Mit dem Rollator durch Radebeul

Immer häufiger sind sie im Straßenbild zu sehen; kleine, für alte und behinderte Menschen sehr nützliche Gefährte, die Rollatoren. Sie verhelfen den betroffenen Menschen zu mehr Beweglichkeit und mehr Sicherheit und geben ihnen ein Stück Unabhängigkeit zurück. Ich spreche aus Erfahrung, benutze ich doch seit fast sechs Jahren so ein Hilfsmittel. Aber leicht ist das in Radebeul nicht! Da sind zuerst einmal die Hindernisse, die nicht abzustellen sind, Steigungen, die je nach persönlicher Kondition nicht mehr überwindbar sind und zwar sowohl nach oben wie auch nach unten. Dazu gehören für mich zum Beispiel der Anstieg der Weinbergstraße vom Lößnitzgrund aus oder der Beginn der Zillerstraße von der Meißner Straße her. Gut, damit muss ich mich abfinden und einen anderen Weg suchen, auch wenn dieser etwas weiter ist. Zur Weinbergstraße komme ich auch, wenn ich am Weißen Ross den Augustusweg entlang gehe und dann in die Hoflößnitzstraße einbiege. Anstelle der Zillerstraße kann ich den Körnerweg nehmen. Aber es gibt auch Hindernisse, die beseitigt werden können. Das ist zum einen der schlechte Zustand vieler Radebeuler Fußwege. So schön wie es ist, wenn die Straßen von Bäumen gesäumt werden, aber an vielen Stellen wachsen die Wurzeln bis weit in den Fußweg hinein. Damit machen sie nicht nur behinderten Menschen das Leben schwer, sie stellen auch eine Gefahr für gesunde Bürger dar. Weiterhin gibt es viele Steine, die aus dem Belag herausragen und zu Stolpersteinen werden. Ein besonderes Problem stellen die Ausfahrten aus den Grundstücken dar. Sie sind oft zur Fahrbahn hin sehr stark geneigt und man braucht viel Kraft um den Rollator festzuhalten und die Balance zu bewahren, hier hält nicht der Rollator den Menschen, sondern der Mensch hat Mühe, ihn zu halten. Der Belag ist sehr unterschiedlich und oft auch in keinem guten Zustand. Besser sieht es bei den Fußwegen aus, die im Zuge einer Straßensanierung neu belegt wurden. Manche sind vorbildlich gemacht, aber bei einigen kann man nur mit dem Kopf schütteln und sich fragen, ob die Bauleute blind gewesen sind. Zum Beispiel: Vor etlichen Jahren wurde ein Teil der Paradiesstraße und die dazugehörenden Fußwege saniert, einige Jahre später ein Stück der Winzerstraße. Aber zu welcher von beiden gehört das Stück in dem die eine Straße in die andere übergeht? Dort wurden einige Meter von der Renovierung ausgespart und ausgerechnet da, wo der Fußweg ansteigt muss man sein Wägelchen mühsam durch den Sand schieben!
Ein weiteres Problem sind die oft hohen Bordsteine, auch an den Straßenübergängen, und das oft sehr unebene Schnittgerinne dahinter. Auch hier sieht es da besser aus, wo Fußwege renoviert und Übergänge abgesenkt wurden. Aber liebe Leute, macht sie doch bitte dahin, wo man die Straße, die man überqueren will, auch richtig einsehen kann und von Autofahrern und Radfahrern gut gesehen wird.
Schwierig ist das Einkaufen. So gibt es für viele Radebeuler kaum noch ein Geschäft, das man zu Fuß erreichen kann. Bleiben die Supermärkte. Aber auch an diese kommt man mit dem Rollator nicht so gut heran, es sei denn, man wohnt nicht weit von ihnen entfernt. Einige sind mit Straßenbahn oder Bus erreichbar, nur ausgerechnet die Haltestellen, die dafür in Frage kommen, sind nicht angepasst, z.B. Bahnhofstraße, Schildenstraße und Hauptstraße. Wahrscheinlich müssen wir darauf warten bis die Meißner Straße an diesen Stellen einmal grundlegend saniert wird. Also doch das Auto! Entweder man kann noch selber fahren oder muss Angehörige oder liebe Nachbarn bitten. Es gäbe noch einige Stolpersteine zu nennen und es betrifft nicht nur die Rollatoren, auch für Rollstuhlfahrer und Leute, die mit Kinderwagen unterwegs sind, treffen diese Hindernisse zu. Mir ist schon bewusst, dass Radebeul ein weitläufiges Straßennetz hat und nicht alle Mängel sofort beseitigt werden können. Aber da, wo sowieso Reparaturen durchgeführt werden oder wo die Mängel mit geringem Aufwand beseitigt werden können, würde ich mir schon etwas mehr Aufmerksamkeit wünschen.
Wie wäre es, liebe Stadtverordnete, wenn Sie selber einmal mit einem Rollator eine Stunde lang durch Radebeuler Straßen laufen würden und vielleicht können Sie sich dabei vorstellen, dass Sie nicht mehr so jung und fit sind und die Wege auch mit Hilfsmitteln mühsam geworden sind.

Dr. Ursula Martin

„Heimat, die ich meine.“

Ein arg in Mitleidenschaft gezogener Begriff, abgenutzt, missbraucht, als politisches Kampfmittel unterschiedlicher Couleur verwendet – es stockt einem der Atem beim Aussprechen dieses Wortes. Man ist versucht, beim Benutzen erklärende Worte hinterherzusenden, um ja nicht falsch verstanden zu werden, um nicht mit den Ewig-Gestrigen, den Erzkonservativen oder gar Neu-Rechten in einem Atemzug genannt zu werden. Selbst im zweiten Band des Kleinen Lexikons vom VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1971, findet man dazu die fast typische Eintragung: „im polit.-sozialen Sinn svw. Vaterland; im umfassenderen Sinne die nähere (lokale) Umgebung […], in der ein Mensch aufwuchs und die ihm beeinflusste.“ [sic!].
Nun ist dieser Begriff ja nichts Feststehendes, er unterliegt einer ständigen Wandlung. Auch „Vaterland“, eine Bezeichnung, die sich an den Nationalstaatsgedanken anlehnt, scheint nicht mehr so prägend zu sein, auch wenn in den letzten Jahren bei derartigen Auffassungen ein gewisser Aufwind zu verzeichnen ist. Diese Haltung sah auch Erich Mühsam skeptisch, der bereits 1933 ausführte, dass „Heimatsverehrung […] mit Vaterlandsliebe nichts zu schaffen“ hat, um schließlich anzufügen, dass es „[e]ine Pflicht zur Liebe aber“ nicht geben kann! Andreas Nahles, die ehemalige SPD-Vorsitzende, war 2018 gar der Meinung, dass das Gefühl für die Heimat „von unten“ wachsen würde. Nach Bloch kann „Heimat nur dort sein, wo man ganz Mensch sein kann.

