Zum Titelbild V&R Februar 2023




Wackerbarthstraße 1, Schloß Wackerbarths Ruhe

Alle kennen wir das Schloss im Radebeuler Stadtteil Niederlößnitz, d.h., wir glauben es zu kennen, weil wir es ja oft schon besucht haben. Im Laufe seiner Geschichte hat dieses Schloss aber drei verschiedene Gesichter gehabt. Das erste, längst vergessene Gesicht ist die barocke Schauseite nach dem Entwurf J. C. Knöffels von 1727, zweigeschossig, elfachsig mit 12 Halbsäulen, einem Walmdach mit Dachreiter und Glocke.

Bild: Stadtarchiv Radebeul

Es sollte ab 1729 der Ruhesitz des 1. Staatsdieners von August dem Starken Graf C.A. von Wackerbarth werden – viel Zeit, es zu nutzen, dürfte er aber nicht gehabt haben, er starb 1734. Die künstlerische Darstellung von 1820 von R. Ackermann zeigt es als „Bildungsstätte für junge Herren“. 1875 bekam es unter Freiherr A. von Tümpling durch Umbau das Gesicht einer großen Villa im klassizistischen Stil, zweigeschossig mit dreigeschossigem Mittelteil mit Attika und vier Frauengestalten darauf sowie flachen Walmdächern. Der Eigentümer Dr. jur. A. Tiedemann wollte es 1915 nach Entwurf von Prof Georg von Mayenburg rückumbauen lassen, ohne dass der barocke Zustand vollständig erreicht wurde. Schloß und Park Wackerbarths Ruhe wurden von 1999 bis 2001 vollständig rekonstruiert und ist mit dem gewohnten Gesicht heute Sitz des Sächsischen Staatsweingutes.

Dietrich Lohse

Galerie offen, Eintritt frei

Vierzig Jahre Stadtgalerie Radebeul oder ein wilder Ritt durch die Stadtkultur

Worum es in der Jubiläumsausstellung geht? Es geht um das vierzigjährige Wirken einer kommunalen kulturellen Einrichtung unter verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen. Es geht um wechselseitige Beziehungen zwischen Kunst und Stadtkultur. Es geht um Haltung, Identifikation, Empathie und Leidenschaft.

Eingangsbereich »Kleine Galerie Radebeul«, Hauptstraße 20, Foto  Michael Lange

Wer sich für die Anfangsgeschichte der Radebeuler Stadtgalerie interessiert, wird fündig im ersten Teil der Galerie-Dokumentation, die 2002 herausgegeben wurde. Darin beschreibt der im Jahr 2019 verstorbene Maler und Grafiker Gunter Herrmann die politischen und pragmatischen Bewegründe, welche zur Eröffnung einer „Ausstellungsgalerie mit Möglichkeiten zum freien Verkauf“ geführt hatten.

Von der ersten konzeptionellen Überlegung im Jahr 1977 bis zur praktischen Umsetzung galt es noch viele Hürden zu überwinden. Diese reichten von der Frage nach dem Sinn eines solchen Vorhabens vor den Toren der Kunst- und Kulturmetropole bis hin zur Befürchtung einiger Künstler, als Radebeuler Heimatmaler abgestempelt zu werden.

Gemeinschaftsausstellung »T(R)aumbildung« 1989, Foto Michael Lange

Schließlich bot sich in Radebeul-Ost ein leerstehendes Ladengeschäft auf der belebten Ernst-Thälmann-Straße (heute Hauptstraße) an, welches sich für den Umbau zur Galerie eignete. Die festliche Einweihung der „Kleinen Galerie Radebeul“ fand am 16. Dezember 1982 statt.

An guten Vorsätzen mangelte es der Galerieleitung schon damals nicht. Man wollte die partnerschaftlichen Beziehungen zu den Künstlern pflegen sowie enger mit den Kunsterziehern und den Kulturverantwortlichen der Betriebe zusammenarbeiten. Es sollten Jugendstunden, Galeriegespräche, Atelierbesuche und Verkaufsausstellungen durchgeführt werden. Die Öffnungszeiten wollte man verändern und der Gewinnung des Publikums größte Aufmerksamkeit schenken.

Einladung Gemeinschaftsausstellung »Zwischen-Stationen« 1988, Gestaltung Peter PIT Müller, Repro Karin (Gerhardt) Baum

Zu den Personen, die die Anfänge der Galerie aktiv begleitet haben und sich noch an vieles erinnern können, zählen die Vorsitzende des einstigen Radebeuler Kunstvereins Ingeborg Bielmeier sowie der Maler und Grafiker Gerold Schwenke. Beide waren Mitglieder der Ständigen Kommission Kultur der Stadtverordnetenversammlung. Später dann auch des Galeriebeirates der „Kleinen Galerie“ in Radebeul-Ost.

Zahlreiche Künstler aus den Anfangszeiten der Galerie sind längst verstorben. Seitdem hat ein mehrfacher Generationswechsel sowohl bei den Künstlern, Besuchern, Politikern als auch bei den Galerie-Mitarbeitern stattgefunden. Dominiert wurde die Kunstszene jener Zeit durch Gunter Herrmann, Heinz Drache, Walter Howard, Günter Schmitz, Horst Hille, Dieter Beirich, Gerold Schwenke, Johannes Thaut, Lieselotte Finke-Poser, Ute und Werner Wittig sowie Bärbel und Wolf-Eike Kuntsche. Gussy Hippold lebte sehr zurückgezogen im Haus Sorgenfrei. Claus Weidensdorfer und Fred Walther hatten ihre Ateliers in Dresden. Jüngere Künstler wie Peter PIT Müller, Gabriele und Detlef Reinemer kamen ab Mitte der 1980er Jahre hinzu.

