Editorial 11-19

Unser aktuelles Heft ist aus mehrerlei Sicht ein besonderes geworden. Wie Sie aus dem nebenstehenden Inhaltsverzeichnis entnehmen können, finden diesmal bei gleicher Seitenzahl auffallend wenige Beiträge ihren Platz. Der Grund dafür ist, dass einige Texte aus gutem Anlass die übliche Seitenzahl weit überschreiten.
Der Monat November, und insbesondere im dreißigsten Jahr der sogenannten Wende, hat sich tief in das kulturelle Gedächtnis eingepflanzt. So kommen wir nicht umhin, nochmals reflektierend auf die Gegebenheiten jener Tage aus dem Blickwinkel eines schon damals engagierten Redaktionsmitglieds zu schauen.
Zudem freuen wir uns als Verein sehr, dass im Rahmen eines Schulprojekts unsere eigene „Vorschau-Geschichte“ in einem zweiteiligen Beitrag detailliert aufgearbeitet wurde.
Ein wichtiges Augenmerk liegt ferner auf den drohenden Verlust einer traditionsreichen Radebeuler Kulturinstitution.
Und nicht zuletzt erfährt unser langjähriger und überaus geschätzter Freund und Unterstützer Dietmar Kunze, der, für uns alle noch immer unvorstellbar, im Sommer sprichwörtlich aus dem Leben gerissen wurde, eine umfängliche Würdigung seines Lebenswerkes.
Man braucht nicht pathetisch zu werden, das Wunder der „Friedlichen Revolution“ insbesondere in heutiger Zeit immer wieder hochzuschätzen. Die Brennpunkte der Konflikte haben sich verschoben und machen vielleicht nur scheinbar einen Bogen um unser noch friedliches Land.
Es bleibt zu wünschen, dass auch anderenorts die Vernunft obsiegen wird. Der Gedanke fällt in Anbetracht der immensen Rüstungsexporte aus Deutschland allerdings schwer.

Sascha Graedtke

Radebeuler Vor- und Nachwendeerinnerungen

Aus dem Blickwinkel einer ehemaligen Stadtgaleristin (Teil 1)

9. November 1989: Die Mauer ist offen! / 13. November 1989: „Im Verlauf der Durchführung der OPK (operative Personenkontrolle) konnten keine Erkenntnisse hinsichtlich geplanter Aktivitäten des Ehepaares G. gegen die staatl. Sicherheit und Ordnung herausgearbeitet werden. Die Personen bleiben für die KD (Kreisdienststelle) Dresden-Land KK erfaßt“. (aus einer Akte des Staatssicherheitsdienstes der DDR)

„Erzähl mal, wie das so war, damals in der DDR“, fragte mich neulich meine Stieftochter, geboren 1988. Und ich denke so bei mir, dass es damals wohl ein wenig paranoid gewesen ist. Also auch nicht viel anders als heute. Was soll man als Wähler von Plakaten halten, auf denen steht „Hol Dir einen runter, kleiner Antifant! Abreiß Plakat für hirnlose Linksfaschisten!“ Oder wenn man sich ältere Fotos von der Friedensburg anschaut, als diese noch eine Ausflugsgaststätte war, und sieht, wie viele Menschen auf den Terrassen sitzen und bei Kaffee und Kuchen die Aussicht genießen. Jetzt wohnt dort nur noch eine einzige Person. „Alles alternativlos?“ Um da nicht vom Glauben an die Vorzüge der Demokratie abzufallen, sollte man nicht allzu empfindlich sein. Andererseits bedeutet es mir sehr viel für ein Monatsheft wie „Vorschau und Rückblick“ Beiträge zu schreiben und diese, ohne Zensur, veröffentlichen zu können.

Horst Hille »Klaustrophobie«, 1985, Radierung (mit Selbstbildnis des Künstlers )Repro K. (Gerhardt) Baum

Also was kann ich erzählen von dem Land DDR, in dem ich 37 Jahre gelebt habe? Erinnerungssequenzen blitzen auf und ich staune, wie präsent das alles ist, obwohl doch Jahrzehnte dazwischen liegen. Die Wahrnehmung von Zeiträumen ist relativ. So wurde mir erst viel später bewusst, dass gerade mal acht Jahre vor meiner Geburt noch ein gewisser Adolph Hitler an der Macht war, Menschen in Konzentrationslagern vergast wurden und Bomben auf Dresden fielen. Das Mutter und Großmutter nur das nackte Leben retten konnten und in Radebeul mitfühlende Aufnahme fanden. Was mit Parolen wie „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ begann, endete 1945 in Schutt und Asche mit Millionen Toten.
Was 1949 mit „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“ für viele Menschen nach einem hoffnungsvollen Neuanfang klang, mündete nach vier Jahrzehnten wiederum in einer großen Enttäuschung. Das es auf dieses kleine Land DDR – welches nicht losgelöst vom Ostblock betrachtet werden kann und durch die BRD erst 1972 offizielle Anerkennung erfuhr – permanenten Druck von Außen gab, ist unbestritten. Doch wann und wie begann sich das System von Innen heraus selbst zu zerstören? Als ich 1953 in Radebeul geboren wurde, knapp eine Woche nach den Ereignissen am 17. Juni, herrschte gerade Ausgangssperre. Was war da eigentlich passiert: Volksaufstand oder Konterrevolution? Irgendetwas muss schon damals schief gelaufen sein. Politisch einschneidend wirkten sich dann auch solche Ereignisse wie 1961 der „Mauerbau“, 1968 der „Prager Frühling“, 1976 das Wiedereinreiseverbot von Wolf Biermann aus. Chancen für Korrekturen wurden vertan.
1989 war es dann zu spät und ein zufälliger Versprecher vom Politbüromitglied Günter Schabowski genügte, um den „Antifaschistischen Schutzwall“ – für alle völlig unerwartet – zu Fall zu bringen. Wer nicht vor Ort dabei sein konnte, saß vorm Fernseher und staunte über irreale Bilder von Trabis, die an entgeisterten Grenzern vorbeifuhren, Menschen, die auf die „Mauer“ kletterten oder sich spontan und glücklich in die Arme fielen. Oh „Freude schöner Götterfunke“ wie schnell bist du verglommen! Schon wenig später begann das Sortieren nach „Ossis“ und „Wessis“, nach „Tätern“ und „Opfern“. Ordnung muss halt sein in deutschen Landen. Erst jüngst wurde ich mit der Frage konfrontiert „Warst du damals auch im Widerstand?“

