Ein Jahr Fechten in Radebeul

Felix mustert sein Gegenüber und hält Abstand. Er wirkt zögerlich. Da macht Luisa einen großen Schritt vor und sticht auch schon zu: Ihr Treffer landet an Felix’ Brust, unweit des Herzens. Zum Glück hat er eine Lederjacke an und ist nicht verletzt. Solche Szenen spielen sich in Radebeul jetzt öfters ab: Die beiden Kinder üben fechten. In der Sporthalle an der Kötzschenbrodaer Festwiese.

Fechten in der Elbsporthalle

Jeden Donnerstagnachmittag kann man erleben, wie sich die jüngsten Florett-Fechter in dieser eleganten Sportart messen. Die riesige Halle scheint zu groß für die Steppkes zwischen acht und elf Jahren. Deshalb hat Robert Peche, der Gründer und Vorsitzende des Fechtclubs Radebeul e. V., sie auch in drei Gruppen eingeteilt. Gleich am Eingang wird gar nicht gefochten: Da trainieren die Wettkampf-Erprobten einfach nur ihre Fitness mit Leichtathletik und Ballspiel. Schließlich haben sie Anfang Januar gerade erst an einem Turnier des Fechtclubs Leipzig in Mölkau teilgenommen – »und ich hab’ den 3. Platz gemacht«, ergänzt ein Mädchen namens Julie stolz. In der Mitte der Halle üben die Kleinsten, die teils noch im Kindergartenalter sind, die ersten Grundschritte mit einer Übungsleiterin. Der Chef selbst, Robert Peche, ist mit den 10- und 11-Jährigen schon weiter.

Sie tragen die Profi-Ausrüstung: weiße Westen oder Jacken, die wie Leder aussehen, aber aus einem speziellen Gewebe sind, das keine Hiebe durchlässt. Dazu Helme, die in der Fachsprache »Masken« heißen und wie übergroße Bienenkörbe um die kleinen Köpfe wirken. Die Hosen in schwarz sind teils kurz, teils lang, egal, da gibt es keine Vorschrift, und natürlich Turnschuhe. Jeweils zwei Personen – die Gegner – nehmen Aufstellung mit der richtigen »Mensur«. Das ist der Abstand, der anfangs durch die gekreuzten Florettspitzen bei angewinkeltem Arm bestimmt wird. Die Kinder lernen die richtige Körperhaltung, den Ausfallschritt, die Angriffsrechte und die Parade. Der 31-jährige Peche gibt freundlich, aber bestimmt seine Anweisungen; zwar ist seine Stimme durch die Maske und den Raumhall nicht so gut zu verstehen, aber die Kinder haben offensichtlich dabei kein Problem, das mag auch an den Wiederholungen liegen.

Vor einem Jahr, als der Inhaber der Fechtschule Dresden die ersten »Schnupperstunden« in Radebeul gab – in den Winterferien 2010 – da musste er sich noch mit der alten, ungeheizten Halle der ehemaligen Waldparkschule zufrieden geben, eine andere war nicht frei. Inzwischen ist nicht nur die Zahl der Interessenten gestiegen, sondern auch die Mitgliederzahl, so dass in der modernen Elbsporthalle trainiert werden kann, wenn die nicht gerade im Wasser steht. Stolze hundert Mitglieder zählt der »Fechtclub Radebeul« mittlerweile, auch Erwachsene gehören ihm an.

»Es ist ganz komisch«, meint Robert Peche, »wenn die Erwachsenen von Fechten hören, denken sie an die ›Mantel und Degen‹-Filme oder an die drei Musketiere, Kinder assoziieren dagegen ihre Helden aus ›Star Wars‹ mit Fechtszenen und fragen, ob denn auch mal mit Laser-Schwertern gekämpft wird.« Eines aber macht er von Anfang an für alle Altersgruppen deutlich: beim Fechten geht es um Sport und nicht um Show. Hier wird echt gekämpft, jeder Treffer zählt. Im Film und auf der Bühne dagegen muss die Choreographie so gut eingeübt sein, dass bei den Schauspielern keine Verletzungen erfolgen: Der Degen oder Säbel (seltener das Florett) muss eben kurz vor der Stirn halt machen, damit das ungeschützte Gesicht des Stars keinen Kratzer kriegt. Das ist die Kunst.

Wer sich die Fecht-Profis von Radebeul mal hautnah ansehen möchte, hat dazu am 11. und 12. Juni Gelegenheit: Da wird der 3. Radebeuler Fechtcup wieder in der Elbsporthalle ausgetragen. Mehr unter www.fechtclub-radebeul.de.

Karin Funke

[V&R 2/2011, S. 5f.]

RADEBEUL in feinen Fotos

(Radebeul’s finest)

Der repräsentative Bildband von Horst Bieberstein (im Eigenverlag, Radebeul) ist nicht mehr ganz neu, er liegt schon seit Herbst vorigen Jahres vor. Das Buch will vor allem Gästen unserer Stadt (Touristen und Geschäftsleute) mit einem Querschnitt der Häuser und etwas Landschaft den besonderen Charakter Radebeuls erklären und ein Souvenir sein. Es ist endlich mal wieder ein Buch über Radebeul, das zweisprachig (deutsch und englisch) angelegt ist und so auch internationale Gäste anspricht. Ein solcher Wunsch wurde ja bereits in V+R 07/03 vorgetragen.

Erfüllt das vorliegende Buch nun die Zielstellung und alle Erwartungen? Auf den ersten Blick war ich begeistert, vor allem von den großformatigen Farbfotos, von ungewohnten, den Postkartenblick vermeidenden Bildern, von besonderen Lichtstimmungen und schönen Details. Die meisten dargestellten Objekte sind Kulturdenkmale, die ich in meinem zweiten Arbeitsleben ein Stück weit begleitet hatte. Schon deshalb kam ich an dem Buch nicht vorbei. Nein, eine neue Denkmaltopografie will das Buch nicht sein. Erfreut war ich auch, dass bei der Bildauswahl neben einer großen Zahl sanierter Häuser auch einzelne unsanierte gezeigt und vor allem, dass auch moderne Häuser ins rechte Licht gesetzt werden.