Mandy Herrmann, Kaltnadelradierung »Nichts hören, nichts sehen«, 1988, Repro Karin (Gerhardt) Baum

An der Auftaktausstellung „Das alte und das neue Radebeul“ im Jahr 1982 zur Galerieeröffnung hatten sich elf Künstler beteiligt. Bis heute gehören neben den Personalausstellungen die thematischen Gemeinschaftsausstellungen zum Programm der Galerie. So sperrige Themenvorgaben wie “Sonderausstellung anläßlich des 40. Jahrestages des Sieges über den Hitlerfaschismus und der Befreiung des deutschen Volkes“ wurden später nicht mehr abverlangt. Bereits ab 1986 setzte eine administrative Lockerung ein. Mit der Dokumentation „Neues Leben in alten Mauern“ begann die Hinwendung zu Themen von städtischer Relevanz, was sich bis heute fortsetzt. Die Stadtgalerie entwickelte sich zu einem inspirierenden und kommunikativen Ort.

Angeregt durch Peter PIT Müller, startete 1987 unter dem Motto „Ma(h)lzeit“ das erste Gemeinschaftsprojekt junger Künstler, welches von Mal-, Musik- und Performanceaktionen begleitet wurde. Allerdings schlossen Duldung und Misstrauen einander nicht aus. Politischen Zündstoff bot im gleichen Jahr auch die Ausstellung „Ketzer, Narr und Ruferin“ mit dem Grafiker Karl-Georg Hirsch und dem Bildhauer Detlef Reinemer. Der Titel spielte auf die DDR-Endzeitstimmung an. Die Jahre 1989/1990 waren dann geprägt durch den gesellschaftlichen Umbruch, womit sich die Gemeinschaftsausstellungen „T(R)aumbildung“ und „Enekung“ auseinandersetzten.

Ausstellungsplakat Claus Weidensdorfer »Zeichnungen«, Kleine Galerie Radebeul, 1991, Repro Karin (Gerhardt) Baum

Die 1992 begonnene Ausstellungsreihe „Statt-An-Sichten“ fand ihre Fortsetzung in den themenorientierten Sommerprojekten. Ebenfalls 1992 wurde mit dem systematischen Aufbau der Städtischen Kunstsammlung begonnen, deren 30-jähriges Bestehen soeben eine Würdigung erfuhr.

Nachhaltige Bedeutung sollte im Jahr 1990 auch die Dokumentationsausstellung „Altkötzschenbroda im Abriß?“ erlangen. Erstmals wurden der desolate Zustand von Altkötzschenbroda und auch die beabsichtigte Sanierung öffentlich thematisiert. Dass die Galeristinnen durch diese Ausstellung auf den heutigen Galeriestandort, den Dreiseithof Altkötzschenbroda 21, aufmerksam geworden waren, mag ein glücklicher Nebeneffekt gewesen sein.

Bildhauer Detlef Reinemer beim Aufbau seiner Ausstellung »Sex zu Null«, 2004, Foto Thomas Adler

Mitte April 1990, quasi in letzter Minute, setzte die Stadträtin für Kultur ihre Unterschrift unter ein sehr wichtiges Dokument. Dabei handelte es sich um den Antrag auf Rechtsträgerwechsel für das volkseigene Grundstück Altkötzschenbroda 21, zum Zwecke der künftigen Nutzung als städtische Galerie. Die Zustimmung hierzu wurde durch den damaligen Bürgermeister und die Stadtverordneten erteilt. Das war knapp! Nach den Kommunalwahlen am 7. Mai 1990 erfolgte die Ablösung des amtierenden Bürgermeisters. Etwas später wurden dann auch alle Stadträte (heute Amtsleiter) von ihren Funktionen entbunden.

Doch ein Rechtsträgerwechsel macht noch keine Galerie. Für die Mieter galt es anderen Wohnraum zu beschaffen. Und zum Bauen brauchte man Geld. So verwundert es kaum, dass zunächst das Auszugshaus fertiggestellt wurde und 1993 als das erste sanierte Gebäude von Altkötzschenbroda an seine künftigen Nutzer übergeben werden konnte.

Performance theater anasages zum Künstlerfest, Motto »RAD, RAD, RADebeul«, 2013, Foto Thomas Kube

Unabhängig davon, lief der Galeriebetrieb in Radebeul-Ost bis zur plötzlichen Kündigung des Mietvertrages weiter. Ab Juli 1995 folgten zwei Jahre im Exil. Doch das ist ein anderes Kapitel, welches es noch aufzuarbeiten gilt.

Die zu Beginn der 1990er Jahre ausbleibenden Besucher führten schließlich aus Sorge um den Erhalt der Einrichtung zur Erweiterung des Aufgabenspektrums. In vorausschauender Selbstverpflichtung kam es zur Übernahme anderweitiger kommunaler Aufgaben. So führte die Leiterin der Galerie auch gleichzeitig die Abteilung für Kultur und Tourismus.

Der erste Tourismusflyer, das erste Stadtvideo, das erste Herbst- und Weinfest, die ersten Karl-May-Festtage… Dem Jubiläum von Karl May folgten die Jubiläen von Bilz, Schuch und Ziller. Eine Festwoche wurde 1995 zu „350 Jahre Waffenstillstandsvertrag zwischen Schweden und Sachsen“ und 2010 ein ganzes Festjahr zum 75. Stadtgeburtstag organisiert. Auch als sich 1990 die Ortsgruppe des Kulturbundes auflöste und die Puppentheatersammlung 2003 nach Dresden zog, standen die Fragen im Raum: Wer organisiert den Radebeuler Grafikmarkt? Wer organisiert die Radebeuler Kasperiade?
Die zahlreichen externen Ausstellungsorte und die gewollt vielfältige Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnern vollständig aufzuzählen, das ist in diesem Beitrag unmöglich. Erwähnt seien lediglich zwei beispielgebende Veranstaltungsreihen wie die „Radebeuler Kulturbörse“ (1997-2006) oder die „Radebeuler Begegnungen“ (ab 2001). Nach dem Projekt war immer auch vor dem Projekt. Genügend Zeit, um all das Stattgefundene zu reflektieren und in einen größeren Kontext einzuordnen, gab es eigentlich nie.