Um es gleich vorwegzunehmen, ich war keine Revolutionärin und habe demzufolge auch keine Heldinnengeschichte zu bieten. Wo die Grenzen liegen, war mir – so dachte ich zumindest – bewusst. Schließlich hatte ich Mann und Kind. Mein Leben in der DDR war den Bedingungen angepasst und bestand aus gelebtem Alltag. Nicht weniger und auch nicht mehr.
In Erinnerung geblieben sind mir unter anderem: der Luftroller, Butter auf Marken, Juri Gagarin im Weltraum, Ferienlager, Bleistifte und Schulhefte für Kuba, die Griechische Pionierleiterin, Neumann-Eis, Kuchenränder vom Bäcker Hein, der Kaugummi im Laden um die Ecke …später dann der erste Kuss, der Mal- und Zeichenzirkel von Dieter Beirich, durchdiskutierte Nächte bei billigem Obstwein im Atelier von Horst Hille, die Geburt des Sohnes, Kinderfeste mit Freunden und Nachbarn, Plaste-Ansteckblümchen zum Frauentag, der 1. Mai-Umzug, die Faschingsfeiern im „Haus der Werktätigen…“.
Zu den Erinnerungen gehört aber auch das verunsichernde Gefühl, unter ständiger Beobachtung gestanden zu haben. Der Grund für die Überwachung des Ehepaares G. war, wie später in der „Akte“ nachgelesen werden konnte, die „Verbindung zu Kunst- und Kulturschaffenden sowie Personen, die dem politischen Untergrund zugeordnet werden müssen…“.
Die erste Begegnung mit einem „kreativen Solitär“ aus dem so genannten politischen Untergrund erfolgte in Gestalt von Siegfried Schwab. Lange Haare, gebändigt von einem Transmissionsriemen um die Stirn, barfuss in so genannten „Jesuslatschen“ und eingehüllt in den alten Mantel des Großvaters – das fiel auf im ansonsten recht biederen Radebeul. Meine Neugier auf die subversiven Nischen der Provinz war geweckt. Die Bude von “Sigi“ befand sich in einer alten Villa auf der Meißner Straße. Sie war vollgestopft mit Büchern und überall verstreut, lagen eng beschriebene Schreibmaschinenseiten mit Texten, die zum Nachdenken provozierten und deren Durchschläge im kleinen Kreis Verbreitung fanden. Seine Ausreise aus der DDR erfolgte am 30. April 1975. Gewisse Herren hinter den Kulissen konnten erleichtert aufatmen und auch in seinem Stammlokal, der „Lößnitzperle“, zog endlich wieder Ruhe ein. Ein Tafelbild, gemalt von Horst Hille, erinnert an den Radebeuler Dissidenten Siegfried Schwab. Zu sehen war es jüngst in der Stadtgalerie zur Ausstellung „Radebeul geWENDEt“.

Johannes Thaut »Volkstanzgruppe«, um 1960, Holzschnitt Repro K. (Gerhardt) Baum

Den legendären Biermann-Auftritt erlebte ich in Form einer nächtlichen Wiederholungssendung mit meinem damaligen Mann bei Freunden die Westempfang hatten. Was nach Biermanns Ausbürgerung folgte, ist bekannt. Das Ausmaß der Kettenreaktion war selbst für diejenigen, die sie ausgelöst hatten, kaum vorstellbar. Das DDR-Emblem mit „Hammer, Zirkel, Ährenkranz“ zeigte zwar die gute Absicht. Die Realität sah anders aus. Mit den „Intellektuellen“ wusste man im Staat der Arbeiter- und Bauern nur wenig anzufangen. Allerdings war es wohl dieser politisch verfahrenen Situation geschuldet, dass sich der einst so gefeierte und später geschasste DDR-Star Manfred Krug – der mit einem Teilberufsverbot belegt worden war – kurz vor seiner Ausreise zu einem Konzertauftritt ins Radebeuler Filmtheater „Freundschaft“ verirrte, natürlich zur großen Freude seiner Fangemeinde.
In den 1970er Jahren wanderte ein unscheinbares Taschenbuch von Hand zu Hand. Auf dessen Buchdeckel stand „LTI“ (Lingua Tertii Imperii). Erschienen war es im Reclam-Verlag. Der Autor Victor Klemperer setzte sich darin mit der Sprache des Dritten Reiches auseinander. Wenngleich der Bumerangeffekt bestimmt nicht beabsichtigt war, wirkte es auf uns sehr intensiv. Unmittelbar nach dessen eingehender Lektüre begannen wir damit, das „Neue Deutschland“ (Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands) zu sezieren und noch heute erschrecke ich vor Worten wie „unsere Menschen“, „bedingungsloser Respekt“ oder „Humankapital“.
Zu den Besonderheiten im DDR-Alltag gehörte das „Schlangestehen“. Allerdings bildeten sich die berüchtigten Schlangen nicht nur vorm Gemüsegeschäft, wenn es gerade mal Bananen gab. Schlangen bildeten sich auch auf der Brühlschen Terrasse, wenn die DDR-Kunstausstellung lief. Ob heute noch so viele Menschen leidenschaftlich über Kunst diskutieren, wage ich zu bezweifeln. Die Eröffnungsreden und Rezensionen von Ingrid Wenzkat, Dr. Fritz Löffler, Dieter Schmidt und Dieter Hoffmann wurden zum Kult. Das so genannte „Zwischen-den-Zeilen-lesen“ gehörte zu den ausgeprägten Fähigkeiten breiter Bevölkerungsschichten.
Kunst und Kultur waren in der DDR weder Privileg noch Sahnehäubchen. Die „neuen Menschen“ sollten im Sozialismus zu allseitig gebildeten Persönlichkeiten erzogen werden. Das staatlich geförderte Volkskunstschaffen bot ein immer breiter werdendes kreatives Betätigungsfeld. In einer Sonderausgabe des Monatsheftes „Die Vorschau“ ist aufgelistet, dass 1959 in Radebeul 8 Chöre, 10 Musikgruppen, 3 Dramatische Zirkel, 5 Agitpropgruppen, 4 Tanzgruppen, 2 Mal- und Zeichenzirkel, 4 Handarbeitszirkel und 1 Arbeitsgruppe Indianistik existierten. Eine analytische Betrachtung zum Radebeuler Volkskunstschaffen über den gesamten Zeitraum von 40 Jahren wäre wohl sehr interessant, soll aber nicht Gegenstand dieser vierteiligen Beitragsfolge sein. Das die kreative Selbstbetätigung den Lebensalltag vieler Menschen bereichert hat und die Wahrnehmung kultureller Angebote nicht vom Geldbeutel abhängig war, gehört zu den unbestrittenen Tatsachen, die man nicht vergessen darf, wenn man davon erzählt, wie das so war, damals in der DDR.

(Fortsetzung folgt)

Karin (Gerhardt) Baum

Bildunterschriften

Horst Hille „Klaustrophobie“, 1985, Radierung

Johannes Thaut „Volkstanzgruppe“, um 1960, Holzschnitt

Mit Thomas Rosenlöcher poetisch durch das Jahr

Art déco an und in Radebeuler Gebäuden

Sie haben den Begriff schon mal irgendwo gehört, sehen aber gerade kein Beispiel vor Ihren Augen, schon gar nicht in Radebeul? Da wollen wir uns diesem Thema mal nähern.

