Ein Stück deutsche Politik im Spiegel einer älteren Buchreihe

In meinem Bücherregal ganz oben rechts (das meint keine politische Orientierung) steht die Reihe „Unsere schöne Heimat“, diese Überschrift klingt vielleicht etwas angestaubt und würde heute die Leser kaum in Scharen in die Buchläden locken. In den 50er Jahren aber hatte es einen Klang und die Bücher wurden gern gekauft. Ich kann mir vorstellen, daß sich Hefte dieser Buchreihe durchaus auch noch in anderen Radebeuler Bücherschränken finden ließen. Jetzt schaute ich mir die 37 Hefte von 1955 bis 1965 (ein Band, eine 2. Auflage, ist von 1971) erschienen Broschüren wieder mal an, um zu entscheiden, ob ich mich davon trennen möchte.
Von der im Sachsenverlag Dresden herausgegebenen Bücherreihe erschienen jedes Jahr bis zu 6 Hefte zu einzelnen Themen, die jeweils Teile der deutschen Heimat bildlich vermitteln konnten. Diese Idee ist die sinngemäße Fortsetzung einer ähnlichen Bücherreihe, „Die blauen Bücher“ aus den 20er und 30er Jahren. Einzelthemen der Hefte sind zB. „Romanische Kirchen“, „Rathäuser“ oder „Turm- und Sonnenuhren“. Aber es gibt auch Hefte, die je eine Landschaft wie „Deutsche Alpen“ oder „Insel Usedom“ den Lesern erschließen möchten. Die im Text genannten Titel sind eine willkürliche Auswahl von den 37 Heften – im Anhang will ich alle Titel nennen. Ich glaube, daß mir kaum ein Heft fehlen dürfte. Die im Sachsenverlag erschienene Mehrzahl der Hefte hatte einen helloliven Einband mit einem Schwarz-Weiß-Foto zum Thema und wirken ansprechend aber auch etwas traditioneller als die ab 1961 vom Brockhausverlag Leipzig herausgegebenen Hefte mit größerem Titelfoto und einer pro Heft wechselnden Farbkante, was schon einem moderneren Eindruck des Covers entsprach. Alle Hefte brachten neben einem sachkundigem Einführungstext im Hauptteil die meist chronologische Bildfolge von Gesamtaufnahmen und Details je Objekt. Somit wurde das Grundkonzept von beiden Verlagen konsequent verfolgt, Farbaufnahmen spielten dabei noch keine Rolle. Ob dem Wechsel zum Brockhausverlag eine politische Entscheidung zugrunde lag, kann heute nur vermutet werden. Die Brockhaushefte hatten als Neuerung zT. glänzende Buchhüllen, also einen Folieüberzug über dem Pappeinband, woraus über die Jahre ein Nachteil gegenüber den Sachsenverlagheften eintrat, die Folie löste sich in Teilen und der Glanz verschwand.
Ich erinnere mich an die Zeit Anfang der 50er Jahre in Radebeul, wer sich als Schüler für Denkmalschutz und Heimatpflege interessierte, fand sonst kaum etwas in den Buchläden. In dieser Situation war die Buchreihe schon etwas Besonderes. Hinzu kam, daß die Preise mit 2,40 Mark für ein normales Heft und 4,80 Mark für das Doppelheft moderat waren und ich mir von meinem Taschengeld hin und wieder eins kaufen konnte. Meine Eltern unterstützten das Interesse, das später in meinen Beruf überleitete, und schließlich fand ich ein paar der Hefte auch auf dem Geburtstags-Gabentisch. In den fünfziger Jahren waren die Themen und Bildbeispiele auch noch gesamtdeutsch und nicht einseitig auf die DDR bezogen. So war es auch noch möglich, wenn man zB. das Heft „Burgen“ gerade gelesen hatte, sich die Marxburg am Rhein (hat nichts mit Karl M. zu tun) anzuschauen – man konnte noch reisen, wenn man das Geld hatte. Die Heftinhalte und Bilder beziehen sich zwar in keinem Heft auf Radebeul, aber ich kann insofern eine „Brücke“ zu Radebeul bauen, da Ulrich Pohle (Dichter, Karikaturist und Kulturschaffender) bei den Heften des Sachsenverlages als Herausgeber angegeben wurde. Und eben dieser Herr Pohle taucht in den alten Vorschauheften (von 1954-1963) regelmäßig mit Karikaturen und Gedichten unter der Rubrik „Der Pfeil“ auf.