Eröffnung Gemeinschaftsausstellung »Die andere Seite«, 2017, Foto Sylvia Preißler

Doch zurück zur Stadtgalerie. Als diese schließlich am 25. September 1997 in ihr neues Domizil einziehen konnte, war die Freude groß. Zur Eröffnung erschien auch sehr viel Prominenz. Sogar der Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Prof. Hans-Joachim Meyer war der Einladung gefolgt. Zwischenzeitlich hatten sich zur großen ortsansässigen Künstlerschar viele neue junge Akteure hinzugesellt. Bereits an der Auftaktausstellung „Radebeuler Künstler heute“ wirkten 37 Künstler mit.

Die Arbeit in der Galerie war ebenfalls umfangreicher und anspruchsvoller geworden. Neue Kooperationen wurden erprobt. Die Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule Dresden war im Jahr 2018 ein vielversprechender Ansatz. Unter dem Motto „Sprösslinge mit Spass“ zeigten die Schüler der Kerbach-Klasse auf wunderbare Weise, dass sich künstlerische Qualität, inhaltlicher Tiefgang und Humor nicht ausschließen müssen. Auch der Blick auf die Künstler der anderen (Elb)Seite, die Zusammenarbeit mit Galerien und Museen sowie der Grafikmarkt, die Künstlerfeste, die neue Veranstaltungsreihe „Kunst geht in Gärten“ (ab 2020) boten und bieten Möglichkeiten der Präsenz und Kommunikation. Zahlreiche Fotoserien, die in der Jubiläumsausstellung zu sehen sind, vermitteln einen sehenswerten Eindruck von Vielfalt und Potenzial der Radebeuler LebensART.

Dass mit der Jubiläumsausstellung „Reflexionen zwischen gestern, heute und morgen“ ein traditionelles Ritual seine Fortsetzung findet, ist sehr erfreulich. Denn seit Eröffnung der Stadtgalerie im Jahr 1982, wurden zum 5.,10.,20.,25. und zum 30. Geburtstag immer wieder Zwischenbilanzen gezogen. Sei es in Form von Ausstellungen und / oder Festveranstaltungen. Und auch zum 40. Geburtstag gehörte wieder das Ritual im Ritual dazu: Die Übergabe vom „Ziegelstein des Anstoßes“, welcher an den versprochenen und dringend benötigten Galerieerweiterungsbau erinnert.

In ihrer Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung meinte die Kulturjournalistin Dr. Ingrid Koch „Kunst ist kein Anhängsel, das man mal haben kann und mal nicht.“ Würde die Kunst im Alltag fehlen, würde den Menschen eine wichtige Dimension verloren gehen. Vor allem das Wirken der Galerie in die Breite sei ein unverzichtbares Element einer demokratischen Gesellschaft.

Besucher in der aktuellen Jubiläumsausstellung »Reflexionen zwischen gestern, heute und morgen«, 2023, Foto Karin (Gerhardt) Baum

Eine nostalgische Nabelschau sollte diese Jubiläumsausstellung jedoch keinesfalls werden. Sie gleicht wohl eher einem wilden Ritt durch die Radebeuler Stadtkultur. Benannt werden Projekte, an denen das Team der Galerie mehr oder weniger konzeptionell, gestalterisch und organisatorisch beteiligt war. Gezeigt werden Plakate, Einladungen, Faltblätter, Logos und Gestaltungselemente, welche die Handschrift von Radebeuler und Dresdner Künstlern tragen.

Bewusst sind in dieser Ausstellung aus dem Bestand der Städtischen Kunstsammlung nur einige wenige themenorientierte Kunstwerke zu sehen, darunter Arbeiten von Gunter Herrmann, Mandy Herrmann, Claus Weidensdorfer, Ingo Kuczera, Horst Hille, Stefan Voigt, Christian Manss, Ute und Werner Wittig. Thematisiert wird u.a. der homogene Zustand des Dorfangers von Altkötzschenbroda Ende der 1950er Jahre, die Zerstörung natürlicher Landschaften, das Warten zwischen Ankommenden und Abreisenden auf Bahnhöfen, das beklemmende Eingezwängtsein hinter hohen Mauern sowie die Brüchigkeit von Karriereleitern.

Eine kommunale Galerie ist ein höchst komplexes Gebilde. Sie lebt von dem, was die Künstler schaffen, sie lebt vom Engagement und Organisationstalent leidenschaftlicher Galeristen, sie lebt von den vielen zumeist unsichtbaren Helfern im kulturellen Ehrenamt und sie lebt vom aufgeschlossenen Publikum, das hin und wieder auch schwerverdauliche Kost erträgt. Kunst entsteht durch Reibung und Widerspruch. Die Zusammenarbeit mit Künstlern ist kein Verwaltungsakt. Obwohl sich die Auffassungen, was Kunst bewirken soll, gewandelt haben, hat die Stadt Radebeul die Existenz der Galerie als kommunale Einrichtung zu keiner Zeit in Frage gestellt.

Auch dem Radebeuler Kunstverein (von 1996 bis 2018) und dem Förderkreis der Stadtgalerie (ab 1999) sei für die vielfältige und zuverlässige Unterstützung noch einmal ausdrücklich gedankt.
Alle, die zum Fortbestand dieses, für jedermann kostenfrei zugängigen Kunstortes, auch künftig beitragen möchten, sind herzlich zur aktiven Mitwirkung eingeladen. Man darf optimistisch gespannt sein, auf das, was noch kommt… Soll es doch nicht nur theoretisch heißen „Galerie offen, Eintritt frei“.

Karin (Gerhardt) Baum

Die zweiteilige Galeriedokumentation ist in der Stadtgalerie erhältlich.