Im Laufe der Geschichte haben sich verschiedene Baustile über eine bestimmte Zeit gehal-ten und wurden dann abgelöst. Mein Eindruck ist der, dass die Standzeiten der Stile immer kürzer wurden – Romanik und Gotik blieben jeweils etwa 200 Jahre bestehen, Renaissance und Barock waren mit ca. 100 Jahren schon kürzer und die Stilrichtungen des 19. und 20. Jahrhunderts hielten sich nur 20 oder gar 5 Jahre.

Hier soll also eine relativ kurze Stilrichtung in der ersten Hälfte des 20. Jh. betrachtet werden. Art déco ist die Kurzform des französischen Begriffs Art décoratif, also dekorative Kunst, die Deutschland in den zwanziger Jahren berührte. Das Zentrum dieser Bewegung lag in Paris, daher der französische Name, und verbreitete sich über Europa und bis in die USA. International gesehen liegen die Anfänge um 1912, wurden aber in ihrer Verbreitung vom 1. Weltkrieg unterbrochen. Art déco wirkte sich auf alle Kunstformen – Architektur, Plastik, Malerei (hier ist der Begriff Expressionismus üblich), Dichtung (man spricht auch von Dadaismus), Mode, Musik und Gebrauchsgegenstände – aus. Man muß Art déco als Gegenentwurf zum Jugendstil ansehen. Während sich der Jugendstil um 1900 an geschwungenen, organischen Formen der Natur wie Lilien, Schwänen oder Fledermäusen orientierte, wirkte Art déco expressiv, konstruierter auch abstrakter, mit gegen Bögen gestellten Geraden, mit zu Dreiecken aufgefächerten Geraden und Spitzen, die Farben oft kräftig und kaum abgemischt. Während es eine bewusste Unterscheidung des Art déco vom Jugendstil gab, kann man bei einigen Beispielen Annäherungen zum Deutschen Werkbund oder auch dem Bauhaus erkennen. In der modernen Zeit ging Fassadenschmuck immer mehr zurück. Das hatte durchaus gestalterische Gründe, wie am Bauhaus ablesbar, war aber auch dem Wunsch nach preiswerten Wohnbauten in der Nachkriegszeit geschuldet. Man könnte Art déco vielleicht als den letzten, Häuser schmückenden Stil in Europa bezeichnen. Da die Erinnerung an den 1. Weltkrieg noch relativ frisch war, hatte sich im Volksmund für diesen Stil der etwas makabere Begriff „Granatsplitterstil“ eingebürgert – das Bild traf es aber recht gut!


In Radebeul fand diese Stilrichtung keine sehr weite Verbreitung, aber, wenn man sucht, wird man gelegentlich auch hier das Art déco finden. Ich will im Folgenden auf ein paar Beispiele von 1925 bis 30 in unserer Stadt aufmerksam machen. Von den in dieser Zeit in Radebeul tätigen Architekten fällt dabei der Name Max Czopka besonders häufig, er hatte offenbar Gefallen an den Schmuckformen des Art déco gefunden. Die meisten seiner Siedlungshäuser zeigen Art déco nur durch ein gefächertes Blattgebilde (wohl ein vorgefertigtes Element), mal größer, mal kleiner – sein Markenzeichen sozusagen. Dagegen waren seine Kollegen Albert Patitz und Alfred Tischer bei durchaus vergleichbaren Häusern dieser Zeit mit derartigen Schmuckformen etwas zurückhaltender.



Das von Czopka 1927 geplante Wohnhaus Gartenstr. 77 für Familie Kelling (Großwäscherei-betrieb) zeigt an den Fassaden etwas derartigen Schmuck, im Inneren jedoch in mehreren Beispielen: an Türen, Geländern, mit Malerei im Treppenhaus und auch an Schmuckglas-fenstern. Auch an den vielen Mehrfamilienhäusern, die Czopka für die Baugenossenschaft zu Radebeul entwarf, finden wir bei einem Spaziergang durch die Schiller-, und Kantstr. oder in der Gartenstr., Pestalozzistr., Neubrunnstr. und Serkowitzer Str. bescheidenes schmückendes Beiwerk im Stil des Art déco. Stellvertretend für diese Gruppe von Häusern sei die Czopka-Mietvilla Einsteinstr. 20 (1929 errichtet) genannt. Eine ganz andere Anwendung sehen wir bei der kurz nach 1900 gebauten Fabrikantenvilla Spitzhausstr. 28, da gibt es Art-déco-Deckenstuck in der Veranda. Der Brunnen im Garten der Villa zeigt ebenfalls diese Formensprache. Hier wirkte 1928 der Chemnitzer Architekt Friedrich Wagner-Poltrock zwar nur ergänzend, in Chemnitz war er in jener Zeit bekannter, da er dort u.a. mehrere Schulen errichtet hatte. Bei der neuen Friedhofsfeierhalle in Radebeul Ost, wo Max Czopka 1928 / 29 tätig war, sind es weniger die Details, sondern ist es mehr die Gesamtgestaltung, die dem Art déco entspricht. Schließlich kann auch das Pfarrhaus in Kötzschenbroda mit dem Luthersaal durch seine Zollinger-Decke und andere Details im Inneren Merkmale des Art déco aufweisen. Der Entwurf der Gebr. Kießling stammt von 1928 / 29. Ebenfalls auf die Gebr. Kießling geht der Entwurf von 1928 für das Doppelwohnhaus Heinrich-Zille-Str. 34 zurück, hier wurden die oberen Teile der Fenstergewände, also die Stürze, mit spitzem Dreieck aufgebrochen. Etwa 1992 sah ich in einem gründerzeitlichen Mehrfamilienhaus in der Sidonienstr. zwei Öfen (wohl Teichert / Meißen), die mit „gezackeltem Dekor“ auch dem Art déco entsprachen. Hier waren diese Öfen offenbar eine Zweitausstattung, ob sie noch existieren, weiß ich allerdings nicht. Dem hier betrachteten Stil muß auch ein Gipsrelief aus einem unbekannten Radebeuler Haus zugerechnet werden. Es ist ein leicht defektes Sammlerstück, wahrscheinlich aus dem Innenbereich eines Wohnhauses, vielleicht einem Treppenhaus, das bisher noch keiner Adresse zugeordnet werden konnte.



Wir können zum Schluss feststellen, dass es andernorts möglicherweise mehr erhaltene Beispiele gibt und diese Kunstform in Radebeul keine allzu starke Verbreitung erreicht hat (nach 1933 paßte Art déco nicht ins Programm, bzw. wurde ausgegrenzt) und wir Beispiele dafür vorwiegend im östlichen Teil unserer Stadt finden.

Übrigens zeigt das Stadtmuseum Meißen noch bis zum 3. November 2019 eine sehenswerte Art-déco-Ausstellung – ein glücklicher Zufall, wie ich finde!

