Peter Graf „Stillos“ – eine Ausstellung in der Stadtgalerie Radebeul

Morgens bei Zurbarán, 2016
Bild: Archiv Stadtgalerie


Mit einer Personalausstellung ehrt die Stadtgalerie Radebeul einen der großen Künstler der Stadt zu seinem 85. Geburtstag. Malerei und Zeichnung aus den zurückliegenden Jahrzehnten werden einen kleinen, aber durchaus repräsentativen Überblick über sein umfangreiches Schaffen geben und zum Staunen einladen. Seit 1996 arbeitet Peter Graf in seinem Atelier in der Gartenstraße in Radebeul, hat seit 2002 auch seinen Lebensmittelpunkt in die Lößnitz verlegt und ist mit seiner Frau, Karen Graf in der Radebeuler Kunstszene sehr aktiv.

»Leichtes Training für die Sintflut«, Öl auf LW, 2005 (Ausschnitt)
Bild: Archiv Stadtgalerie


Peter Graf hat seine Ausstellung ganz bewusst keinem Thema zugeordnet, sondern ganz einfach „Stillos“ genannt. Er lehnt es ab, für seine Kunst eine Einordnung zu treffen und er hat Recht. Jedem Stil werden in der Kunstgeschichte stilbildende Merkmale zugeordnet und sicher lassen sich auch manche Eigenschaften seiner Malerei bestimmten Stilen zuordnen, aber eben nicht in ihrer Gesamtheit.

»R4, Bild Nr. 2«, Öl auf Sperrholz, 1993
Bild: Archiv Stadtgalerie


Es ist die Zeichnung, es ist Malerei, es ist Grafik, manchmal eine Kombination der Techniken – und sie ist immer gegenständlich.

»Hektor präsentiert«, Plakat, 1995
Bild: Archiv Stadtgalerie


Peter Graf erzählt Geschichten, oft mit einem hintergründigen Humor. Neben dem Menschen, der den Großteil seines Œvres bestimmt, tummeln sich verschiedenste Tiere und auch Fabelwesen auf der Leinwand. Auch der Betrachter muss arbeiten Bloßes Zuschauen ist keine kreative Tätigkeit. Beteiligtes Sehen ist das Credo des Künstlers. Ein Bild muss beim Betrachten mehr werden und mit dieser Art zu sehen ist Erkenntnis verbunden. Und so wie biblische Weisen Gleichnisse erzählen, entstehen unter der Hand des Künstlers gemalte Gleichnisse. Modisches Experimentieren widerstrebt Peter Graf. Es geht um Qualität. Das Bild hat in sich stimmig zu sein. Das Ganze ist entscheidend. Deshalb ist er eher ein Bildfinder, denn ein Sucher.

»Espresso«, Öl auf Sperrholz, 2020
Bild: Archiv Stadtgalerie


Er nimmt in seiner künstlerischen Arbeit wenig Rücksicht auf Regeln. Unverkrampft und offen geht er mit stilistischen und technischen Mitteln um. Dabei kann er sich seiner kompositorischen Mittel stets sicher sein. Er vermeidet starke Farben und heftige Brüche in der Formgebung. Seine Arbeiten sind von großer Sinnlichkeit. Zugleich bleibt er aber nahe an der Realität, am Menschen und an der Landschaft oder auch nur an einer Lötlampe. Diese Kombination fügt sich im Bild harmonisch zusammen. Er will über das Abbild zum Sinnbild gelangen und benötigt deshalb seine Umgebung als Anregung. Sinnlichkeit drückt sich nicht nur in der Auswahl des Sujets sondern auch in seiner körperhaften, also fast tastbaren Oberfläche aus. Mit gedeckten Farbklängen komponiert er lichtvolle Malerei.

»Schwan gehabt«, Öl auf LW, 2017
Bild: Archiv Stadtgalerie


Der zurückhaltende Ton kommt seinen Intentionen von der lebendigen Darstellung der Dinge sehr entgegen.

»Fenster (Raschufa)«, Öl auf Sperrholz, 2007
Bild: Archiv Stadtgalerie


In einem Satz brachte Erich Fraaß die Arbeit eines Künstlers/einer Künstlerin und die Wirkung seiner/ ihrer Bilder auf den Punkt und dies gilt uneingeschränkt für Peter Graf:

„Der Kunst kann man nicht befehlen. Sie ist da und ist wie sie ist, sie wächst organisch. In sich gebunden mit den Erscheinungen des Lebens und der Welt verbunden, gibt sie immer ihrer Zeit ein Bild.“

Alexander Lange

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Ausstellung vom 31. Juli – 4. September 2022
Künstlergespräch am 04. September 16.00 Uhr

Editorial August 2022

Liebe Leserinnen und Leser,

in dieser mit schlechten Nachrichten bestückten Zeit mal ein kurzer Bericht über ein Ereignis, das uns vier Tage lang, vom 7. bis 10.Juli, fast alles Unangenehme vergessen ließ.
Vier Tage nur freundliche Menschen: Musikerinnen und Musiker, Techniker, Standbetreiber,Servicekräfte, Sicherheitskräfte und natürlich die Flut von Tausenden Zuschauern, die sich mit uns an Musik und Tanz erfreuten.

Ich spreche vom Rudolstadt Festival. Nach 2019 konnten wir uns nun 2022 wieder erfreuen. Das Organisationsteam hatte alles, wie immer, bewundernswert gut vorbereitet. Festivalschwerpunkt war diesmal „Brass und more“. Alle sieben Länder des ehemaligen Jugoslawiens waren mit Musikbeiträgen vertreten. Von Slowenien über Kroatien, Serbien , Bosnien und Herzegowina bis Kosovo, Nordmazedonien und Montenegro. Es faszinierten und begeisterten Vielfalt und Verbindendes. Das serbische Roma- Brass- Orchester von Boban und Marko Markovi? eröffnete am Donnerstag und brachte die Gäste des Heineparks gleich in beste Feierlaune, und am Sonntag krönte Goran Bregovi? mit seiner Band und einer musikalischen Reise durch den Balkan den Abschluss. Dazwischen standen auf den Bühnen auf dem Festgelände im Heinepark, in der Innenstadt und auf der Heidecksburg zahlreiche andere Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, die von den Zuschauenden gebührend gefeiert wurden, darunter auch die berühmte Theodorakis-Interpretin Maria Farantouri. Man spürte überall die Freude an den Darbietungen, natürlich auch bei den Musikerinnen und Musikern. Endlich wieder vor Zuschauern spielen zu können, ist doch das Schönste für sie. Und dann noch vor dem enthusiastischen Rudolstädter Publikum. Was will man mehr?

Mir fallen da Goethes Worte ein: „ Zufrieden jauchzet Groß und Klein, hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“

In diesem Sinne, vielleicht nächstes Jahr beim Festival?