Johannes Thaut »Unser Heimatmuseum«, Holzschnitt 1961 Repro: K.U. Baum

Feststellen aber muss man schon, dass der Begriff „Heimat“ im deutschen Sprachraum eine Verengung erfährt, die sich ausschließlich als Herkunft, Behausung oder eben Verortung versteht. Heimat ist aber nicht nur der Ort oder die Region. Heimat ist nach Ernst Bloch (1885–1977) auch der Mensch, den der Philosoph als „heimat-stiftendes Wesen“ sieht. Das klingt zumindest im Kleinen Lexikon an. Allerdings ist diese Heimat für Bloch nicht einfach da. Sie muss erst geschaffen werden. Sie ist also eher eine utopische Vision, an der gearbeitet werden muss. Und schaut man sich die empirischen Daten dazu an, so ist Heimat für 58 Prozent der Befragten immer noch traditionell der Wohn- oder Geburtsort, aber für 31 Prozent sind es eben auch die Menschen (Familie, Freunde), die unmittelbar um sie herum sind und ihnen ein heimatliches Gefühl vermitteln.
„Heimat, die ich meine“ – übrigens der Titel einer Ausstellung der Radebeuler Stadtgalerie im Jahr 2006 – ist deshalb für viele mehr, als eine Verortung oder gar eine politische Auffassung. Es sind eher die sozialen Beziehungen, der gelebte Alltag, die einen empfinden lassen, angekommen zu sein, sich „zu Hause“ fühlen zu können. Es ist aber nicht nur Identifikation mit einer Umgebung, sondern eben auch das „Angenommen-sein“, das „Dazugehören“. Heimat ist deshalb auch etwas, was gestaltet werden will, was man erleben können muss. Dazu sind die sozialen Kontakte wichtig, aber es braucht auch die haptischen Elemente, die Heimat bildhaft sichtbar werden lassen.
Versuche hat es dazu in Radebeul schon mehrfach gegeben. Da sah der Oberbürgermeister Bert Wendsche 2010 bei der Eröffnung des Museums-Depots im Gelände der Oberschule Radebeul-Mitte auf der Wasastraße 21 perspektivisch schon ein Heimatmuseum entstehen. Dabei hätte Radebeul diesen Umweg gar nicht nötig gehabt, sondern nur einfach das existierende Heimatmuseum im Haus Hoflößnitz weiterführen können, war und ist doch die Stadt Hauptstifter der Stiftung Hoflößnitz. Mit dem Aufbau des Heimatmuseums, welches den sächsischen Weinbau einschloss, begann der Schuldirektor Emanuel Erler bereits 1912. Es sollte aber keine hundert Jahre Bestand haben bis es, laut Wikipedia, nach einer Phase der weiteren Profilierung ab Mitte der 1980er Jahre 1997 ausschließlich ein Weingutmuseum wurde und daraus die Heimat sukzessive verschwand. Die aber soll ja sowieso mehr im Menschen zu suchen sein.

Wandbild am Eingang zum ehemaligen Wohnhaus des Hofkapellmeisters Ernst Edler von Schuch Foto: K.U. Baum

Die traditionelle Sicht auf die Heimatgeschichte von „oben“ hat sich in der Bundesrepublik eigentlich schon seit dem Beginn der 1980er Jahre erledigt. Das geschah in der DDR freilich 35 Jahre früher. Immer stärker wurden damals die Lebens- und Denkweisen der sogenannten „einfachen Leute“ in den Blick genommen. Zwei pfiffige Radebeuler Jungs hatten dann auch nach der letzten Jahrtausendwende die Idee, die Stadtbevölkerung aufzurufen, Gegenstände für ein Heimatmuseum zu spenden. Einige sind diesem Aufruf nachgekommen. Aber die Puste der Jungs reichte nicht lange. Auch die hoffnungsvolle AG-Stadtmuseum steht zur Zeit nur noch auf dem Papier. Ausstellungen oder andere Aktionen gibt es schon lange nicht mehr. Die verortete Heimat hat es natürlich schwer, sich gegen die erzwungene Mobilität, Zersiedlung und zunehmende Zentralisierung zu behaupten.
Heimatgeschichte kann deshalb nicht als eine bruchlose Identifikation mit der gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt verstanden werden, wenn sie nicht ideologisch überfrachtet sein soll. Dem ideologischen Missbrauch des Begriffes „Heimat“ durch vergangene Epochen ist eine objektive und versachlichte Sicht entgegenzustellen. Dazu muss der Gegenstand nicht nur in eine offene Diskussion kommen, sondern auch praktisch präsent sein. Dies kann auf vielfältige Art erfolgen. So findet der aufmerksame Spaziergänger bereits an historisch wichtigen Orten der Stadt Hinweise auf geschichtliche Vorgänge. Darunter befinden sich nicht nur die allseits bekannten Objekte wie Hoflößnitz oder Schloss Wackerbarth. In der Kehre des „Prof.-Wilhelm-Rings“ informiert beispielsweise eine Tafel über die „Villenkolonie Altfriedstein“. In der Schuchstraße wird man über den berühmten Hofkapellmeister Ernst Edler von Schuch unterrichtet und in der Gartenstraße wurde gar die gesamte Fassade eines Hauses zu Ehren von Ernst Storch-Sarrasani gestaltet, jenem Gründer des später berühmten Zirkusunternehmens. Natürlich bietet auch das „Sächsische Weinbaumuseum“ viel Radebeul-Bezug. Aber von der Sozialgeschichte weniger herausgehobener Persönlichkeiten und anderen stadtgeschichtlichen Ereignisse erfährt man hingegen kaum etwas, sieht man von den beiden temporären

