln oder auch im Zusammenwirken hier zu einer Hohle geführt haben könnten – wir können aber derzeitig keine favorisieren.

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Herbstlicher Hohlweg Foto: D. Lohse

Heute mögen wir uns fragen, warum mittelalterliche Straßen solche Steigungen überwinden mussten und meist nicht in den Tälern längs von Bächen und Flüssen verliefen. Enge Täler, unregulierte Flüsse und periodische Überschwemmungen hinderten mittelalterliche und auch spätere Fuhrleute daran, hier ihren Weg zu nehmen. Unglücke wären auch da die Folge gewesen. Erst viel später, wohl im 19. Jahrhundert, wurde im Prinzbachtal die Straße nach neuzeitlicher Art angelegt und der Weg durch die Hohle hatte sich seit dem erübrigt. Es gibt in Deutschland und auch in Sachsen noch ein paar vergleichbare, alte Hohlwege, sofern diese Strecken nicht durch breitere, moderne Straßen überbaut wurden. Abschnittsweise ist die alte Radeberger Straße nahe der Heidemühle, bzw. der Kuhschwanzweg (beide Dresdner Heide) noch als Hohlwege zu erkennen. Ein anderer Hohlweg bei Bobritzsch, OT Naundorf wird im aktuellen sächsischen Heimatschutzkalender beschrieben. So eine Hohle, wenn sie unverbaut erhalten ist, sollte von uns auf jeden Fall geschützt und weiter als stilles Denkmal oder auch als Naturdenkmal erhalten werden. Unsere Hohle ist kein ausgewiesener Wanderweg, aber man darf sie natürlich begehen, vorausgesetzt man hat gesunde Beine und festes Schuhwerk. Wir erkennen in solch einer Hohle ein verkehrsgeschichtliches Denkmal, uns tut sich mit etwas Fantasie ein überraschendes Fenster ins Mittelalter auf.
Es sollte aber bitte keinen Streit geben, wer für dieses Denkmal, was gerade die Schnittstelle der Bearbeitungsgebiete der Institutionen Archäologie und Denkmalpflege bildet, mehr zuständig ist, aber wahrscheinlich haben ja Naturschutz und Forstwirtschaft auch ein Mitspracherecht, denn auch der Wald sollte an dieser Stelle möglichst erhalten bleiben, ein Kahlschlag mit der Supertechnik Harvester wäre eine Katastrophe für die Hohle. Insofern war die Zusammensetzung der kleinen Wandergruppe geradezu symptomatisch, wie ich glaube.

