Wie bunt ist Coswig wirklich?

Spaziergang mit Carl Romer durch die Große Kreisstadt Coswig (Teil 6)

Der Sommer neigt sich dem Ende, obwohl uns die Tagestemperaturen noch sehr verwöhnen. Ich sitze in meinem grünen Garten, genieße ein oder vielleicht zwei Glas Goldriesling, eine Sorte die ich selbst anbaue. Dabei blicke ich zurück auf meine sehr gute Weinernte, denn die Menge und auch die Qualität, hier mit 68 °Oe, sind ein Ergebnis des Jahres und meiner investierten Arbeit.
Wie seit langem lese ich Fontanes “Wanderungen durch die Mark Brandenburg”, da schreckt mich mein Handy beim Lesen aus dem Band 5 “ fünf Schlösser” hoch. Ich suche und finde es unter meinen gemachten Notizen, denn das eine oder andere Schloss muß ich unbedingt noch besuchen!
Ich hebe ab und höre die sehr erregte Stimme eines mir bis dahin noch unbekannten Bürgers aus Coswig. Er sagt, “Ich stehe gerade neben der Karrasburg im Garten und von der Stele herunter fordert mich Herr Romer auf, Sie sofort anzurufen und Sie zu bitten, in einer dringenden Angelegenheit sofort zu erscheinen!” Mehr konnte mir der erregte Bürger nicht übermitteln. Ich dachte, Herrn Romers Wunsch kann ich ja wohl nicht ausschlagen, denn wir haben ja schon diverse Spaziergänge durch unsere gemeinsame Heimatstadt gemacht.
Also rauf aufs Radel und schnell hin zur Karrasburg. Herr Romer bat mich gleich, dass ich ihn von der Stele herunter helfe. Gesagt getan, mussten wir uns auf die Ruhebank daneben setzen. “Was gibt es denn so dringend, dass Sie mich sofort zum Kommen bitten?” sagte ich umgehend. Ich war schon sehr über seine Erregtheit erstaunt, denn dies ist für sein Befinden nicht gerade förderlich.

Interkultureller Garten, der Bereich vom rot-weißen Band bis zur Grundstücksgrenze rechts soll für die Baumaßnahmen,gerodet werden. Foto: H. Trapp

“Lieber Herr”, begann er nach einem kurzen Luftholen,“Ich dachte immer, die Zeiten sind vorbei, aber gestern sitzen hier an dieser Stelle doch zwei mir nicht bekannte Angestellte der Stadtverwaltung und diskutierten über geplante Massnahmen zur Umsetzung des Baubeschlusses des Stadtrates zum Bau des kombinierten Rad- Fußweges “Grüner Westring”. Ich war also ein ungewollter Zeuge eines wohl noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Inhalts. Sie konnten ja nicht ahnen, dass ich weiter am Geschehen meiner Stadt teilhabe und dafür offene Ohren besitze. Denn in Erinnerung blieb mir sofort, dass Sie und Frau Obst mir im 2. Teil unseres grünen Spazierganges das Refugium des “Interkulturellen Gartens” zeigten und dabei schon auf den o.g. unredlichen Beschluss des Stadtrates vom 2.11.2022 zum Bau des Radweges hinwiesen. Dies habe ich nicht vergessen und Sie deshalb umgehend hierher bestellt”.
Ich war ebenso wie er erstaunt über den Inhalt dieser “abgehörten Nachricht”, denn davon hatte auch ich noch keine Kenntnis, obwohl die Hinweise aus den Ausschusssitzungen nichts Gutes erwarten ließen. Eine Nachfrage bei der UNB (Untere Naturschutzbehörde des Landkreises) erbrachte jedoch noch keinen neuen Sachstand zum erforderlichen naturschutzfachlichen Gutachten zum “Grünen Westring”, das die Stadtverwaltung im Baubeschluss durch ein Büro erarbeiten lassen wollte. Ebenso war die Stadtverwaltung von der UNB im Januar 23 neu beauflagt worden, das Gutachten zur Mountainbikestrecke zu überarbeiten.
Dies alles beunruhigte Herrn Romer sehr, denn wie kann man von einer “Grünen Stadt” sprechen, wenn eine grüne Zone fast im Zentrum der Stadt umgestaltet werden soll, ungeachtet der Notwendigkeit von sicheren Radwegen. “Habt Ihr denn keine Alternativen für die geplante Trasse von der Weinböhlaer Str. bis zum Hirtenweg prüfen lassen?”, wollte Herr Romer wissen. “Die haben wir selbst natürlich geprüft, ohne planerische Leistungen ausgeschrieben zu haben. Und wir gehen auch davon aus, dass dies reale Alternativen wären und einen unkomplizierten Trassenverlauf für sichere Radwege darstellen. Noch dazu kommt die Einsparung von Bauleistungen, die bei der Trasse im “Grünen Westring” jedoch den Haushalt der Stadt belasten”. Dabei informierte ich ihn aber auch über die ausgewiesenen Fördermittel von Bund und Landkreis. “Was ist dies aber alles gegen eine 8m breite Trasse durch dieses schöne Refugium des Gartens mit diversen geschützten Tieren und deren Rückzugsräumen”, antwortete er verärgert. Leider konnte ich ihn noch nicht über konkrete Zahlen des Beginns der Massnahme aufklären, denn nun muss ich selbst in die Spur gehen und Informatioen einholen.
Und nun heute am 7.10., ich wache auf und das Amtsblatt liegt im Kasten. mit dem Artikel der Stadtverwaltung zu “E-Fähren und Radwegenetz im Landkreis- Grüner Westring” und auch die SZ vom 7.10. mit dem Artikel “Hier werden Fördergelder mit Fördergeldern plattgemacht”, worin besorgte Bürgerinnen und Bürger ihre Besorgnis über den beschlossenen Bau des Radweges ”Grüner Westring” äußerten. Damit nimmt die Eskalation des Vorganges seinen Weg und wohin wird er führen?
Also düse ich sofort zu Herrn Romer und zeige ihm die besagten Artikel. Bloß gut, dass sein Haupt so fest auf der Stele verankert ist, denn er wäre fast von derselben gefallen. Dies konnte ich ja nicht zulassen und stützte ihn mit voller Kraft, um das kulturelle Erbe der Großen Kreisstadt Coswig zu erhalten. “Jetzt seid Ihr am Zuge, um dieses Vorhaben zu stoppen”, forderte er mich sehr energisch auf. “Dies wird nicht so leicht sein”, erwiderte ich.
“Die Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat sind unberechenbar und durch die bisherige Unkenntnis der Bevölkerung dazu, wird es ein steiniger Weg der Verhinderung werden. Mal sehen, was der Fördermittelgeber für “efair” zur Beseitigung von Grün in einem Klimaprogramm dazu sagen wird”, versuchte ich Herrn Romer zu beruhigen. “Lieber Herr Romer, entschuldigen Sie mich nun für heute, ich muss los und die Coswiger wie auch immer wachzurütteln, was hier in ihrer Stadt passiert. Ich komme bald wieder, um Sie auf dem Laufenden zu halten. Bleiben Sie weiter aufmerksam, wenn Sie hier im Garten Infos aufschnappen!”
”Gehen Sie nur, lieber Herr und tun Sie Ihre Bürgerpflicht, denn soviel ich in der heutigen Zeit schon mitbekam, haben wir jetzt Demokratie.
Donnerwetter, dachte ich, was dieser weise Mann so alles sagte!
Und nun an die Arbeit!