Auf den zweiten Blick gibt es dann aber ein paar Fragen und Kritikpunkte. Da ist zunächst der Titel – »Radebeul exklusiv« – ein bisschen abgehoben vielleicht? Wenn man dazu noch den Preis von 48,- € sieht, erkennt man, dass das Buch die so genannten Besserverdienenden im Auge hat. Der in den Monaten Oktober und November 2010 gewährte Einführungspreis von 39,90 € erschiene mir als endgültiger Preis durchaus angemessen! Und da ist der Schutzumschlag, der m. E. mit grafisch wirkenden gelben, blauen und weißen Diagonalstreifen etwas zu heiter in Bezug zum Titel erscheint. Natürlich gibt es beim zweiten Durchblättern auch weitere erfreuliche Aspekte zu entdecken. Da sind eine Reihe interessanter Gegenüberstellungen von Motiven mit z. T. gleicher oder kontrastierender Aussage, wie auf den Seiten 34/35 oder 88/89, ohne dass das Prinzip überstrapaziert wird. Der Inhalt ist entsprechend dem Jahresablauf, beginnend mit dem Frühling, gegliedert – ein bewährtes Schema. Quasi als roter Faden kann man Raddarstellungen in vielfältiger Form erkennen, was dem Autor offensichtlich Spaß gemacht hat. Radebeul hat schließlich auch ein Rad im Stadtwappen!

Auffallend ist, dass Horst Bieberstein auf seinen Fotos Menschen fast ganz ausgeblendet hat. Ob das einen juristischen Hintergrund hat, damit sich so eine Reihe von Einverständniserklärungen von Privatpersonen erübrigen sollen? So hat es doch wieder etwas Ähnlichkeit mit der Denkmaltopografie von Radebeul. Zwangsläufig entsteht der Eindruck, dass Radebeul eine schöne, aber unbelebte Stadt sei, schade. Bei einer eventuellen 2. Auflage des Buches sollten aber die Kurztexte und Bildunterschriften noch einmal überprüft werden. So bin ich der Auffassung dass nicht Gustav Ziller (S. 53) das Karl-May-Grabmal entworfen hat, sondern sein jüngerer Bruder Paul Ziller, der seinerseits den Athener Bruder Ernst konsultiert hatte. Gustav Ziller starb bereits 1901, Karl May aber erst 1912. Magnolien und Tulpenbäume sind zwar beide in Radebeul vorkommende exotische Zierbäume, aber botanisch betrachtet nicht das Gleiche (S. 17). Erstere blühen im März/April und letztere erst im Juni.

Dennoch lautet mein Resümee: Das Buch ist unter den nach 1990 erschienen Radebeul-Büchern eines der besten. Außer unseren Gästen sollten es auch Radebeuler Bürger im Regal stehen haben, so sie den Preis akzeptieren können.

Dietrich Lohse

H. Bieberstein: Radebeul exklusiv. Bieberstein Verlag Radebeul 2010, 192 S., 164 Abb., 48 €, ISBN 978-3-927656-20-8.

[V&R 2/2011, S. 7f.]

Das historische Porträt: Johann Peter Hundeiker (1751-1836)

»Er war ein edler und hoher Geist, welcher in seinem engeren Kreise, wie für die Welt, Gutes wollte und that«. So beginnt der Lebensabriss, mit dem der ›Neue Nekrolog der Deutschen‹ (14. Jg., 1838) den herzoglich braunschweigischen Edukationsrat Dr. Johann Peter Hundeiker würdigte, der vor 175 Jahren, am 2. Februar 1836 »zu Friedstein bei Dresden« starb. Mit Friedstein ist das damals noch nicht in Alt- und Neu- geteilte Weingut bei Kötzschenbroda gemeint, wo Dr. Hundeiker die letzten gut anderthalb Jahrzehnte seines Lebens verbracht hatte. Und dass dieser Wohltäter im Großen und Kleinen eine seinerzeit bedeutende Persönlichkeit war, wird schon daran deutlich, dass sein Nachruf im ›Nekrolog‹ den exakt gleichen Umfang hatte wie der auf den wenig später verstorbenen sächsischen König Anton im gleichen Band.

An der Wiege war Hundeiker diese Ehre noch nicht gesungen worden. Die hatte im Hause des Krämers von Groß Lafferde gestanden, eines stattlichen Bauerndorfs auf halbem Wege zwischen Braunschweig und Hildesheim, wo Hundeiker am 29. November 1751 geboren war und bis 1804 ansässig blieb. Nur während der Schulzeit hatte der hochbegabte Knabe sein Dorf für einige Jahre verlassen müssen. Was er in dieser Zeit an der Braunschweiger Waisenhausschule und der Stadtschule von Peine erlebte, prägte seinen Entschluss, selbst Lehrer zu werden, und zwar ein guter – kein Pauker mit dem Rohrstock, sondern ein Erzieher und Förderer der Jugend im besten Sinne des Wortes. Zunächst musste er sich aber dem Kaufmannsberuf widmen. Ein Universitätsstudium lehnte sein Vater kategorisch ab, so dass sich Hundeiker – von der Mutter und wohlmeinenden Gönnern unterstützt – nur »in den Stunden der Nacht beim Schein eines dürftigen Lämpchens […] mit unermüdlichem Fleiße« durch Lektüre selbst weiterbilden konnte. Insbesondere philosophische und pädagogische Autoren hatten es ihm angetan, darunter Moses Mendelssohn, Jean-Jacques Rousseau und Johann Bernhard Basedow.