Dietrich Lohse

Reger Zuspruch und lebhafte Diskussion

Zur Jahresmitgliederversammlung von „Radebeuler Monatshefte e.V.“

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Eine mit Verspätung beginnende Vereinsversammlung des „Radebeuler Monatshefte e.V.“ ist für unsere langjährige Vorsitzende Ilona Rau kein Grund zur Besorgnis, denn erstens gab es das früher gelegentlich auch schon und zweitens wurde es noch nie als Problem empfunden, warum auch, wir sind ja ein entspannter Verein. Eine Jahresversammlung, der zwischendrin die Getränke auszugehen drohen, ist aber eines, und das gab es bislang noch nie! Denn abgesehen davon, dass Durst kein guter Tischgenosse ist, rechnen wir es uns als Vorstand und Redaktion von „Vorschau und Rückblick“ seit jeher zur Ehre an, alle Vereinsmitglieder und interessierte Gäste, die sich wie jüngst am 5. Februar an einem regnerischen, nasskalten Abend in die Stadtgalerie Radebeul begeben, reichhaltig und gediegen zu bewirten. Allein, wir hatten dieses Mal die Rechnung zwar nicht ohne den Wirt – denn das waren ja wir selbst – aber ohne die Gäste gemacht, die zu unserem Staunen, ja, zu unserer Verblüffung unerwartet zahlreich erschienen, weshalb auch noch die Tafel verlängert, Stühle hinzugestellt und – natürlich – später am Abend dann auch noch einmal die Vorräte an Flüssigem aufgestockt werden mussten. (Am Ende waren es um die 30 Personen, auf die die sehenswerten Porträts Radebeuler Künstler der Fotografin Gabriele Seitz von den Wänden herabblickten.) Nun gibt es für einen Verein weitaus Unangenehmeres als guter Zuspruch seitens der Mitglieder und neugieriger Gäste, und so sei an dieser Stelle allen herzlich gedankt, die wir an diesem Abend erstmals bei uns begrüßen durften und die nicht nur durch ihre Anwesenheit, sondern vor allem durch ihre klugen Gedanken und wohlmeinenden Hinweise die Diskussion bereichert haben. Diskussion? In einer Vereinsversammlung? Waren etwa Rechenschaftslegung und Kassenbericht zu beanstanden? Wurde der Vorstand nicht entlastet? Nein, das nicht, die routinemäßigen Amtshandlungen sorgten nicht für Bewegung. Vielmehr zeigte sich im Anschluss daran einmal mehr, was Redaktion, Verein und Leserschaft wirklich zusammenhält: die Leidenschaft für Radebeul. Denn anders als in anderen Vereinen (und – zugegeben – auch bei uns ab und an in der Vergangenheit) mäandrierte die Diskussion nicht nur gefällig um Schnittchen und Schlückchen, sondern bezog die gesamte Runde über mehr als eine Stunde intensiv mit ein. Schuld daran war der aktuelle Zustand des Museums Hoflößnitz, der vielen ganz persönlich zu schaffen macht. Innenansichten einer Anwohnerin und früher an der Gestaltung der Weinbaugeschichte Beteiligten lieferte Elisabeth Aust; kritische Gedanken zur Relevanz des Museums für Schulklassen im Vergleich zur viel kleineren Coswiger „Karrasburg“ äußerte Ilona Rau als ehemalige Mitarbeiterin in der Hoflößnitz; um Verständnis für die Interessen der Stadt und ihre wirtschaftliche Sicht auf die Weingut-GmbH warb Stadtrat Frank Thomas; eine den Besuchern mit Herzblut, Offenheit und Freundlichkeit zugewandte Museumspolitik forderte Stadtrat (SPD) und Schauspieler Herbert Graedtke; für bessere finanzielle Ausstattung des Hauses und größeren Bewegungsspielraum der beiden in der Nachfolge der ausgeschiedenen Leiterin Dr. Giersberg seit 2015 angestellten Museumsmitarbeiter Hendrikje Loof und Frank Andert sprachen sich mehrere Redner aus. Konsens bestand darin, dass allen die „Hoflößnitz“ – und damit ist weniger die GmbH als vielmehr das Weinbaumuseum gemeint – als so zentral für die Identität Radebeuls gilt, dass eine transparente, an den Besucherinteressen orientierte und der historischen Bedeutung des Hauses gerecht werdende Konzeption dringend bei der Stadtverwaltung angemahnt werden muss, damit die ohnehin schon geschrumpfte Attraktivität des Ortes nicht noch weiter Schaden nimmt.
Die „Vorschau“ versteht sich ja als Podium für kulturvollen Meinungsaustausch und konstruktive Diskussion der Radebeuler Stadtgesellschaft – und räumt deshalb sehr gern Beiträgen von Entscheidungsträgern in Sachen Hoflößnitz Platz ein…

Für die Redaktion
Bertram Kazmirowski

„Wer guckt so, als hätte er keine Freude am Hoffest?“

Eine neue Ausstellung im Coswiger Museum Karrasburg entführt in die filigrane Welt der Zinnfiguren

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„Die Geburt Jesu“                        Foto: W. Zimmermann

Der gesamte sächsische barocke Hofstaat gibt sich derzeit in Coswig die Ehre. Natürlich nicht leibhaftig, denn zwischen der Ära des Barock und der Gegenwart liegen bekanntlich einige Jahrhunderte. Doch es gab immer schon künstlerisch ambitionierte Menschen, die bestimmte Epochen der Menschheit künstlerisch nachbildeten. In Holz, Glas, Ton und auch in Zinn. Aus dem letztgenannten Material entstanden einst Zinnfiguren, die unserer Gegenwart ein umfassendes detailliertes Bild der verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte hinterließen. Im aktuellen Fall ist es eine Fülle von Zinnfiguren, die in einer Ausstellung seit dem 22. Januar 2016 im Coswiger Museum Karrasburg gezeigt wird. Zinnfiguren gehörten einstmals zu besonders begehrten Sammelobjekten. Doch der in Zwickau gebürtige Helmut Peipp – der Schöpfer der derzeit im Museum Karrasburg ausgestellten zahllosen Zinnfiguren – siedelte seine filigranen Kunstwerke in verschiedenen Kunstepochen an. In der konkreten Ausstellung aber überwiegt die Ära des Barock. Und den Besucher erwartet eine Fülle von wunderbaren Arbeiten aus dem Werkstoff Zinn. So wie z.B. in der Miniatur „Nymphenbad“, in der sich nackte Badenixen präsentieren. Oder wie in der Darstellung der „Weihnachtsgeschichte“, die eine Vielzahl der in das Geschehen verquickten Figuren zeigt. Von Eseln, Schafen und Kamelen bis hin zu den Hirten, den Mägden und den Bauern, die das Wunder der Geburt Jesu erleben durften.