Dietrich Lohse

Bilder: Dietrich Lohse

Werke von Detlef und Gabriele Reinemer in der Hoflößnitz

Noch bis zum 27. Oktober sind in der aktuellen Sonderausstellung des Sächsischen Weinbaumuseums Hoflößnitz (Knohllweg 37 in Radebeul, geöffnet Di-So 10-18 Uhr) Arbeiten der Radebeuler Künstler Gabriele und Detlef Reinemer zu sehen. Im Folgenden einige kurze Auszüge aus der Laudatio von Dr. Ingrid Koch zur Vernissage am 8. September:

»Detlef Reinemer hat seine Ausstellung ganz lapidar ›Keramische Objekte‹ genannt, Gabriele Reinemer holt poetisch-universell ›Sonne, Mond, Sterne‹ vom Himmel. Wir begegnen wieder einmal diesen zwei ganz unterschiedlichen Handschriften in unmittelbarer Nähe, sich gegenüber. Und schnell wird anhand verschiedener Akzentsetzungen klar, dass sie in der Weltsicht verbunden sind. Vielleicht mehr als in anderen Präsentationen scheint mir diesmal bei beiden das ›Grundrauschen‹ unserer Zeit hörbar. Gleichwohl sind die einzelnen Arbeiten beider Künstler zeitlos, nicht an konkrete Ereignisse gebunden. […]

»Jo-Hannes«, Detlef Reinemer
Bild: Stiftung Hoflößnitz, M. Schroeder


Schaue ich in Detlef Reinemers Raum, auf seine ›Keramischen Objekte‹, so scheint mir von ihnen in dieser Zusammenstellung eine Botschaft – nicht zufällig sind wie auf einem Altar ›Geheime Botschaften‹ ausgelegt – auszugehen, die ich als eine Art Fazit deuten würde, das eher zweifelnd und pessimistisch ausfällt. Da ist der aus weiß glasiertem Porzellan geschaffene, auf Eisen gebettete ›Januskopf‹, dem Fisch aus dem Mund quillt und auf dem Kopf hängt – ein wenig glitschig vielleicht, wie die ständig wechselnden Standpunkte. Diese doppelgesichtige Gestalt ist einer der uralten Mythen, die Reinemer in seinen Arbeiten in die Gegenwart holt, zieht sich doch das Janusköpfige seit ewigen Zeiten durch das Handeln der Menschheit bis in die Gegenwart. […] ›Einer trage des anderen…‹ heißt die große Arbeit, in der zwei männliche Halbfiguren – eine weiß, eine schwarz – sich den Rücken zuwendend, eine Last geschultert haben. Allerdings werden sie auf diese Weise wohl nicht vorankommen, wenn die Verständigung fehlt. […] Die in Detlef Reinemers Plastiken verkörperten personellen Archetypen basieren auf den antiken und christlichen Überlieferungen, in denen im Grunde alles vereint ist, was die Existenz des Menschen immer noch prägt: Liebe und Freundschaft ebenso wie Verrat, Lüge, Hass und Gewalt.

In Gabriele Reinemers Raum scheinen wir eine andere Welt zu betreten. […] Zuvorderst fallen zeichenhafte, in die Höhe ragende, turmartige Objekte ins Auge, vorrangig schwarz-weiß gefasst, sowie klotzartige, ebenfalls – rot und schwarz – bemalte Gebilde, die eine seltsame Fremdartigkeit ausstrahlen. Hintergrund dieser exotisch wirkenden plastischen Arbeiten, die seit mittlerweile fast anderthalb Jahrzehnten das Schaffen der Künstlerin prägen, waren längere Reisen nach Nord- und Schwarzafrika, die tiefe Eindrücke hinterließen.

»Pagode«, Gabriele Reinemer
Bild: Stiftung Hoflößnitz, M. Schroeder


Die ›Stachel‹ an den turmartigen Gebilden sowie die Abgeschlossenheit der häuserartigen Blöcke, die sie hier ›Wehrdörfer‹ nennt, weisen wohl einerseits auf die vielen kriegerischen Konflikte der jüngeren Zeit. Sie weisen wohl aber auch auf die Empfindungen der Künstlerin, die die vorgefundenen Gesellschaften durchaus als schwer durchschaubar und verstehbar erlebte – nicht zuletzt in ihrer Mischung aus deformiert Archaischem bzw. Mittelalterlichem und Moderne.

Es war wohl die Mischung aus Reizvollem, Fremdartigem und Erstaunlichem, aus Verheerung und Stillstand, die Gabriele Reinemer bis heute nicht losgelassen hat. Die Objekte wirken spielerisch, aber ihr Hintergrund ist ein ernster. Nicht zuletzt wird der auch mit der kraftvollen Tuschezeichnung ›Das Boot‹ – einer vom Ozean ziemlich gebeutelten Nussschale – berührt, die daran erinnert, wie nah uns diese Konflikte kommen. So stößt man bei der Auseinandersetzung mit Reinemers Arbeiten diesmal verstärkt auf die ›großen‹ Fragen unserer Tage.

Kunst kann auf diese Fragen keine Antwort geben. Aber sie kann mit ihren Mitteln Dinge auf ungewöhnliche Art ins Bewusstsein rücken.«

Ingrid Koch

Handverlesen

Der Dichter Thomas Rosenlöcher zu Gast im Festsaal von Schloss Hoflößnitz


Gelegentlich tritt im Leben der glückliche Umstand ein, dass aus einer Idee ein Plan und aus diesem ein Ereignis wird. Als besonders glücklich kann ein solcher Umstand dann gelten, wenn das Ereignis die eigenen Erwartungen erfüllt, ja mehr noch, diese sogar übertrifft. Insofern war ich am späten Abend des 13. Septembers sehr glücklich, denn hinter mir lagen anregende, unterhaltsame und gesellige Stunden im und am Schloss Hoflößnitz, wohin unser Verein Radebeuler Monatsheft e.V. – namentlich die Redaktion von „Vorschau & Rückblick“ – geladen hatte. Den Anlass dafür bot die Tatsache, dass der weit über das Elbtal hinaus bekannte Dichter Thomas Rosenlöcher in diesem Jahr allmonatlich unserem Heft ein Gedicht zum Abdruck zur Verfügung stellt. Sascha Graedtkes bereits im letzten Winter geborene Idee, Thomas Rosenlöcher für eine Lesung zu gewinnen, mündete schließlich in eine Kooperation mit der Stiftung Hoflößnitz, wobei sich vor allem Frank Andert als Leiter des Weinbaumuseums gemeinsam mit Sascha Graedtke sehr um die organisatorische Vorbereitung verdient gemacht hatte. Und wer an jenem Freitagabend wie ich um 18.30 Uhr mit einem Glas Hoflößnitzer Weines auf einer Bank im Außenbereich des Schlosshofes Platz genommen hatte, der konnte anfangen zu genießen. Den Wein, die Wärme, die Atmosphäre. Denn ein laues Lüftchen wehte den Klang des Dresdner Dancla-Steichquartetts hinüber, das sich vor dem Eingang des Schlosses postiert hatte und die gemächlich eintreffenden Besucher der Lesung mit beschwingten Klängen erfreute. Im barock ausgemalten Festsaal im ersten Stock des Schlosses sammelte sich bald darauf eine erwartungsfrohe Menge, um Thomas Rosenlöcher zu erleben. Und wie er dann zu lesen begann! Stehend; in der linken Hand wechselweise Textblatt, Buch oder auch nur einen Zettel haltend, den rechten Arm bisweilen wie einen Dirigierstock schwingend und mit den Fingern dem einzelnen Wort oder der einzelnen Sentenz noch mehr Bedeutung gebend; mit verschmitztem Blick den Kontakt mit dem Publikum suchend; gelegentlich die Abfolge der vorbereiteten Texte wägend und diese kommentierend und reflektierend; sich selbst auch an dem stets durchscheinenden Humor erfreuend. Aus geplanten zwei Programmteilen wurde schließlich ein einziger langer Parforceritt durch das eigene Schaffen: frühe Texte und jüngere, Lyrik und Prosa, schließlich auch literarisch überformte Lebenserinnerungen, etwa an seinen Großvater. Das Publikum im gut gefüllten Saal lauschte andächtig und lachte oft mit Hingabe, bis der Dichter dann schließlich erschöpft das Jackett auszog und nach 90 Minuten in den bereitgestellten Sessel sank. Sehr zur Freude des begeisterten Publikums signierte Thomas Rosenlöcher anschließend noch die zahlreich mitgebrachten oder vor Ort erworbenen Bücher, bevor er für gut zwei Stunden mit einem engeren Kreis an Gästen den Abend bei Mondschein und einem guten Tropfen vom Orte ausklingen ließ. Manche Gäste ließen sich noch am Abend oder in den Tagen danach mit den Worten vernehmen: So etwas müsste es wieder geben! Das ist eine gute Idee, meine ich.