Werfen wir nun mit dem Abstand von 60 bis 70 Jahren einen kurzen Blick auf die wirtschaftliche und politische Entwicklung in den beiden deutschen Staaten, wo man anfangs noch von der Möglichkeit einer Wiedervereinigung sprach. Aber die beiden Staaten BRD und DDR begannen sich nicht zuletzt durch ihre unterschiedlichen Bündnispartner zu entfernen. In der BRD ging es mit amerikanischer Hilfe wirtschaftlich rasch aufwärts und bald schon sprach man vom „Wirtschaftswunder“. Während die DDR noch eine Weile an der Wiedergutmachung nach dem verlorenen Krieg gegenüber der UdSSR zu knabbern hatte. Die Unzufriedenheit mit den Lebensverhältnissen hier führte am 17. Juni 1953 zu Protesten, die niedergeschlagen wurden. Hier ging es nur langsam vorwärts. Viele Bürger aus dem Osten beschlossen deshalb vor allem um 1960 dahin zu gehen, wo man glaubte, besser arbeiten und leben zu können – nach dem Westen. Um noch stärkerer Republikflucht zuvorzukommen, wurde schließlich am 13. August 1961, einem Sonntag, begonnen, die Mauer zu bauen. Und damit war die Möglichkeit generell ausgeschlossen, zu allen Orten zu reisen, die bisher in den Heften vorgestellt wurden.
Das wirkte sich auf die betrachtete Heftreihe insofern aus, daß von da ab nur noch Landschaften, Orte und Häuser publiziert wurden, die im Osten lagen. Vielleicht hätte man jetzt die Heftreihe besser beenden sollen. So zeichnete sich als schleichender Prozeß über die Jahre eine deutliche Veränderung von Themen und Inhalte der Hefte ab. Bei den frühen Heften, in denen noch Gesamtdeutschland betrachtet wurde, konnte man eine gewisse Parität zwischen den Länderflächen BRD und DDR bzw. der Einwohnerzahl (grob: BRD = 65 Mill. und DDR = 15 Mill. Einwohner) und den behandelten Orten oder Gebäuden erkennen. Im Heft „Romanische Kirchen“ (1956) zB. wurden 23 Beispiele aus Westdeutschland, darunter der Dom zu Speyer, und nur 5 Beispiele, wie die Magdeburger Liebfrauenkirche, aus der DDR gezeigt. Bei diesem speziellen Thema spielt aber auch eine Rolle, daß diese Stilentwicklung aus Westeuropa kam und sich nach Osten nur langsam ausbreitete, also in Ostdeutschland grundsätzlich weniger romanische Objekte zu finden waren. Schauen wir deshalb noch ein anderes Heft aus dem gleichen Jahr, die „Rathäuser“, an. Da finden wir 25 Rathäuser aus der BRD, zB. das Bremer Rathaus, und demgegenüber 15 Rathäuser aus Städten der DDR, ua. das alte Rathaus in Leipzig – hier ausgewogene Ost-West-Anteile. Das Verhältnis ändert sich weiter, wenn wir das Heft „Museen und Bibliotheken“ aus dem Jahr 1959 durchblättern – da ist die BRD nur mit 5 Orten, darunter das „Deutsche Museum“ in München, vertreten, aber 12 Ortsbeispiele (darunter Orte mit mehreren Einzelobjekten) kommen aus der DDR, ua. mit der „Deutschen Bücherei“ Leipzig. Nehmen wir mit „Marktplätze“ (1965) noch ein Heft nach dem Mauerbau in die Hand, stellen wir fest, Beispiele aus dem Westen = 0 Objekte, Beispiele aus dem Osten = 45 Objekte, darunter die Marktplätze in Gotha, Hoyerswerda oder Wolgast! Ich denke, mit diesen von mir ausgewählten Zahlenbeispielen, wird klar, wie sich eine scheinbar harmlose Heftreihe in Anlehnung an die politische Entwicklung in den beiden deutschen Staaten gestaltet hat. Man kann aber auch sagen, eine Heftreihe, die über 10 Jahre angelegt ist, hat es schwer, das inhaltliche Konzept immer beizubehalten, wenn sich politische Verhältnisse in diesem Zeitraum verändern. Ein bißchen spiegelt sich dieser Trend auch in den Fachtexten wider, wo in den frühen Heften noch von der deutscher Heimat in beiden Staaten die Rede ist, spricht man nach 1961 dagegen nur von unserer sozialistischen Heimat.
Warum hatte ich eigentlich die Hefte aus dem Regal genommen? Ach ja, ich wollte entscheiden, ob ich mich davon trennen kann. Nein, ich werde die Hefte behalten, vielleicht gerade wegen der politischen Brisanz.