Ilona Rau

Kultiger Musicalknaller mit ein bisschen Grusel

Zur Premiere der „Rocky Horror Show“ am 12. Juni

Karen Müller, Merlin Fagel, Lutz van der Horst Foto: Pawel Sosnowski

Als gleich zu Beginn lustvoll mit Reis geworfen wurde, die Wasserspritzpistolen aus den Fanbags (werden für 8,50€ im Foyer verkauft) hervorgekramt waren und hemmungslos zum Einsatz kamen, sich das Publikum lachend und johlend die mitgelieferte Zeitung zwecks Nässeschutz über den Kopf hielt, da war man schon mittendrin in der Party, auf die sich der Großteil der Zuschauer gut vorbereitet hatte. Doch was heißt hier: „Zuschauer“? Es wurde ja nicht nur zugeschaut, sondern auch zugerufen, zugejubelt, mitgetanzt, mitgesungen. Denn wer sich an diesem sonnigen Frühsommerabend zur jüngsten Musiktheaterpremiere der Landesbühnen Sachsen im Alten Schlachthof Dresden aufgemacht hatte, gehörte nicht zum traditionell graumelierten Stammpublikum des Radebeuler Hauses, das aus guten Gründen (siehe oben) seinen behaglich-gediegenen großen Saal lieber nicht der „Rocky Horror Show“ überlassen wollte. Womit wir beim Thema sind: Mit dieser eigentlich schon für 2020 geplanten Produktion unter Federführung des scheidenden Operndirektors Sebastian Ritschel (Regie, Lichtkonzept und Ausstattung), die aus bekannten Gründen in diese Spielzeit verschoben werden musste, greifen die Landesbühnen weit hinaus in die Mitte der Gesellschaft. Wohl selten sieht man ein so diverses Publikum versammelt, wobei „divers“ tatsächlich in jeder Hinsicht stimmen könnte. Denn wenn es ein Merkmal dieses Kultmusicals gibt, dann jenes, dass es sich klassischen Zuschreibungen, Kategorisierungen und Definitionen entzieht und entsprechend anschlussfähig für alle und alles ist, was sich Mensch nennt und offen ist für einen wilden Stilmix. Und also sieht man in den Zuschauerreihen neben einigen Normalos eben auch muskelbepackte, gleichwohl geschminkte Männer in Lederstrapsen und High Heels, androgyne Erscheinungen in eleganter Robe und Frauen, die auffällig mit Geschlechterkonventionen brechen. Erlaubt ist, was Spaß macht. Manche feiern damit freilich nur ab und spielen für zweieinhalb Stunden mit einer anderen Identität á la Cosplay. Einige wenige sind jedoch an diesem Abend wirklich ganz sie selbst, und das ist gut so, um es mit einem bekannten ehemaligen Berliner Politiker zu sagen.

Ensemble Landesbühnen Sachsen Foto: Pawel Sosnowski

Die eigentliche Handlung der „Rocky Horror Show“ ist recht dünn, wenig plausibel und also auch nicht wirklich der Nacherzählung wert, zumal sie nachgelesen werden kann. Dies mag ein Grund dafür sein, dass sich manch ein Musiktheaterfreund wenig für dieses Stück erwärmen kann, weil es die Suche nach Sinn vordergründig weitgehend ins Leere laufen lässt. Selbst der neuseeländische Autor und Komponist Richard O’Brien gestand ein, dass ihn der seit 50 Jahren anhaltende Erfolg von „Rocky“ überrascht und er sich freuen würde, wenn ihm jemand einmal erklären könne, worum es überhaupt geht. Ganz so ernst sollte man das freilich auch nicht nehmen, denn natürlich stehen hinter all dem Klamauk, Trivialen und erotisch Aufgeladenen auch große Fragen der Menschheit: Was ist Sünde und wie geht man mit ihr um? Wo sind die Grenzen des wissenschaftlich Machbaren? Was ist der Preis der Freiheit? Diese Fragen werden in den Songs verhandelt, die allerdings stets auf Englisch gesungen werden und für die meisten Besucher leider unverstanden bleiben. Interessanter ist also, was die jeweiligen Theater aus der Herausforderung machen, sich dieses Stoffes anzunehmen. Zeitgleich mit den Landesbühnen gibt es z.B. auch eine Open-Air-Show in Senftenberg und eine andere Produktion, die quer durch die Republik tourt. Sebastian Ritschel und sein Team hatten sich dazu entschlossen, die anspruchsvollen Gesangspartien und Choreografien weitgehend mit Gästen zu besetzen. Das Ergebnis lässt sich hören und sehen: Merlin Fargel und Karen Müller als das frisch verheiratete junge Paar Brad und Janet, Jan Rekeszus als Frank N‘ Furter, Martin Mulders (Riff Raff) und Romina Markmann (Platzanweiserin/Columbia) sowie Andrew Chadwick als Kunstwesen Rocky überzeugen durchweg mit klarer Diktion, sicherer Stimmführung, starker Präsenz und nuanciertem Spiel. Gut investiertes Geld, sozusagen. Keineswegs weniger souverän präsentieren sich aber auch Julia Harneit (Platzanweiserin/ Magenta) und Michael Berndt-Cananá als Eddie und Dr. Scott, beide am Radebeuler Haus engagiert, letzterer ja sogar in der Schauspielsparte. Die vier Tänzerinnen und Tänzer (im Stück „Phantoms“ genannt) setzen die von Gabriel Pitoni erdachte Choreografie meisterhaft um. Auch sie sind als Gäste in die Inszenierung eingebunden. Warum Ritschel überwiegend mit Gästen arbeitet, erschließt sich neben künstlerischen Erwägungen auch aus dem Spielplan: Am 24. Juni feierte die „Westside Story“ in Rathen Premiere, überdies haben aktuell auch schon die Proben zum „Fliegenden Holländer“ begonnen, was weitere hauseigene Kräfte des Musiktheaters bindet. Bliebe noch die Figur des Erzählers, der den Abend eröffnet und die Zuschauer durch die Handlung geleitet, denn ohne einen charmant-charismatischen Erzähler, der selbstverständlich vom Publikum fortlaufend unterbrochen und gestört wird („Langweilig“ –„Boring“ – „Sexy!“! etc.), wäre die Horror Show nicht was sie ist. Natürlich ist es ein Coup, mit Lutz van der Horst einen deutschlandweit bekannten Comedy-Autor und Moderator, seines Zeichens auch eines der Gesichter der im ZDF mit Erfolg laufenden „heute-show“, für eine Mitwirkung zu gewinnen. Aber: Hätte das Stück an Qualität eingebüßt, wenn einer der etablierten Kollegen des Schauspiel-Ensembles wenigstens diese Rolle hätte übernommen dürfen? Ein Stück weit sollten, ja müssen sich die Landesbühnen auch als regional verankertes Stadttheater verstehen, schließlich finanziert die Stadt Radebeul die Einrichtung seit 2012 mit einem sechsstelligen Betrag pro Jahr. Fakt ist nämlich, dass die Identifikation mit dem Haus umso höher und nachhaltiger ist, je häufiger man den Darstellern auch in anderen Produktionen begegnet. Das dürfte im vorliegenden Fall also so gut wie nicht der Fall sein.