Eberhard Bröhl

BISMARCKTURM hat jetzt wieder einen gestalteten Vorplatz

Foto: D. Lohse

Ein paar Mal habe ich es schon erlebt, wenn ich Freunde zum Aussichtspunkt Bismarckturm begleitet hatte, dass ich mich für Pfützen und da herumliegenden Abfall entschuldigen musste. Es war lange ein unwürdiger Zustand für die Touristenstadt Radebeul, die man ja sein möchte.
Nach 2000 hatte die Stadt als erste Etappe begonnen, die Fläche vor der Südseite des Turmes als Aussichtsterrassen mit Treppen und Bänken neu zu gestalten. Die Vorbereitung der nächsten Etappe, der baulichen Sicherung und Umgestaltung des von Architekt Wilhelm Kreis entworfenen und 1907 errichteten Bismarckturms, dauerte von 2015 – 19 etwas länger. Der Turm sollte nun eine innere Treppe mit Aussichtsplattform erhalten, wozu ein Zusammenwirken der Stadtverwaltung und dem „verein für denkmalpflege und neues bauen“ vereinbart wurde. Eine recht anspruchsvolle und schließlich gut gelöste Aufgabe!

Foto: D. Lohse

Die dritte Etappe im Jahr 2023, die ich heute vorstellen möchte, betraf dann die Gestaltung des nördlichen Vorplatzes. Sie wurde im dritten Quartal d.J. bis auf eine Restarbeit (regulierte Wasserableitung am Eggersweg) abgeschlossen. Von der ursprünglichen Gestaltung des Platzes von 1907 war bis auf die Reihung von Stieleichen nichts mehr zu erkennen. In diesem Frühjahr war ich zufällig hier vorbeigekommen als die Arbeiten begannen und war froh, dass diese Maßnahme nun endlich realisiert werden sollte. Dann war ich Anfang September wieder hier oben gewesen und konnte das fast fertige Ergebnis der Vorplatzgestaltung sehen. Restliche Bauzäune, die das Anwachsen des Grases gewährleisten sollten, sind inzwischen auch verschwunden.
Die 3. Etappe lag zuständigkeitshalber wieder wie die südlichen Terrassen in den Händen der Stadtverwaltung Radebeul. Das Landschaftsplanungsbüro Knibbe hatte ein Projekt erarbeitet. Straßen- und Tiefbauarbeiten erbrachte die Firma Hausdorf aus Thiendorf und für die landschaftsgärtnerischen Arbeiten war die Firma Kohout aus Elstra zuständig.

Foto: D. Lohse

Betrachten wir nun die Gestaltung der Anlage etwas genauer. Man wird axial im Sinne der Turmachse (Eingangstür) zum Bauwerk hingeführt. Vor dem Turm erweitert sich die Wegbreite zu einem viereckigen Platz, der durch eine etwa sitzhohe Sandsteineinfassung von den Rasenflächen getrennt wird. Diese Rechteckform des Platzes setzt sich bewusst von der Kreisform (Grundriss) des Bismarckturms ab. In die Sandsteineinfassung sind umlaufende Lichtstreifen zum Platz hin installiert, die die Beleuchtung gewährleisten sollen. Auch Papier- und Abfallkörbe wurden in den Vorplatz integriert. Außerhalb der Sandsteinstreifen (Postaer Sandstein) schließen sich Rasenflächen bis zu den Bäumen hin an. Die unmittelbare Wegfläche wurde mit Granitkleinpflaster belegt, die Platzerweiterung erhielt eine sächsische Wegedecke. Parallel zur verlängerten Spitzhausstraße wurden längliche Gräben als Verdunstungsmulden in die Rasenfläche eingefügt, da eine Kanalisation nicht vorhanden war und eine Abspülung des Erdreichs von den angrenzenden Hangflächen unerwünscht war. Die planierte Platzfläche erhielt ein optisch kaum wahrnehmbares Gefälle in Richtung der Mulden, also vom Turm weg. Der alte, etwa hundertzwanzigjährige Baumbestand von Stieleichen, konnte erhalten und um eine Neupflanzung ergänzt werden. Eine Spendenbox und eine Hinweistafel vor dem Eingang wurden bereits in der zweiten Bauetappe (Turm) aufgestellt.