Dietrich Lohse

 

Buchvorstellung

Foto: H. Herzog

„Denn nach einem Schlag ist nichts mehr, wie es war“
Meine Freundin Janine kann es bestätigen. Vor langer Zeit träumten wir gemeinsam einen Traum. Wir träumten den Traum, irgendwann die Zeit zu finden, einen Roman zu schreiben.
12 Jahre ist das her. Und heute? Halte ich ihn in der Hand, meinen eigenen Roman, den Roman meines Lebens. Gut, der Grund für die Verwirklichung meines Traumes hätte ein weitaus erfreulicherer sein können. Doch vielleicht sollte ich mir eingestehen, dass ich ohne das furchtbar Erlebte, es heute nicht in den Händen halten würde. Mein Buch. Ganz unten, am Boden liegend schenkte es mir die Kraft, aufzustehen. Aufzustehen, um weiterzugehen, um weiterzuleben.
„Am Ende ist es ein Anfang“
Das Ende. Es nahte Punkt 6.04 Uhr an einem Donnerstag. Es war der 27. des Monats Oktober im Jahr 2016. Und plötzlich stand die Erde still. Das Leben hörte auf, sich wie Leben anzufühlen. In einem Moment voller Angst, Trauer, Dunkelheit, Kälte und gespürter Endlichkeit ließ er alles mit wahrer Liebe Erschaffene in unzählige Scherben zerspringen. Er, dieser fiese und hinterhältige Schlaganfall zerstörte plötzlich und unvorhersehbar. Mich. Heike Herzog.
Geboren wurde ich 1968 in Görlitz. Seit 1977 lebe ich in Radebeul, besuchte hier die Schule, studierte am Institut für Lehrerbildung, jobbte als freiberufliche Fitnesstrainerin, führte einen Laden auf der Bahnhofstraße, bekam binnen 15 Monaten auf wundervolle Art und Weise zwei mir zu jeder Zeit Hoffnung schenkende Töchter und arbeitete ab 2007 als Erzieherin in einem Kindergarten. Bis es geschah.
Achtzehn Monate nach dem zerstörenden Ereignis setzte ich hinter unzählige Buchstaben, die Wörter zu Sätzen werden ließen, einen allerletzten Punkt. Mag sein, dass ich in meinem Buch gegen mehrere Regeln des Schreibens verstoßen habe. Mag sein, dass sich viele meiner Aussagen widersprechen. Mag sein, dass eine erworbene Hirnschädigung mir in Form von Konzentrationsmangel sowie Störungen im motorischen Sprachzentrum Grenzen setzt. Mag alles sein. Doch es ist egal. Mir egal. Und es ist unwichtig. Für mich. Maßgeblich ist, dass mich all das zu Papier Gebrachte vor dem endgültigen Versinken rettete. Denn das Schreiben dieses Buches schenkte mir die Möglichkeit, mich endlich kennenzulernen. Ich fand Wurzeln, Gründe für das Geschehene, sah mich an Kreuzungen stehen, deren zielgerichtetes oder planloses Überqueren mein Leben entscheidend veränderte. Erst die Auseinandersetzung mit all dem Gewesenen ließ mich spüren, wie wenig es bedarf, Glück zu empfinden. Diese, meine Geschichte verlieh mir die Kraft, aus der Tiefe aufzutauchen.
Und nun bin ich hier, endlich auf dem Weg in ein, wenn auch anderes, aber trotzdem erfülltes Leben.

Heike Herzog
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Bis 20.7.2021 finden wöchentlich dienstags 19 Uhr Lesungen zu meinem Buch statt. Bei Interesse sowie zum Übersenden weiterer Informationen bitte ich um Kontaktaufnahme unter: herz.heike68@gmail.com

Die Mutter der Truppe

Gisela Kunick und das Pioniertheater

Gisela Kunick im Klubhaus „Heiterer Blick“ des VEB Druckmaschinenwerk PLANETA Radebeul Foto: Archiv Baum