Karen Müller, Merlin Fargel Foto: Pawel Sosnowski

Das Stück wäre nur die Hälfte wert ohne eine funktionierende Band, die die schmissigen Rock ’n‘ Roll Hymnen (z.B. „Wild and untamed thing“) ebenso beherrscht wie die balladesken Stücke („Once in a while“ u.a.). Gut, dass die Landesbühnen sich da auf Uwe Zimmermann und seine Band (Amadeus Boyde, Alexander Fuchs, Claas Lausen, Jörg Kandl und Christian Stoltz) verlassen können. Bühnentechnisch raffiniert ist sie hinter einer mittigen Wand verborgen, die das Publikum als Toilette mit vier anzüglich geformten Pissoirs wahrnimmt. Nicht minder den guten Geschmack bewusst verletzen vier auf jeder Bühnenseite paarweise angeordnete und lasziv ausgeformte weibliche Hinteransichten, die vor allem als Nebelmaschinen aktiv in das Geschehen hineinwirken, aber auch zu gar nicht so beiläufigen Berührungen einladen. Überhaupt die Bühne: Sie kommt als eine farblich und stofflich leicht überdrehte Spielwiese daher, lediglich die rechts und links angebrachten Fenster verweisen klar auf das unheimliche Schloss des Frank N‘ Furter, in dem die Handlung angesiedelt ist. Wenn es im gut gemachten, gleichwohl recht schmalen Programmheft heißt, dass es Sebastian Ritschel um eine zeitgemäße Ästhetik zu tun war, so ist zu konstatieren, dass seine „Horror Show“ zum Großteil pure Show ist und dabei sogar ein dezentes politisches Signal setzt: Rockys Slip umspielt das Allermännlichste in Regenbogenfarben. Ins Gruselkabinett hingegen wird nur sehr sparsam gegriffen, was angesichts dessen, was uns an wirklichem Horror in der Welt umgibt, eine gute Entscheidung gewesen ist. Nach etwa zweieinhalb Stunden und mehrminütigen Zugaben ergriff der Regisseur dann selbst noch einmal das Wort und dankte den vielen Mitwirkenden vor und hinter der Bühne, was das beglückte Publikum mit langem Beifall begleitete.
Bertram Kazmirowski
Noch einmal zu sehen am 1., 2. und 3. Juli jeweils 19.30 Uhr im Alten Schlachthof, Gothaer Straße 11, 01097 Dresden.

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… von flüchtigen Momenten …

unaufhaltsam ruhend II
Fotografie | 2015

Es ist Sommer. Es ist trocken. Es ist Krieg. Junge Männer, alte – egal welcher Seite – verlieren Arme, Beine, ihr Leben. Frauen verlieren ihre Kinder, Männer, Brüder, Väter. Andernorts – auch hier – scheint das Leben weiterzugehen wie bisher. Blicken wir in der Menschheitsgeschichte zurück, war es nie anders, beide Extreme geschahen, geschehen nebeneinander, zu gleicher Zeit.
Oft in diesen Tagen hadere ich, frage ich nach der Sinnhaftigkeit unser aller, meines Tuns. Aber ich bemerke auch, dass wir dem äußeren Unfrieden nur mit dem eigenen inneren Frieden begegnen können. Eine Möglichkeit, diesen zu finden, ist für mich das Aufsuchen lang vertrauter Orte in der Natur, die mich mit ihrer besonderen Aura immer wieder magisch anziehen. Einer von ihnen ist jener im Titel gezeigte, flussaufwärts am Elbestrom gelegen, wird er von einer markanten Reihung charakterisiert. Mich faszinieren die starken Gegensätze – die ruhenden Stammformen und das bewegte Wasser – die ganz selbstverständlich miteinander zu spielen scheinen und sich vereinen zu einem rhythmisch-harmonischen Ganzen. Während sie sich beständig, wie flüchtige Momente, nur minimal wandeln, spüre ich einen polyphonen Klang in mir sich entfalten, als einen friedvollen, unendlichen Raum …

Constanze Schüttoff

Mit Gerhard Schöne poetisch durch das Jahr

Radebeuler Miniaturen

Fortschritt

Die Biergartensaison ist nicht nur eine Zeit des Durstes, wenn die Eisheiligen mal wieder was falsch verstanden haben, es ist auch eine Zeit der Begegnung. Im Leben treffe ich Wolf eher selten. Nun aber, wie ich auf meinem Stammhocker am Stamm hocke, seh ich ihn angeschlurft kommen. Grad fröhlich sieht er nicht aus. Nach dem üblichen, nicht sonderlich ernst gemeinten „darf ich“ zieht er sich seinerseits einen Hocker heran.

Schön, sagt er, mal wieder draußen sitzen.

Ja, bestätige ich, der erste Fortschritt im Jahr.

Das unterstellt, sagt Wolf ernst, daß Fortschritt was Gutes ist, ist aber bestenfalls neutral. Jedenfalls brauch ich erstmal ein Bier.

Das kenn ich, sage ich, was meinst du, warum ich hier sitze?

Du sitzt hier, weil du hier sitzt, ich aber habe einen Grund, sagt er wichtig. Er bedankt sich für das ihm gereichte Bier, wartet geduldig, bis die Revierwespe ihre Visite mit offenbarer Zufriedenheit beendet hat und abschwirrt, trinkt und schweigt. Ich begreife, daß ich ihn fragen soll, also frage ich: Warum hast du denn am Tag der kalten Sophie son Durst?

Kalte Sophie, Wolf lacht bitter, da hast du blind ins Schwarze getroffen: die kalte Sophie ist fort geschritten.

Aha, sag ich, Sophie – Was ist mit ihr? Sprich …

Fort geschritten ist sie, wiederholt Wolf, weggelaufen, also – nicht mehr da …

Ja, sag ich, hab längst geahnt, daß Fortschritt nicht jedem gut tut. In der Schule – du erinnerst dich vielleicht – haben sie uns erzählt, Fortschritt wäre unwidersprochen immer nur gut. Und das kleine Land im Herzen Europas meinte sogar, den Fortschritt allein zu besitzen. Und jeder, der gegen den Fortschritt war, war gegen den Staat und wer gegen den Staat war, war ein Reaktionär. Dabei heißt Fortschritt nur, wie du ja schon angedeutet hast, daß es anders ist – obs besser wird, steht auf einem anderen Blatt …

Im konkreten Fall, bringt sich Wolf in Erinnerung, ist jetzt erst mal eine große Leere entstanden in diesem Leben. aber das wird mir eine Lehre sein, eine leere Lehre vom Fortschreiten oder weglaufen, nenn es wie du willst.