Erinnerung an Hans Stosch Sarrasani in der Gartenstraße Foto: K.U. Baum

Ausstellungen zur Zwangsarbeit in den Weinbergen während der NS-Zeit durch das „Sächsischen Weinbaumuseums“ ab. Was wirklich fehlt, ist ein Heimatmuseum, in dem auch über gegenständliche Präsentation dem Besucher die Geschichte der Stadt und Umgebung nahegebracht wird, in dem aber vor allem die Zusammenhänge der einzelne Ereignisse mit dem Großen und Ganzen verdeutlicht werden. Die verstreuten Hinweistafeln im Stadtbild sind wichtig, werden aber von vielen Radebeul-Besuchern nur zufällig entdeckt und wirken letztlich wie Versatzstücke. Auch über die 300 Objekte, die unter dem Begriff „Kunst im öffentlichen Raum“ zusammengefasst wurden, haben vermutlich nur die wenigsten Radebeuler einen annähernden Überblick.
Den Wunsch nach einer derartigen Einrichtung sollte man nicht mit der Mär vom Fischer und seiner „nimmersatte[n] Frau“ abtun. Selbst die verdienstvolle Herausgabe des Radebeuler Stadtlexikons kann ein Heimatmuseum nicht ersetzen.
Der Ur-Radebeuler ist ein sehr heimatbewusster Zeitgenosse, der eng mit seiner Stadt verbunden ist. Auch die „Zugezogenen“ wollen hier ihre Heimat finden und bedürfen Orte, die ihnen die Geschichte nahebringen.

Karl Uwe Baum

 

Schon wieder »Schuldkult«?

Am ersten Öffnungstag der aktuellen Sonderausstellung »Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Deutsches Reich | Sachsen | Radebeul« im Sächsischen Weinbaumuseum Hoflößnitz stand, das Museum hatte gerade geöffnet, schon der erste Besucher in der Tür. Das geht ja gut los, dachte ich. Was das jetzt denn schon wieder solle, fragte der strohbehütete Herr mittleren Alters, ohne sich lange umzusehen, »immer dieser Schuldkult«. Ja, Zwangsarbeit hätte es gegeben, das sei schlimm gewesen, aber doch alles bekannt und ewig her. Dass man das überall immer wieder aufwärmen müsse, um uns ein schlechtes Gewissen

Französische Kriegsgefangene beim Trockenmauerbau 1940 Foto: Stadtarchiv Radebeul

einzureden, und dafür öffentliche Mittel verpulvert, könne er nicht verstehen. Jetzt hole man hier wieder alte Fotos raus, und er deutete auf das Plakat. Der Landser, der hier Zwangsarbeiter bewacht, hätte das doch nicht freiwillig gemacht und sei sicher kein schlechter Mensch gewesen. Und dass der Russe da in Deutschland arbeiten musste und dabei ums Leben kam, sei schlimm gewesen, aber so war das eben im Krieg. Die Deutschen hätten für das, was im »Dritten Reich« passiert ist, ihren Preis gezahlt und sollten damit endlich in Ruhe gelassen werden; an die wirklich Schuldigen hätte sich damals wie heute eh niemand herangetraut. Die heute 30-Jährigen – dabei hatte er offenbar die Generation seiner Kinder im Blick – hätten mit alldem nichts mehr zu tun und müssten sich hier jetzt wieder diesen alten Schuh anziehen. Das Thema sei längst erledigt, die Entschädigungen gezahlt; im Internet fände man alles dazu. In einem Weinbaumuseum wolle er anderes sehen.
Ob es lohnt, gegen eine missmutig abgeschossene Breitseite dieser Art zu argumentieren, ist ebenso zweifelhaft wie, dass es sich dabei um eine Einzelmeinung handelt. Immerhin war sie einmal ausgesprochen und der Tag jung. Wo der Gast in letzter Zeit so zum Überdruss mit dem Thema konfrontiert worden sei, interessierte mich. Dr. Klaus-Dieter Müller, der gerade an einer ersten umfassenden Publikation zur NS-Zwangsarbeit in Sachsen von 1939 bis 1945 arbeitet, und ich hatten intensiv recherchieren müssen, um das Material für die Ausstellung zusammenzutragen. Und dass Weinbaumuseen nicht per se Gute-Laune-Museen wären, zumal es Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg hier eben auch im Weinbau gegeben hat, musste ich zumindest loswerden. Das kurze Gespräch, das sich anspann, drehte sich aber im Kreise. Das Thema sei x-mal abgehandelt; was man wissen müsse, fände man im Internet zur Genüge; und wissen müsse man eigentlich nicht viel, weil das alles ewig her sei und erledigt. Dass er freiwillig im Museum sei, räumte der Gast immerhin ein, und als ich ihm nahelegte, seine Meinung ins Gästebuch zu schreiben, machte er von der Freiheit Gebrauch, dies nicht zu tun, was ich bedauerlich fand, und war dann bald wieder zur Tür hinaus.
Drei Generationen nach Ende des Zweiten Weltkrieges sinkt die Zahl der Zeitzeugen allmählich gegen Null, aus Zeitgeschichte ist vergleichsweise gut erforschte und von der Wissenschaft weitgehend einheitlich bewertete Geschichte geworden. Eine Möglichkeit, das zunehmend abstrakte Bild dieser Epoche konkreter zu fassen und mit Leben zu erfüllen, besteht darin, nach ihrem Verlauf in der eigenen Region zu fragen, denn auch hier spielte sie sich ab. Und auch wenn die Vorgänge längst vergangen sind und ihre Akteure tot und begraben, kann ihre Beziehung zum eigenen Ort aufs Neue Interesse wecken und historisches Verständnis fördern.
Obwohl der Zwangsarbeitskomplex zu den größten NS-Verbrechenskomplexen gehörte, setzte die öffentliche Auseinandersetzung damit erst spät ein. Die von der im Sommer 2000 von Bund und deutscher Wirtschaft gemeinsam gegründeten Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« bis 2007 geleisteten symbolischen humanitären Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter erreichten noch etwa zwölf Prozent der insgesamt mehr als 13 Millionen betroffenen Menschen, von denen bis zu 2,7 Millionen den Aufenthalt und Arbeitseinsatz in Deutschland nicht überlebt hatten und viele andere fast sechs Jahrzehnte später gar nicht in der Lage waren, die erforderlichen Nachweise beizubringen.
Schon diese wenigen Daten mögen andeuten, welche Dimensionen der Zwangsarbeitseinsatz während des Zweiten Weltkrieges im Deutschen Reich hatte und dass von einer alle berechtigten Ansprüche befriedigenden Kompensation, die diesen Schandfleck aus der deutschen Geschichte tilgen könnte, keine Rede sein kann. Sicher findet man diese Zahlen im Internet, wenn man sie sucht. Was sie bedeuten, wie sich der Zwangsarbeitseinsatz in unserer Region und unserer Stadt gestaltete und einige exemplarische Schicksale rückt unsere kleine Ausstellung in den Fokus, auf Basis der Quellen, die hier wie vielerorts nicht eben reichlich sprudeln, und um Anschaulichkeit bemüht.
Keine Weltverschwörung hat der Arbeitsgruppe »75 Jahre Kriegsende in Radebeul«, die die Ausstellung 2020 mit Unterstützung der Stadt und der Stiftung Hoflößnitz ehrenamtlich realisierte, das Thema diktiert, sondern das Interesse an einem bislang wenig bearbeiteten Gegenstand und der Zufall, einen ausgewiesenen Experten dafür in Radebeul zu haben. Viele der Dokumente, auf denen der Lokalteil basiert, stehen der Forschung erst seit jüngster Zeit zur Verfügung, was gegen den Vorwurf der ständigen Wiederholung des immer Gleichen spricht. Dass die Ausstellung erst jetzt und in der Hoflößnitz einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich ist, hat mit Corona zu tun und soll die Freude am Hoflößnitz-Wein nicht trüben, der im Zweiten Weltkrieg, wie fast alle Erzeugnisse der deutschen Wirtschaft, seine Zwangsarbeitsgeschichte hat, die wir nicht abhaken, sondern zunächst kennen, einordnen und sodann gebührend erinnern wollen.
Eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zur noch bis zum 5. September laufenden Ausstellung, zu der ich alle Interessierten und auch den Herrn mit dem Strohhut herzlich einlade, wird am Antikriegstag, dem 1. September, um 19 Uhr im Winzersaal der Hoflößnitz, Knohllweg 37, stattfinden. Und allen, die sich eingehender mit dem Thema »NS-Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft 1939-1945. Ausländereinsatz im Deutschen Reich und in Sachsen« auseinandersetzen wollen, sei schon jetzt das von Klaus-Dieter Müller herausgegebene Buch dieses Titels empfohlen, das voraussichtlich ab Ende September über die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung in Dresden erhältlich sein wird.
Frank Andert
Museumsleiter Hoflößnitz