Sie stand meist im Schatten ihres Mannes, aber vielen Radebeulern war sie dennoch bekannt. In der Neuauflage des Stadtlexikons wird sie nur erwähnt, dabei hatte Gisela Kunick (geb. Krebs) viele Jahre als Leiterin des Pioniertheaters hunderte von Radebeuler Kindern mit den Aufführungen des Ensembles nicht nur viele frohe Stunden bereitet, sondern auch unzähligen Mädchen und Jungen mittels des Theaterspielens die Wege in deren künftiges Leben geebnet. Gisela Kunick war lange Jahre die Leiterin des Pioniertheaters Radebeul. Unter ihrer Regie entstanden in den 1960er und 1970er Jahren Inszenierungen wie „Der kleine Hase Gernegroß“ von Sergej Michalkow, „Der Entschluß“ von Peter Döhnert oder „Hilfe, ich bin ein Kind“ von Juri Sotnik, eine Geschichte, die 1978 auch verfilmt wurde. Sotnik war ein bekannter Jugendbuchautor, dessen Werke häufig auch dramatisiert und viel von Amateurtheatern in der DDR gespielt wurden. Mehrere Aufführungen brachte das Pioniertheater in enger Zusammenarbeit mit dem Jugendtheater Radebeul heraus wie zum Beispiel 1969 „Timur und sein Trupp“ von Arkadi Gaidar oder 1971 „Die Jagd nach dem Stiefel“ von Hans Albert Pederzani. Das Stück handelt von einer Schlägerei im Jahr 1932 zwischen KPD- und SA-Männern, bei der ein KPD-Mann den Tod findet. Daraus entsteht ein spannender Kriminalfall mit falschen Verdächtigungen, der schließlich von eine Gruppe Kinder aufgeklärt werden kann.

Szene aus Der Entschluß von Peter Döhnert, 1977, mit Ines Andert (l.) Foto: Archiv Baum

Mitunter stand die 1926 Geborene auch selbst auf der Bühne, wie beispielsweise in Emil Rosenows Kater Lampe des Arbeitertheaters vom VEB Plattenwerk „Max Dietel“ Meißen oder in Peter Döhnerts Märchenstück Die Truhe vom Jugendtheater Radebeul des VEB Raschufa Radebeul. Auch später half sie gerne aus, wenn Not an der Frau war. So spielte sie beim Jugendtheater Planeta eine der Frauen von Theben in der großen Erfolgsinszenierung ihres Mannes Klaus Kunick „Antigone“ von Bertolt Brecht. Als Lehrerin Sonja Wladimirowna trat sie in Wladimir Tendrjakows „Die Nacht nach der Abschlußfeier“ auf und in dem Lesetheater „Die Aula“ nach Hermann Kant hatte sie die Sprechrolle der Figur Filter übernommen.

Szene aus Emil Rosenows Kater Lampe mit Gisela Krebs (l.) in der Rolle der Frau Seifert, 1965, gespielt vom Arbeitertheater des VEB Plattenwerk „Max Dietel“ Meißen Foto: Archiv Baum

Das Pioniertheater Radebeul war dem Haus der Jungen Pioniere „Walter Ulbricht“ angeschlossen, welches sich von 1950 bis 1989 auf der Straße der Jungen Pioniere, der heutigen Winzerstraße in einem Objekt befand, was vermutlich unter den Namen „Rosenhof“ bekannter ist. Gisela Kunick hatte mit dem Pionierhaus einen Vertrag abgeschlossen und so war eine kontinuierliche Theaterarbeit mit Kindern gewährleistet. Zahlreiche, der theaterspielenden Mädchen und Jungen wechselten später in das Jugendtheater des VEB Druckmaschinenwerk PLANETA über. Da sich die Räumlichkeiten des Pionierhauses nur bedingt für die Theaterarbeit eigneten, hatte die Einrichtung mit dem Klubhaus „Heiterer Blick“ des VEB Druckmaschinenwerkes PLANETA eine Vereinbarung über die Nutzung von deren Räumlichkeiten für gelegentliche Probenarbeiten und für Auftritte getroffen. Beide Ensembles, das Pioniertheater und das Jugendtheater, arbeiteten wiederholt zusammen und unterstützten sich gegenseitig. Gisela Kunick spielte dabei eine wesentliche Rolle und wirkte, unter anderem mit der Dresdner Dramaturgin und Übersetzerin Dr. Katharina Scheinflug, als die „gute Seele“ beider Theatergruppen.

Szene aus Der kleine Hase Gernegroß von Sergej Michalkow, 1970, Foto: B. Werner

Es war das Jahr 1993, als Gisela Kunick mit ihrem Mann Radebeul verließ und sich in Meersburg am Bodensee ansiedelte, wo sie noch 11 Jahre mit ihren Mann Klaus lebte, der 2004 schließlich in der neuen Heimat verstarb. Mit 91 Jahren zog sie ins Seniorenstift Meersburg ein und engagierte sich als Vorsitzende des Heimbeirates. Nach einem erfüllten Leben ist sie am 13. Mai 2021 im Alter von 95 Jahren dort friedlich verstorben.