Bertram Kazmirowski

Hans Theo Richter – späte Zeichnungen

Für den Vorstand der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung unter Leitung der Geschäftsführenden Vorsitzenden, Frau Christine Meinhold, ist es eine besondere Freude, mit dem Käthe Kollwitz Haus in Moritzburg einen Ausstellungspartner gefunden zu haben, mit dem gemeinsam an den großartigen Zeichner und Meister der Lithographie Hans Theo Richter erinnert wird. Es ist ein kongenialer Ort, denn die Gemeinsamkeiten im Werk von Käthe Kollwitz und Hans Theo Richter sind evident. So verwundert es auch nicht, dass Hans Theo Richter im Jahr 1943 Käthe Kollwitz in Berlin, also unmittelbar vor ihrer Flucht vor dem Krieg nach Nordhausen und der Einladung von Ernst Heinrich von Sachsen nach Moritzburg in den Rüdenhof, besuchte.

Porträt: Hans Theo Richter
Bild: H. Pölkow


Während sich Käthe Kollwitz unerschrocken gegen Unrecht, Krieg und nationalsozialistische Willkür einsetzte, vermied Hans Theo Richter die offene Konfrontation mit der staatlichen Macht, lehnte allerdings unerbittlich die Benutzung seiner Person für fremde politische Zwecke ab. Das betraf sowohl die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen als auch die kommunistische Diktatur im damals noch geteilten Deutschland. In der künstlerischen Meisterschaft auf dem Gebiet der Zeichnung und der Druckgraphik sind beide Künstler einander ebenbürtig, ebenso wie sie die tiefe Menschlichkeit ihrer Kunst, der grundsätzliche Humanismus, miteinander verbindet.

Bei der Durchsicht der von der Witwe des Künstlers, Hildegard Richter, akribisch gesammelten und abgelegten Berichte, Würdigungen und Rezensionen über Werk und Leben ihres Mannes fällt auf, dass die Rezeption seines Oeuvres in den Jahren um 1962 mit der großen Ausstellung im Dresdner Kupferstich-Kabinett ihren Höhepunkt hatte. Ihm wurden damals große Ausstellungen und Ehrungen in ganz Europa zu Teil. In jenen Jahren hat Hans Theo Richter eine ganze Reihe von Werken geschaffen, die zu seinen ausdrucksstärksten zu zählen sind.

Das zentrale Thema im Werk Hans Theo Richters ist die Darstellung der menschlichen Gestalt und ihrer dahinter liegenden psychischen Physiognomie. Von Ausnahmen abgesehen, beschränkt er sich auf diesen Bereich der bildnerischen Darstellung. Der Bogen spannt sich vom neugeborenen über das heranwachsende Kind bis hin zum alternden Menschen und präzisen Porträts. Oftmals sind es Mädchen und Frauen, die er gestaltet hat, zumeist hineingestellt in alltägliche Situationen, dabei ist eines allerdings in allen Jahrzehnten seines Schaffens immer wiederkehrend:

Die Beziehung von Mutter und Kind.

Richter, Hans Theo: Mutter mit Kind; um 1965, Pinsel in Tusche über Kreide, 421 x 295 mm, Foto: Herbert Boswank


Er zeigt die Mutter nicht nur als die ernährende, sondern lehrende, als Erziehungsmittelpunkt sowie seelische und geistige Stütze eines jungen Menschen. Damit ist er wohl der letzte deutsche Künstler der dieses Thema, das stets ein Hauptthema der deutschen Kunst von Albrecht Dürer bis hin zu Käthe Kollwitz gewesen ist, behandelt hat. In England hat zur gleichen Zeit Henry Moore, der etwa gleichaltrig war, dieses Thema besonders hervorgehoben. Und natürlich Picasso, der immer wieder aus seinem persönlichen familiären Leben und Erfahrungen heraus Mutter und Kind dargestellt hat. Gerade auch in diesem Vergleich scheint die Auffassung von Hans Theo Richter in ihrer besonderen Sensibilität und Empfindsamkeit, mit der er die Beziehung zwischen Mutter und Kind schildert, ganz besonders zu sein.

Im Jahr 1969 verschwinden diese mehrfigurigen, oftmals delikat lavierten Darstellungen fast völlig, dennoch dominieren der Tuschpinsel und die zarte Kreidezeichnung auch die letzten Werke des Künstlers.

Von Rembrandt hat Richter sicher das dramatische Hell/Dunkel übernommen, allerdings stiller und zurückhaltender eingesetzt. Von Käthe Kollwitz stammt das Modellieren der Figur. Richter arbeitete nach Modell, es diente ihm als Vorlage und Anregung. Er zeichnete in Verdichtung, abstrahiert, vereinfacht, er fügt zusammen, verstärkt. Durch die Kunst des Weglassens, die besonders in den späten Zeichnungen hervorsticht, gelangt er nicht in eine Erstarrung, sondern zur Vielfalt und Reinheit der Formen und gleichzeitig zum Verzicht auf alles Nebensächliche. Ein einheitlicher Klang beschreibt die späten Zeichnungen, gepaart mit einer merkwürdigen Melancholie.