Mitgliederversammlung 2020

Lieber Mitglieder des Vereins Radebeuler Monatsheft e.V. „Vorschau & Rückblick“,

da unsere Jahresmitgliederversammlung für das Jahr 2020 bisher nicht stattfinden konnte, haben wir jetzt den 15. Oktober 2021, 19 Uhr in der Stadtgalerie vorgesehen. Wir würden uns freuen, Sie in unserer Runde begrüßen zu dürfen.
Die offizielle Einladung mit Tagesordnung erscheint dann im Oktoberheft und im Internet ab 1. Oktober unter www.vorschau-rueckblick.de/Verein.

Mit freundlichen Grüßen

Ilona Rau
Vereinsvorsitzende

Kunst geht in Gärten

Kunst geht in Gärten oder Genießen will geübt sein

Radebeul wirbt vollmundig mit dem Slogan „Radebeul – eine Stadt zum Genießen“. Doch Genießen will geübt sein, besonders wenn die Kunst wie bei „Kunst geht in Gärten“ eben in die Gärten geht. Es ist die Vielfalt der Möglichkeiten, die an diesem Kunstwochenende sowohl fasziniert als auch irritiert. Zwischen 23 Stationen, verteilt über die ganze Stadt, konnten die Besucher am 17. und 18. Juli wählen und über einhundert Künstler in Aktion erleben.

Unter hohen Tannen auf der Gartenbühne „Die Affen“ (Kunsthaus Kötzschenbroda) Foto: K. (Gerhard) Baum

Per Rad von Station zu Station (Vorgarten Kunsthaus Kötzschenbroda) Foto K. U. Baum

Kleine »Molke Open Studios« Party zum Tagesausklang mit weiblichen DJs auf der ehemaligenMilchrampe (Alte Molkerei) Foto: K. (Gerhard) Baum

 

Kunst der anderen Art hinterm „Gartenzaun“ (Alte Molkerei)
Foto: K. (Gerhard) Baum

Der Begriff „Garten“ wiederum wurde vom Veranstalter recht großzügig ausgelegt. Und manch einer konnte es kaum fassen, was man in der Gartenstadt Radebeul so alles unter einem Garten versteht. Zu besichtigen waren nicht nur Barock-, Stein-, Kräuter-, Vor-, Zier-, Wein-, Wild-, Schau-, Obst- und Gemüsegärten. Auch die Städtische Galerie hatte man zum temporären Garten erklärt. Die Kunst wurde auf Höfen, in einer Abfüllanlage, auf Weinterrassen und in einer Kunsthofpassage präsentiert. Selbst ein virtueller Wortgarten besetzte die gedankliche Peripherie. Fantasie und Toleranz hatten Konjunktur. Alles ist eben eine Sache der Interpretation!
Die Idee zu „Kunst geht in Gärten“ entstand im letzten Jahr. Um die Künstler in Zeiten der Pandemie unterstützen zu können, galt es alternative Präsentationsflächen im Außenbereich zu erschließen. Gärten schienen hierfür besonders geeignet. Das Engagement aller Mitwirkenden und die Resonanz waren überwältigend. Eine Fortsetzung bot sich geradezu an.