Die Ausstellung ist bis 5. Februar 2023, jeweils DI, MI, DO 14 bis 18 Uhr sowie SO 13 bis 17 Uhr geöffnet.
Sonderveranstaltungen im Rahmen der Ausstellung:
Sonntag, 5. Februar 2023 um 16 Uhr Doppel-Kuratorenführung mit Alexander Lange und Karin Baum
Montag, 6. Februar 2023 um 18 Uhr Finissage
sowie variable Einzel- und Gruppenführungen
(Anmeldungen unter 0351-8311-625, -626, 0160-1038663)

Versuch einer Glosse

Das Dilemma

Als ich noch einen richtigen Job hatte – was schreib ich – noch Unternehmer war, hatte sich einmal eine fesche, junge Frau um eine Stelle in meiner Gesellschaft beworben. Die hatte – also die Frau –, wie man unterm Volk so sagt, die Gusche auf dem rechten Fleck. Meine Zweifel, ob sie denn den Herausforderungen der Tätigkeit auch gewachsen sei, konterte sie mit der etwas nassforschen Bemerkung, dass sie genug „bunte Knete im Kopf“ habe. Eigenständige Ideen zu entwickeln aber war geradezu die Voraussetzung für diesen Arbeitsplatz. Ich stellte sie ein und hatte viel Freude an der jungen Frau, auch wenn sie mich nach einiger Zeit wieder verlassen hatte, um sich größeren Aufgaben zuzuwenden.

Aber „bunte Knete“ wird von den meisten Chefs nicht gern gesehen. Offenbart sie doch einerseits die eigenen Schwächen und andererseits verlangt sie eine große Flexibilität des Unternehmens und dessen Leitungen. Und da stecken die Chefs in einem großen Dilemma.

Wenn er Leute mit „bunter Knete“ für sein Unternehmen nutzbringend einsetzen will, muss er sie gewissermaßen „kontrolliert“ frei laufen lassen und offen für jeden neuen Gedanken sein. Das aber ist mit den meisten Chefs nicht zu machen. Warum nicht? Weil sie dann eben nicht Chefs wären. Chef ist man, weil man ein Alpha-Tier ist oder sich dafür hält. Und welches Alpha-Tier lässt sich schon gern in den Schatten stellen?! So ein Exemplar habe ich noch nicht gesehen. Chefs sind ein Leben lang Chefs, auch wenn sie längst keine Chefs mehr sind, also aus der Firma ausgeschieden sind. Aufpassen aber müssen sie dann allerdings, dass sie sich mit ihrem Gehabe nicht lächerlich machen und dem Umfeld nicht auf den Wecker gehen. Ein schwieriges Unterfangen, was nur den wenigsten gelingt.

Aber nichts für ungut, es gibt natürlich auch richtig gute Chefs, die nicht gleich bei jeder Gelegenheit eine hochroten Kopf bekommen, Mitarbeiter feuern und glauben, dass ohne ihr Eingreifen der Laden an keiner Stelle richtig läuft. Wer Dienstbesprechungen nur zum „Abwatschen“ nutzt und keinen freien Meinungsaustausch zulässt, verschenkt die Potenzen seiner Mitarbeiter und schadet letztendlich dem Unternehmen.

Nun muss jetzt der Leser nicht glauben, der Motzi hätte die Fronten gewechselt, auch wenn ich nicht ganz verleugnen kann, dass ich auf beiden Seiten der Barrikade so meine Erfahrungen sammeln konnte. Das schult auf alle Fälle fürs Leben. Aber mal ehrlich, diese Binsenweisheiten gelten doch nicht bloß für Chefs. Der Mensch ist nun mal ein Herdentier, und wo eine Herde ist, da ist auch ein Leitbulle oder eben eine Leitkuh. Das hat halt die Natur so eingerichtet. Ich muss ja jetzt nicht verraten, wer bei mir zu Hause das Sagen hat. Nur bei den Schafen hat das nicht geklappt. Deshalb rennen sie eben wie eine Hammelherde durcheinander, wenn der Wolf durch den Zaun guckt. Aber was habe ich davon, wenn ich meine Mitarbeiter „gefressen“ habe? Die Folge kann doch nur „Dienst nach Vorschrift“ sein und die „bunte Knete“, wenn vorhanden, bleibt dann eben zu Hause.

Sicher, meistens ist Arbeit Brotjob. Aber wenn ich Tag ein, Tag aus mit einer stink Laune meinen Arbeitsplatz aufsuche, steigert das ja auch nicht gerade meine Arbeitswut. Die braucht es aber, damit der Chef und ich etwas davon haben. Denn diese „stink Laune“ macht mich ja kaputt. Und wenn ich kann, bin ich schneller weg, als der Chef denken kann. Ist aber fürs Unternehmen auch keine Lösung, denn mittlerweile sind die Arbeitskräfte rar geworden, auch weil die Chefs gedacht haben, dass davon genug auf der Straße liegen.

Jeder Chef ist somit gut beraten, wenn er auch mal mit seinen Mitarbeitern ein Bier trinken geht oder einfach nur zuhört, was sie so bewegt. Allein Parkplätze für sie bauen oder gelegentlich ein warmer Händedruck, das reicht eben nicht aus. Damit die Wertschätzung des Personals nicht zur bloßen Wortfloskel verkommt, ist mehr nötig, als eine verkorkste Rundmail zum Jahresende. Deshalb wäre mehr Achtung vor den Lebensleistungen der Mitarbeiter und ein kollegiales Miteinander wünschenswert, meint

Euer Motzi

Kunst am Bau –

dargestellt am Beispiel der Sparkasse Kötzschenbroda

 