Foto: D. Lohse

Durch die o.g. drei Etappen konnte das Ensemble Bismarckturm zur Freude der Radebeuler und der Gäste unserer Stadt wesentlich aufgewertet werden. Hoffen wir, dass die „Sprayergilde“ den frischen Sandstein hier verschonen möge. Bei einem abendlichen Besuch des Bismarckturmes sah ich dann die eingeschaltete Beleuchtung. Gut gedacht, aber je nach Standpunkt wird man etwas geblendet. Vielleicht kann man die Leuchtstärke mit technischen Mitteln (Dimmen?) und ohne großen Aufwand ein wenig reduzieren?
Laut Auskunft des Gartenamtes im Rathaus wird sich die Gesamtbausumme um ca.
310.000€ belaufen.
Ich danke Frau Seidel vom Gartenamt für ihre freundliche Auskunft.

 

Dietrich Lohse

Tabula Rasa – Tanzen verbindet…oder?

Eindrücke von einem ungewöhnlichen Tanzprojekt an den Landesbühnen

Ja, Tanzen verbindet, wie man im September am Beispiel einer Koproduktion der Landesbühnen Sachsen mit Tänzern der „ich bin o.k.“ Dance Company aus Wien sehen konnte. „Tabula Rasa – ein inklusives Tanzprojekt“ wurde nach Voraufführungen in Wien Mitte September drei Mal auf der Studiobühne der Landesbühnen uraufgeführt und dem überwiegend jugendlichen Publikum präsentiert. „Tabula Rasa“ ist die Fortsetzung einer schon länger bestehenden Kooperation beider Ensembles, die uns schon tolle Stücke, wie im letzten Jahr den „Nussknacker“, erleben ließ. Die Kooperation ist Teil eines von der EU geförderten Projekts, das den Tänzern unter anderem auch Auftritte in Norwegen ermöglichte. „Tabula Rasa“ wurde seit Februar in sechs Probenphasen von ungefähr je einer Woche Dauer vorbereit, denn die Mitwirkenden aus Wien mussten dafür ihren Urlaub nutzen.
Die „Ich bin O.K.“ Dance Company wurde vor 45 Jahren durch die Mutter des heutigen künstlerischen Leiters Attila Zanin mit der Vision der „Förderung der gesellschaftlichen Inklusion von Menschen mit und ohne Behinderung durch Tanz und Theater“ ins Leben gerufen. Und diese Vision haben sie bis jetzt in beeindruckender Weise mit Leben erfüllt, denn neben der Kooperation mit den Landesbühnen Sachsen war die Wiener Company noch an vielen weiteren inklusiven Tanzprojekten beteiligt. Dazu gehörten z.B. die Teilnahme eines Debütantenpaares mit Down-Syndrom am Wiener Opernball, die Mitwirkung an der Eröffnungs- und Abschlussshow der Special Olympics World Winter Games 2017 oder die siegreiche Teilnahme an internationalen Tanzwettbewerben in Wien und Moskau.
„Tabula Rasa“- reinen Tisch machen. Der Titel der jüngsten Produktion zieht sich auch ganz augenfällig durch das Stück, das aus einzelnen nicht zwingend zusammenhängenden, aber doch ähnlich aufgebauten Szenen besteht. Aus den Interpretationen verschiedener Alltagsmomente durch die fünf Wiener Tänzerinnen und Tänzer mit Behinderung und den beiden Akteuren aus der Tanzcompagnie der Landesbühnen (Marianne Reynaudi und Gavin Law) entstehen doch immer ein Dialog und ein Zusammenspiel. Tanzend erzählen die Künstler von Alltäglichem wie dem Kochen, von Gruppendynamiken, vom Ausgeschlossensein und vor allem davon, dass Geld und Erfolg vielleicht nicht alles sein sollten was im Leben zählt. Dass die Gemeinschaft wichtiger ist und wir wahrscheinlich vor allem eines brauchen, nämlich eine Tabula Rasa, einen Neuanfang im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Wir werden aufgefordert, die Welt unvoreingenommen zu betrachten, alle Lebewesen als wertvoll anzuerkennen und uns nicht von der Last von Goldketten am Hals in unserer Mitmenschlichkeit runterziehen zu lassen.
Was Stücke wie diese besonders macht ist natürlich die Zusammenarbeit zwischen den Profitänzern und den Menschen mit Trisomie 21. „Die Tänzer mit Trisomie 21 tanzen einfach so, wie sie sich selber sehen“, so Atilla Zanin. Während die Profis vor allem Technik und Perfektion in die gemeinsame Arbeit bringen, tragen die Menschen mit Behinderung ein Gefühl von Ungezwungenheit, Spontaneität und Freiheit bei. Und genau deswegen sind Stücke und Projekte wie diese auch so wichtig und wünschenswert für die Förderung von Toleranz und Inklusion. Denn sie zeigen, dass wir von jedem Mitglied der Gesellschaft lernen können und lernen sollten. Denn ich glaube, in einer Welt, wie wir sie gerade haben, die geprägt ist von Leistung als dem Qualitätsmaßstab schlechthin, vergessen wir manchmal, was wirklich zählt. Nicht perfekt zu sein ist okay und macht uns zu den Menschen, die wir wirklich sind. Vielleicht sollten wir alle mal auf leere Tische steigen und tanzen – und schauen, was das mit uns macht.