Aus Erzählungen von Hildegard Richter wissen wir, dass sie an seinen Geburtstagen einen großen Strauß Sonnenblumen, die er besonders liebte und die für ihn die Boten des nahen Herbstes waren, arrangierte.
Der innere Blick von Hildegard Richter ging oftmals zurück in den Februar des Jahres 1945, als Hans Theo Richter in Leipzig mit tiefster Bestürzung und Fassungslosigkeit vom Tod seiner ersten Frau und dem fast vollständigen Verlust seines bisherigen Werkes erfuhr. Er schrieb damals: „Der Krieg hat mir die Farbe verschüttet, der Krieg und die Erlebnisse“. Hans Theo Richter wandte sich den folgenden Jahrzehnten fast ausschließlich der Schwarz-Weiß Kunst zu, eine Ausnahme ist lediglich eine kleine Gruppe von Aquarellen, die anlässlich eines Aufenthaltes an der Ostsee im Jahr 1951 entstanden sind. Frau Richter erzählte, wie sehr ihr Mann vom Anblick des Landes am Meer überwältigt war und zum Pinsel griff, allerdings hat er sehr schnell gefühlt, dass die Farbe nicht mehr sein Element war, zu schwer lasteten die Erfahrungen aus der Vergangenheit auf ihm.

Hans Theo Richter musste in seinem letzten Lebensjahrzehnt sehr sorgsam mit seiner Arbeitsfähigkeit umgehen, so entstanden seine letzten großformatigen Lithographien im Jahr 1960, auch bedingt durch die Krankheit des fabelhaften Druckers Roland Erhardt, danach widmete sich Richter fast ausschließlich der Zeichnung. Mitte April 1966 erlitt er einen Herzinfarkt, im folgenden Jahr kam ein schwerer Diabetes hinzu. Er nahm sich immer stärker zurück. Er verfügte über die Weisheit, sich zu beschränken und hat vermutlich gespürt, dass er nicht sehr alt werden würde. Die Tonlage in seinen Zeichnungen wurde insgesamt leiser, die Stimmung noch stiller und zurückhaltender. Die Kompositionen sind lockerer, atmen freier in hellen Flächen und versinken zuweilen in einem feinen, empfindsamen Dunkel. Zumeist sind es Köpfe in gewohnter enface Darstellung, Profile und Halbprofile. Der voreingenommene Betrachter wird vielleicht eine gewisse Eintönigkeit vermuten, plötzlich jedoch erkennt man den inneren Zusammenhang: Egal ob es sich um die Darstellungen namhafter Personen wie den Doyen der Dresdner Kunstwissenschaft, Fritz Löffler, handelt, oder aber eine einfache Angestellte der Hochschule für bildende Künste, wie das Portrait Frau Pfütze, deren Profil sich gleichsam dem Matterhorn aus dem Nebel schält. Während Hans Theo Richter speziell in den 1950er Jahren im Verborgenen viel experimentiert hat, durchaus auch Picassos figürliche Zeichnungen im Blick hatte, so hinterlässt er uns dann mit den letzten Blättern aus dem Jahr 1969 in gewisser Weise sein künstlerisches Testament.

In seinem Todesjahr hat er Künstlerkollegen und Menschen, die ihm besonders nahe standen, portraitiert. So sind diese wunderbaren präzisen Zeichnungen das letzte Wort und ein starkes Vermächtnis des Künstlers. Er hat die Künstler dargestellt, die die modernen in Dresden waren: Hermann Glöckner, Willy Wolff, Max Uhlig, seinem besten und bedeutendsten Schüler, so dass diese Porträts seiner Kollegen zugleich auch ein künstlerisches, geistiges Bekenntnis zu diesen Außenseitern in der Kunst der DDR sind, unabhängig von der bis zu letzt beherrschenden Konzentration Hans Theo Richters auf die menschliche Erscheinung. In diesen letzten Zeichnungen nahm er sich besonders zurück.

Die Darstellungen erscheinen modelliert, gleich den Bozetti des Bildhauers, die Motive sind eher zusammengefügt, als aus einem Stück gehauen. Fast meint man, vor Bildhauerzeichnungen zu stehen. Die Dargestellten erscheinen in sich gekehrt, zumeist in einer leichten Versunkenheit, ohne allerdings die große Traurigkeit der Werke Paul Klees aus seinem Todesjahr zu atmen.

Hans Theo Richter verstand sich ausschließlich als Zeichner und Graphiker und er war sicherlich einer der besten seiner Zeit. Die feinen Blätter knüpfen in gewisser Weise an die unübertroffenen Zeichnungen Michelangelos an, sind natürlich in Duktus und Stil ganz anders als diese Inkunabeln der italienischen Renaissancekünstler, ebenso wie sie sich deutlich von dem Klassizismus eines Dominique Ingres oder aber dem Nazarener Julius Schnorr von Carolsfeld und dem Romantiker Carl Philipp Fohr unterscheiden. Trotzdem sind sie unbestritten die logische Fortsetzung in dieser Reihe der großen europäischen Kunstgeschichte.

„In der Beharrlichkeit ist die hohe Achtung begründet, die ihm heute gezollt wird.“ Diesen Worten von Elmar Jansen, einem Kunstkritiker und Zeitgenossen Richters, bleibt nichts hinzuzufügen.

Christine Meinhold
Geschäftsführender Vorstand der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung

Sebastian Schmidt
Ehrenamtlicher Vorstand

Schüler entdecken Zukunft und Vergangenheit II

Mit großer Freude kann ich hier berichten, dass es auch in diesem Jahr eine Fortsetzung der Zusammenarbeit des Vereins für Denkmalpflege und neues Bauen Radebeul e.V. und des Luisenstifts gibt.

Die Motivation des Vereins, das bewusste Erleben und das Begleiten von Baukultur in Radebeul an junge Leute weiterzugeben, habe ich in V&R Heft 10/18 beschrieben.

Die Veranstaltung im Oktober 2018 im Weinberghaus des Luisenstifts, zu der wir damals einluden, wurde für alle Beteiligten ein informativer und inspirierender Abend. Der Einladung zur öffentlichen Veranstaltung waren neben Vereinsmitgliedern auch andere interessierte Radebeuler und zu unserer Freude auch Schülereltern (auch wenn es hätten mehr sein können) gefolgt.

In einem großzügigen hellen Raum der Schule stellten verschiedene Schülergruppen ihre Arbeiten mit einer Präsentation vor. Besonders Themen, bei denen es etwas zu erforschen galt, wo scheinbar ein kleines Geheimnis gelüftet werden konnte, schienen besonders Freude gemacht zu haben. Es wurde Literatur, Bilder und Zeitzeugen gesucht und gefunden. Teilaufgaben wurden an verschiedene Mitglieder der Arbeitsgruppen verteilt, Exkursionen unternommen und die Ergebnisse dann in der Gruppe zusammengetragen und diskutiert. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir das Thema einer ehemaligen Laube im Gelände des Luisenstifts, wo sogar an die Wiedererrichtung gedacht wurde oder die Beschäftigung mit der Villa Annabella, die sich so den Blicken entzog.