Foto D. Lohse

Der Begriff „Kunst am Bau“ war ein Schlagwort im Bauwesen der DDR. Er bezog sich vor allem auf öffentliche Bauten wie Kulturhäuser, Rathäuser, Schulen, Bibliotheken und Studentenwohnheime, seltener auf Wohnhäuser. Zu der Zeit war der Fassadenschmuck fast schon ein Politikum und wurde den Architekten mit einer Prozentzahl der Gesamtbausumme (2%, ab 1982 0,5%) vorgegeben. Dadurch wurde aber Künstlern und Spezialisten wie Bildhauern, Putzgestaltern, Stuckateuren, Malern und Glasgestaltern ein Arbeitsfeld geboten. Viele der so hervorgehobenen Beispiele, z.T. auch mit sozialistischer Aussage, wurden inzwischen als Kulturdenkmale – Bauzeugen einer bestimmten Zeit – eingetragen. Der Wunsch, einige Häuser mehr zu schmücken als andere, kann aber als zeitlos erkannt werden. Er trat vor 1945 und auch nach 1990 genauso auf.

Foto D. Lohse

Bei der Spar- und Girokasse in Kötzschenbroda, erbaut 1933/34, finden wir eine Reihe von künstlerischen Zutaten, die das Gebäude in Ecklage (Bahnhofstr. 20 / Herrmann-Ilgen-Str. 28) schmücken. Mir fällt aber kein anderes Gebäude in Radebeul mit zwei Adressen ein. Hier war der Schmuck selbstverständlich und nicht verordnet. Man wollte vielleicht, kurz vor dem letzten Zusammenschluss (1.1.1935) zur Stadt Radebeul, noch mal unterstreichen, dass Kötzschenbroda zu dem Zeitpunkt die größere der beiden Städte war. Die Entscheidung, die neue Stadt Radebeul zu nennen, fiel wohl, weil den Machthabern Kötzschenbroda zu sorbisch klang und deshalb angeblich nicht in die Zeit passte. Vielleicht hätte dieses neue Gebäude sogar das Rathaus von Radebeul werden können, wenn „die Würfel anders gefallen“ wären; einen Ratskeller und den Sitz von ein paar städtischen Gremien hatte es ja schon. Hatte die Gemeinde Kötzschenbroda vorher eigentlich ein Rathaus? Oder wurden im Rathaus Niederlößnitz auch Kötzschenbrodaer Belange mit beschieden?

Foto D. Lohse

Das von den Gebr. Kießling 1933 entworfene, viergeschossige Sparkassengebäude erreicht durch die Lage an einer Straßenkreuzung eine dominante städtebauliche Wirkung, die noch durch die eingezogene Ecke mit Haupteingang und einem niedrigen, zinkgedeckten Turm hervorgehoben wird. Die Dächer sind mit roten Biberschwanzziegeln gedeckte Walmdächer und haben als horizontale Gliederung eine zusätzliche Dachkante aus Zinkblech in Höhe des Fußbodens der vierten Etage. Über einem Haussockel aus Sandstein erheben sich traditionell mit Ziegeln aufgemauerte und verputzte Wände. Die Gebäudeflügel bilden einen Innenhof; der Flügel an der Bahnhofstraße ist der längere, der Ratskellerflügel ist der etwas kürzere. Die Bauzeit betrug nur knapp zwei Jahre. Die Hauptnutzung als Sparkasse blieb über die knapp 90 Jahre bestehen. Gruß und Dank an Frau Novotny, der Leiterin der heutigen Einrichtung – nach längerer Bedenkzeit durfte ich die Innenaufnahmen (Farbglasfenster) dann machen.

Foto D. Lohse

Ein Künstler, der Bildhauer Burkhart Ebe (1891-1949), sh. auch V+R 02/94, war hier stark eingebunden. Er fand in der Zeit nach 1933 ein reiches Betätigungsfeld, allerdings haben seine Arbeiten an der Sparkasse die Zeiten überleben können, weil sie hier eher volkstümlich-erzählerisch, denn politisch erscheinen. Von seiner Hand stammen die vier Halbreliefs an den Mauerschäften zwischen den Ratskellerfenstern im EG. Sie wurden in Kunststein, eine Art besserer Beton, vergleichbar mit der Ebe-Arbeit bei der Hoflößnitz, gefertigt. Die Reliefs mit Figuren wie Musikant oder Nachtwächter sind gut erhalten, die westlichste Arbeit ist signiert. In gleicher Technik fertigte er an der Ecke zur Bahnhofstraße das schöne Kötzschenbrodaer Wappen unter einer Konsole. Die Vermutung, dass auf der Konsole früher etwas gestanden hätte, eine Vase, eine Figur oder etwas ähnliches, kann ich nicht bestätigen – auch auf älteren Fotos ist die Konsole leer. Eine Arbeit Ebes wohl in Holz ist die Supraporte über der ehem. Tür zum Ratskeller (ein Nest zwischen Weintrauben, ein Vogel die Jungen fütternd). Sie liegt etwas versteckt im Schatten. Ob Burkhart Ebe die Entwürfe für die drei bildhaften, nicht signierten Farbglasfenster abgeliefert hat, ist denkbar, lässt sich aber bisher nicht beweisen, auch nicht, welcher Handwerker sie seinerzeit gefertigt hat. Es sind Zecher- und Kochmotive, die gut zu einer Gaststätte passen. Derartige bäuerlich-historische Zechgruppen als Bleiglasfenster innerhalb eines größeren Glasfensters hatte seit 1910 die Münchner Firma F. X. Zettler vielfach und über längere Zeit gefertigt und deutschlandweit vertrieben. Zu erwähnen wären noch kunsthandwerkliche Metallarbeiten an Fenstern und Türen im EG, dem Stil nach Art-Deco-Arbeiten, auch hierfür gibt es leider keinen Nachweis, wer’s gemacht hat.