Die aufmerksam mitfühlenden Kellnerinnen bedenken uns mit ausreichend Flüssigkeit. Wir bedanken uns artig.

Solche fröhlichen Gesichter sind auch mal was Schönes, seufzt Wolf.

Die haben den Vorteil, sag ich, daß sie nicht nur fortschreiten, sondern auch wiederkommen – und wie zufällig immer etwas frisch Gezapftes dabei haben. Meinst du, daß ihr Wiederkommen Rückschritt bedeutet, wenn sie einmal weggegangen sind?

Was die Kellnerinnen angeht, würde ich nicht von Rückschritt sprechen, sondern von positiver Reaktion.

Reaktion – erinnere dich an den Staatsbürgerkundeunterricht – ist immer negativ, und zwar durch und durch. Apropos: Wie reagierst denn du jetzt? Hast du Aussicht, daß Sophie vom Fortschritt zurücktritt und dir wieder dein Heim kehrt? Wenn ja, wäre das Rückschritt?

Noch ein allgegenwärtiger Irrtum, sagt er rasch: Rückschritt führt nie wieder dort hin, von wo der Fortschritt ausgegangen ist. Was solls, ich muß so oder so neu anfangen …

Stell dir vor, sag ich später zu Ulrike, dem Wolf ist die Sophie weggelaufen …

Nu gucke, lacht sie, für so fortschrittlich hätt ich sie gar nicht gehalten…

Thomas Gerlach

Lautes Schweigen in Radebeul

Oder: Sprachlosigkeit, die sprachlos macht

Das Ringen um den Erhalt des Lügenmuseums und des historischen Festsaales im ehemaligen Gasthof Serkowitz wird zum Wettlauf mit der Zeit. Wie war das doch mit dem Hasen und dem Igel? Der Hase hatte keine Chance. Er rannte und rannte bis er schließlich erschöpft zusammenbrach. Er hatte nicht begriffen, dass es mitunter schlauer sein kann, wenn man sich gar nicht bewegt. Wie dem Igel und dessen Frau die gewonnene Flasche Branntwein bekam, ist leider nicht bekannt.

Einen freischaffenden Künstler mit einem gehetzten Hasen zu vergleichen ist natürlich recht gewagt. Doch das Wegbrechen von Strukturen und die zunehmend grassierende Projektitis erfordern den aberwitzigen Dauerlauf von Fördermittelgeber zu Fördermittelgeber. Nach dem Projekt ist vor dem Projekt und Selbstausbeutung der Normalzustand.

Die Aktion der Offenen Türen am 2. Juni im Lügenmuseum, reiht sich ein, in die unzähligen Versuche, das überregional bekannte Lügenmuseum als Kunst- und Kultureinrichtung in Radebeul etwas bekannter zu machen und um es dauerhaft zu etablieren. Über 60 Besucher waren der Einladung gefolgt, darunter auch zahlreiche Leser von „Vorschau und Rückblick“.

Die Kurzführungen der zwei Kunsterklärerinnen im Ehrenamt wechselten mit musikalischen Rundgängen, die durch den Leiter des Lügenmuseums Reinhard Zabka und den Akkordeonspieler Gabriel Jagieniak begleitet wurden. Die Erläuterungen zu den kinetischen Objekten, Licht- und Klanginstallationen, verbunden mit einem kurzen Exkurs über den Dadaismus, die Dissidentenszene der ehemaligen DDR, die Geschichte des Lügenmuseums, über verschiedene Lebensentwürfe und Kulturen. Zu entdecken gab es neben den Werken von Zabka, auch Exponate von vielen anderen Künstlern. Dass die Erklärungen sehr dankbar aufgenommen wurden, ist wohl auch ein Hinweis darauf, dass noch einige Zusatzinformationen in den Ausstellungsbereichen ergänzt werden sollten. Unbestritten ist jedoch die Qualität des reichhaltigen Ausstellungs- und Sammlungsbestandes.

Vor, während und nach den Rundgängen sowie bei Kaffee und Kuchen im Museumsgarten ist man miteinander ins Gespräch gekommen. „Obwohl wir in Serkowitz wohnen, sind wir heute das erste Mal hier und werden mit den Enkelkindern bestimmt wiederkommen“, meinte ein älteres Ehepaar. Eine junge Radebeulerin war mit Tochter und deren Freundin gekommen. Die Begeisterung stand ihnen ins Gesicht geschrieben und auch die Lust, solcherart Objekte aus Alltagsgegenständen einmal selber zu gestalten. Nahezu allen Besuchern war allerdings auch die Fassungslosigkeit anzumerken, dass es diesen anregenden Kunstort schon bald nicht mehr geben könnte in Radebeul. Und es stand die Frage im Raum, warum sich die Entscheidungsträger einer inhaltlichen Diskussion verweigern.

Zwischen Türen und Toren: v.l.n.r. Birgit Schaffer, Karl Uwe Baum, Dorota Zabka, Gabriele Schindler, Reinhard Zabka, Christine Zabka Foto: Karin Baum

Schade eigentlich, dass keiner der drei Oberbürgermeisterkandidaten an diesem Tag durch die weit geöffneten Türen schritt und auch keiner der gewählten Stadtverordneten. Einzig Prof. Thomas Bürger, welcher als Sachkundiger Bürger im Bildungs- Kultur- und Sozialausschuss aktiv ist, zeigte aufgeschlossenes Interesse.

Reinhard Zabka führt durch alle Räume, mittendrin die Vorsitzende des Vereins „Vorschau und Rückblick“ Ilona Rau (3. v.l.) Foto: Karin Baum

Aber wie, so frage ich mich, soll der Disput über Kunst- und Kultur geführt werden, wenn auf die zahlreichen Beiträge im kulturellen Monatsheft „Vorschau und Rückblick“ und den Offenen Brief des Radebeuler Kultur e.V. zur Situation des Lügenmuseums, über 350 Personen unterzeichnet haben, keinerlei Reaktion erfolgt? Das laute Schweigen macht wütend, rat- und fassungslos.