Helene Ploschenz
Kl. 11 Lößnitzgymnasium Radebeul

Ein Kötzschenbroda-Roman von Anja Hellfritzsch

Foto:Radebeuler Notschriftenverlag

Romane, deren Handlung in Radebeul bzw. den Ursprungsgemeinden angesiedelt ist, sind äußerst selten. Man denkt da zuerst an Tine Schulze Gerlachs „Erinnerung an Maurice“ aus dem Jahre 1969, und manche kennen „Kokeros“ von Christian Grün.
Nun ist ein knapp 350-Seiten-Werk erschienen, was uns ein paar Jahre in Kötzschenbroda Ende des 19. Jahrhunderts eindrucksvoll und lebensnah miterleben lässt: „Haltepunkt Kötzschenbroda“.
Die Autorin Anja Hellfritzsch hat sich durch eine Akte („Weggang des Gemeindevorstandes Vogel“) im Stadtarchiv zu intensiven Recherchen inspirieren lassen und dann literarisch die Fäden zwischen den Fakten gesponnen.
Und so sind wir dabei und mittendrin, als Hermann Ilgen die Apotheke auf der Bahnhofstraße übernimmt, modernisiert und mit Rattengift experimentiert, wie der Gemeinderat im Harmonieschlößchen bei Bier und Tabak tagt, wie die 400-Jahre-Lutherfeier in der späteren Friedenskirche begangen wird, wie August Kaden mit neuen sozialen Ideen aneckt und und und.
Aber Mittelpunkt der Handlung ist der Gemeindevorstand Woldemar Vogel, der anerkannt und souverän die Gemeinde führt, im Amt auf der Harmoniestraße 3 „residiert“, dort ganz routiniert den (noch) mittellosen Gerhart Hauptmann mit der reichen Marie Thienemann vermählt und eine nach außen mustergültige Ehe führt.
Doch der Schein trügt. Den Tod seiner ersten Ehefrau verkraftete Vogel nicht, die jetzige ist eine Zweckehe, seine Apotheke hatte er damals verkauft an jenen Hermann Ilgen, nun ist jede Neuerung an ihr ein Angriff auf all die schönen Erinnerungen, wie er auch sein gesamtes Bild von Kötzschenbroda konservieren möchte. Allerdings drängt die Zeit vorwärts mit damals irritierenden Neuerungen wie Elektrizität, Telefonie, Industrialisierung, Sozialdemokratie und zunehmenden Tourismus. Stoff für Konflikte. Die Fassade des Gemeindevorstandes Vogel beginnt zu bröckeln, und es endet in einer Tragödie.

Autor


Roman
346 Seiten, Klappenbroschur
mit einigen historischen Fotos und Abbildungen
16,90 €