Die zufällige Bekanntschaft mit dem herzoglichen Leibmedikus Dr. Carl Gottlieb Wagler in Braunschweig brachte Hundeiker dann in Kontakt sowohl mit der vornehmeren Welt wie auch mit einflussreichen Protagonisten der (Volks­)Aufklärung und des Philanthropismus wie Friedrich Eberhard v. Rochow, Joachim Heinrich Campe, Christian Wilhelm v. Dohm und dem bewunderten Basedow selbst. Letzterer fand Gefallen an dem jungen Mann und hätte ihn gern als Lehrer an sein 1774 gegründetes Philanthropin in Dessau verpflichtet. Doch obwohl Hundeiker in Dessau, wo er 1778 u.a. auch den zufällig anwesenden hessischen Nachwuchsdichter J. W. Goethe kennenlernte, beste Voraussetzungen geboten wurden, lehnte er ab, kehrte nach Groß Lafferde zurück und führte mit Rücksicht auf die Familie den 1775 vom Vater geerbten Laden weiter. Daneben aber bemühte er sich aktiv um die Vermittlung aufklärerischen Gedankengutes an die Bauern der Umgebung, erwarb sich dabei große Achtung und übernahm schließlich auch noch unentgeltlich die Leitung der örtlichen Dorfschule, die er in wenigen Jahren zu einem musterhaften und fortschrittlichen Institut umgestaltete.

Sein guter Ruf als Pädagoge führte dazu, dass Hundeiker nachgerade bedrängt wurde, auch Knaben aus »besseren Kreisen« als Schüler anzunehmen, was er nach der Gründung einer eigenen Familie – 1783 heiratete er eine »gebildete Pfarrerstochter« aus seiner Gegend – auch tat. Der Andrang war so groß, dass er sich bald darauf entschloss, den Krämerberuf ganz an den Nagel zu hängen und im eigenen Haus eine private Erziehungsanstalt aufzubauen. Schnell hatte Hundeiker an die 30 Zöglinge aus aller Herren Ländern, und die öffentlichen Blätter waren voll des Lobes für seine fortschrittlichen Lehr- und Erziehungsmethoden. So fand die von ihm propagierte Lautiermethode, die den Kindern das Lesenlernen erleichterte, weite Verbreitung, und seine dafür entwickelte Fibel wurde zum Vorbild einer ganzen Lehrbuchgattung. 1804 wurde auch der regierende Herzog auf Hundeiker aufmerksam, verlieh ihm den Ratstitel und stellte ihm sein in der Nachbarschaft gelegenes Lustschloss Vechelde unentgeltlich als neues Schuldomizil zur Verfügung.

Das bis zuletzt wegen seines beispielhaften, praxisorientierten Realienunterrichts und seiner hervorragenden Lehrkräfte (in Anlehnung an das von Christian Gotthilf Salzmann 1784 gegründete thüringische Pendant) als »braunschweigisches Schnepfenthal« geschätzte Hundeikersche Institut bestand bis 1819, hatte in dieser Zeit aber durch die napoleonischen Kriege und die unstete Haltung wechselnder Obrigkeiten manche Krise auszustehen. Mit der fürstlichen Protektion war es schon nach dem Tod von Herzog Karl II. Wilhelm Ferdinand zu Braunschweig und Lüneburg (der zwar ein Herz für die Bildung hatte, als Oberbefehlshaber der preußischen Truppen in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt aber eine krasse Fehlbesetzung war und diesen Ausflug in die Weltgeschichte mit dem Leben bezahlte) Ende 1806 vorbei. Um die Schule zu retten, musste der nicht eben reiche Hundeiker Schloss Vechelde 1811 endlich sogar kaufen. Diese Transaktion wurde nach dem Ende der napoleonischen Ära von der neuen herzoglichen Regierung angefochten, was langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen und für den fast 70-jährigen Institutsleiter reichlich Kränkungen und Kummer mit sich brachte. Schließlich resignierte er und zog in die Lößnitz, wo eine und bald sogar zwei seiner Töchter in guten Verhältnissen lebten.

Seine zweite Tochter Elise war mit dem Leipziger Kaufmann Ludwig Pilgrim verheiratet, seit 1816 Besitzer des Weinguts Friedstein, der 1818 zusätzlich noch das Mohrenhaus erworben hatte. Die geistreiche Elise, die selbst auch als Dichterin hervortrat, wurde 1823 übrigens die Taufpatin der später berühmten, auf Wackerbarths Ruhe geborenen Schriftstellerin Elise Polko. Hundeikers älteste Tochter Emilie hatte den vermögenden Kaufmann Georg Schwarz geheiratet, einen engen Freund des russischen Zaren Alexander I., der sich seinerseits – während eines längeren Aufenthalts des Paares in St. Petersburg – unsterblich, aber vergeblich in Emilie verliebt haben soll. (Elise Polko hat den Stoff 1866 zur Novelle »Am Teetisch einer schönen Frau« verarbeitet.) Schwarz, der Namenspatron von »Schwarzes Teich«, bezog um 1820 mit seiner Familie das Herrenhaus Altfriedstein, das er später von seinem Schwager Ludwig Pilgrim auch käuflich erwarb, und gehörte in Hundeikers Todesjahr gemeinsam mit Pilgrim zu den Gründern der »Fabrik moussirender Weine« (später Sektkellerei Bussard).

Der Lebensabend in der Lößnitz gestaltete sich für Johann Peter Hundeiker freudevoll und fruchtbar. Im Lang’schen Erziehungsinstitut auf Wackerbarths Ruhe fand er bis zu dessen Auflösung 1823 ein neues pädagogisches Betätigungsfeld. Auch die Schriftstellerei – schon seit den 1770er Jahren hatte er zahlreiche Aufsätze und (Kinder-)Lieder sowie mehrere Erbauungsbücher veröffentlicht – nahm er wieder auf. (»Besonders fand den verdienten Beifall sein ›Festbuch für gebildete Nachtmahlsgenossen‹ und sein ›Weiheschenk für junge Christen.‹ 2 Thle. 1821 und 1823. Günstige Beurtheilungen erhielten auch sein[e] 1824 erschienenen ›Lichtstrahlen aus den Tempelhallen der Weisheit‹ und seine ›biblischen Feierstunden.‹ 1829 und 1830.«) Hundeikers geliebte Bibliothek fand ihren Platz im noch heute existierenden Winzerhaus Am Jacobstein 2 (»Ein freundliches Häuschen, in der Mitte eines heitern Gartens«), das seine Schwiegersöhne eigens als Ruhesitz für ihn neu aufgebaut haben sollen.