Nachdem der Vorsitzende des Radebeuler Kultur e. V. Günter „Baby“ Sommer noch einmal bestätigt hatte, dass keine Antwort auf den Offenen Brief vom 29. März 2022 eingegangen sei, wollte Karl Uwe Baum zur Einwohnerfragestunde im Rahmen der Stadtratssitzung vom 15. Juni wissen, welche Gründe es gibt, dass der Offene Brief bis heute nicht beantwortet wurde. Der jüngst wiedergewählte Oberbürgermeister Bert Wendsche schien sich über diese Frage zu wundern, da man doch gerade dabei sei, eine Ausschreibung der Immobilie vorzubereiten. Sobald der Ausschreibungstext durch den Stadtrat bestätigt ist, gäbe es ein Antwortschreiben.

Das war sehr ernüchternd. Ein öffentlicher Disput ist nicht vorgesehen und man fragt sich: Ist die massive Ausgrenzung der aktiven Kunst- und Kulturszene etwa kalkulierte Absicht?

Worum es den Unterstützern zum Verbleib des Lügenmuseums im Gasthof Serkowitz geht? Ganz bestimmt nicht um die Bevorzugung eines einzelnen Künstlers. Dass gegenwärtig über 60 Bildende Künstler in der Lößnitzsztadt wirken, ist kein Geheimnis. Aber nicht jeder Einzelkünstler betreibt eine Kunst- und Kultureinrichtung, die an jedem Wochenende und während der Schulferien zuverlässig geöffnet ist, entwickelt genreübergreifende Kunst- und Vernetzungsprojekte für den öffentlichen Raum, bietet jungen, lokalen und internationalen Künstlern die Möglichkeiten zur Mitwirkung und Präsentation.
Darüber hinaus geht es den Unterstützern um den Erhalt des letzten öffentlich zugängigen Saales und um den Erhalt von Kunst- und Kulturgut.

Die Redaktionsmitglieder Karin und Karl Uwe Baum mit dem Musiker Gabriel Jagieniak im Dissidentenatelier Foto: Burkhard Schade

Diese Ignoranz ist jedoch kaum auszuhalten. Haben wir es verlernt, miteinander in einen Dialog zu treten? Dass es in Radebeul ein Kommunikationsbedürfnis gibt, wurde deutlich am 16. Mai zum Bürgermeisterkandidaten-Triell im mehr als gut gefüllten Luthersaal. Merkwürdig war nur: Kultur stand leider nicht auf der Tagesordnung. Allerhöchste Priorität scheinen in Radebeul die Fuß- und Radwege zu besitzen.

In Bezug auf den Serkowitzer Gasthof haben sich die Kommunalpolitiker bisher jeder Diskussion verweigert. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit sollten Tatsachen geschaffen werden.
Bereits 2012 wurde das Anwesen in Form einer Ausschreibung zum Objektpreis von 125.000 Euro angeboten. Schon damals meinte man, dass eine Wohn- und Gewerbenutzung auch ohne Publikumsverkehr vorstellbar wäre. Glücklicherweise ist es dazu nicht gekommen. Und schon damals hatte man festgestellt, dass es schwer möglich ist, den Gasthof als gastronomische Einrichtung wiederzubeleben. Die zehnjährige Nutzung als Ausstellungs- und Experimentierort hat bisher sehr gut funktioniert und die Räumlichkeiten des ehemaligen Gasthofes blieben in ihrer Ursprünglichkeit erhalten.
Es ist immer wieder eine Frage der Prioritätensetzung. Will man Kunst und Kultur erhalten oder vernichten? Zur Abschreckung ist von einer millionenschweren Sanierung die Rede. Die Strategie der kleinen Schritte scheidet scheinbar von vornherein aus. Warum eigentlich? Vielleicht wäre die Maßnahme finanziell beherrschbar, wenn die notwendige Zeit zugestanden wird, damit Spenden und Fördermittel eingeworben werden können?

Es wäre gut, wenn die gemeinsame Suche nach einer Lösung nicht abbricht, bevor sie begonnen hat. Der erbärmliche Zustand des Bahnhofs in Radebeul-West ist ein warnendes Beispiel. Auch hier fehlte der komplexe Weitblick. Politik und Verwaltung waren zu zögerlich. Sparen wollte man an der falschen Stelle. Und vom Vorkaufsrecht der Stadt wurde kein Gebrauch gemacht. Das Resultat ist eine leerstehende Ruine.

Auch auf der Titanik spielte die Musik bis zuletzt. Deshalb sind alle Freunde und Unterstützer des Lügenmuseums am 9. September herzlich zu einem Fest eingeladen. Gefeiert werden zwei Jubiläen: das 33-jährige Bestehen des Lügenmuseums und 10 Jahre Lügenmuseum in Radebeul-Serkowitz.

Karin (Gerhardt) Baum

Achtung Terminverschiebung!

Die Podiumsdiskussion mit anschließendem Festakt anlässlich „10 Jahre
Lügenmuseum in Radebeul-Serkowitz“ findet am 12. September 2022, um 19 Uhr statt.

Unterzeichner Offener Brief des Radebeuler Kultur e.V.

Die Bekundungen zum Offenen Brief über den Gasthof Serkowitz und das Lügenmuseum halten unvermindert an. Den Brief haben mittlerweile über 360 Bürgerinnen und Bürger aus Radebeul und aus weiteren 46 Ortschaften der Bundesrepublik unterzeichnet. An der parallel laufenden Petition beteiligten sich bis zum 15. Juni 577 Personen.

Nach neuesten Informationen aus der Stadtratssitzung vom 15. Juni 2022 erfolgt eine Antwort auf den Offenen Brief des Radebeuler Kultur e. V. nach der Ausschreibung des Objektes „Serkowitzer Gasthof“ seitens der Stadtverwaltung.