Abflughafen Radebeul-Mitte

Spielzeitauftakt zu „Last Call“ Foto: R. Jungnickel

Zum Spielzeitauftakt „Last Call“ an den Landesbühnen am 14.10.2023

Nachdem die Landesbühnen Sachsen erstmals in der Spielzeit 2009/10 mit dem „Umbrüche“-Projekt den Versuch unternommen hatten, an einem Abend mehrere Stücke parallel auf drei Zeitschienen anzubieten, sie dieses Format 2014/15 und 2015/16 unter dem Motto „Irrtümer“ fortgesetzt hatten, trommelten sie jüngst zur Spielzeiteröffnung 2023/24 mit „Last Call“ die Theaterenthusiasten nach Radebeul-Mitte, um ein vergleichbares Projekt zu stemmen. Man mag darüber streiten, ob die Fülle an Angeboten wirklich nötig ist, um die beachtliche Vielfalt des Repertoires des Mehrspartenhauses unter Beweis zu stellen. Die Struktur des Abends sieht vor, dass sich die Besucher zuerst auf vier Stücke verteilen, sich danach alle im Großen Saal einfinden, sie sich abermals trennen um schließlich zur vierten Aufführung wiederum im Großen Saal zusammenzukommen. Insgesamt gibt es sieben verschiedene „Gates“, an den sich die „Passagiere“ einfinden können (ein Lob für die pfiffigen „Bordkarten“, also die Programmzettel). Intendant Manuel Schöbel möchte den Spielzeitauftakt als eine Einladung ins Theater verstanden wissen, „in eine zauberhafte Welt, eine Welt der tausend Möglichkeiten, an einen Ort, an dem Träume wahr werden, wo alles möglich erscheint“. Der Theaterdirektor aus Goethes „Faust“ mag hierbei insgeheim Pate gestanden haben, denn „wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“. Hinzu kommt, dass die Landesbühnen seit 2022 ihr Leitungsteam personell neu aufgestellt haben und demzufolge Kai Anne Schuhmacher (Operndirektorin), Natalie Wagner (Leiterin der Tanzcompagnie und Chefchoreografin) sowie Jan Meyer (Oberspielleiter Schauspiel) zusammen mit Intendant und Chefdramaturgin Dr. Ruth Heynen einen solch opulent ausgestatteten Abend verantworten und sich damit en bloc zusammen mit ihren Ensembles dem Publikum präsentieren können.
Manuel Schöbel erklärt im Jahresspielplanheft den auf den ersten Blick befremdlich anmutenden Titel „Last Call“ mit dem Hinweis auf einen „letzten Aufruf“ (wie vor dem Abflug eines Flugzeuges) an das Publikum, gemeinsam Gefährdungsszenarien unserer Zeit auf ihre Relevanz für uns im Jetzt und Hier zu befragen. Die vier von mir besuchten Stücke beziehen sich in ganz unterschiedlicher Weise auf diesen Ansatz und vermochten nur teilweise die Erwartungen zu erfüllen. „Atmen“, ein Zweipersonenstück von Duncan Macmillan, hatte bereits im April 2022 Premiere und gehört seither zum Repertoire (Regie: Moritz Gabriel). Julia Rani und Grian Duisberg stehen für schauspielerische Exzellenz und loten in dem 75 Minuten dauernden Kammerspiel Höhen und Tiefen einer Paarbeziehung aus. Ihr intensives Spiel zieht in den Bann und eröffnet eine sehr private, geradezu intime Perspektive auf den „last call“. Wie geht verantwortungsvolle Familienplanung heute angesichts Klimakrise und Überbevölkerung? Sollten die 10000 Tonnen CO², die ein Mensch im Laufe seines Lebens durchschnittlich verursacht, ein Grund dafür sein lieber kinderlos bleiben zu wollen? Ist der altruistische Gedanke, der Erderwärmung nicht auch noch durch Fortpflanzung Vorschub zu leisten, nicht am Ende nur eine egoistische Geste, die auf die eigene Komfortzone verweist? Das Stück, welches bis kurz vor Ende zwischen Aufgabe des und Hingabe an den Partner schwankt, endet versöhnlich.
Als eine von insgesamt vier Uraufführungen (!) an diesem Abend konnte das Publikum eine Komposition von Hans-Peter Preu erleben, dessen „Letzte Rufe aussterbender Arten“ als eine „Kantate über die Zukunft der Lebewesen auf diesem Planeten“ untertitelt ist, worunter auch der Mensch selbst als gefährdete Art fällt. Dieses Stück (Künstlerische Leitung: Tine Josch; Musikalische Leitung: Karl Bernewitz; Choreografie: Natalie Wagner) folgt einer ungewöhnlichen Grundidee: Textpassagen von der Bibel bis hin zur Gegenwart, die jeweils auf das Entstehen und Verschwinden von Lebewesen bezogen sind, vertonte Preu auf musikalisch sehr heterogene Weise und schafft eine von Tänzern illustrierte Klangwelt. Wird etwa der Entstehung der Welt mit Texten aus der Genesis ein mystisches musikalisches Gewand umgelegt (hier kommt ein Duduk genanntes Instrument zum Einsatz), erklingt wenig später eine die Werbeindustrie persiflierende tanzbare Nummer im Stil der 1920er, in der man nach Eberswalde zum „Friedhof der ausgestorbenen Tiere“ eingeladen wird. Die abwechslungsreiche musikalische und textliche Gestaltung verlangt dem Opernchor, den beiden Musikern (Hans Peter Preu am Klavier, Stephan Pankow an der Gitarre) und vor allem dem Publikum einiges ab. Wer nicht bibelfest ist wird sich fragen, was die neutestamentarische Erzählung über Lazarus damit zu tun hat, dass der neuseeländische Takahe (eine Vogelart) doch nicht ausgestorben ist… Etwas unklar bleibt die Rolle der Schauspielerin, die an diesem Abend von Dörte Dreger verkörpert wurde. Nachvollziehbar ist der Ansatz, dass sie das Geschehen durch ausgewählte Texte kommentiert. Warum sie dabei aber manchmal abliest, manchmal rezitiert, manchmal am Rand sitzt, sich dann wieder geisterhaft zwischen den Choristen durchschiebt wird nicht plausibel, sondern lenkt vom musikalischen und tänzerischen Geschehen ab. Insgesamt aber ist Preus Komposition ein mutiger und gelungener Versuch, einen „letzten Aufruf“ in die Welt zu schicken, sich für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen.
Mit dem Hinweis auf eine „schräge“ Darbietung entließ mich ein mir bekannter Mitarbeiter der Landesbühnen dann in die Studiobühne, wo mit „Eight songs for a mad king“ (Inszenierung: Kai Anne Schuhmacher) ein avantgardistisches Monodram des britischen Komponisten Peter Maxwell Davies aus dem Jahr 1969 auf dem Programm stand. Tatsächlich kommt diese gut halbstündige Performance als akustische Herausforderung daher, weil Andreas Petzoldt als König Georg III. die ganze ihm zur Verfügung stehende Skala an Tönen und Lauten ausschöpfen muss, um den von Wahnsinn heimgesuchten Regenten, der sich mit Vögeln unterhält, zu verkörpern. Das kleine Orchester unter Leitung von Karl Bernewitz muss damit leben, weniger Harmonie als vielmehr Kakofonie hervorbringen zu müssen, was die Hörgewohnheiten des Publikums auf die Probe stellt. Erfreulicherweise bot Dramaturgin Gisela Zürner nach der Aufführung ein kurzes Nachgespräch an, um Hintergründe dieser bereits in der Spielzeit 2022/23 produzierten Inszenierung auszuloten. Keineswegs ist es als ironischer Kommentar bezüglich der Tatsache zu deuten, dass mit König Charles III. erstmals seit 70 Jahren wieder ein männlicher Herrscher der britischen Monarchie vorsteht. Stattdessen soll auf das Problem aufmerksam gemacht werden, dass Machthaber, die nicht mehr Herr ihrer Sinne sind, womöglich nicht nur ein historisches Phänomen, sondern auch in der Gegenwart anzutreffen sind und also die Existenz von Menschen und Völkern gefährden.
Der Abend, der unterdessen mehr als eine halbe Stunde Verzögerung zum eigentlich vorgesehenen Zeitplan aufwies, wurde ab 22.20 Uhr mit der Groteske von G.A. Beckmann „Die große Reblauskatastrophe“ beschlossen. Dieses Stück in der Regie von Jan Meyer ist ein Auftragswerk und soll einen „wilden und trashigen Ritt durch die sächsische Geschichte“ (Programmheft) vermitteln. Diesen Ritt empfand der Großteil des Publikums allerdings als ziemlich holprig, denn abgesehen von Ausnahmen regten sich die Hände zum Applaus nur zögerlich und gingen die meisten mit Fragezeichen aus dem Saal. Die Grundidee, mehrere Zeitebenen von Sachsens Geschichte (im Stück als „Saxon Wonderland“ bezeichnet) ineinander zu blenden und die religiösen Konflikte des 30-jährigen Krieges mit der Reblauskatastrophe des späten 19. Jahrhunderts und den gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen in eine Story zu bringen trägt nicht und wirkt bemüht. Die Figuren bleiben in ihrer Funktion und Motivation weitgehend unklar und bevölkern eine Bühne, auf der am Ende eine Atombombe durch Prof. Dr. Rotbart Stockenheimer (lies: Robert Oppenheimer) alle Probleme löst. Natürlich weitet die Genrebezeichnung „Groteske“ die akzeptabel empfundenen Stilmittel aus, aber ob man mit dem Entsetzen so Scherz treiben sollte möchte ich bezweifeln – noch dazu in unserer durch ganz reale Kriegsereignisse so gefährdeten Zeit. Ebenso ist es zu hinterfragen, ob es – wie gesprächsweise vernommen – eine gute Idee ist, dieses Stück in Settings wie der Hoflößnitz aufzuführen, also in einer intakten Kulturlandschaft, deren Bewahrung und Pflege den Radebeulern seit Generationen Herzensanliegen ist und denen man also darauf bezogene „letzte Aufrufe“ nicht mit dem Holzhammer in der Hand entgegenbrüllen muss.
Was also bleibt vom Spielzeitauftakt an den Landesbühnen? Ein großer Dank an die vielen Mitwirkenden aus allen Bereichen, die mit Liebe zum Detail an allen Ecken und Enden des Hauses Anreize setzten, sich willkommen zu fühlen (u.a. Gaukler vor dem Eingang, Musiker am Wunschklavier, „Fluglotsen“ in Person von Schülern aus dem Jungen Studio der Landesbühnen, Vertreter einer Blumensamenbank draußen im Hof). Respekt für die künstlerische Potenz des Hauses, dessen konzeptionelle, personelle, räumliche und technische Ressourcen ein Segen für Radebeul und die Theaterlandschaft in ganz Sachsen sind. Es ist mehr als erstaunlich, dass man sich einen Kraftakt wie „Last Call“ gleich fünfmal zugemutet hat (nicht nur am 14.10., sondern überdies vom 19.-22.10.) Leise Zweifel, ob man nicht das Publikum kräftemäßig mit einem mehr als fünfstündigen Programm überfordert, ohne dass zwischendrin ausreichend Zeit für ein Getränk oder einen Imbiss ist – die Schlangen am dünn besetzten Tresen waren lang, die Getränke durften nicht mit zu den Spielstätten genommen werden. Große Zweifel, ob wirklich alle Inszenierungen dem Anspruch gerecht werden, einen sinnstiftenden Beitrag zum Motto des Abends zu leisten. Vielleicht wären weniger Abflüge mit dafür größeren Maschinen ja doch besser gewesen.
Bertram Kazmirowski