Foto D. Lohse

Die feierliche Eröffnung fand laut Kötzschenbrodaer Generalanzeiger am 12. Dezember 1934 nach nur reichlich einem Jahr Bauzeit statt. Hauptredner war der Kötzschenbrodaer Bürgermeister Dr. Brunner (NSDAP), der neben politischen Phrasen feststellte, dass das neue Haus im „Lößnitzer Barock“ gestaltet worden sei und dass er stolz sei, außer der Sparkasse auch eine größere Zahl Wohnungen in dem Gebäude anbieten kann. Dem o.g. Barock kann ich mich nicht anschließen, ich sehe eher einen Nachklang zum bereits abgeschlossenen Bauhausstil und Art-Deco. Dagegen war die zweite Rede an dem Tage von Architekt Edmund Kießling wesentlich sachlicher, er nannte die am Bau beteiligten: Baumeister Moritz Alfred Große, Architekt Wolf, die Baumeister Wachter und Jörissen sowie den Künstler Ebe.
Schauen Sie beim nächsten Einkauf oder Spaziergang in der Bahnhofstraße einmal aufmerksamer das Gebäude der Sparkasse an und entdecken Sie die Kunst am Bau!

Ein gelungener Entwurf, der durch künstlerische Zutaten noch in der Wirkung gesteigert wurde, eben durch „Kunst am Bau“!

Dietrich Lohse

Eine stimm(-ungs-)volle Adventszeit

Die hatte der Lößnitzchor Radebeul nach zwei Jahren coronabedingter Pause im Jahr 2022 wieder.

Los ging es bereits am 26.11., dem Samstag vor dem 1. Advent. An diesem Tag fand das Adventskonzert des Chores in der Emmauskirche in Dresden-Kaditz statt, begleitet von Frau Pfarrerin Merkel-Manzer. Alle Sänger und Sängerinnen freuten sich darauf, endlich wieder in der Kirche auftreten und präsentieren zu können, was seit Anfang Oktober intensiv geprobt worden war. Es wurde ein wunderschönes Konzert, geleitet und teils instrumental unterstützt vom Chorleiter Eric Weisheit. Das Programm bot eine bunte Mischung aus traditionellen und modernen, bekannteren und nicht so bekannten, deutschen und fremdsprachlichen Advents- und Weihnachtsliedern. Auch das kleine Ensemble des Chores, die Gruppe „fEinklang“ zeigte ihr Können.

Weihnachtslieder-Singen des Ostsächsischen Chorverbands
in der Dresdner Kreuzkirche
Bild: D. Beckert


Das Publikum war sehr zahlreich erschienen, die Kirche fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Einige Zuhörer und Zuhörerinnen mussten daher auf die Empore ausweichen. Doch weder das noch die niedrigen Temperaturen draußen hatten einen Einfluss auf die Stimmung in der Kirche. Das Publikum lauschte andächtig dem Chorgesang, welcher teilweise von Orgel oder Klavier begleitet wurde, und konnte den Applaus nur mühsam zurückhalten. Umso länger fiel dieser dann nach etwa eineinhalb Stunden zum Ende des Konzertes aus. Beim Verlassen der Kirche sah man rundherum nur in glückliche und zufriedene Gesichter, sowohl bei allen Beteiligten als auch beim Publikum. Dieses Konzert war ein sehr stimmungsvoller Auftakt für die Adventszeit.

Eine Woche später, am 3.12., nahm der Lößnitzchor am Weihnachtslieder-Singen des Ostsächsischen Chorverbands teil. Dieses fand in der Kreuzkirche in Dresden statt. Jeder der insgesamt sieben teilnehmenden Chöre konnte in jeweils 25 Minuten eine Auswahl aus seinem Repertoire zeigen. Während andere Chöre mit ihrer Aufstellung die Akustik der Kreuzkirche nicht voll ausnutzen konnten, gelang das dem Lößnitzchor sehr gut. Den Chor begleitende Familienmitglieder und Freunde bescheinigten diesem einen tollen Klang und eine sehr gute Liedauswahl, welche bei einigen – laut eigener Aussage – eine feierliche Stimmung aufkommen ließ. Wenn auch sehr kurz und ohne Instrumentalbegleitung, so war auch dieser Auftritt unter der Leitung von Eric Weisheit ein voller Erfolg.

Adventskonzert in der Emmauskirche in Dresden-Kaditz
Bild: D. Beckert


Nach diesem stimmungsvollen Auftakt verlief der Rest der Weihnachtszeit sehr ruhig. Ein Auftritt in der Passage in Radebeul-Ost musste leider kurzfristig abgesagt werden. So hatte der Chor dann nur noch einen Auftritt im Seniorenwohnpark der Volkssolidarität auf der Thalheimstraße in Radebeul am 4. Advent. Wenn auch nach dem Außenauftritt sehr durchgefroren, waren doch alle Sängerinnen und Sänger glücklich über einen erneut gelungenen und stimmungsvollen Auftritt.

Der Lößnitzchor blickt nun, nach einer kurzen Pause zum Jahreswechsel, schon voller Vorfreude auf das nächste Highlight. Nachdem der Chor im letzten Jahr sein 35jähriges Bestehen feiern konnte, folgt nun in diesem Jahr das Konzert zum Jubiläum. Dieses findet am 15.04.2023 in der Lutherkirche in Radebeul statt. Auch dieser Auftritt wird mit Sicherheit wieder sehr stimm(-ungs-)voll.