»Villa Annabella«
Bild: Quelle Wikipedia


Gleichzeitig gab die Veranstaltung auch dem Verein die Gelegenheit, den Schülern seine Anliegen und Aktivitäten aus erster Hand zu erläutern. Dabei zog sich das Zitat „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“ als roter Faden durch die Gedanken.

Im Zuge der von den Schülern geleisteten Materialsammlungen waren diese nun schon auf das Wirken des Vereins gestoßen und einige Publikationen oder der Radebeuler Bauherrenpreis waren Ihnen keine Unbekannten mehr.

In der sich nach der Präsentation sehr offen und angenehm entwickelnden Gesprächsrunde konnten wir hinterfragen, wie man den Schüler auch über den Kurs hinaus das Anliegen „Denkmalpflege und neues Bauen“ näher bringen könne. Im Ergebnis gehen jetzt das Jahresprogramm des Vereins oder Einladungen z.B. für die Bauherrenpreiswanderungen oder zur Verleihung des Bauherrenpreises als Information an die Schule, wobei wir uns auch über die Annahme dieser Einladungen freuen würden.
Ganz spontan bot die Familie von Minckwitz an diesem Abend an, dass doch die Schülergruppe sich mal ihr Baudenkmal inklusive Lusthaus auf der Bergkante in der nächsten Zeit ansehen könne. Diese Einladung wurde freudig angenommen und wurde zu einem schönen Erlebnis.

»Minckwitzsches Gut«
Bild: Quelle Wikipedia


In diesem Schuljahr wurde zusammen mit dem Kunstunterricht das Thema „Radebeuler Villen“ aufgelegt. Im Ergebnis soll dazu ein Kalender entstehen. Wir sind schon gespannt, welche Objekte und welche Mittel die diesjährigen Schülergruppen dazu ausgewählt hat.

Um diesen Blick auf die schönen Radebeuler Villen durch Schüleraugen, vielleicht sogar mit künstlerischer Umsetzung, mitzuerleben, laden wir alle Interessierten herzlich zu unserer öffentlichen Veranstaltung am Freitag, 01. November 2019, 19.30 Uhr ins Weinberghaus des Luisenstifts ein.

Wir hoffen, dass auch noch mehr Eltern und Klassenkameraden den Mut haben, die Arbeitsergebnisse ihrer Kinder und Freunde mitzuerleben und sich für die Baukultur Radebeuls begeistern zu lassen.

Katrin Wysujak
Michael Mitzschke

Radebeul geWENDEt

Das Motto, oder, wie wir damals gesagt hätten, die Losung für den heutigen Abend spielt auf Ereignisse an, die vor dreißig Jahren geschahen. Im Herbst des Jahres 1989 stand die, wie sie sich gern selbstkritisch nannte, Partei- und Staatsführung eines eingemauerten zornigen kleinen Landes im Schatten des Großen Bären, einmal mehr vor der Wahl, sich ganz im Sinne Brechts ein neues Volk wählen oder dem aktuellen Volk, das gerade dabei war, sich glücklich aber bestimmt als solches zu fühlen, ein paar Angebote machen zu müssen. Scheinbar etwas klarer sehend, als die greise Führungsetage, verkündete Kronprinz Egon Krenz daraufhin vollmundig: Wir haben die Wende eingeleitet. (DER also war das. Das zu wissen, gehört zur Erinnerungskultur. Und wer heute meint, etwas davon sei unvollendet geblieben, wende sich bitte vertrauensvoll an ihn). Krenz hatte damit jedenfalls gehofft, das Ruder noch einmal rumreißen und retten zu können, was nicht mehr zu retten war.

Das schlechte Beispiel hat, wie so oft, Schule gemacht. Seither verkünden nach jeder Wahl Politiker fast aller Farben, die Botschaft verstanden und die Wende eingeleitet zu haben. Dem Mainstream gehorsam und den bunten Blättern mit den großen Buchstaben, folgen sie willig jeder möglichen oder unmöglichen Auffassung, biegen sich wie ein Rohr im Wind in immer wieder neue Richtungen und wundern sich, nicht als Persönlichkeiten wahrgenommen zu werden.

Zurück zum Thema: Mir ist beim ersten Hören dieser beiden Worte ganz spontan der alte Mantel meines Großvaters eingefallen. Sein ehemals guter – nein, teurer, also sehr guter – Stoff war inzwischen vom vielen Tragen ziemlich abgeschabt und an manchen Stellen schon etwas speckglänzig. In der schweren Zeit nach dem Krieg – mal Hand hoch, wer sich daran noch erinnert – wurde der Mantel gewendet, er wurde auseinandergetrennt und mit der bisherigen Innenseite nach außen wieder zusammengenäht. Da war er wieder wie neu.

Ich halte es für ein großes Glück, daß nur die Generation 70+ diese Jahre noch aus eigenem Erleben kennt. Freilich darf das Wenden eines Mantels noch zu den sinnvollen Erscheinungen jener Jahre gerechnet werden, das sich im Sinne der Ressourcenschonung auch heute noch lohnen könnte. Hier dürfen wir also mal zu Recht stolz sein auf unsere Großväter und vor allem natürlich auf unsere Großmütter, denn die haben genäht, während die Männer bloß im Kriege waren.

Doch wie die Wahlergebnisse zeigen, ist das Glück brüchig. Und wenn die Borisse und Donalds dieser Welt ihre paranoiden Egoismen weiterhin so ungehemmt ausleben wie bisher, werden wir hier im Gauland eine neue schwere Zeit kaum vermeiden können.

Inzwischen hat ja das Klima von sich aus die Wende eingeleitet. Es hat dabei weder auf Wahlvölker noch auf Mehrheitsverhältnisse, geschweigen denn auf Chinesen Rücksicht genommen.

Aber unser Thema heißt ja Radebeul.

Die heißen Sommer nützen dem Wein und helfen Heizkosten sparen – also was solls, haltet den alten Mantel, gewendet oder nicht, in den Ostwind und freut euch des Sommers.

Was aber bedeutete es vor dreißig Jahren wirklich, einen Mantel zu wenden, der Radebeul hieß?

Von Kötzschenbroda etwa wurde nichts weniger als das komplette Schicksal gewendet. So ist es zwar heute auch kein Dorf mehr, aber es gibt auch keine WBS 70 Wohnblocks. Es läßt sich hier leben und es gibt mehr besuchenswerte Gastwirtschaften, als in einer Woche zu bewältigen sind – aus meiner Sicht eher ein Grund zu Dankbarkeit als zum Protest.

Wo früher Gärtnereien waren, gibt’s es jetzt Wohnparks. Dafür kommt das Gemüse aus Holland. Das schafft neben wichtigen Arbeitsplätzen im Transportwesen und in der Automobilindustrie vor allem Treibhausgase.

Wo früher Kulturhäuser waren, gibt es jetzt Eigenheime. Dafür entstand im Osten der Stadt ein Kulturbahnhof, der seinen Namen zurecht trägt und ebenfalls alle Anerkennung verdient.