45. Radebeuler Grafikmarkt

Zwischen Tradition und Perspektive

Wieder einmal ein Jubiläum! Nein, kein besonders Rundes, dafür aber ein recht bemerkenswertes. Denn der 45. Radebeuler Grafikmarkt ist der älteste Grafikmarkt in Sachsen in geschlossener Folge. Weder der gesellschaftliche Umbruch noch der Umzug von Ost nach West, selbst die Corona-Pandemie führten zu einer Unterbrechung. Immer wieder wurden organisatorische Lösungen gefunden, um die Fortführung dieser traditionsreichen Veranstaltungsreihe zu ermöglichen.
Die Anregung, in Radebeul einen Grafikmarkt zu etablieren, kam ursprünglich von Fritz Treu (1908-2009), dem damaligen Vorsitzenden der Radebeuler Pirckheimer-Gesellschaft, einer Vereinigung von Graphik- und Exlibris-Sammlern. Der Start erfolgte 1979 im Rathaus unter Beteiligung von 24 Künstlern. Nach Auflösung der Ortsgruppe des Kulturbundes, in welche die „Pirckheimer“ eingebunden waren, übernahm die Stadtverwaltung Radebeul ab 1990 die Trägerschaft. Die Organisation obliegt seitdem der Stadtgalerie. Wo ein Wille ist, findet sich immer wieder ein Weg!
Aber auch der Weitsicht unserer Vorfahren ist es zu danken, dass in Radebeul eine so großräumige Mehrzweckhalle existiert, welche im Jahr 1908 ursprünglich als offene Schützenhalle errichtet, später mehrfach umgebaut, u. a. als Sänger-, Konzert- und Messehalle sowie heute vorwiegend als Sporthalle genutzt wird. Mit einer Ausstellungsfläche von 900 qm und zahlreichen PKW-Stellplätzen auf der angrenzenden Festwiese bieten sich optimale Bedingungen für diese kulturelle Großveranstaltung. Zu den Standortvorteilen gehört vor allem aber auch die gute Erreichbarkeit mit S-Bahn, Bus und bald wieder mit der Straßenbahn.

Plakat zum 3. Radebeuler Grafikmarkt, Heinz Drache (1929-1989), Weinberg „Goldener Wagen“, 1981, Lithografie