Seiner Gewohnheit gemäß ging Hundeiker noch im hohen Alter täglich zwei bis drei Stunden durch die Berggassen der Lößnitz spazieren und nahm am gesellschaftlichen Leben tätigen Anteil. Neue Freundschaften wurden geknüpft, so zum 1824 ins Amt eingeführten Kötzschenbrodaer Pfarrer und Poeten Johann Gottlob Trautschold (1777-1862), der ihm mehrere Gedichte widmete. Auch zu den geistigen und künstlerischen Zirkeln der Residenz ergaben sich vielfältige Beziehungen.

Edukationsrat Hundeiker muss zeitlebens eine überaus markante Erscheinung gewesen sein; auf den Dichter Jean Paul (Friedrich Richter), der für Hundeikers Tochter Elise schwärmte und deren Vater 1825 besuchte, machte dessen Menschenkenntnis und sicherer Blick einen tiefen Eindruck, und Geheimrat Goethe erinnerte sich noch nach einem halben Jahrhundert mit warmen Worten an die Begegnung von 1778. Vielleicht hatte der Dichterfürst ja auch die Hand dabei im Spiel, dass die Universität Jena Hundeiker zum 80. Geburtstag 1831 den Ehrendoktortitel verlieh. Am 29. Juli 1833 wurde Hundeiker dann noch die Freude zuteil, in Kötzschenbroda die eigene Goldene und die Hochzeit seiner ältesten Enkelin zu feiern; Freund Trautschold sorgte mit einer aus diesem Anlass publizierten Gelegenheitsschrift dafür, das Ereignis der Nachwelt zu überliefern.

Ein in der Lößnitz entstandenes Bleistiftporträt des Dresdner Akademieprofessors Karl Christian Vogel von Vogelstein zeigt Johann Peter Hundeiker im Oktober 1834 als rüstigen Greis mit geistvollen Zügen im Bewusstsein eines erfüllten Lebens. Zu diesem Zeitpunkt waren von seinen insgesamt zwölf Kindern nur noch fünf am Leben, sechs waren schon im frühen Kindesalter verstorben. Entgegen dem Sprichwort, das besagt, Lehrers Kinder würden selten oder nie gedeihen, machte der Hundeikersche Nachwuchs dem Vater, nebenbei bemerkt, alle Ehre; zwei der Töchter sind schon erwähnt worden, der älteste Sohn Julius wurde Pfarrer und verfasste mehrere gern gelesene Romane, der zweite Sohn Wilhelm brachte es nach der Promotion zum angesehenen Direktor der Bremer Handelsschule.

Seine letzte Ruhe fand Johann Peter Hundeiker 1836 auf dem Kötzschenbrodaer Friedhof. Sein Grab ist längst verschwunden, ebenso wie offenbar auch die Lutherbüste, die der nach jugendlichen Anfechtungen geläuterte, tief gläubige Christ der Gemeinde zum 300. Jubiläum der Augsburgischen Konfession 1830 zum Geschenk gemacht hatte und die, wie alte Fotos beweisen, noch im frühen 20. Jahrhundert einen Ehrenplatz in der Kötzschenbrodaer Kirche einnahm.

Frank Andert

[V&R 2/2011, S. 9-13]

Zum Titelbild (Februarheft 2011)

Das maskenhafte Gesicht eines bärtigen Mannes (es dürfte sich aber kaum um den Bauherrn handeln) ziert einen von vier Giebeln des Mietshauses Einsteinstraße 28. Die Stuckarbeit wird durch Jugendstilranken gerahmt. Über Eck gibt es als Pendant das Gesicht eines jungen Mädchens zu sehen. Leider konnte bei der zurückliegenden Sanierung die um 1970 entfernte Turmlaterne nicht wieder aufgebaut werden.

Das Haus wurde von Architekt Alfred Hoff 1903 entworfen und war 1904 bezugsfertig. Etwa zur selben Zeit begannen die Arbeiten zur Anlage des Radebeuler Waldparks, später König-Friedrich-August-Park. Auf einer um 1910 herausgegebenen Ansichtspostkarte, die den nördlichen Parkeingang zeigt, ist das Gebäude in seiner ursprünglichen Gestalt mit Türmchen zu sehen.

Dietrich Lohse

[V&R 2/2011, S. 32]

Eingesandt

Unser Leser Dr. Friedemann Schulze aus Erfurt schrieb schon im November u.a.: »Ich finde, dass Ihre Euch wirklich steigert und immer wieder interessante Themen findet.« Darüber hinaus machte er die Redaktion auf einen Beitrag in der ›Thüringer Allgemeinen‹ vom 14. Oktober 2010 aufmerksam, der von Herbert Hänel berichtet, der im Oktober in der thüringischen Landeshauptstadt seinen 101. Geburtstag feierte. Hänel gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Mitbegründern der Landesbühnen Sachsen und wechselte Anfang der 60er Jahre nach Erfurt. Dort lebt Hänel, der lt. TA immer noch für einen 80er durchgehen könnte, im Pflegeheim »Vier Jahreszeiten«, dessen Name ihn vielleicht ab und zu an die Radebeuler Zeit erinnert. Wir wünschen ihm nachträglich alles Gute und uns, dass weder er noch wir das Ende der Landesbühnen Sachsen erleben müssen.

*

Von Gerd Lehmann, Radebeul, dem wir herzlich für sein freundliches Lob unserer Redaktionsarbeit danken, erreichte uns per Email folgender kritischer Hinweis, den Umgang mit einem unserer Radebeuler Denkmäler betreffend:

»Das Denkmal, was ich meine, steht in Kötzschenbroda vor der Friedenskirche und würdigt die Gefallenen des ersten sinnlosen Weltkriegs. Doch wenn ich dieser Tage an diesem Ehrenmal vorbei gehe, muss ich wiederholt mit Entsetzen feststellen, dass es zu einer Müllhalde verkommen ist. Es werden von Tag zu Tag immer mehr alte Weihnachtsbäume und Müllsäcke, die sich da aufstapeln. Dieser Müll ist leider von den Anwohnern selbst da abgelagert worden.