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„Nymphenbad“                                              Foto: W. Zimmermann

Auch von anderen historisch wahrhaftigen oder auch erfundenen Ereignissen erzählen die Zinnfiguren von Helmut Peipp. Von zahllosen Kriegen, von Dämonen und Gespenstern aber auch von der Jagd auf wilde Tiere berichten die einzelnen Figurengruppen sehr detailliert. Und dazu gehört nicht zuletzt auch die Darstellung eines rauschenden Fest am Hof des sächsischen Königs. Dort feiert man ein Hoffest, bei dem von den geladenen Gästen die gute Laune geradezu eingefordert wird. Die Frage „Wer guckt so, als hätte er keine Freude am Hoffest?“ ist in dem Zusammenhang durchaus ernst gemeint.
Die Ausstellung zu besuchen lohnt auf jeden Fall. Man taucht unwillkürlich ein in eine Epoche, die längst schon Geschichte ist. Die uns aber auch heute noch berührt.

Wolfgang Zimmermann

Noch bis Mitte April 2016 ist die Ausstellung zu besichtigen.

 

„Mit der Elbe leben – Hochwasserschutzmaßnahmen in Radebeul“

Das Leben am Fluss und mit dem Fluss hat seine besonderen Reize und Herausforderungen. Mehrmals hat sich die Elbe seit der Jahrtausendwende bemerkbar gemacht, und wenn wir die Zeitungen aufschlagen, lesen wir immer wieder einmal von der noch nicht bewältigten Abarbeitung der letzten Flutschäden. Besonders hat sich die Flut des Jahres 2002 in das kollektive Gedächtnis eingeprägt. Damals hatte am 12. August ein Genua-Tief mit dem Namen „Ilse“ für in Dresden gemessene 126,9 Liter Niederschläge gesorgt. Im gesamten Einzugsbereich von Elbe und Mulde und ihren Nebenflüssen waren die Rekordstände früherer Jahrhunderte – insbesondere von 1845 – bald überschritten, suchte sich das Wasser überall seine früheren Lebensräume zurück. Erst ab dem 25. August stabilisierte sich die Lage, der Wasserspiegel begann zu sinken.

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Hochwasser an den Streuobstwiesen in Altkötzschenbroda im Juni 2013               Foto: J. Kuhbandner

Mit der Solidaritätswelle der Helfer begann zugleich das Fragen der Betroffenen nach Versäumnissen und notwendiger Schutzerweiterung. Noch waren viele der geplanten Maßnahmen nicht umgesetzt, als vom 2. bis 9. Juni 2013 ein neues Hochwasser weit über Sachsen hinaus an die Notwendigkeiten erinnerte.

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Blick in die Gasse neben der Friedenskirche                       Foto: J. Kuhbandner

Der Verein für Denkmalpflege und neues Bauen in Radebeul möchte den Stand der Planungen und durchgeführten Maßnahmen am Freitag, 18. März 2016, um 19.30 Uhr einer breiten Öffentlichkeit vorstellen. Es ist gelungen, Herrn Heinz Gräfe, Geschäftsführer der Landestalsperrenverwaltung des Freistaates Sachsen, als Referenten zu gewinnen. Herr Gräfe lebt seit September 1993 in Sachsen und war nach 2002 als Abteilungsleiter des damaligen Landesamtes für Umwelt und Geologie für die Errichtung des Landeshochwasserzentrums zuständig. Seit August 2008 war er Leiter der Präsidialabteilung des neu gebildeten Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie. Am 3. August 2015 übernahm er das Amt des Geschäftsführers der Landestalsperrenverwaltung.
Die Landestalsperrenverwaltung hat von 2002 bis 2015 mehr als 2 Milliarden Euro in die nachhaltige Schadensbeseitigung an Fließgewässern sowie in den präventiven Hochwasserschutz investiert. Bis 2020 sind weitere Investitionen in Höhe von 500 Millionen Euro vorgesehen. In Radebeul hat zuletzt insbesondere die Planung im Bereich von Kötzschenbroda für Debatten gesorgt.