Der Radebeuler Grafikmarkt ist im doppelten Sinne barrierefrei. Alle Stationen befinden sich auf einer Ebene und der kostenlose Eintritt – Dank städtischem Zuschuss und vieler ehrenamtlicher Helfer – ermöglicht den Zugang für jedermann. Auch das Standgeld für die 107 teilnehmenden Künstler ist erschwinglich. Die Zahl der Bewerbungen übersteigt die Platzkapazität allerdings bei weitem. Dominiert wird der Grafikmarkt in diesem Jahr von 22 Künstlern aus Radebeul und 44 aus Dresden. Gleich 5 Künstler haben sich aus Halle an der Saale angemeldet. Besonders für freischaffende Einzelkünstler, die in kleineren Städten und Gemeinden leben, haben die in Dresden, Meißen und Radebeul stattfindenden Grafikmärkte eine große Bedeutung.
Wer beim Radebeuler Grafikmarkt schon einmal dabei war, der kommt gern immer wieder. Die vielgescholtene „Schlafstadt Radebeul“ zeigt sich hier von ihrer munteren Seite. Sehen und gesehen werden lautet die Devise. Das Publikum ist bunt gemischt, darunter Kunstinteressierte, Neugierige und Sammler. Die einen kommen zielgerichtet, um zu kaufen, die anderen, um erstmal zu „guggn“. Die Fülle der Eindrücke ist überwältigend. Das vielfältige Angebot umfasst neben druckgrafischen Arbeiten auch Aquarelle, Zeichnungen, Scherenschnitte, Collagen und Fotografien. Die Werke stammen von etablierten, akademisch ausgebildeten, aber auch von jungen, noch völlig unbekannten Künstlern sowie von begabten Autodidakten. Künstlerbücher, Kataloge, Plakate, Kalender und Postkarten tragen zur Angebotsvielfalt bei. Wer hier keine Weihnachtsgeschenke findet, ist selber schuld!
Eine kleine Pause sollte man sich im Künstlercafé gönnen und ein Stück vom selbstgebackenen Kuchen des Förderkreises der Stadtgalerie probieren, zumal das süffisante Motto lautet: Jede Kalorie dient einem guten Zweck! Die optische Ausgestaltung des Cafés erfolgt durch die überregional agierende Gruppe „Kunstspuren“ und das diesjährige Grafikmarkplakat schuf der Dresdner Künstler Hartmut Trache. Der Radebeuler Künstler André Uhlig wiederum zeigt, wie eine Grafik an der Presse entsteht. Stationen zum Mitmachen gibt es für Kinder und Erwachsene. Angeboten wird ein Passepartouts- und Rahmungsservice, Verlage informieren über ihre Neuerscheinungen und der Wandertheaterförderverein präsentiert seine Weinsonderedition mit einem originellen Künstleretikett. Auch die Redaktion von „Vorschau & Rückblick“ ist wieder mit einem eigenen Stand vertreten, um mit den Lesern ins Gespräch zu kommen oder neue Interessenten zu gewinnen.
Auf die Frage, was denn nun die Künstler reizt, am Radebeuler Grafikmarkt teilzunehmen, kommt von vielen die erstaunliche Antwort, dass es Ihnen nicht in erster Linie um den Umsatz geht. Angezogen fühlen sie sich von der besonderen Atmosphäre. Es ist die Nähe zum recht bodenständig gemischten, kommunikationsfreudigen und aufgeschlossenen Publikum, der direkte Austausch über Kunst, die seltene Gelegenheit zum Fachsimpeln mit den Kollegen, die Möglichkeit alte Kontakte aufzufrischen und neue zu knüpfen. All das wirkt sich in seiner Komplexität motivierend und nachhaltig auf das künstlerische Schaffen aus. Wer sich darauf einlässt, vor Ort präsent zu sein, ist danach zwar ziemlich erschöpft, aber wohl auch ein wenig glücklich über die vielen anregenden Impulse.
Wenn der Radebeuler Grafikmarkt von allen Beteiligten weiterhin so engagiert mit Leben gefüllt wird und die verantwortlichen Organisatoren die künstlerische Qualität als Auswahlkriterium im Blick behalten, kann man recht zuversichtlich sein, dass diese traditionsreiche Veranstaltungsreihe auch künftig eine gute Perspektive hat.

Karin (Gerhardt) Baum


Info: Der Radebeuler Grafikmarkt findet am 5. November 2023 von 10 bis 18 Uhr in der Elbsporthalle Radebeul-West statt. Organisation, Kontakt und Information: Stadtgalerie Radebeul, Alexander Lange und Magdalena Piper, (0351) 8311-600, -626, galerie@radebeul.de
Der Grafikmarkt-Flyer ist online abrufbar und liegt außerdem im Radebeuler Rathaus, dem Kulturamt, der Stadtgalerie, der Tourist-Information sowie in allen Radebeuler Kultureinrichtungen und Buchhandlungen aus.
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Tipp: Interessante Lesebeiträge zur wechselvollen Geschichte des Radebeuler Grafikmarktes finden sich u.a. in den Print- und Onlineversionen des kulturellen Monatsheftes „Vorschau und Rückblick“ 1990/12, 2014/12, 2015/10, 2018/11.

 

Editorial

Editorial

Es ist Ende der 1960er Jahre gewesen, als ich im Zeitkino am Dresdner Hauptbahnhof einen Dokumentarfilm über Bauen in Finnland gesehen habe. Architekten überlegten genau, wie bereits existierende Bäume, Sträucher und weiteres wertvolles Grün als zwingend zu erhaltende Elemente in Planungen zu berücksichtigen sind. Und das in einem Land, in dem wahrlich reichlich Bäume wachsen. In der Vorbereitung der Baumaßnahmen wurden die zu schützenden Bäume sorgfältig „eingepackt“, um sie vor Schäden durch Baufahrzeuge zu schützen. Das hat mich damals sehr beeindruckt, und ich habe nicht vergessen, mit wieviel Sorgfalt da vorgegangen wurde.
Wenn ich heute Bauvorbereitungen betrachte, muss ich oftmals feststellen, dass, manchmal sogar ohne Vorliegen vollständiger Bauunterlagen, schon mal Tatsachen, sprich Baufreiheit dahingehend geschaffen wird, und alles was Grün ist, beseitigt wird. Da nützt es auch nicht immer, sogenannte Ausgleichs- und Ersatzflächen auszuweisen. Neue Anpflanzungen sind schön und gut, aber wie lange dauert es, bis ein Baum wieder Schatten spendet und hilft, die Luft zu reinigen und das Klima zu verbessern? Oft überstehen Neuanpflanzungen nicht einmal das erste Jahr, mangels Wasser oder wegen anderer Standortgunst. Ganz abgesehen davon, dass „Ausgleichsflächen“ in ihrem alten Zustand häufig bereits ökologische Bedeutung haben, letztlich also die „grüne Bilanz“ negativ ist. Schnell, viel zu schnell, geben Bauplaner und verantwortliche Verwaltungen grünes Licht für Kahlschlag. Und das in einer Zeit, in der kein Tag vergeht, an dem nicht die Worte Biodiversität und Klimaschutz benutzt werden. Dabei sollten doch alle Verantwortung für das genannte Anliegen übernehmen: Planerinnen und Planer, Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, Ratsmitglieder und andere Beteiligte.
Dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen im umfassenden Sinne muss auch im Kleinen Vorrang eingeräumt werden!