Andrea Littau, Pädagogin, Pirna – Wolter Schuh, Rentner, Coswig/Sa. – Markus Retzlaff, Künstler, Radebeul – Kathrin Schmidt, Verkäuferin, Radebeul – Uwe Daubitz, AL Fernsehen, Radebeul – Chris Wagner, Fotograf, Dresden – Angela Lüken, Sozialpädagogin, Darmstadt – Ingrid Buchmann, Rentnerin, Coswig/Sa. – Wilfried Buchmann, Rentner, Coswig/Sa. – Albrecht Dubiel, Angestellter, Dresden – Eva Wulsten, Lehrerin, Radebeul – Jörg Baarß, Architekt, Radebeul – Victoria Esper, Kulturmanagerin, Radebeul – Dr. Hans-Jochen Müller, DV-Berater, Radebeul – Renate Klingner, Rentnerin, Radebeul – Thomas Berndt, Angestellter, Radebeul – U. D. Nagel, Rentnerin, Dresden – Monika Dreyer, Rentnerin, Dresden – Hans Naumann, Rentner, Radeburg – Wolfgang Gebauer, Rentner, Radeburg – P. Könitz, Selbständiger, Dresden – Torsten Nenke, Rentner, Radebeul – Erika Nenke, Rentnerin, Radebeul – Rudolf Zirm, Renter, Radebeul – Marion Kahnemann, Künstlerin, Dresden – Dr. Ute Müller, Rentnerin, Radebeul – Gudrun Seidel, Bürgerin, Radebeul – Dr. Heinrich Seidel, Rentner, Radebeul – Steffan von Koslovski, Privatier, Weinböhla –Angelika Güttler, Erzieherin, Niederau – Henri Güttler, Empfangsmitarbeiter, Niederau – Kerstin Louig, Heilpraktikerin, Moritzburg – Sebastian Lieber, KFZ-Service, Dresden – Frank Mietzsch, Ebersbach – Edelgard Taepke, Kulturinteressierte, Dresden – Enrico Scotta, Künstler, Radebeul – Prof. Dr. Gudrun Jägersberg, Radebeul – Monika Binder, Rentnerin, Radebeul – Evelyn Dänhardt, Rentnerin, Dresden – René Stich, Maschinenbau Ingenieur, Radebeul – Lutz Richter, Rentner, Radebeul – Silvana Mehnert, Sängerin, Radebeul – Heiko Fröhlich, Physiker, Radebeul – Andreas Deppner, Baumsachverständiger, Radebeul – K. Leliveld, Dipl Mg, Radebeul – Marc Binder, Arzt, Radebeul – Herbert Heinze, Rentner, Dresden – Julian Heschgen, Ingenieur, Freiburg – Sebastian Hempel, MA. Soziale Arbeit, Konstanz – Henry Nitschke, Ingenieur, Radebeul – Yvonne Raschke, Angestellte, Radebeul – Ute Roschig, Angestellte, Radebeul – Jürgen Heidenreich, Rentner, Radebeul – Heike Schmidt, Architektin, Radebeul – Gabriele Hübner, Erzieherin, Radebeul – Karin Kretschmar, Rentnerin, Radebeul – Volker Kretschmar, Rentner, Radebeul – Sonja Kratzsch, Rentnerin, Dresden – Anette Richter, Rentnerin, Kesselsdorf – Christine Ruge, Rentnerin, Freital – Ute Faust, Dresden – C. Mandel, Angestellte, Tharandt – Marleen Herz, Angestellte, Dresden – Stephanie Laeger, Freiberuflerin, Dresden – K. Kretzschmar, Lehrerin, Radebeul – Annekattrin Böhme, Lehrerin, Radebeul – Andrea Hammer, Lehrerin, Radebeul – Steffen Berger, Betreuungskraft Demenzkranker, Radebeul – Jürgen Kavte, Musiker, Niederau – Andreas Baßendowski, Dichter, Coswig/Sa. – Sylvia Luft, Trauerrednerin, Dresden – Sven Helsig, Verwaltungsangestellter, Braunschweig – Claudia Schmoranzer, Verwaltungskauffrau, Radeburg – Detlef Schmoranzer, Sozialarbeiter, Radeburg – Silvia Ibach, Malerin, Radebeul – Christian Fuller, Selbständiger Kaufmann, Radebeul – Heidi Heschel, Rentnerin, Dresden – M. Hesolel, Projektleiter, Dresden – Nicola Berlin, Erzieherin, Dresden – Christoph Pysz, Dipl.-Ingenieur, Friedewald – Robby Lampe, IT Dipl.-Ingenieur, Dresden – Grit Zimmermann, Dipl.-Ingenieur – Babett Hesolet, Medizinisch-technische Assistentin, Dresden – Christiane Zeidler, Erzieherin, Dresden – Britta Sommermeyer, Angestellte, Dresden – Carolina Günther, Referendarin, Dresden.

 

 

Neue Karikaturenausstellung in Radeburg.

Eine witzige Fahrt ins Blaue!

Neue Karikaturenausstellung in Radeburg. Eine witzige Fahrt ins Blaue! Foto: Heimatmuseum Radeburg

Unter dem Motto „Fahrt ins Blaue!“ lassen die besten deutschen Cartoonistinnen und Cartoonisten ihrem Humor freien Lauf. Die neue Ausstellung zum Heinrich-Zille-Karikaturenpreis zeigt seit dem 12. Juni rund sechzig Zeichnungen von knapp fünfzig Künstlerinnen und Künstlern, darunter ist auch der Zille-Preisträger von 2020, BECK aus Leipzig.
„Wir haben das Motto bereits im Sommer 2021 festgelegt. Aber mit Spritpreis-Erhöhungen und Neun-Euro-Ticket-Debatte haben wir wohl mit „Fahrt ins Blaue“ voll ins Schwarze getroffen“, so die Veranstalter, die Stadt Radeburg und die Galerie Komische Meister Dresden. Vorsitzende der Karikaturenpreisjury ist die Miterfinderin des Preises, die Bürgermeisterin der Stadt Radeburg, Michaela Ritter (parteilos).
Die Cartoons und Karikaturen beschäftigen sich diesmal mit den Tücken der Elektromobilität, leeren Akkus und möglichen Fortbewegungsvarianten der Zukunft. Der aktuelle Jurysieger heißt Markus Grolik aus München. Er überzeugte mit seinem Motiv namens „Aufladen“. Zwei Radler mit Elektro-Bike stehen entgeistert vor einer Aufladestation mit Grünem Strom – der per Hometrainer erzeugt werden muss. Das Bild überzeugte die Jury mehrheitlich. Das Preisgeld beträgt 1.000 Euro, gestiftet vom Hauptsponsor der Schau, dem Unternehmen IVAS Ingenieurbüro für Verkehrsanlagen und -systeme aus Dresden.
Das Publikum kann nun wieder seinen Favoriten wählen. Dies ist direkt in der Ausstellung im Heimatmuseum Radeburg möglich, wo entsprechende Abstimmungskarten ausliegen. Die Ideenwerk Radeburg GmbH stiftet für den Sieger oder die Siegerin fünfhundert Euro. „Dieser zweite Teil des Heinrich-Zille-Karikaturenpreises gehört inzwischen fest zum Wettbewerb dazu und gibt allen Künstlerinnen und Künstler eine Chance, deren Werk nicht von der Jury erwählt wurde“, so Jurymitglied Mario Süßenguth. Er betreibt zusammen mit Dr. Peter Ufer die Galerie Komische Meister Dresden.