Laura Hackeschmidt
Lößnitzchor e.V. Radebeul

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www.loessnitzchor.de

Editorial

Nach nunmehr fast drei Jahrzehnten der Tristesse scheint es in der Causa „Villa Kolbe“ nun endlich einen veritablen Lichtblick zu geben.
Der langjährige Rechtsstreit zwischen den Eigentümern und der Stadt Radebeul wurde nun zugunsten der Stadtverwaltung aufgegeben, sodass das inzwischen stark sanierungsbedürftige Gebäude einem Bieterverfahren zugeführt werden kann.
In der Tat hatte das Objekt schon seit langer Zeit unter der Rubrik lost places im Netz einen bemerkenswerten Kultstatus entwickelt, zählte doch einst die Villa nach dem Entwurf des Berliner Architekten Otto March und von den Baumeistern Gebrüder Ziller im Stil eines deutschen Renaissanceschlosses errichtet, zu den schönsten und prunkvollsten Häusern der Stadt.
Ab 1892 wohnte der Chemiker und Arzneimittelunternehmer Carl Kolbe hier, einige Eigentümerwechsel folgten, und über einem langen Zeitraum wurde die Villa als chirurgische Klinik genutzt.
In den Nachwendejahren führte der Leerstand dann zu all seinen unerfreulichen Folgen. Das verwaiste Haus lockte viele ungebetene Besucher, zum äußeren Verfall gesellte sich Vandalismus an der reichen und kostbaren Innenausstattung.
Schon bald wird sich vielleicht zeigen, welche Nutzung das einstige Kleinod mit dem stattlichen parkähnlichen Garten wieder erfahren kann.
Es bleibt zu hoffen, dass die bedeutsame historische Anlage zukünftig wieder der Öffentlichkeit erhalten bleibt. Ein Ärztehaus ist schon allein aus wirtschaftlichen Gründen gut vorstellbar.
Wünschenswert, wenngleich wohl zu träumerisch, wäre, wenn ein Teil der repräsentativen Räumlichkeiten erlesenen künstlerischen Formaten, ähnlich wie in der „Villa Teresa“ in Coswig, künftig einen würdigen Platz bieten könnten.

Sascha Graedtke

 

Zum Titelbild


Radebeul in historischen Ansichten

Weinbergstraße 10, Meínholdsches Turmhaus

Das Titelbild zeigt einen Ausschnitt aus einer Grafik von Johann Adolph Darnstedt um 1810. Die Anfänge des Weinguts sind schon zu Beginn des 17. Jh. nachweisbar. Der historische Name des Weinguts in der Überschrift bezieht sich auf den Dresdner Hofbuchdrucker und Verleger Carl Christian Meinhold (1740-1327), der 1792 den Weinberg in der Lößnitz mit dem Weingut erwarb. Danach gab es noch verschiedene weitere, hier nicht genannte Eigentümer. Als heutiger Name hat sich neben dem historischen der Namen Weingut Aust eingebürgert. Karl Friedrich Aust setzt die Arbeit zur Erhaltung des Weinguts und der Bewirtschaftung der Weinberge seiner Eltern Ulrich (1942-1992) und Elisabeth Aust fort. Er errichtete 2021/22 ein neues Kellereigebäude, da die alten Weinkeller inzwischen zu klein und zu eng geworden waren. Was für Veränderungen gab es seit Darnstedts bildlicher Darstellung von um 1810 noch? Da hatte der Turm noch zwei Abstufungen nach oben; 1844 taucht dann ein Bild auf mit nur noch einer Abstufung, der Turm war umgebaut worden. So zeigt sich der Turm mit Wetterfahne, einer vergoldeten Fortuna, noch heute. Östlich vom Weingut kam 1853 an Stelle des Nebengebäudes eine Villa in der Art der Schweizerhäuser (Arch. C.E. Johne) hinzu.
Dietrich Lohse

 

Mit Dieter Beckerts Gedichten und Geschichten durch das Jahr

Beckert – der Brachialromantiker

 

Der Mensch ist nicht gern allein. Wer Beckert sagt, muss in diesem Fall nicht nur Jürgen B. Wolff erwähnen, sondern mindestens auch Peter Till anfügen, der sicher nicht nur den Radebeulern als Duo „Herr Beckert & Vergissmeinnicht“ noch bekannt sein dürfte. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an ihren Auftritt zum Künstlerfest 2008 im Rahmen des Sommerprojektes „ArbeitsWelten“, veranstaltet von der Stadtgalerie Radebeul. Aber auch Solo ist Peter Till mit seinem „Universal Druckluft Orchester“ bestens bekannt. Für Tills Geburtstag 1991 verfasste Beckert u. a. diese Zeilen:

Mit übler Rede schlimmster Sorte –
Im Gehirnsaft gut gegart
Lallten druckreif aus ihm Worte –
Wein und Veritas gepaart

Darum freilich geht es in diesem Beitrag nicht, wenngleich hier die Richtung schon etwas angedeutet werden soll. Es geht auch nicht so sehr um das „Duo Sonnenschirm“, deren Protagonisten Dieter Beckert und Jürgen B. Wolff sind, als vielmehr um Dieter Beckert selbst. Wer aber Beckert sagt, kann zumindest die beiden anderen nicht links liegenlassen. Aber der Reihe nach.