Ilona Rau

Zum Titelbild V&R Okt. 2023

An den Brunnen 34

Foto: D. Lohse

Um 1900 hatten Studenten der Königlichen Baugewerkeschule Dresden das Winzerhaus aufgemessen und skizziert. Überrascht war ich, dass sie es altes Wohnhaus in Naundorf bei Kötzschenbroda nannten. Aber die Adresse befindet sich auf der nördlichsten Ecke von der Flur Naundorf, fast in Lindenau. Ich halte es vom Typ her für ein um 1700 erbautes Winzerhaus (ein Brunnenteil zeigt die Jahreszahl 1699) – früher war es das Wohnhaus eines Winzers, dann, nach der Reblaus, nur noch ein Wohnhaus, heute für Herrn und Frau Maune. Bauliche Veränderungen blieben nicht aus und verwischten den Charakter eines Winzerhauses immer mehr, so wurde der Stallanbau nach 1900 aufgestockt und das Fachwerk des OG ist nicht mehr zu erkennen. Es wurde verbrettert, bzw. überputzt. Hinzu kommen z.T. veränderte Türen und Fenster für eine neue Wohnfunktion. Auf dem westlichen Land wurde hier nach der Reblauskatastrophe kein Wein wieder angebaut.

Dietrich Lohse

Mit den Texten der brachialromantischen Hausapotheker Dieter Beckert und Jürgen B. Wolff durchs Jahr

8. Thematischer Filmclubabend

Das Wanderkino Film Club Mobil ist am 5. Oktober 2023 um 19.30 Uhr in der Stadtgalerie Radebeul zu Gast. Gezeigt wird der DEFA-Klassiker „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“, welcher 1974 Premiere hatte. Bis zur kleinsten Nebenrolle ist dieser leise Episodenfilm über einen freischaffenden Bildenden Künstler hochkarätig besetzt. Der Regisseur Konrad Wolf (1925–1982) hatte dabei den Bildhauer Werner Stötzer (1931–2010) vor Augen, der im Film selbst eine kleine Rolle spielt. Aber auch durch die wechselvolle Biografie von Konrad Wolf wurde dieser Film geprägt.

In der Hauptrolle brilliert der Schauspieler Kurt Böwe (1929–2000). Dieser beschreibt Stötzer als eigenartigen, humorigen und hintergründigen Typ. In Vorbereitung auf seine Rolle wohnte er eine Woche bei Stötzer. Sowohl der Schauspieler als auch der Bildhauer sind gewissenhafte Beobachtungsmenschen. Der Film wirkt sehr authentisch und lässt viel Raum für das Unausgesprochene. Der nahezu dokumentarische Realismus spiegelt sehr feinfühlig den Alltag jener Zeit. Der Film entstand 1973, in der hoffnungsvollen Übergangszeit von der Ulbricht-Ära zur Honecker-Ära, welcher schon bald eine neue Phase der Agonie folgen sollte. Vor allem in Konrad Wolfs späten Werken klingen immer wieder kritische Töne gegen die Beeinflussung der Kunst durch die Politik an. Gedreht wurde u. a. in Stötzers Geburtsstadt Steinach, wo tatsächlich auch „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ zu sehen ist

Der nackte Mann auf dem Sportplatz

1973/74, DDR, DEFA, Künstlerische Arbeitsgruppe „Babelsberg“
101 Minuten, FSK 6

Regie: Konrad Wolf; Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase, Gerhard Wolf;

Musik: Karl-Ernst Sasse; Kamera: Werner Bergmann; Schnitt: Evelyn Carow;

Besetzung (Auswahl): Kurt Böwe als Kemmel, Ursula Karusseit als Gisa Kemmel, Martin Trettau als Hannes und in weiteren Rollen: Elsa Grube-Deister, Marga Legal, Ute Lubosch, Vera Oelschlegel, Erika Pelikowsky, Katharina Thalbach, Ursula Werner, Reimar Johannes Baur, Gerhard Bienert, Dieter Franke, Matti Geschonneck, Wolfgang Heinz, Rolf Hoppe, Thomas Langhoff, Walter Lendrich, Dieter Mann, Günter Schubert, Jaecki Schwarz, Werner Stötzer, Hans-Joachim Wolle…

Zur Handlung: Der eigensinnige und wortkarge Bildhauer Kemmel befindet sich in einer Schaffenskrise. Ein von ihm gestaltetes Relief hatte man nicht aufgestellt, sondern abgestellt – im Feuerwehrturm. Es würde zu wenig Schwung und Optimismus ausstrahlen, erklärte ihm die LPG-Vorsitzende.

Für die Arbeit an einer Büste sollte der ehemalige Wismut-Arbeiter Hannes Modell sitzen, der aber zunächst ablehnte. So nach und nach entwickelt sich zwischen beiden eine spröde, immer besser werdende, Beziehung. Trotzdem misslingt auch dieses Werk.

Unerwartet kommt eine Delegation vom Sportclub aus dem Heimatort in Kemmels Atelier. Gewünscht wird ein Ehrenmal, möglichst mit der realistischen figürlichen Darstellung ihres „Idols“, dem jüngst verstorbenen ehemaligen Torwart. Kemmel nimmt den Auftrag an. Doch zur Enthüllung gibt es einen Eklat, denn der dargestellte Sportler ist kein Fußballer und noch schlimmer – er ist nackt. Es dauert einige Zeit, bis das Kunstwerk akzeptiert wird. Schließlich erhält Kemmel einige Fotos, auf denen zwei lachende Mädchen neben dem „nackten Mann“ zu sehen sind. Kunst braucht eben Verständnis und kein Feigenblatt!

Reservierungen unter 0351-8311626, 0160-1038663

Karin Baum und Michael Heuser
Sprecher der Cineastengruppe „Film Club Mobil“ im Radebeuler Kultur e.V.

Anmerkung: unter Verwendung von verschiedenen Filmbegleitmaterialien und Wikipedia-Eintragungen

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