Aber nicht nur nach den Weihnachtsfeiertagen ist so ein Bild zu beobachten, sondern auch nach anderen Feierlichkeiten auf dem Anger in Kötzschenbroda. Zum Winzerfest im Herbst ist das Denkmal mit Holzbuden umbaut und mit leeren Flaschen und allerlei Müll abgedeckt. Selbst die Anwohner in der Gegend um das Denkmal haben wahrscheinlich keinen Bezug mehr auf die (ihre) Geschichte, wenn sie das Denkmal als zentralen Sammelplatz für die gelben Säcke nutzen.

Ich selbst bin jedes Mal erschüttert, wenn ich da vorbei gehe. Von uns aus der Familie sind auch Vorfahren da aufgezählt, und mein Großonkel, der als Bildhauer das Denkmal hergestellt hat, hätte sich das bestimmt nicht so gewünscht.«

*

Zum Beitrag von Dietrich Lohse im Januarheft 2011 (»Man müsste mal wieder… ein Buch zur Hand nehmen«) hat Christa Kunze, Radebeul, eigene Erinnerungen aufgeschrieben. Hier Auszüge daraus:

»Erinnerung Nr. 1: Büchererwerb gehört zu den aufwendigsten Abenteuern unseres Lebens als DDR-Bürger! Wohl jeder Zeitgenosse kann ein Lied davon singen. Auch ich fuhr 1985 nach Leningrad und besuchte aus reinem Interesse das ›Internationale Buch‹. Und was lag da stapelweise? Das, was zu dieser Zeit hierzulande mehr als begehrt war: Fritz Löffler ›Das alte Dresden‹ […] so kaufte ich drei Exemplare für meine erwachsenen Kinder, und das noch billiger als zu Hause, und schleppte diese gewichtigen Stücke stolz und ohne Skrupel bis zum Flughafen. Die russische Buchhandlung war wohl froh, wenn sie auf diese Weise ihre Bücher los schlug, die heimische Buchhandlung hatte eine wenig überraschende Erklärung parat – Völkerfreundschaft.

Erinnerung Nr. 2: Als wir 1948 mit wenig Inventar und ebenso wenig Geld einen eigenen Hausstand gründeten, wollten wir natürlich auch einen eigenen Bücherschrank bestücken. […] Eines Tages stand ein älterer Herr vor der Türe und bot Bücher an. Wir kauften drei sehr schöne und uns auch heute noch besonders lieb gebliebene antiquarische Bücher. Der Herr hieß Leuckrodt und war der Besitzer einer ausgebombten Buchhandlung auf der Moritzstraße in Dresden. Jedenfalls hat er mit dieser Aktion eine neue Tätigkeit begonnen, und die Dienemannsche Buchhandlung in der Nähe des Bahnhofs Dresden-Neustadt erlangte bei Bücherfreunden verdient lokale Berühmtheit. Wir blieben Herrn Leuckrodt jahrzehntelang treu und werden ihn auch nicht vergessen. Er wurde zu einer Institution in Dresden und Umgebung. Auch Uwe Tellkamp hat dessen Tätigkeit in seinem Buch ›Der Turm‹ gewürdigt.«

*

Zum Register 2010 (V&R 1/2011) sandte uns der geschätzte ›Vorschau‹-Veteran Johannes Stephan, Radebeul, folgende Zeilen:

»Sehr geehrter Herr Andert!

Die V&R-Redaktion schätzt konstruktive Kritik – so steht es sinngemäß im Prolog zum Register 2010. Hier ist eine: Aufmerksame Leser (auch ich) haben bemerkt, dass im Register der Eindruck erweckt wird, es habe im November-Heft 2010 keine ›Radebeuler Miniatur‹ gegeben. Das ist natürlich nicht der Fall.

Schämt sich die Redaktion der ›suboptimalen‹ November-Miniatur? Dann wäre es m. E. ehrlicher gewesen, den Missgriff zuzugeben und zu bedauern[,] statt ihn nachträglich totschweigen zu wollen.«

Sehr geehrter Johannes Stephan,

aufmerksamen Vorschau-Lesern wie Ihnen sollte es nicht entgangen sein, dass die November-Miniatur von Thomas Gerlach sehr wohl im Jahrgangsregister 2010 verzeichnet ist, sogar auf der selben Seite wie die anderen Miniaturen, lediglich etwas weiter oben, unter der Rubrik »Gedichte«. Aus Platzgründen taucht jeder Beitrag im Register nur einmal auf, auch wenn er vielleicht in mehrere Schubladen passt. Von »totschweigen« kann also keine Rede sein.

Da Sie nicht der Erste sind, der die November-Miniatur beanstandet (ein anderer aufmerksamer Leser hat in seinem, sogar in Reimen formulierten Schreiben an uns leider die namentliche Unterschrift vergessen, so dass wir den Leserbrief aus Prinzip nicht veröffentlichen konnten), bin ich Ihnen eine öffentliche Antwort schuldig. Die Antwort lautet – mit dem Titel eines populären französischen Chansons: Nein, ich bereue nichts!

Im Gegenteil bin ich unserem Radebeuler Kunstpreisträger T. G. dankbar für jeden seiner literarischen Beiträge für ›Vorschau & Rückblick‹. Auch wenn in seinem Gedicht »Summsommrememberinnerung« vom Gerstensaft die Rede ist, sollte man diese poetische Äußerung nicht bierernst nehmen. Es handelt sich, wie ich nochmals betonen möchte, um einen literarischen Text, ein Gedicht, man könnte auch von Kunst sprechen. Es freut mich außerordentlich, dass darüber diskutiert wird. Zum Kunstrichter (»suboptimal«, »Missgriff«) möchte ich mich aber nicht aufschwingen. Wer sich dazu berufen fühlt, darf seine Meinung selbstverständlich äußern. Die Gedanken sind frei, so frei wie die Kunst, nur die Geschmäcker, die sind nun mal verschieden. Und es immer allen recht zu machen, ist eine Kunst, die niemand beherrscht.