Im Namen des Vereins
Dr. Jürgen Rainer Wolf

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18.3.2016, Kulturbahnhof Radebeul-Ost: Vortrag von Heinz Gräfe

Editorial 03-16

Editorial

„In wenigen Wochen verlasse ich diese Behörde, und dann gibt es für mich vielleicht ein Leben ohne Stasiakten. Auch keine schlechte Perspektive“. Das ist der letzte Satz für mich
im Theaterstück „Meine Akte und ich“.
Aber was kommt dann? Diese Frage steht nicht nur bei mir an. Viele von Ihnen haben diesen Wechsel im Leben bereits hinter sich und könnten mir jetzt darauf antworten.
„Dann hat man gar keine Zeit mehr“, oder „ langweilig wird es nie, wenn man noch andere Interessen hat“, oder, oder, oder…
Einen Schwerpunkt, das weiß ich ganz genau, setze ich zu Beginn meines Rentnerinnendaseins: Ich räume endlich mal „richtig“ auf. Und ich freue mich darauf. Schon im Büro Ordner durchzusehen und gegebenenfalls der Silbertonne übergeben zu können, hat etwas ungemein Befreiendes. Wie wird es erst, wenn ich mir Schränke, Kästen und Regale, den Boden, den Keller und den Schuppen vornehme. Einige werden jetzt lachen und sagen, da hat sie sich ja viel vorgenommen. Richtig, habe ich. Und die Gefahr, sich zu übernehmen, besteht schon.
Schwierig wird es bei der Frage: Wohin mit den Dingen, die ich selbst nicht mehr brauche, die zum Wegwerfen aber zu schade sind? Die Kinder lehnen ja meistens ab. Freunde, Verwandte, Bekannte kann man fragen, aber auch da findet sicher nur Einiges Anklang. Kleidung ist gut ans DRK weiterzugeben. Tja, aber alles Andere?
Vielleicht mach‘ ich es mal so, wie die Schweden: Loppis, d.h. Flohmarkt am Haus. Überall ist das dort verbreitet und findet regen Zuspruch. So gehen noch viele nützliche Dinge für wenig Geld von Hand zu Hand. Das wäre doch für alle eine gute Lösung.

Ilona Rau

Künstlerporträts und Atelieraufnahmen

von Gabriele Seitz in der Stadtgalerie Radebeul

Im Eigenverlag der Radebeuler Fotografin Gabriele Seitz erschien 2015 die Publikation „Dresdner Künstler im Blick“. Das umfangreiche Kompendium beinhaltet Aufnahmen von 207 Künstlern aus Dresden und Umgebung. Stark vertreten ist darin die Radebeuler Künstlerschaft, was zur Überlegung führte, deren Porträtfotos als separate Kollektion in der Radebeuler Stadtgalerie auszustellen.

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Die Fotografin Gabriele Seitz und die Kunsthistorikerin Anna Schinzel (v.l.n.r.) Foto: Sylvia Preißler

Geboren wurde Gabriele Seitz 1951 in Furth im Wald. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Bayern. Sie studierte Wirtschafts-, Sozial- und Religionspädagogik. Nach Radebeul hatte es sie 1996 verschlagen, wo sie den örtlichen Kunstverein mitbegründete, in dessen Vorstand sie bis heute aktiv tätig ist.

Ausstellungs- und Atelierbesuche mit dem Radebeuler Kunstverein regten Gabriele Seitz zum Fotografieren an. Ihre sensiblen Aufnahmen wanderten von Hand zu Hand. Schon bald wurden verschiedene Institutionen auf die begabte Autodidaktin aufmerksam. Es folgten Ausstellungen und Aufträge. Der Durchbruch war geschafft. Das lange Verzeichnis von Einzel- und Ausstellungsbeteiligungen spricht für sich.