Buchcover Rückseite:Ballhornsche VerlagsAnstalt Leipzig/Dresden 1997

Beckert und Wolff sind gewissermaßen ein Paar. Also nicht im herkömmlichen Sinne. Sie sind vielmehr Vollblutmusiker mit vielseitigen Begabungen, die sich bereits 1986 zum „Duo Sonnenschirm“ zusammenfanden, welches sie auch als „brachialromantisches Kabarett“ verstehen. In Daniil Charms (1905–1942), Lene Voigt (1891–1962) und den polnischen Dichter Konstanty Ildefons Ga?czy?ski (1905–1953), der behauptete, ein „Haus ohne Käse ist wie ein Hund ohne Grammophon“, sieht u. a. die Musik-Formation als ihre „Ahnen“. Gemeinsam haben Beckert und Wolff im Laufe der Jahre viele Musikprojekte verwirklicht, für die sie mehrfach mit dem „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ ausgezeichnet wurden. Die Wurzeln des Duos liegen in der Folkmusikbewegung der 1970er Jahre in der DDR. Man könnte sie auch als etwas eigenartige „Liedermacher“ bezeichnen.
Aber beide musizieren nicht nur miteinander. Ihre selbstverfasste Musik braucht natürlich auch Texte und die stammen größtenteils von Dieter Beckert. Schade wäre freilich, wenn diese nur zu den Konzerten zu hören wären. Was also tun? Ganz einfach: Man schreibt ein Buch! Und so erschien im TOM VERLAG LEIPZIG 1993 DIE LIEBE IN DEN ZEITEN DER KOHLÄRA. EIN BRETTLBUCH. Die Herausgeber: Dieter Beckert & Jürgen B. Wolff vom „Duo Sonnenschirm“. Es umfasst auf annähernd 200 Seiten Texte, Gedichte, ein kleines Stück, Grafiken (Wolff) sowie zwischen all den Köstlichkeiten auch ein wenig zur Geschichte vom „Duo Sonnenschirm“, angereichert mit Fotos. Der Tagespiegel (Berlin) schätze damals ein: „Da kann man noch so lange suchen – andere Kleinkünstler, die mit vergleichbaren oder ähnlichen Darbietungen wie das Dresdner Duo Sonnenschirm ins Rampenlicht treten, sind derzeit auf der gesamtdeutschen Brettl-Szene nirgends auszumachen.“.
Ganze zwei Jahre später brachten die Beiden mit dem Roman Das Hanebuch von 1984. DIE BRACHIALROMATISCHE URFAUS oder DAS ENDE DER LEBERTRANEN-DYNASTIE heraus, eine hanebüchende Geschichte, die dem Leser in das XXXV. Jahr der Lebertranen-Dynastie führt. Die Illustrationen und Schaubilder stammen wieder von Jürgen B. Wolff.

Buchcover Rückseite: Connewitzer Verlagsbuchhandlung Leipzig 1995 und dem »Igel-Verlag

Das dritte Buch dieser Art kam 1997 unter dem Titel ZuverSicht Ist | Des | Schiffers UferLicht in der Ballhornschen Verlags Anstalt heraus und enthält neben den Texten auch Fotos, Grafiken und Collagen.
Beckert’s Texte folgen nicht dem Tradierten. Vielmehr strotzen sie vor eigenen Wortschöpfungen, Verballhornungen bis ins Obskure gehend, bleiben aber eng am alltäglichen Leben. Man sollte sie nicht bierernst nehmen, sich vielmehr am Fluss des Textes und dessen Wendungen erfreuen.
Für die zwölf Ausgaben von Vorschau & Rückblick des Jahres 2023 werden Geschichten und Gedichte aus allen drei Bänden ausgewählt.

Karl Uwe Baum

Radebeuler Miniaturen

1623-2023: Vierhundert Jahre Haus Möbius

I
Haus und Grund

Wer’s nicht kennt, wird das unscheinbare Putzrelief unterm wuchernden Wein schwer finden: Eine ursprünglich weiße Platte von etwa 17 auf 35 cm, trägt eingeritzt und ehemals schwarz eingefärbt die Jahreszahl 1623: das älteste Baudatum unseres Hauses in der Winzerstraße. Von wohl floral gemeinten Bogenwülsten eingerahmt, krönt es schlußsteinartig das mit drei Putzrillen angedeutete ehemalige Bogenportal.
Vierhundert Jahre! Ulrike staunt immer wieder aufs Neue. Wir wohnen nun schon so lange hier, doch jetzt erst beginnt sich mir die zeitliche Dimension richtig zu erschließen.
Naja, sag ich, vierhundert Jahre, das sind gut und gerne sechzehn Generationen.
Und, fragt sie, du mit deiner Fantasie, hast du Vorstellungen, was sich in der Zeit alles abgespielt hat?
Vorstellungen? Freilich hab ich Vorstellungen – auch wenn nicht viel Greifbares überliefert ist. Es sind ja gerade mal fünfundvierzig Jahre, als ein reichliches Zehntel, was wir überblicken.
Ulrike zündet ein Kerzlein an in der Dämmerung, setzt sich im Großmutterstuhl zurecht, blickt mich erwartungsvoll an und sagt: na los, erzähl schon!
Also: Am Anfang – –

Am Anfang kaufte der „Doktor der Heiligen Schrift Ägidius Strauch“ zwei nebeneinanderliegende Weinberge „im Mittelgebirge von Kötzschenbroda“, den einen von Hans Mehlich aus Wahnsdorf, den anderen von Caspar Schulz und seiner Schwester. Das war im Jahre 1622.
Die Weinberge lagen an der Hausgasse (heute Winzerstraße) und reichten bis zur Hangkante hinauf, dorthin etwa, wo heute die Obere Bergstraße verläuft. Sie umfaßten mindestens das Areal zwischen der heutigen Karlstraße und der Horst-Viedt-Straße. Die aktuelle Parzellierung ist eine relativ junge Erscheinung aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Es gibt Grund zu der Annahme, daß damals zumindest schon ein Pressenhaus auf dem Grundstück vorhanden war. Bald nach Erwerb ließ der neue Besitzer unmittelbar daneben ein neues Haus errichten, das im Jahr 1623 fertiggestellt wurde.
Modernsten Anforderungen entsprechend wurde das Erdgeschoß in massivem Bruchsteinmauerwerk aufgeführt. Ein Fachwerkobergeschoß folgte. Für die Ausfachungen wurden vermutlich von Anfang an Ziegelsteine verwendet. Das Gebäude wurde durch ein einfaches steiles Zeltdach geschützt. Das im Untergrund befindliche Kellergewölbe ist von der östlichen Außenseite her zugänglich.
Hier hast du eine Ansicht von damals, wie sie von Mike Maderer in einer Studienarbeit an der TU Dresden 1997 angefertigt worden ist.

Ich reiche das Bild rüber, und greife nach meinem Weinglas. Darauf dürfen wir schon mal anstoßen …
Thomas Gerlach

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