Mit freundlichen Grüßen,

Frank Andert

[V&R 2/2011, S. 21-24]

Editorial Januarheft 2011

Das große Jubiläumsjahr 2010 liegt hinter uns. Endlich, wird mancher sagen. Aber so schlimm war es doch gar nicht. Manches große Jubiläum hat kaum für Aufsehen gesorgt, das 20. der deutschen Wiedervereinigung etwa. Die ist zur schönen Normalität geworden, ebenso wie unsere Lößnitzstadt in den Grenzen von 1935, deren »75. Geburtstag« Anlass für ein beachtliches (basis)kulturelles Festprogramm war, das ab 23. Januar in der Stadtgalerie noch ein kurzes »Nachspiel« haben wird. Wer dann dort das »Goldene Radebeilchen« in Empfang nehmen darf, wird sich zeigen. Dass jeder, zumindest jeder ›Vorschau‹-Leser, zum Jubiläum etwas Gold(farb)enes in die Hand bekam, dafür hatten wir schon mit unserem Maiheft 2010 gesorgt. Auch wir konnten unser 20. feiern, und es wird hoffentlich nicht unser Letztes gewesen sein. Dass wir nicht nur gefeiert haben, mag das Jahresinhaltsverzeichnis im vorliegenden Heft belegen.

Folgt auf das fruchtbare Jubiläumsjahr nun eine Durststrecke? Werden wir z.B. auch in Zukunft noch Gelegenheit haben, regelmäßig über Premieren am Stammhaus der Landesbühnen zu berichten, oder müssen diese wegen eingefrorener Weichen auf dem Verschiebebahnhof der staatlichen Kulturförderung künftig ausfallen? Oder bleibt dort alles beim Alten und anderen Einrichtungen wird der Geldhahn abgedreht? Die Zeichen stehen nicht gut.

Davon soll man sich aber ja bekanntlich nicht abhalten lassen, ein Apfelbäumchen zu pflanzen. Wir pflanzen unseres »ins Netz« (herzlichen Dank an alle, die den Spendenaufruf deswegen im Dezemberheft nicht überblättert haben!) und sind selbst gespannt darauf, was es für Früchte tragen wird.

Frank Andert

[V&R 1/2011, S. 1]

Das große Jubiläumsjahr 2010 liegt hinter uns. Endlich, wird mancher sagen. Aber so schlimm war es doch gar nicht. Manches große Jubiläum hat kaum für Aufsehen gesorgt, das 20. der deutschen Wiedervereinigung etwa. Die ist zur schönen Normalität geworden, ebenso wie unsere Lößnitzstadt in den Grenzen von 1935, deren »75. Geburtstag« Anlass für ein beachtliches (basis)kulturelles Festprogramm war, das ab 23. Januar in der Stadtgalerie noch ein kurzes »Nachspiel« haben wird. Wer dann dort das »Goldene Radebeilchen« in Empfang nehmen darf, wird sich zeigen. Dass jeder, zumindest jeder ›Vorschau‹-Leser, zum Jubiläum etwas Gold(farb)enes in die Hand bekam, dafür hatten wir schon mit unserem Maiheft 2010 gesorgt. Auch wir konnten unser 20. feiern, und es wird hoffentlich nicht unser Letztes gewesen sein. Dass wir nicht nur gefeiert haben, mag das Jahresinhaltsverzeichnis im vorliegenden Heft belegen.

Folgt auf das fruchtbare Jubiläumsjahr nun eine Durststrecke? Werden wir z.B. auch in Zukunft noch Gelegenheit haben, regelmäßig über Premieren am Stammhaus der Landesbühnen zu berichten, oder müssen diese wegen eingefrorener Weichen auf dem Verschiebebahnhof der staatlichen Kulturförderung künftig ausfallen? Oder bleibt dort alles beim Alten und anderen Einr

Das große Jubiläumsjahr 2010 liegt hinter uns. Endlich, wird mancher sagen. Aber so schlimm war es doch gar nicht. Manches große Jubiläum hat kaum für Aufsehen gesorgt, das 20. der deutschen Wiedervereinigung etwa. Die ist zur schönen Normalität geworden, ebenso wie unsere Lößnitzstadt in den Grenzen von 1935, deren »75. Geburtstag« Anlass für ein beachtliches (basis)kulturelles Festprogramm war, das ab 23. Januar in der Stadtgalerie noch ein kurzes »Nachspiel« haben wird. Wer dann dort das »Goldene Radebeilchen« in Empfang nehmen darf, wird sich zeigen. Dass jeder, zumindest jeder ›Vorschau‹-Leser, zum Jubiläum etwas Gold(farb)enes in die Hand bekam, dafür hatten wir schon mit unserem Maiheft 2010 gesorgt. Auch wir konnten unser 20. feiern, und es wird hoffentlich nicht unser Letztes gewesen sein. Dass wir nicht nur gefeiert haben, mag das Jahresinhaltsverzeichnis im vorliegenden Heft belegen.

Folgt auf das fruchtbare Jubiläumsjahr nun eine Durststrecke? Werden wir z.B. auch in Zukunft noch Gelegenheit haben, regelmäßig über Premieren am Stammhaus der Landesbühnen zu berichten, oder müssen diese wegen eingefrorener Weichen auf dem Verschiebebahnhof der staatlichen Kulturförderung künftig ausfallen? Oder bleibt dort alles beim Alten und anderen Einrichtungen wird der Geldhahn abgedreht? Die Zeichen stehen nicht gut.

Davon soll man sich aber ja bekanntlich nicht abhalten lassen, ein Apfelbäumchen zu pflanzen. Wir pflanzen unseres »ins Netz« (herzlichen Dank an alle, die den Spendenaufruf deswegen im Dezemberheft nicht überblättert haben!) und sind selbst gespannt darauf, was es für Früchte tragen wird.

ichtungen wird der Geldhahn abgedreht? Die Zeichen stehen nicht gut.