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Sabine Kowollik (Flöte) und Claudia Schreiter (Akkordeon) zur Ausstellungseröffnung                                   Foto: Sylvia Preißler

Als Sozial- und Religionspädagogin lag es natürlich nahe, dass sie zunächst bestimmte soziale Gruppen wie Ausländer, Kinder, ältere und behinderte Menschen fotografierte. Die Aufnahmen von Künstlern entstanden wohl eher beiläufig. Dass daraus einmal ein Fotobuch werden würde, war anfangs kein Kalkül.

Gabriele Seitz fotografiert mit einer analogen Kleinbildkamera. Sie verzichtet auf fotografische Raffinessen. Die Aufnahmen wirken nicht inszeniert. Das Licht ist natürlich. Die Reduktion auf Schwarz-Weiß verstärkt die Konzentration des Betrachters auf das Wesen der dargestellten Persönlichkeiten. Eine interessante Ergänzung zu den Porträtfotografien bilden die Atelieraufnahmen. Sie zeigen den Künstler in seinem Arbeitsumfeld, zu dem das Publikum heutzutage nur noch selten Zugang hat.

Die in der Stadtgalerie ausgestellten Aufnahmen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und repräsentieren nur einen Teil der Radebeuler Künstlerschaft. Die Auswahl lag im Ermessen der Fotografin und bedingte natürlich auch die Bereitschaft der Künstler, sich fotografieren zu lassen.

Schon allein die Tatsache, dass Gabriele Seitz diese fotografische Dokumentation im eigenen Auftrag und auf eigene Kosten im Eigenverlag herausgegeben hat, verdient große Anerkennung und soll nicht zuletzt auch mit dieser Ausstellung gewürdigt werden.

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Besucher im anregenden Gespräch zur Eröffnungsfeier am 29.Januar                                                   Foto: Sylvia Preißler

Es ist ein großes Glück, dass es immer wieder Menschen gibt mit Mut zum Risiko, ohne lange abzuwägen, ob es für sie zum persönlichen Vorteil oder Nachteil gereicht. Leise und beharrlich machte sich Gabriele Seitz ans Werk. Im Verlaufe von Jahren entstand Aufnahme um Aufnahme sowohl aus Liebe zur Fotografie, als auch aus Liebe zu den Künstlern. Die wunderbaren Porträtaufnahmen von Werner Wittig, Dieter Melde und Horst Hille wären heute nicht mehr möglich. Ja, manchmal ist es eben sehr wichtig, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und dann auch noch das Richtige zu tun.

Wer etwas mehr über die dargestellten Künstler erfahren möchte, findet im ausliegenden Fotobuch Künstlerbiografien und beschreibende Texte von Heinz Weißflog. Dieses und drei weitere Fotobücher von Gabriele Seitz können während des Ausstellungszeitraumes in der Stadtgalerie käuflich erworben werden.

Karin Baum

Die Ausstellung „face to face“ ist bis zum 6. März 2016, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Sonntag von 14 bis 18 Uhr geöffnet.

Mit Tom Tagtraum durch das Jahr 2016

Du musst Träumen ihre Entstehung zulassen, denn nur so kann irgendwann ein Teil davon auch Wirklichkeit werden.

Kapitel 2:

Der Traum vom dunkelroten Zug

Wie viele Sommerferien mag das nun schon her sein? Oder war es doch das Jahr, bevor Tom in die Schule kam? Jedenfalls beginnt diese Geschichte an einem sonnigen, heißen Sommerferienurlaubstag. Tom war mit seinem Vater Gerd für einige Tage in ein etwas merkwürdiges Gebirge verreist, wo Wanderwege durch Bäche und Aufstiege unter Wasserfällen hindurch führen. Es gab viel zu entdecken, gerade weil sich manch schöne Aussicht, ein stiller See, die geheimnisvolle Klosterruine oder das ein bissel verwunschen erscheinende Gasthaus erst nach längeren Fußtouren darboten. Tom und sein Vater frühstückten jeden Morgen zeitig, aber kräftig, in ihrer Pension, schnürten die Wanderstiefel, hatten im Rucksack ausreichend Proviant für den ganzen Tag, den Regenumhang verstaut und liefen alsbald frisch drauflos in die Natur. Wie gesagt, es war heiß an diesem Tag und weil die beiden schon vor dem Mittag in der Nähe einer Eishöhle im Felsen waren, beschlossen sie spontan eine Besichtigung. Tatsächlich hielten sich in dieser Felsenhöhle Eis und Schnee das ganze Jahr. Besucher kamen von überall her, bezahlten oben an einem Holzhäuschen Eintritt, wurden in kleine Gruppen eingeteilt, bekamen eine Höhlenführerin zugewiesen, die meist gleich mehrere Sprachen beherrschte und los ging der Rundgang in den Tiefen des Berges. Die Höhle war auf dem Besichtigungsweg sogar verschiedenfarbig mit Scheinwerfern erleuchtet und so strahlten die Zapfen, Klumpen, eckigen, runden, regelmäßigen oder eher bizarren Gebilde aus Eis auch noch in den unterschiedlichsten Farben. Es war eine unwirkliche Welt dort unten. Hätte nicht die freundliche Höhlenführerin etwas von Geologie, Erdzeitaltern, Verwitterung, Temperaturen und Bewegungen im Eis erzählt, so wäre aus Tom vielleicht ein Kai geworden. Kai, Gerda neben sich im Reich der Schneekönigin. Von Anfang an erinnerte ihn die Eishöhle an eben diese Geschichte eines Dichters aus dem Norden.