Karl Uwe Baum

„Da steckt viel Herzblut drin.“

Ein Gespräch mit Herbert Graedtke als Rückblick und Vorschau

Worte und Blumen vor der Premiere Foto: B. Kazmirowski

Endlich, endlich wurde in Radebeul wieder Theater gespielt! Die neugeschaffene Interimsspielstätte der Landesbühnen im Lößnitzgrund war am 29. Mai ausverkauft, als sich an die 40 Akteure daran machten, „Winnetou I“ (Regie: Manuel Schöbel) zur Premiere zu verhelfen. Der Abend begann aber anders als es die Zuschauer erwartet hatten: Landesbühnenintendant Schöbel begrüßte im Beisein vom Radebeuler Oberbürgermeister Bert Wendsche besonders herzlich Herbert Graedtke. Dessen öffentliche Würdigung nahm ich zum Anlass, mit dem langjährigen Ensemblemitglied der Landesbühnen Sachsen über seine Beziehung zu Karl May und der Umsetzung seiner Stoffe auf der Felsenbühne Rathen ins Gespräch zu kommen.
Sie wurden vor der Premiere der Neuinszenierung von „Winnetou I“ von Landesbühnenintendant Manuel Schöbel vor dem Publikum für Ihre Verdienste als Akteur bei Karl-May-Inszenierungen gewürdigt. Welche Gefühle bewegten sie in diesem Moment?
Über die herzlichen Worte meines Intendanten und über den herrlichen Blumenstrauß, überreicht von meiner lieben Kollegin Christin Rettig, habe ich mich sehr gefreut – so wie über den Applaus der Anwesenden, die mit mir die Wiederaufführung von „Winnetou I“ genossen haben. Und wenn mir von der Bühne die vertrauten Kollegen aus ihrer Rolle heraus zuwinken, das wärmt natürlich mein Herz.
Als Sie 1984 die Rolle des Old Shatterhand übernahmen, war gerade die Karl-May-Renaissance in der DDR angebrochen. Welche Erinnerungen haben Sie an den „Schatz im Silbersee“, an diese allererste May-Inszenierung auf der Felsenbühne?
Ich muss daran denken, dass die Premiere beinahe ohne mich gelaufen wäre, weil ich meine rechte Hand beim Fangen eines Theatergewehrs schwer verletzt hatte. Nach einer schnellen OP spielte ich schließlich mit Binde – und alles mit Links. Eigentlich hat die Renaissance, wie Sie es nennen, mit dem Sternritt angefangen. Diese landesweite Veranstaltung mit dem Ziel der Landesbühnen brachte viel Aufmerksamkeit für indianische Themen und unsere Felsenbühne, wo sie aufgeführt wurden. Zu erleben, dass kleine und große Leute die Straßen säumten und ihre Freude daran hatten, dass „echte Menschen“ die Personen der Karl-May-Bücher lebendig machten, hat uns sehr beflügelt. Angefangen haben wir mit dreißig Pferden, zuletzt waren es an die dreihundert. Mit jeder neuen Inszenierung wuchsen die Besucherströme auf die Felsenbühne Rathen. Eine große Schar von Theaterleuten hat im Laufe der Jahre dazu beigetragen, dass Karl-May-Aufführungen hierzulande Kultstatus erlangt haben. Da steckt viel Herzblut drin und es hat das ganze Karl-May-Völkchen nah zusammengebracht.
Wie kam es, dass Sie nach drei erfolgreichen Spielzeiten als Old Shatterhand für die Produktion des „Winnetou“ 1987 die Regie übernahmen? Waren Sie der Rolle des tapferen Deutschen im Wilden Westen überdrüssig geworden?
Überdruss gibt für einen Schauspieler eigentlich nie. Man kann auch einen Shatterhand immer wieder anders sehen und interpretieren. Zur Glorifizierung der Figur war nicht die Zeit. Besetzungen wechseln, und das ist auch gut. Die große Verantwortung zu übernehmen, ein so großes Ensemble dann als Regisseur zu führen, macht auch viel Freude. Es geht darum, alle Beteiligten zur besten Wirkung zu bringen. Ich sage immer: Es gibt keine kleinen Rollen, es gibt nur kleine Schauspieler.
Zu den legendären Ereignissen rund um Ihr Engagement für Karl May und die Verbreitung von dessen Werk gehört sicherlich der 21. Juli 1988, als Sie DEN Winnetou-Darsteller, den auch in der DDR hochgeschätzten Pierre Brice nach Radebeul holten. Brachten Sie damit die örtlichen Funktionäre zum Schwitzen?
Weniger als um die Person Karl May geht es wohl um die Gedanken von Respekt und Anerkennung verschiedener Kulturen, die er formuliert hat und die es zu verbreiten gilt. Das verbindet die vielen Darstellerinnen und Darsteller der gesamten Karl-May-Szene, und darin war ich mir mit Pierre Brice und auch mit Gojko Mitic immer einig. Ich habe Pierre nicht lange bitten müssen, er ist sehr gerne von Bad Segeberg zu uns gekommen. Dass die Verantwortlichen damals bei seinem Besuch in Radebeul und Rathen ins Schwitzen kamen, war zu erwarten. So waren dann einige Plätze in den ersten Reihen von Trenchcoatträgern mit sehr ernsten Gesichtern besetzt und ich bekam die Anweisung, keine Interviews zu geben. Aber all das blieb für das Publikum verborgen. Es war ein wunderschöner Nachmittag mit einer Friedenskette auf der Bühne, mit enthusiasmierten Menschen, die ihre Begeisterung sicherlich weitergetragen haben.
Auf welche Weise gelang es Ihnen, den Kontakt zu Pierre Brice zu halten? Schließlich kam Ihr französischer Kollege ja 2011 zu den Karl-May-Festtagen als Schirmherr zurück …