Freischwebendes mobiles Kunstobjekt von Kay Frommelt (Alte Molkerei) Foto: K. (Gerhard) Baum

Vier weitere private Gärten waren in diesem Jahr erstmals geöffnet. Sogar zwei Unternehmen stellten Bereiche ihres Außengeländes zur Verfügung. Bei Fliesen Ehrlich hinterließen 9 Mitglieder der losen Künstlergruppe „KunstSpuren“ in der Schaugartenanlage ihre künstlerischen Spuren. Initiiert und finanziell unterstützt vom Rotary Club Radebeul beteiligten sich 16 Künstler im Gelände von Schloss Wackerbarth an einem Plein Air. Die Werke, welche hier entstanden sind, sollen später ausgestellt werden. Das soziokulturelle Zentrum „Weißes Haus“ wurde zum Anlaufpunkt nicht nur für das junge Publikum. Bereits zum zweiten Mal dabei war die Alte Molkerei. Zu sehen waren von 18 jungen Künstlern Werke der zeitgenössischen Kunst. Vermutlich zum letzten Mal, denn die Immobilie wird für 590.000 Euro zum Verkauf angeboten. Für die dort wirkenden Künstler ist der Selbsterwerb ihres bisherigen Domizils völlig unrealistisch!

Graffitibild vor Graffitiwand, freigesprühtes Graffiti-Blumen-Bild von Kerstin Dähne (Weißes Haus)
Foto: K. (Gerhard) Baum

Künstler unterschiedlicher Sparten präsentierten Malerei, Grafik, Keramik, Fotografik, Skulpturen, Graffitis, Objekte, Fotografien, Collagen, Schmiede-, Glas- und Textilarbeiten. Verwendung fanden auch Natur- und Recyclematerialien.
An Besuchern herrschte kein Mangel. Die meisten waren begeistert. Bei einigen schien allerdings auf der Stirn die Frage zu stehen: Ist das Kunst oder kann das weg? Was mich als ehemalige Galeristin immer wieder zum Schmunzeln bringt.
In meiner Doppelfunktion als mitwirkende Gartenbesitzerin und als kulturreflektierendes Redaktionsmitglied von „Vorschau und Rückblick“ galt es einen Spagat zu bewältigen. Vorm Öffnen des eigenen Gartens (ab 15 Uhr) blieben knapp zwei Stunden Zeit, um sich bei den anderen, die bereits ab 13 Uhr für die  Besucher zugängig waren, umzusehen. Also,

Dekorative Sitzbank im »Jedermannsgarten« des Lügenmuseums
Foto: K. (Gerhard) Baum

hochkonzentriert auf den Orientierungsplan geschaut, Route markiert, hastig den Fotoapparat geschnappt, einige Stationen ausgewählt. Dort angekommen, kurzer Rundumblick, mit den Künstlern ein paar Worte gewechselt, Eindruck gespeichert, nächste Station. Am Samstagabend dann Glück gehabt, denn in der Alten Molkerei war für die jungen Künstler um 18 Uhr längst nicht Schluss. Also auch dort noch einmal „Ausschau“ nach der „Kunst im Garten“ gehalten.

KunstSpuren mit Bildergalerie im Präsentationsbereich von Fliesen Ehrlich Foto: K. (Gerhard) Baum

Die teilnehmenden Künstler wirkten als Multiplikatoren und hatten Förderer, Galeristen, Kollegen, Angehörige und Freunde eingeladen. Eine überregionale Kettenreaktion kam in Gang. Geschwärmt wurde von der angenehm intimen, aber auch sehr kommunikativen Atmosphäre.
Corona hat wohl erheblich dazu beigetragen, dass wir unserer unmittelbaren Umgebung viel mehr Aufmerksamkeit entgegenbringen.
Flora und Fauna hielten in den hiesigen Gefilden viele Überraschungen bereit. Wer hätte gedacht, dass in einem der Gärten ein 60-jähriges Schildkrötenmännchen mit einem 100-jährigen Schildkrötenweibchen fleißig für Nachwuchs sorgt? Dass in einem Vorgarten zuckersüße Törtchen wachsen? Wer hätte gedacht, dass die Freiluftmalerei eine so starke Renaissance erfährt? Und dass man aus Holzpaletten und Recyclematerialien wunderbare Gartenmöbel gestalten kann?

Musikalische Führung mit Irina von Toll und Anne Rosinski durch die »Freie Kunsthalle Radebeul« Foto: K. (Gerhard) Baum

Gartenbilder von Christiane Latendorf an der Garagentür Foto: K. (Gerhard) Baum

 

Hängung der Leinwandbahnen mit Fotografiken von Bernd Hanke (Kunsthaus Kötzschenbroda) Foto: K. (Gerhard) Baum

Der Open-Air Klassiker: Das Motiv vorm Motiv (Bild mit Belvedere von Renate Winkler, Schloß Wackerbarth) Foto: K. (Gerhard) Baum

 

Mechthild Mansel zeichnet in der Abfüllanlage (Schloß Wackerbarth) Foto: K. (Gerhard) Baum

 

 

Papierkorb stützt Eule, Stencil Graffiti von Kerstin Dähne (Weißes Haus) Foto: K. (Gerhard) Baum

Als mitwirkende Gartenbesitzer konnten wir im Kunsthaus Kötzschenbroda sehr persönliche Erfahrungen mit „unseren“ Künstlern sammeln. Der heimische Küchentisch wurde zur Ideenschmiede. Es folgte ein reger Gedankenaustausch, der auch im Praktischen mündete. Einerseits bekamen wir Zugang zum Schaffensprozess der Künstler und begannen das eigene Grundstück zunehmend mit kreativen Augen zu sehen. Andererseits freuten sich wiederum die Künstler über die Möglichkeit, ohne kommerziellen Zwang mit Themen, Techniken und Materialien experimentieren zu können.
So spannte Bernd Hanke vor unsere Hausfassade zwischen die Sandsteineinfassungen der Fenster vier großformatige Leinwandbahnen. Bedruckt hatte er diese mit Fotografiken, welche den Blick auf bauliche Details mit unterschiedlichen Materialstrukturen lenkte und diese wiederum in neue Zusammenhänge stellte. Die fein nuancierte Farbstaffelung zeugte von einem hohen ästhetischen Anspruch.
Christiane Latendorf wiederum zeigte intuitiv-naive Gartenbilder, darunter erstmals Gärten bei Nacht. Ihre heiteren Keramikobjekte arrangierte sie in verschiedenen Beeten bzw. setzte sie in räumliche Beziehungen zu Pflanzen und Natursteinmauern, ja sogar zum Nachbarhaus.
Matthias Kistmacher arrangierte vor einer in Würde gealterten Vorraumwand zehn kleinformatige Bilder mit verschiedenen Früchten im Zustand der Überreife und des Vergehens. Die symbolbehaftete Serie nannte er „Erntedank“. Vor den einheitlich dunklen Bildhintergründen kamen die vielfältigen Formen und Farben der Früchte sowie deren Durchdringung von der äußeren Hülle zum inneren Kern auf eine bemerkenswert sinnliche Weise zur Geltung.
Zur Bereicherung von „Kunst geht in Gärten“ trugen vor allem auch die spontanen Auftritte der wandernden Musiker bei. Darüber hinaus waren kleine Konzerte, eine Lesung und Tanzdarbietungen sowie eine Pflanzen-Synthesizer-Performance zu erleben. Und wer sich dafür interessierte, konnte den Malern über die Schulter schauen oder war zum Schaudrucken ins Atelier Oberlicht eingeladen. Das interdisziplinäre Kunstwochenende bot Erkenntnis und Inspiration. Es wurden neue Kontakte geknüpft und so manches Kunstwerk wechselte seinen Besitzer.
Wieder einmal hatte sich gezeigt, dass eine kommunale Galerie als koordinierende Leiteinrichtung für ein derartiges Gemeinschaftsprojekt unentbehrlich ist. Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich in der Lößnitzstadt neben dem Radebeuler Grafikmarkt mit „Kunst geht in Gärten“ eine weitere Veranstaltungsreihe etabliert, die eine starke Eigendynamik entfaltet und selbsterneuernde Energien freisetzt.