Der Bahnhof in Radebeul West ist zwar auch kein Bahnhof mehr, dafür heißt er wieder Kötzschenbroda. Offenbar versteht es die Bahn, auch ohne Höfe Akzente zu setzen. Die Vorstände in Saarbrücken und Berlin wissen einfach, was außer Fernzügen in Radebeul ankommt.

Solange es noch steht, steht das schöne alte Empfangsgebäude unter Denkmalschutz. Gäbe es in Radebeul ein Wettbüro, könnten Wetten abgeschlossen werden, wie lange es noch steht. Der sogenannte freie Markt bewirkt da gar nichts, jedenfalls nichts Sinnvolles.

Als das Postamt in West noch kein Papierladen war, gingen zwar die Türen schwerer auf, aber es konnten mehr Leute in der Schlange stehen, ohne naß zu werden.

Erstaunlicherweise stehen vor Feiertagen heute noch fast so viel Leute vor der Post in der Schlange, wie sonntags beim Bäcker. Das hätte es früher nicht gegeben: sonntags beim Bäcker Schlange stehen.

Die 4 – also die Straßenbahn gleichen Namens – kommt immer noch aus Weinböhla, fährt aber nicht mehr nach Pillnitz. Das ist insofern schade, als das Dampfschiff von hier aus auch nicht mehr nach Pillnitz fährt. Aber das hängt nun wieder mit dem Wasserstand und der hängt damit zusammen, daß das Klima, wie angedeutet, die Wende eingeleitet hat.

Die Klimawende – offiziell wird immer noch sanft von Klimawandel gesprochen, vielleicht, weil dabei keine Treuhand gebraucht wird – die Klimawende also ist ja nach fundamentaler Erkenntnis des ultimativen Oberamerikaners eine Erfindung der Chinesen. Dem folgend ist es an der Zeit, die Grenzen dicht zu machen, auf daß die Chinesen ihre Erfindung für sich behalten. Sollen sie das Klima doch alleine wendeln – wir machen da einfach nicht mit.

Da können wir uns nun endlich einbringen: 40 Jahre lang hatten wir uns im Nichtmitmachen geübt, bis wir dann im Herbst 89 gar nicht mehr mitgemacht haben, und der Krenz die Wende – aber das sagte ich ja schon.

Bis dahin war das ein Tanz auf dem Vulkan, der nicht wenige das Leben und viele die Freiheit gekostet hatte. Dann haben die Chinesen – schon wieder die – ein Beispiel gegeben, wie himmlischer Frieden auch aussehen kann. Da war es wirklich gefährlich, die Meinung zu sagen, oder gar die Wahrheit, was ja nicht unbedingt dasselbe sein muß.

Entsprechend hoch war die Angst.

Auf einem Bild, das Dieter Beirich im November unter dem unmittelbaren Eindruck der Montagsdemonstrationen malte, wird sie in ihrer ganzen Vielschichtigkeit greifbar. Er hat es mir später geschenkt, weil ich keinen Grund sah, mit ihm anders zu reden als mit jedem anderen Menschen.

Der Tanz auf dem Vulkan wurde mit dem Tanz auf der Mauer belohnt. Die stand zwar nicht in Radebeul, aber viele haben mitgefeiert. Und plötzlich war die Welt ganz klein geworden. Rom, Paris, New York – über Nacht erreichbar – es war getan, fast eh gedacht. Enttäuscht waren zuerst nur die, die nach 12 oder fünfzehn Wartejahren endlich ihren Trabi abholen durften: Zwölf, fünfzehn Jahre Hoffnung, und im Moment der Erfüllung gibt’s plötzlich richtige Autos und richtige Bücher und richtige Marmelade … Über nachfolgende richtige Enttäuschungen wird zu reden sein – zum Teil rühren die sicher daher, daß wir vor lauter Freude vergessen hatten, was uns Goethe – der jüngst seinen 270. Geburtstag hätte feiern können, wenn das menschenmöglich wäre – mit auf den Weg gegeben hatte. Jetzt nicht gleich einschlafen, ich weiß,
die Schulen aller Zeiten ham uns den vermiest,
so daß den Goethe heute eben
keiner kennt und keiner liest
Und keiner mehr glaubt den weisen Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß –

Täglich: und nicht nur in einer glücklichen Nacht im November, bei der auch noch der Zufall seine Hände im Spiele hatte. So richtig paßt mir das, ehrlich gesagt, auch nicht, aber der Mann hatte einfach Recht. Ich bin übrigens inzwischen lange genug aus der Schule raus, um wieder sagen zu können, von Zeit zu Zeit les ich den Alten gern …

In diesem Sinne stimmt nun tatsächlich, was auf einigen dieser Plakate zu lesen war, die wochenlang den Anger verunzierten: Der Egon hat die Wende tatsächlich nicht vollendet – wie denn auch?!

Wir haben ihm das abgenommen, jeder für sich und alle miteinander und wir werden bis an unser mehr oder weniger seliges Ende damit beschäftigt sein:

Immer tapfer, immer heiter, wenden wir uns täglich weiter.
Und wenn das hier nicht klappt, wende ich mich weiter!

Thomas Gerlach, Sept. 2019

Editorial 10-19

Wie bereits vor längerer Zeit angekündigt, wurde nun von uns das Radebeuler Stadtarchiv von „überzähligen“ Vorschau-Heften befreit. Was sich da an Kisten, insbesondere aus den 1990er Jahren angesammelt hat, ist erstaunlich. Warum die Kisten damals keine Verteilung fanden, muss dann auch ein Rätsel bleiben. Tatsache ist aber, dass das aufgefundene Konvolut, verstreut über Monate und Jahre mehrere tausend Hefte bildete, was immerhin einige komplette Monatslieferungen bedeutet. Schade drum!

Die Redaktion verfügt nach mühseliger Sortiererei nun über ein eigenes und wohlgeordnetes Archiv, welches aus all den Jahren und von jedem Monat bestenfalls sieben Hefte verwahrt. Dies ergibt mit einer Kiste pro Jahr nun immerhin 30 Kisten die ihren Raum einfordern.

So ist für Interessierte und Suchende über einen langen Zeitraum ein Fundus gesichert, auch mit der Möglichkeit, seine eigene Sammlung zu vervollständigen.

Kapazitätsbedingt konnten wir leider nicht den gesamten Bestand dislozieren. Einiger „bunter Kisten“ haben wir uns dennoch angenommen, die, solange der Vorrat reicht, bspw. bei Thalia in Radebeul-Ost am gewohnten Platz zu finden sind.

An dieser Stelle möchten wir Sie schon jetzt an unseren Stand beim diesjährigen Grafikmarkt am 3. November einladen, wo Sie ebenfalls ein breites Angebot unserer Ausgaben vorfinden werden.

Sascha Graedtke

Copyright © 2007-2025 Vorschau und Rückblick. Alle Rechte vorbehalten.