Seit 1989 war es möglich, telefonisch Kontakt zu halten. Pierre hat mich zu Premieren eingeladen, einmal konnten wir eine Busfahrt mit dem Schauspielensemble nach Bad Segeberg organisieren. Schauspieler beobachten sich aber auch aus der Ferne sehr aufmerksam. So kommt es, dass sie dann, wenn sie sich tatsächlich begegnen, eine große Verbundenheit verspüren können. Pierre Brice war besonders warmherzig und achtungsvoll seinen Berufskollegen gegenüber. Mit Lex Barker verband ihn eine innige Freundschaft und er erzählte uns, wie schmerzlich er ihn vermisste. Ich habe ihn als aufmerksamen Gesprächspartner geschätzt und ihn sehr gern gehabt. Es war gut zu wissen, dass er mit Hella eine so fürsorgliche, liebevolle Frau an seiner Seite hatte.
Sie haben einen Papagei, den Sie auf den Namen „Gojko“ getauft haben. Ein Name, der Ihnen viel bedeutet?
Gojko der Papagei lebt bei uns und spricht seinen Namen aus – weil wir ihn so nennen. Leider hat der echte Gojko ihn noch nie auf die Hand nehmen können. Die Zeit ist ja immer total ausgeplant, wenn er hier ist. Aber wir haben uns gesehen, konnten über vieles reden, und es war sehr schön, mit ihm durch den Lößnitzgrund zu reiten. Gojko Miti? ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Verbundenheit in der Szene gepflegt wird: Er hat der Spielgemeinschaft in Bischofswerda seinen Namen gegeben. Dort gibt es nun Deutschlands kleinste Karl-May-Spiele mit den jüngsten Darstellern auf einer Waldbühne und er kümmert sich um sie. Gojko hat dieser Tage einen runden Geburtstag – ich möchte ihm von hier aus ganz herzlich gratulieren!
Sie gehörten Anfang der 1990er Jahre zu den Initiatoren der Radebeuler Karl-May-Festtage, die nun bereits das zweite Jahr in Folge pandemiebedingt nicht stattfinden konnten. Wie optimistisch sind sie, dass ab nächstem Jahr der Funke wieder zündet und die Besucher wie gewohnt strömen?
Ich bin sehr optimistisch, dass wir – angepasst an die jeweiligen Bedingungen – immer wieder neue Formen einer lebendigen Kultur im Sinne von Karl May zelebrieren können. Die Landesbühnen sind da sehr erfinderisch, wie die neue Aufführungsserie im Lößnitzgrund beweist. Und die Funken sind in den Herzen der Theaterleute wie der Zuschauenden. Da kann es auch mal kalt und nass sein, das hält niemanden auf.

Lassen Sie uns zum Schluss noch über etwas anderes sprechen. Sie sind seit 2006 Kunstpreisträger der Stadt Radebeul und waren auch kommunalpolitisch für die SPD als Stadtrat aktiv. Wie blicken Sie heute auf Radebeul und die Entwicklung, die es genommen hat? Sind Sie zufrieden?
Es gibt hier zahlreiche gute Initiativen und Anstrengungen, reichhaltige Kultur und Kunst. Jedoch muss ich beobachten, dass viele Mühen, gesellschaftlichen Fortschritt zu erreichen, vergeblich bleiben. Weil unter dem Mantel des Konservatismus Unzufriedene schädliches Gedankengut aufrufen, verbreiten und leider zu viele das dulden. Damit kann ich nicht zufrieden sein. Ich wünsche inständig, dass weniger getäuscht und mehr wirklich aufeinander eingegangen wird. Das würde die Arbeit im Stadtrat zu einer erfüllenden Tätigkeit machen.
Im Dezember vollenden Sie Ihr achtes Lebensjahrzehnt. Welche Wünsche haben Sie, was würden Sie gern noch erleben?
Dass die Welt gerechter und friedvoller wird – und dass wir in Radebeul damit anfangen!
Vielen Dank und alles Gute!