Also dann, bis zum Wiedersehen im nächsten Jahr, denn Genießen will geübt sein.

Karin (Gerhardt) Baum

Radebeuler LebensArt 2020 (Von der Kunst mit Kunst in Gärten zu gehen)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Editorial September

Der Sommer scheint so gut wie vorbei zu sein. Jeder erwartete laue Abend führt zur drängenden Frage: Was stellen wir an? So auch für den 21. August.
Im Vordergrund steht nach der langen Durststrecke durch Corona natürlich die Suche nach Veranstaltungen. Für den Abend dieses Tages haben die rührigen örtlichen Kulturmanager im Rahmen des Coswiger Kultursommers die bekannte und beliebte Berliner Band „City“ engagieren können, gestandene Rockmusiker – die Gruppe steht vor dem 50-ten Bühnenjubiläum. Das ist es! Ein Freiluftkonzert nach unserem Geschmack, vor der Haustür, ohne Maske!
Gemeinsam mit rund 300 Besuchern fanden wir uns vor der Bühne auf dem Gelände des ehemaligen Straßenbahnhofs ein. Alles passte, sehr guter Sound, große Titelvielfalt, Toni Krahls Gesang gut verständlich, das Publikum sofort „dabei“.
„City“ hat eine schwere Zeit hinter sich: Tod ihres Schlagzeugers Klaus Selmke, über ein Jahr keine Auftritte. Das Konzert in Coswig gelang erst im dritten Anlauf.
Aber an diesem schönen Sommerabend mit Vollmond waren die Musiker nun bestens aufgelegt. Die Zugabe – wie kann es anders sein „Am Fenster“ – wird mit Elan geboten und enthusiastisch gefeiert. „City“ bleibt angesagt! Wir erinnern uns daran, wie viele Rockgruppen aus der DDR, auch künstlerisch hochrangige, um 1990 vor gering gefüllten
Sälen standen, oder als Vorband von internationalen Größen ausgebuht und ausgepfiffen wurden. Das war hart! Jetzt freuen sich alle wieder, weil Erinnerungen dran hängen, die guten Bands sich weiterentwickelt haben und weil wir gemeinsam mit den Musikern älter werden.

Ilona Rau

Titelbilder Bauernhäuser in Radebeul August 2021

Altwahnsdorf 44

Auf dem unter Denkmalschutz stehenden Vierseithof, über Jahrzehnte in Wahnsdorf als „Türkehof“ bekannt, will ich die Kumthalle, eine Besonderheit am Auszugshaus vorstellen. Nach meinem Kenntnisstand gibt es davon nur noch zwei in Radebeul, die andere befindet sich in Altserkowitz 1. Mit dem Fotografieren musste ich lange auf ein Okay und Sonnenschein warten!

Eine Kumthalle war nur bei mittleren und größeren Bauernhöfen üblich. Zwei Bögen über einer Säule bilden hier einen überdachten aber seitlich offenen Raum, in dem die von der Feldarbeit der Pferde verschwitzten Kumte aufgehangen über einen Zeitraum getrocknet werden konnten. Das Gebäude mit Pferdestall, Kumthalle und Wohnräumen für Mägde und Knechte im OG wurde 1862 errichtet. Von zwei Schlusssteinen in den Bögen zeigte früher einer diese Jahreszahl, der andere ein stilisiertes Pferd. Auf kleineren Höfen nutzte man andere Gegebenheiten, z. B. den Raum unter einer Außentreppe, zur Trocknung der Kumte. Bei Türkes konnten maximal vier Pferde im Stall stehen, die letzten zwei gab es bis Anfang der 60er Jahre als die Traktoren der LPG dann die Feldarbeit übernahmen. Mit dem Tod des letzten Türke-Bauern 1982 endete hier die Landwirtschaft.

Heute wohnen die Gommlichs, Nachkommen der Familie Türke, auf dem Hof. Herr Ralf Gommlich betreibt hier als Elektromeister sein Gewerbe. Frau Gommlich sorgt dafür, dass es auf dem Hof überall sommerlich blüht. Da, wo früher die Pferde standen, steht heute das Moped vom Junior – so ändern sich die Zeiten.

Dietrich Lohse

Bunkeranlagen unterm Schulhof

Am 7.7. berichtete die Sächsische Zeitung in einem großen Beitrag über die „Entdeckung“ einer Bunkeranlage unter dem Schulhof der heutigen Roseggerschule an der Wasastraße. Für einen damals adoleszierenden Zeitzeugen war das natürlich „kalter Kaffee“. Denn als ich die abgedruckten Bilder sah, öffneten sich mit einem Schlag die Fenster in meine Schulzeit an der einstigen „POS German-Titow“. Mitte der 1980er Jahre wurde hinter dem ehrwürdigen Schulgebäude zur Erweiterung der räumlichen Kapazitäten ein zeittypischer Plattenkasten errichtet. Im Zuge dieser Arbeiten musste wohl auch auf ebendiesen Bunker gestoßen worden sein.