Siegerbild von Markus Grolik: Cartoon »Aufladen« Repro: Heimatmuseum Radeburg

2018 wurde der inzwischen deutschlandweit renommierte Kunstpreis als Premiere ausgeschrieben und wird seit 2019 von der Stadt Radeburg gemeinsam mit der Galerie Komische Meister Dresden jährlich vergeben. Radeburg ist der Geburtsort des später in Berlin berühmt gewordenen Grafikers, Malers und Fotografen Heinrich Zille (1858 bis 1929). Im Heimatmuseum Radeburg ist auch eine Kabinettschau zu Zilles Leben und Werk zu sehen. „Die tollen Besucherreaktionen in unserem neu gestalteten Museum geben der Idee des Preises recht“, so Bürgermeisterin Michaela Ritter. „Wir glauben, dass auch dieser neue Zille-Jahrgang viele zum Lachen und Nachdenken bringen wird.“ Das Bund-Länder-Programm Stadtumbau Ost fördert das Zille-Karikaturenpreis-Projekt – so wie bereits die Sanierung des Museumsgebäudes.
Die neue Ausstellung „Fahrt ins Blaue!“ im Heimatmuseum Radeburg ist noch bis zum 8. September zu sehen.
Robert Rösler / Mario Süßenguth
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Weitere Informationen finden Sie im Veranstaltungsteil!

 

 

 

 

 

 

 

Siegerbild von Markus Grolik: Cartoon „Aufladen“

 

 

 

 

 

 

Preisverleihung im Heimatmuseum mit dem Sieger Markus Grolik, v.l.n.r.: Dirk Ohm (IVAS, Sponsor des Hauptpreises), Michaela Ritter (Bürgermeisterin Radeburg), Markus Grolik (Zillepreisträger 2022). Foto: Heimatmuseum Radeburg.

Schreibwerkstatt (5. Teil)

Essenauto, Ampelmädchen, Katzen und Füchse, Wolkenbilder

Mit dem Fahrrad komme ich als erstes an meinem alten Kindergarten und meiner alten Grundschule vorbei. In der Früh wuseln sehr viele Eltern mit ihren Kindern über die Straße. Es wird geredet, geweint, gelacht. Ich muss auf der Hälfte der Straße immer anhalten, damit das Essenauto mit dem großen Spiegelei darauf in die Einfahrt des Kindergartens einlenken kann. Das Spiegelei sieht nicht lecker aus. Irgendwie künstlich. Wenn ich mich aber an das Essen im Kindergarten erinnere, habe ich immer aufgegessen. Ob es heute noch dieselben Gerichte gibt? Ich glaube, niemand würde die Krautnudeln dort vermissen.
An der Ampel angekommen, drücke ich immer auf „Signal kommt“. Auf der anderen Seite wartet oft schon ein Mädchen, ebenfalls mit dem Fahrrad. Im Winter trägt sie eine rosafarbene Mütze. Es wird grün, ein kleines Gefühl der Erlösung nach dem Warten springt in mir auf. Unsere Wege schneiden sich für eine Sekunde, erst morgen werden wir uns erneut begegnen. Und obwohl ich sie jeden Tag sehe, kenne ich nicht ihren Namen. Manchmal stelle ich mir vor, wie sie ihre Mütze verliert, ich anhalte, um sie aufzuheben und ich letztendlich doch noch ihren Namen erfahre. Seitdem lächeln wir uns öfter an, grüßen uns oder halten den Daumen nach oben, um zu sagen, alles ist okay. Ich frage mich, ob wir Freunde wären, wenn wir unsere Namen kennen würden. Vielleicht mag sie auch keine Krautnudeln und empfindet die Ampelphase genauso kurz wie ich. Ich winke zu ihr hinüber und sie hält an. Wir stellen unsere Fahrräder an die Seite und sie erzählt mir von ihrem gestrigen Schultag und ihren Freunden. Das Ganze ist nun schon ein kleines Morgenritual geworden, was ich vermisse, wenn sie einmal nicht an der Ampel steht.

Vorbei an den Kleingärten und den Pferden, die zu jeder Jahreszeit draußen auf der Wiese neben dem Feld stehen, von dem ich nicht weiß, was dort eigentlich angebaut wird, führt mich mein Weg weiter in Richtung der freiwilligen Feuerwehr. Hier treffe ich häufiger auf Katzen, aber nie auf dieselbe, so als würden jeden Tag neue dazustoßen. Wem diese Katzen wohl gehören? Vielleicht einer alten Frau, die gleich fünf von ihnen adoptiert hat und sie nun ein bisschen zu gut füttert und laut über die ganze Straße ihre Namen ruft, wenn sie einmal nicht pünktlich zum Essen erscheinen. Abends sitzen sie dann, wie eine kleine Familie, in einem Kreis um den Sessel der Frau, in dem sie zum Schlagerabendprogramm einen neuen Schal für ihren Enkel strickt.
Dem Mädchen von der Ampel ist auch die Menge an Katzen aufgefallen, die dort herumgeistern. Ihre Vermutung liegt bei einem geheimen Katzentreff.
Auch heute läuft mir ein Tier über den Weg. Es ist allerdings, zu meiner großen Überraschung, ein Fuchs. Er hat keine Angst vor mir und meinem klapprigen, lauten Fahrrad in hellblau. Er setzt sich einfach an den Rand des Fußwegs und schaut mich mit seinen großen bernsteinfarbenen Augen an, leckt sich die Pfote, so als würde er darauf warten, dass ich gleich ein Gespräch mit ihm anfange. Weiß er, was ich in diesem Moment denke? Weiß er, dass ich ein wenig Respekt vor ihm habe? Ich hoffe, er hat die Katzen nicht verscheucht.
Wenn ich dann die Feuerwehr und das THW hinter mir gelassen habe, aus der Einfahrt habe ich übrigens noch ein Feuerwehrauto rauschen gesehen, überquere ich auch schon die nächste große Straße und muss schließlich am Zebrastreifen der Grundschule halt machen. Die Kinder strecken immer einen Arm heraus, um anzuzeigen, dass sie über die Straße gehen wollen und laufen erst los, wenn sie sich sicher sind, dass ich auch wirklich anhalte. Sie alle tragen die gelben Kappen des ADAC. Der Fußweg, den ich manchmal auch schiebend passiere, weil ich schon einmal eine dieser braunen Biomülltonnen angefahren habe, führt mich schließlich zur Kreuzung.
Hier gibt es das „Vu“, einen tollen Vietnamesen, bei dem ich öfters schon mit meiner Oma die Glasnudeln mit Gemüsepfanne ausprobiert habe.
Ich nehme den Fußweg Richtung Gradsteg. Früher war hier einmal ein Eisladen, wo ich als Kind öfters eine Kugel mitnehmen durfte und sie später auf dem Spielplatz nebenan genießen konnte. Hier gab es auch immer das beste Karussell von allen, unter der Kastanie, zumindest glaube ich, dass es ein Kastanienbaum war. Das Karussell war so schnell, dass man aufpassen musste, nicht herauszufallen.
Ich biege auf den Gottesacker ab, wo sich auf der rechten Seite der Friedhof entlang streckt. Auf der anderen Seite steht ein Haus, was ich besonders einladend finde. Es ist gelb angestrichen und hat petrolgrüne Fensterläden. Das Gelb ist aber nicht quietschend, laut oder aggressiv. Es ist fröhlich, gemütlich und ein kleiner Farbtupfer zwischendrin.
Die Müllcontainer kommen mir entgegen und ich fahre auf den neu gemachten, asphaltierten Teil der Straße. Links sind Bäume gepflanzt, die allerdings noch eine stützende Hilfe brauchen und auf der anderen Seite von viel höheren Laternen zu einer kleinen Allee ergänzt werden.
Früh am Morgen ist das das beste Stück des Wegs. Wenn die Sonne gerade aufgeht, erlebt man hier die motivierendsten Farben und ich fahre mitten in sie hinein. Entweder sind sie tiefrot und orange oder sie verschleiern sich mit den Wolkenbildern zu beruhigenden Pastellfarben. Sie zeigen eine andere Welt entfernt in meiner Phantasie, leicht, kraftvoll und unendlich weit. Sie geben mir Hoffnung auf einen weiteren Tag, an dem die Sonne aufgeht. Einen weiteren Tag, an dem ich dazulernen kann und ich über mich hinauswachse. Falls ich mit dem falschen Fuß aufgestanden bin, verbessern sie meine Gemütslage. Und wenn ich aufgeregt bin, weil ich in wenigen Minuten eine wichtige Klausur schreibe oder eine Präsentation vorstellen muss, dann beruhigt mich dieser Himmel.
Das Feld macht einem Platz, um auf der rechten Seite die Berge von der anderen Elbseite und auf der linken Seite die Weinberge mitsamt dem Spitzhaus zu sehen. Jeden Tag überholt mich hier die S-Bahn aufs Neue. Ich werde niemals schneller sein als sie. Die Abteile leuchten blau auf, und dann verschwinden sie in einem Wolkenbild in der Form eines Fuchses.
Ich bremse schließlich, steige ab und hebe das Fahrrad die kleine Stufe des Hintereingangs hoch. Meistens habe ich noch große Auswahl bei den Fahrradständern.