Als Tom und Vater Gerd nach dem eisigen Rundgang wieder im heißen Sommertag angekommen waren, wollten sie den Nachmittag noch beim Baden in einem nahen Stausee verbringen. Am Kiosk dort gab es Kuchen und Limonade, gleich hinter dem Bootsanleger startete eine Sesselliftbahn den Berg hinauf, Tom planschte, tauchte und schwamm mit seinem Vater im Stausee. Erst beim Abtrocknen fiel im auf, drüben, am anderen Ufer verliefen Gleise einer Eisenbahn entlang und bald darauf fuhr auch schon ein Zug vorbei. Nein, nicht vorbei. Längs des Sees wurde der lange Zug mit seinen dunkelroten Wagen langsamer, bis er an einer kleinen Bahnstation anhielt. Nur ein paar Leute stiegen aus, es schien, als müssten Sie geradeaus blicken, also über den Stausee direkt in das herrlich zerklüftete Gebirge. Wie das wohl von der anderen Seite des Sees sich auftat? Tom und Gerd würden es in diesem Urlaub nicht mehr dorthin schaffen. Auf das Sonnenwetter folgten nämlich heftige Gewitter und danach wurde es Zeit, wieder nach Hause zu fahren.

Wie lange mochte das her sein, wie viele Schulferiensommer lang? Tom hatte dieses Bild in sich und er hatte es nie vergessen. Immer sah er sich im dunkelroten Zug fahren, langsam das andersseitige Seeufer entlang, anhalten an der kleinen Bahnstation, Blick zu den Bergen. Ob damals auch Leute zustiegen, die weiter wollten…? Es ist zu lange her.

Heute ist es ein regnerischer, sehr grauer und kühler Sommertag. Tom sitzt mit seinen Gedanken und den Bildern der Erinnerung von damals endlich selber im dunkelroten Zug. Er hatte sich lange auf den Augenblick gefreut, immer wieder im Fahrplan nachgeschaut, die Uhr verglichen. Der Zug ist pünktlich, als Tom aus dem Abteilfenster hinaus auf den See schaut. Wie damals wird der Zug langsamer, um schließlich an der kleinen Bahnstation zu halten. Die Berge hinter dem Stausee aber sind nur als mächtige graugrüne Masse zu erahnen. Eine einzige, schon sehr alte Frau mit zwei viel zu großen Taschen steigt aus, niemand will mitfahren. Durch die Morgennebelschwaden sieht Tom noch das Signal für die Gegenrichtung auf Rot… Da ist der dunkelrote Zug längst wieder losgefahren, langsam Tempo aufnehmend. Die Landschaften wechseln bald an seiner Strecke. Toms Ziel liegt noch einige Kilometer weit entfernt, er würde auch noch umsteigen müssen, Aufenthalt haben.

Wie oft hatte Tom immer wieder davon geträumt, ehe sich das Bild in ihm verfestigte und zu seinem dunkelroten Zug wurde? Hat sich nun trotz des neblig-grauen Wiedersehens sein Traum erfüllt? War er jetzt froh oder vielleicht eher traurig und sogar enttäuscht? Sollte er die Fahrt wiederholen, um dem alten Bild nachzujagen oder weiter verreisen und an neue Ziele denken?

Tobias Märksch

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