Uns Kindern im besten Bengelalter blieb die damalige Entdeckung natürlich nicht verborgen. Bagger hatten an einer Stelle ein überaus einladendes Loch zum Tunnelsystem durchbrochen, welches für viele Wochen einen dankbaren Zugang für allerlei „geheime“ Erkundungen bot. Dieser Spielplatz mit verzweigten Gängen aus „uralten Zeiten“ war natürlich der Clou. In einer teils zugeschütteten Ecke hofften wir bei Grabungen auf verborgene Schätze. Waffen oder gar Gerippe konnten wir zu unserer Enttäuschung allerdings leider nicht finden.

Aber es gab etwas anderes Faszinierendes: Leuchtfarbe an den Wänden! Nachdem sie mit Taschenlampen angestrahlt wurden, boten die Streifen auch bei absoluter Dunkelheit beste Orientierung. Schließlich kamen wir auf die Idee mit Messern die Farbe abzukratzen, um sie, gut verwahrt in Marmeladengläsern, als Trophäe im heimatlichen Kinderzimmer zum Leuchten zu bringen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie sich das unterschiedlich beleuchtete Pulver, scheinbar wie glühende Asche, im gedrehten Glas bewegte. Lange Zeit zierte auch eine selbstgemachte Leucht-Maske die Wand über meinem Kopfteil und sorgte in mancher Nacht für gruselige Momente.

Doch Maske und Glas sind heute unauffindbar, wie wohl die recht unbeschwerte Jugendzeit…

Sascha Graedtke

Mit Bernhard Theilmann poetisch durch das Jahr

Eine Hausgeschichte aus Oberlößnitz

Heute geht’s bei mir nicht um Bäume, Bücher oder Inseln, nein, es sind wieder mal Häuser, also alte Häuser dran. Da ich inzwischen in Niederlößnitz seßhaft geworden bin, ist ein Oberlößnitzer Thema für mich schon fast wie eine Reise.

Eigentlich kennen wir sie alle, die stattliche Villa Eduard-Bilz-Straße 23, neulich war sie bei dem Thema „alte Fahnenstangenhalterungen“ dabei gewesen. Vor allem fällt sie auf, wenn wir durch den mittleren Abschnitt der Bilzstraße gehen, weil sie deutlich anders aussieht als die hier dominierenden Schweizerhäuser aus der Feder der Gebr. Ziller. Hier hatten die Zillers in der 2. Hälfte des 19. Jh. alle Parzellen, zumeist ehemalige, flachere Weinberge, nacheinander in ihren Besitz bekommen. Besagte Villa fällt nicht mehr in die Firmenzeit der Gebr. Ziller, sie entstand erst nach dem Tod von Moritz Ziller (1838-1895) und seinem Bruder Gustav Ziller (1842-1901). Marie Ziller, die Ehefrau von Gustav Ziller, führte dann die Firma Gebr. Ziller zusammen mit Architekt Max Steinmetz noch eine Zeitlang weiter. Und so geht der Entwurf der Villa von 1905 auch auf diesen Architekten zurück. Steinmetz wandte sich stilistisch dem Neobarock und Jugendstil zu, insofern unterscheidet sie sich von den sonstigen Zillerhäusern in der Bilzstraße.

Was mich an dem Standort aber besonders interessierte, war die Tatsache, dass auf diesem Grundstück drei völlig andere Häuser innerhalb von nur 30 Jahren gestanden haben müssen, so etwas findet man kaum an einem anderen Standort in Radebeul. Es begann damit, dass Moritz Ziller 1872 hier ein Grundstück mit einem Winzerhaus an der Sophienstraße (später Eduard-Bilz-Straße) erwarb. Ob sich Ziller mit Weinbau beschäftigt hat, ist aber eher unwahrscheinlich. Die Parzellenkäufe an der damaligen Sophienstraße erfolgten ja zu einer Zeit als der Weinbau schon rückläufig war. Moritz Ziller wird auch in seinem Winzerhaus nicht selbst gewohnt haben, da zu dem Zeitpunkt sein Wohn- und Bürohaus im heutigen Augustusweg 5 bereits bestand. Dieses Winzerhaus gehörte zu einer Reihe von Oberlößnitzer Winzerhäusern, auf die ich später noch eingehen werde, und brannte 1876 ab. Eine Brandursache weiß heute niemand mehr, war das Haus etwa ein Spekulationsobjekt? Noch im gleichen Jahr plante Moritz Ziller (er unterzeichnete den Antrag selbst) und errichtete auf der östlichen Seite des Grundstücks (Flurstück 50, Gemarkung Oberlößnitz) wieder ein Winzerhaus neuen Typs oder war es doch mehr ein kleines Bauerhaus im Stil der Schweizerhäuser. Es sah den Landhäusern der Gebr. Ziller in der Bilzstraße 27, 31, 33, 34 und 35 schon ein bißchen ähnlich, hatte aber nicht die gleiche Bauflucht. Da gab es einen bescheidenen Wohnbereich, einen kleinen Kuh- und Schweinestall, den Schuppenanteil und einen Heuboden. Es lässt sich heute kaum noch nachweisen, welche Wein- oder Ackerflächen zu der Landwirtschaft dazugehört haben könnten und ob das in der Zeit überhaupt so funktioniert hätte. Der Trend für die Zillers in der Gegend und zu der Zeit waren sowohl bescheidenere und als auch luxeriösere Wohnbauten. Auf dem Grundstück stand etwas abseits noch eine Scheune, wohl ein Zubehör zum alten Winzerhaus, das möglicherweise nach dem Dreißigjährigen Krieg, also in der 2. Hälfte des 17. Jh., gebaut worden war.

Zillerhauszeichnung


Nachdem 1905 die nach der Prachtstraße ausgerichtete Villa geplant und bis 1906 fertiggestellt worden war, konnte man die Scheune und das bäuerliche Winzerhaus abreißen. Schließlich erhielt die Villa auf der Südseite noch einen Pavillon, der originellerweise über dem noch erhaltenen Weinkeller des alten Winzerhauses platziert wurde – die wohl einzige Radebeuler Laube mit Keller! Die Lage des Kellers sagt nur bedingt etwas über den genauen Standort des Winzerhauses aus. Wir finden solche Weinkeller bei anderen Winzerhäusern ganz oder teilweise unter dem Haus oder auch völlig daneben liegend.