Helene Protze
Klasse 12 – Lößnitzgymnasium Radebeul

Sommerlicher Musikgenuss in Radebeul auf höchstem Niveau

Ein neues Kammermusikfestival rund um den Radebeuler Geiger Albrecht Menzel lädt in diesem Sommer vom 26.08. bis 04.09.2022 mit vier Konzerten erstmals an historische und ungewöhnliche Spielstätten in seiner Heimatstadt ein.

Geiger Albrecht Menzel Foto: A. Horneman

Ende August versammelt der Radebeuler Geiger und künstlerische Leiter Albrecht Menzel mit seiner wunderbaren Stradivari Violine und Preisträger zahlreicher internationaler Wettbewerbe, wie dem berühmten Paganini Wettbewerb in Genua, junge herausragende Musiker und Musikfreunde, um in seiner Heimatstadt Radebeul gemeinsam zu musizieren. Ein Sommerkonzert 2021 in Radebeul wurde so gut angenommen, dass daraus ein kleines Musikfestival entstanden ist. Mit dabei sind die besten Musiker*innen ihrer Zunft, wie die Pianistin Lily Maisky, der Geiger Sascha Maisky oder der Cellist Andrei Ionita, Gewinner des Tschaikowski Wettbewerbes. In sommerlich-festlicher Atmosphäre präsentieren sie ein erlesenes Kammermusikprogramm. Mit der „Eröffnung“ beginnt das Festival am Freitag, den 26. August um 17.00 Uhr in der Friedenskirche. Mit den volkstümlichen Klängen von Dvoraks Klavierquintett op. 81 wird das Publikum willkommen geheißen. Die wunderbare Kulisse, die herrliche Natur der Radebeuler Weinberge und die Musik bilden eine Symbiose, die zum Verweilen einlädt. Ebenfalls im Programm des ersten Konzertes steht Schumanns Klavierquintett op. 44. Beim zweiten Konzert im Weingut Schloss Hoflößnitz am Montag, den 29.08. um 16.00 Uhr erklingt Dvoraks bekanntes Amerikanisches Streichquartett und anschließend berichtet der Dresdner Maler Christoph Wetzel über sein Lebenswerk: Die Ausmalung der Frauenkirche Dresden.
Stipendiaten der Anne-Sophie Mutter Stiftung in Radebeul
Albrecht Menzel spielte als Solist nicht nur unter Dirigenten wie Kurt Masur, Vasily Petrenko oder Joanna Mallwitz mit dem London Philharmonic Orchestra oder dem Münchner Rundfunkorchester u.a. in der Elbphilharmonie oder dem Gasteig München. Er wurde auch von der Geigerin Anne-Sophie Mutter eingeladen mit ihr gemeinsam als Solist u.a. in der Philharmonie Berlin, der Philharmonie Luxemburg und dem Grand Theatre in Aix-en-Provonce zu spielen. Außerdem tourte Menzel mit der Künstlerin in den USA, Kanada und Europa, in der Carnegie Hall, beim Grafenegg-Festival oder den Salzburger Festspielen. Daher ist es nicht von ungefähr, dass Albrecht Menzel zum dritten Konzert am Donnerstag, den 01.09. um 18.00 Uhr in der Lutherkirche Stipendiaten der Anne-Sophie Mutter Stiftung mit Werken vom Mozart und Beethoven nach Radebeul eingeladen hat.

Internationale junge Musiker und das Sozialprojekt
Junge Musiker*innen möchten sich sozial engagieren. Ein besonderer Teil des Musik Festival Radebeul wird der Besuch der jungen Künstler in einer Radebeuler Schule bilden. Dort wird nicht nur ein kleines Konzert für die Kinder in der Turnhalle erklingen, die Musiker werden über ihre „coolen alten“ Instrumente sprechen und über ihre Leidenschaft: die Musik.
Großes Finale in der Maschinenhalle des ehemaligen VEB Zerma Radbeul
Zum großen Finale geben sich die Meister der Kammermusik die Klinke in die Hand und bilden den Abschluss des Festivals mit dem Nachmittagskonzert am Sonntag, den 04.09. um 16.00 Uhr im Industriedenkmal – der Maschinenhalle des ehemaligen VEB Zerma Radebeul (Meißner Str. 17/Straßenbahnhaltestelle Forststraße) mit tänzerischen Klavierquartetten von Dvorak und Brahms. Alles in allem ein Kammermusik-Feuerwerk, bei dem keine Wünsche offenbleiben. Seien Sie neugierig und bringen Sie Ihre Kinder und Enkelkinder mit!
Bärbel Schön

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Detaillierte Angaben zu den Konzerten entnehmen Sie bitte dem Veranstaltungsteil!

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