Davon soll man sich aber ja bekanntlich nicht abhalten lassen, ein Apfelbäumchen zu pflanzen. Wir pflanzen unseres »ins Netz« (herzlichen Dank an alle, die den Spendenaufruf deswegen im Dezemberheft nicht überblättert haben!) und sind selbst gespannt darauf, was es für Früchte tragen wird.

Theater ist Leben

»Unser Theater« – klingt das ein wenig nach Besitzanspruch? Aber ja! Nach ein paar Jahren, in denen wir uns die Stücke aussuchten, wagten wir das Abonnement und lernten unser Theater in Jahrzehnten nach und nach kennen. Das haben wir nie bereut. Wir blicken auf ca. 500 erlebnisreiche Vorstellungen der Landesbühnen Sachsen zurück. Wir können mitreden. Wir wollen mitreden. Vor allem jetzt, da Theater wieder einmal gefährdet sind, nicht nur in Radebeul. Krasse Kürzungen untergraben die Existenz leistungsfähiger Spielstätten. Da kann man nicht nur Zuschauer bleiben, da ist Schweigen nicht Gold.

Unser Mehrsparten- und Reisetheater bot Altbewährtes und Modernes und scheute keine Experimente. Zeitgenössische Stücke aus der Tschechoslowakei und aus Ungarn wurden seinerzeit dankbar aufgenommen. Nach einem sowjetischen Drama, das aufhorchen ließ, lud man die Zuschauer zur Diskussion ein. Herr Pfarrer Lewek äußerte den Wunsch, dass auch Autoren unseres Landes solche aufrichtigen und kritischen Gegenwartsthemen wieder für die Bühne gestalten mögen. Anregung zum Weiterdenken ist eine wesentliche Aufgabe guten Theaters. Das gilt regional, das gilt weltweit. In vorbildlicher Arbeit wurde Kindern und Jugendlichen unser Theater nahe gebracht, theoretisch und praktisch. Begegnung mit der Kunst, zum Anfassen. Ballett wurde vielseitiger, eigenwilliger. Und die Konzerte, die Matineen, die Aufführungen in fremden Sprachen… Nicht zu vergessen der »Freundeskreis«. Sind das nicht Pluspunkte?

Wir sitzen in der ersten Reihe, sind den Künstlerinnen und Künstlern nahe. Viele ausländische Namen finden wir im Ensemble, und jedes Spielzeit-Programm enthält Werke aus verschiedenen Ländern. Das nennt man international.

Alle Theater müssen »allergisch« sein gegen rigorose Sparmaßnahmen, gegen Magerkost oder gar Kahlschlag. Das würde sich nicht nur heute auswirken, sondern auch ihre Zukunft vernichten. Kultur darf nicht ärmer werden!

Joachim Richter

[V&R 1/2011, S. 2f.]

Einblicke – Ausblicke

»Erzähle mir um Himmels willen nicht, dass du dich bessern willst«, rief Lord Henry und tauchte seine weißen Finger in eine rote, mit Rosenwasser gefüllte Kupferschale. »Du bist schlechthin vollkommen. Bitte, ändere dich nicht.«

In Oscar Wildes Erzählung vom Bildnis des Dorian Gray spricht diese Worte der Zyniker zum Verzweifelten. Ändere dich nicht. Mache weiter wie bisher. Du siehst blendend aus. Du stehst gut da.

Der andere freilich hat ein Bild vor Augen, das in einem abgelegenen Zimmer seines Hauses hängt. Er will es verbergen. Er muss es verbergen. Und doch zieht es ihn unwiderstehlich immer wieder dorthin: zu seinem ungeschminkten Selbst.

Die äußeren, wahrnehmbaren Dinge sind Schein. Das Bild aber zeigt die Wahrheit. Und so schüttelt Dorian zum Ansinnen seines Freundes den Kopf und sagt: »Nein, Harry, ich habe zuviel Schändliches in meinem Leben getan. Jetzt soll das anders werden. Gestern habe ich mit einer guten Tat den Anfang gemacht.«

Sein Freund spottet auch hier und verreißt die guten Vorsätze. Aber die Wahrheit seines Bildes lässt Dorian nicht los. Ihr kann er nicht entfliehen – und will es auch nicht mehr.

Ganz so dramatisch sieht es in unseren abgelegenen Räumen wahrscheinlich nicht aus. Dennoch kann eine innere Bilanz hilfreich und wohltuend sein. Und dann nehmen wir uns für das neue Jahr vielleicht noch anderes vor, als eine Zigarette weniger zu rauchen.

Es kann freilich auch sein, dass unser Bild Züge aufweist, die ganz anders sind als die der Romanfigur Wildes. »Du bist schlechthin vollkommen.«, das wäre wohl des Guten zuviel. Aber »Du bist ganz o.k.« könnte ja auch ein Ergebnis der inneren Vernissage sein. Und unter Umständen übersehen wir diese Züge ebenso häufig, wie wir vor den unangenehmen Seiten die Augen verschließen.

Peter Sloterdijk, Professor für Philosophie und Ästhetik in Karlsruhe, wendet sich vehement gegen die anthropologische Annahme, der Mensch sei ein Wesen, das ausschließlich von Angst, Gier und Machtstreben bestimmt wäre. »Der vorgebliche Realismus flüstert … ein, der gesamte soziale Zusammenhang müsste sofort in Millionen autistischer Gier-Atome zerfallen, sobald man den Bürgern mehr Freiheit … ließe.« Das Wortfeld Großzügigkeit, das Geben-Können und Geben-Wollen, ist für ihn in heutiger Bestimmung des Menschseins weitgehend ausgeblendet.

Damit hat er so Unrecht nicht. Eine innere Bilanz könnte dann auch einmal von der Absicht geleitet sein, die eigenen positiven Seiten wahrzunehmen und zu würdigen. Und das Vorhaben für das neue Jahr wäre vielleicht, sich selbst mehr zu achten.