Bertram Kazmirowski

Erfüllte Zeit

Autobiografische Betrachtungen von Gert Claußnitzer

Wer sich hierzulande vor dem Zusammenbruch der DDR, wenn auch nur am Rande für bildende Kunst interessierte, der hatte damit zwangsläufig mindestens eines der Bücher aus dem VEB Verlag der Kunst Dresden im Regal stehen. Wer nun denkt, dass es sich bei diesen nur um Ersatzstoffe handelte, mit denen man sich in Ermangelung der Erzeugnisse von Dumont, Prestel und Hirmer zufriedengeben musste, der täuscht sich sehr. Denn in Dresden erschienen mit den durch den künstlerischen und technischen Leiter des Verlags, Horst Schuster (1930-2013), großzügig ausgestatteten Bildbänden beispielsweise zu Matthias Grünewald, Hieronymus Bosch und Jörg Ratgeb, einige Klassiker der Kunstgeschichte, deren fremdsprachige Ausgaben auch im Ausland ihre Leser fanden. In der fundus-Reihe, die noch heute bei Philo Fine Arts fortgeführt wird, erscheinen seit 1959 Abhandlungen zur Kulturtheorie. Vom exklusiven Handpressendruck der eikon-Presse bis zu den Volksausgaben der Reihe „Welt der Kunst“ beackerte der Verlag innerhalb der Mangelwirtschaft der DDR ein weites Feld. Lang bevor Taschen und Könnemann ihre preisgünstigen Reihen auf den Markt brachten, machten die Dresdner unter dem Titel „Maler & Werk“ ebenso anschauliche wie informative Hefte für Jedermann. (Seit kurzem zeigt eine nahezu vollständige Liste der erschienenen Titel in der Netz-Enzyklopädie Wikipedia die erstaunliche Spannweite dieses Programms.) Im Unterschied zu den vorgenannten Verlagen kam dabei auch das Werk zeitgenössischer Künstler in Betracht, die nicht der Generallinie entsprachen und denen auf diese Weise erst Geltung verschafft wurde. In einem geschickten Abwägen von soliden Prestigeprojekten gegen gewagte Experimente, gelang es den Verantwortlichen im Verlagshaus in Striesen einiges gegen und mit der Kulturbürokratie durchzusetzen, was heute auf dem angeblich freien Markt undenkbar wäre. So beschreibt der letzte Kulturminister der DDR, Herbert Schirmer, in seinem Vorwort zu Gert Claußnitzers soeben erschienenen Erinnerungsband „Gesichter und Zeiten“, wie die Lektoren des Verlags in den siebziger Jahren eine kritische Betrachtung zur Kunst des Nationalsozialismus ins Auge fassten, die sich allerdings nie realisieren ließ. (Noch heute sind wir da nicht viel weiter gekommen, einmal von den spärlichen Versuchen Bazon Brocks in den 90er Jahren abgesehen.)

Zur Paradoxie der DDR gehörte es, dass kaum glaubliche Abweichungen toleriert wurden, während Bagatellen zu Fallstricken werden konnten. So geschehen, als nach dem Prager Frühling der Cheflektor Ehrhard Frommhold abgesetzt und von seiner Partei gemaßregelt wurde. Der 1. Sekretär der Bezirksleitung Dresden, ZK-Mitglied Werner Krolikowski, beliebte damals vom „Krebsgeschwür Verlag der Kunst“ zu reden, welches ausgebrannt werden müsse. Was den Betonköpfen damals nicht gelungen ist, dass erledigte sich zwanzig Jahre später wie von selbst. Die Freiheit war gewonnen, wie der Einfluss verronnen. Immerhin existiert der Verlag noch als Imprint der Husum-Gruppe. Von den wichtigen Protagonisten der großen Zeit sind unterdessen fast alle verstorben; Cheflektor Erhard Frommhold im Jahr 2007, im Jahr darauf der Chefredakteur der Bildabteilung und Initiator der eikon-Presse Rudolf Mayer und 2013 der künstlerische und technische Leiter Horst Schuster.