Ansicht heute, von NW


Üblicherweise füge ich zu meinen Aufsätzen ein paar Bilder hinzu und hier wären Ansichten von den drei Bauten sicher hilfreich. Die Villa kann ich von der Straße aus fotografieren, kein Problem, aber was mache ich mit den anderen Häusern auf dem Grundstück, die wohl niemand fotografiert hat? Zu dem „modernen Winzer- oder Bauernhaus“ habe ich eine Ansicht und einen Grundriss in der Bauakte gefunden, die ich nach Abstimmung mit dem heutigen Eigentümer kopieren und verwenden darf. Kritisch wird es bei dem alten, abgebrannten Winzerhaus. Aber in o.g. Bauakte von M. Ziller ist im Lageplan das alte Winzerhaus mit gestrichelten Linien in den Umrissen eingetragen (Grundfläche Hauptbau =18 x 7m und daran ein nördlicher Anbau =10 x 3m). Das Hauptgebäude habe ich in den Abmessungen mit sechs noch existierenden Winzerhäusern aus dieser Zeit (Haus Breitig, Haus Lorenz, Haus Clauß, Haus Erdmann, Haus Lotter und Haus Baurick) verglichen – im Mittel Länge =16,10m und Breite =7,40m – und so den Typ eines Winzerhauses aus der 2. Hälfte des 17. Jh. bzw. der 1. Hälfte des 18. Jh. näherungsweise bestimmt. Wir wissen, dass eine zweigeschossige Bauart bei Winzerhäusern in der Lößnitz üblich war, dass das OG meist in Fachwerkbauweise erfolgte und dass als oberer Abschluss ein steileres Walmdach vorherrschend war. Der Anbau könnte eingeschossig mit Schleppdach gewesen sein, wie es noch bis in die 80er Jahre am Haus Breitig zu sehen war. Aber ein zweigeschossiger Winkelbau, ähnlich dem Haus Barnewitz, wäre hier auch möglich gewesen. Die Lage des alten Winzerhauses wird auch auf dem „Plan der Lößnitz“ von 1874 dargestellt. Mit der Summe dieser Annahmen habe ich eine grobe Skizze (Ansicht von SW, ohne Fenster und Türen) des abgebrannten Winzerhauses mit Anbau angefertigt, so könnte man sich auch das älteste Haus auf diesem Grundstück in etwa vorstellen, ein Beweis ist es nicht!

Ausschnitt aus altem Lageplan von Oberlößnitz (1881)


Ein Blick auf die städtebauliche Entwicklung dieses Teils von Oberlößnitz soll die Betrachtung abschließen. Zunächst waren da die drei Berggassen, die obere Berggasse, die der heutigen Weinbergstraße entspricht, die mittlere Berggasse heißt heute Augustusweg und schließlich die untere Berggasse im Verlauf von Maxim-Gorki-Straße und Nizzastraße. An diesen alten Fahrwegen reihten sich locker die Winzerhäuser bzw. Weingüter in Ost-West-Richtung auf. An der unteren Berggasse waren dies von Ost nach West u.a. die ehem. Gaststätte „Zum Russen“, Haus Breitig, Lindenhof, Max.-Gorki-Str. 16 (Teile eines Winzerhauses sind noch im EG zu finden), „unser Winzerhaus“, das Moritz Ziller erwarb, Haus Thieme sowie ein Winzerhaus, das für den Hotelneubau in den 90er Jahren abgebrochen worden war. Verbindungswege zwischen den Berggassen hatten zunächst nur den Zweck die Weinflächen und -berge zu erschließen, hier befanden sich keine Häuser. Nachdem die Gebr. Ziller die unrentablen Weinflächen billig aufgekauft hatten, begannen sie in den Jahren ab 1877 die vom Tal aus gesehen rechte Hälfte der heutigen E.-Bilz-Straße mit einer Reihe zum Teil gleicher Schweizerhäuser in Nord-Süd-Richtung zu bebauen. Diesen Bebauungszustand ist auf einer Äquidistantenkarte aus dem Jahr 1881, hier ist auch das neue, oben beschriebene Winzer- bzw. Bauernhaus zu erkennen. Darauf folgte in den 80er Jahren des 19. Jh. die Bebauung der linken Seite der heutigen E.-Bilz-Straße. Um 1880 ließen die Gebr. Ziller auf eigene Kosten am unteren Anfang der Sophienstraße (so hieß die E.-Bilz-Str. früher) noch zwei Bacchantengruppen, plastische Gestaltungen aus der Produktion von E. March & Söhne, Charlottenburg, auf hohen Sandsteinsockeln errichten, womit der Straßenzug aufgewertet wurde. Man versprach sich aber auch, dass sich dadurch der Verkauf der einzelnen Häuser günstigter gestalten würde. Da die meisten der o.g. Winzerhäuser stehen blieben, verdichtete sich von da ab die Bebauung der Oberlößnitz. In der Gründerzeit beteiligten sich am Bau neuer Wohnbauten, dem „Bauboom“, auch andere Baubetriebe außer den Zillers. Eine ähnliche städtebauliche Entwicklung können wir auch im Ortsteil Niederlößnitz erkennen, wobei dort die Fa. Gebr. Ziller besonders in der nach ihnen benannten Zillerstraße tätig geworden ist.

Als nach vielen Jahren des Kampfes gegen die Reblaus unter Carl Pfeiffer dann wieder mit dem Weinbau begonnen werden konnte, waren nur die Steillagen noch verfügbar. Ehemals mit Wein bestockte, flachere Flächen hatte man da schon dicht mit Häusern bebaut und waren damit für den Weinbau verloren. Das mag man bedauern oder auch nicht, man hat es inzwischen so akzeptiert.

Ich bedanke mich beim heutigen Eigentümer, Herrn Lippik und bei dem Mitbewohner Herrn Dr. Petzholtz für Auskünfte und Unterstützungen bei meiner Arbeit.

Dietrich Lohse
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Literaturhinweise:
1, „Die Berliner Familie March … eine Erfolgsstory“, Birgit Jochens u. Doris Hünert, Metropol Verlag Berlin,
2000 (darin das Kapitel „E. March und das sächs. Nizza“ von Gudrun Täubert, Radebeul)
2. „Auf den Spuren der Gebrüder Ziller in Radebeul“, Markus und Thilo Hänsel, Notschriften Verlag,
Radebeul 2008

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