Mit herzlichen Segenswünschen für das neue Jahr

Ihre Pfarrerin Antje Pech

[V&R 1/2011, S. 4]

Endlich 18…

… endlich frei!

Wer dächte nicht manchmal jenes Stoßseufzers aus jungen Tagen! Manchem Ungeduldigen erschien der Schritt in die Freiheit wie der Sprung eines Löwen durch den Feuerreif in eine neue Welt. Drüben wartete meist die mehr oder weniger große Enttäuschung – jedenfalls verlor das Älterwerden recht schnell seinen Glanz. Dennoch bleibt eine Faszination mit dem Datum verbunden, die Erinnerung an einen schönen Traum.

In dem nun angebrochenen Jahr 2011 wird der verein für denkmalpflege und neues bauen radebeul e.v. seinen 18. Geburtstag feiern. Er muß dazu durch keinen Reifen springen – vom ersten Tage an hatte er immer wieder Gelegenheit, Reife zu beweisen. Auch wenn das nicht in jedem Falle gelungen ist, kann er doch voll Stolz den Rückblick wagen. Seine Beiträge zur Stadtkultur sind deutlich breiter gefaßt als nur die gleichnamige Veröffentlichungsreihe in der Sammelmappe. Stets geht, stets ging es um den besonderen Charakter der Stadt, stets geht, stets ging es um Stadtkultur…

Stadtkultur…

Als Dr. Dieter Schubert im Gründungsverfahren den etwas umständlichen und eigentlich viel zu langen Namen vorschlug, mag ihm Goethe über die Schulter geblickt haben (»Ältestes bewahrt mit Treue, Freundlich aufgefaßtes Neue«), und beide hatten sie dabei tatsächlich die Stadtkultur im Blick, als Inbegriff alles dessen, was durch die Menschen geschieht.

Dabei wird Kultur als etwas angesehn, das Mühe macht, etwas immer wieder auch Gefährdetes, Unstetes, hin und wieder sogar Unzuverlässiges – also etwas zutiefst Menschliches. Wenn es anders wäre, hätte es die Plattenbauten an der Wasastraße und deren neuere Adaptionen gegenüber und an der Hauptstraße gar nicht geben dürfen. Kultur, auch Stadt- und erst recht Baukultur reagiert sehr sensibel auf gesellschaftliche Befindlichkeiten. Wie bei einer roten Nase, die Ausdruck sein kann fröhlichen Genusses, fürchterlichen Schnupfens oder einer Faschingslaune, ist da nicht immer von vornherein eine Bewertung vorzunehmen: hat sie das gewünschte Niveau, die Kultur, erklimmt sie ungeahnte Höhen oder verfällt sie gar? Auch in scheinbarer Morbidität kann der Keim für etwas Neues liegen, das freundlich aufzufassen lohnt.

Damit ist das Wagnis angedeutet, das die Gründungsmitglieder auf sich genommen und an die vielen Hinzugekommenen weiterverteilt haben. Das größte Verdienst liegt dabei wohl darin, Fragen gestellt und Diskussion angeregt zu haben.

Geburtstage verleiten dazu, überm Rückblick ins Schwafeln zu geraten. Auch wenn es ein paar mehr sein könnten: Noch hat der Verein aber genug Enthusiasten in seinen Reihen, daß immer etwas geschieht – so wird’s, sind erst der Worte genug gewechselt, auch 2011 wieder Taten geben.

Vielleicht sehen wir uns ja bei dieser oder jener Gelegenheit, vielleicht gar im Verein: Kultur braucht Mittäter; aufs Alter kommt’s dabei gar nicht an.

Thomas Gerlach

[V&R 1/2011, S. 5f.]

Zu den Titelbildern des neuen Jahrgangs 2011

Zunächst sei an dieser Stelle Thilo Hänsel für die zurückliegende Titelbildserie gedankt; uns begleiteten 2010 ein Jahr lang Architektenskizzen, leicht und treffsicher – gekonnt ist eben gekonnt.

Wer aufmerksam durch unser Radebeul geht, dem kann es passieren, dass ihn Gesichter anschauen. Nein, die neugierigen Nachbarn meine ich nicht, vielmehr denke ich an Köpfe und Gesichter auf Fassaden. Da gibt es Frauengesichter in Stuck, Sandstein-Männerköpfe, halb- und vollplastische, große und kleine Formate, groteske, ja fratzenartige Gesichter, portraithafte, einer bestimmten Person zuordenbare, aber auch solche, die Manufakturware waren, die sich also möglicherweise mehrfach in Radebeul finden lassen. Mehrheitlich handelt es sich um Fassadenschmuck an gründerzeitlichen Häusern oder Jugendstilvillen, gelegentlich auch Schmuck in Treppenhäusern und manchmal an Grab- und Denksteinen. Einige sind markant und springen dem Betrachter sofort ins Auge, andere dagegen wollen entdeckt werden. Um das Thema abzugrenzen will ich mich im Falle weniger Ganzfiguren auch da auf die Darstellung der Köpfe beschränken.

Genügend Objekte zu finden, traue ich mir zu. Fotografisch könnte mich das Thema aber vor schwierige Aufgaben stellen, ich fürchte, mein 210er Teleobjektiv könnte da an seine Grenzen stoßen. Zu jedem Objekt muss ich je nach Lage die günstigsten Beleuchtungsverhältnisse herausfinden, also z.B. vormittags oder am späten Nachmittag fotografieren. Wenn sie im Schatten liegen, kommt die Plastizität nicht heraus. Zu den einzelnen Motiven will ich mich auf Kurzkommentare beschränken, werde aber die Adressen nicht verheimlichen. Freuen Sie sich auf ein »kopflastiges Jahr« mit ›Vorschau & Rückblick‹!

Das freundliche Januar-Mädchen lächelt uns von der Jugendstil-Villa Bodelschwinghstraße 8 an. Diese Stuckarbeit von 1904 auf einer gewölbten Wandfläche dürfte ein Unikat sein.

Dietrich Lohse

[V&R 1/2011, S. 21]

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