Gert Claußnitzer war als Lektor von 1959 und bis 1991 dabei. Er gab 1961 als 26jähriger seinen Einstand mit einem grafischen Bändchen der Zwinger-Bücher über den Dresdner Expressionisten Peter August Böckstiegel. Als er sein Kunstgeschichtsstudium in Leipzig beendet hatte, musste er zunächst die Wahl treffen zwischen einem Engagement als Schauspieler am Theater Putbus und der Anstellung im Verlag der Kunst. Zwei Fotos von 1958 zeigen ihn in einer Aufführung von Georg Büchners „Leonce und Lena“ durch die Germanistenbühne der Uni.

Das Buch ist ein Dokument aus einer fernen Zeit, die ganz anders war als heute, wo sich einander völlig unbekannte Kulturvolontäre mit einer projektbezogenen Innigkeit herzen, die sich nach getaner Arbeit so total auflöst, dass man sich schon ein halbes Jahr nach dem letzten Rechenschaftsbericht einander wieder neu vorstellen lassen muss. Claußnitzers zugewandte Art versicherte ihn der lebenslangen Freundschaft der vom ihm geschätzten Künstler und Autoren. Auf diese Weise blieb er mit der Künstlerwitwe Hanna Böckstiegel ebenso verbunden wie mit Curt Querner, über den er 1979 in der Reihe „Welt der Kunst“ die erste Monografie veröffentlichte, dem Wiener Maler Georg Eisler, Sohn des Komponisten Hanns Eisler, sowie dem 1904 geborenen jugoslawischen Schriftsteller Oto Bihalji-Merin, der in den frühen 30er Jahren einer der Redakteure der Zeitschrift des Bundes der proletarisch-revolutionären Schriftsteller „Die Linkskurve“ war und den Claußnitzer als „väterlichen Freund“ bezeichnet. In dem schönen Bildband tritt die Person des Autors einen Schritt hinter die Künstler und Kollegen zurück und gerade durch diese innere Vornehmheit wird das Naturell Gert Claußnitzers umso deutlicher sichtbar. Er sucht und findet in seinem Gegenüber die Resonanz für die eigene musische Konditionierung. Kunst ist für ihn kein Thema sondern eine notwendige Bedingung seines Daseins. Im privaten Gespräch beklagt er zuweilen und sehr zu Recht die hektische Unverbindlichkeit, die sich nach 1989 hierzulande in Künstlerkreisen verbreitete. Dem Buch hält er solche Misstöne fern. „Erfüllte Zeit. Die Rätsel meines Lebens“ ist das erste Kapitel überschrieben. Die Familie des 1935 in Dortmund geborenen verschlägt es von 1936-1939 nach Schwarzenberg im Erzgebirge. Die daran anschließenden vier Jahre werden in Radebeul verbracht. Dann leben die Claußnitzers bis zur Ausweisung im Jahr 1946 in Hadersdorf-Weidlingen im Wienerwald, der Naturheimat der Kindertage, in die es ihn bis heute immer wieder zieht. Nach einem schwäbischen Intermezzo wird ab 1949 abermals Radebeul zur Heimat. Sie wohnen auf der Wichernstraße. Zu den Schulkameraden im Luisenstift zählen Claus Weidensdorfer und der Bruder des Komponisten Siegfried Kurz. Im Mittelpunkt des Erinnerungsbandes stehen die Freundschaften und Begegnungen mit Künstlern und Autoren. Erstaunlich, wie wenig langweilig solche Erinnerungen auch ohne despektierlichen Tratsch zu lesen sind. Neben Betrachtungen über die Klassiker der Moderne wie Munch, Picasso, Rodin, Soutine, Klimt und Schiele finden sich hierzulande weniger bekannte Künstler aus Kroatien (Hegeduši?), Serbien (Raši?), Ungarn (Derkovits, Kunt), Bulgarien (Bojadshiew, Sachariew) Weißrussen (Bjalynitzki-Birulja, Kupala, Saborow). Die Autorenfreunde komplettieren eine marginalisierte osteuropäische Internationale der Kunstwissenschaft mit dem vorgenannten Bihalji-Merin, dem Slowaken Tomaš Štraus und den Russen Michail W. Alpatow, Dmitri Lichatschow und Wiktor N. Lasarew. Selbstverständlich sind die Dresdner Maler Querner, Tröger, Jüchser, Fraaß und Rudolph vertreten und die Radebeuler beinahe überdurchschnittlich mit Claus Weidensdorfer, Bärbel Kuntsche, Werner Wittig und Fred Walther. Die großzügige Typografie und vielen farbigen Reproduktionen machen dem Verlag der Kunst alle Ehre.

Sebastian Hennig

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Gert Claußnitzer: Gesichter und Zeiten. Autobiografische Betrachtungen eines Lektors aus dem Verlag der Kunst Dresden, Hrsg. von Thomas Walther, 224 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen, gebunden, Verlag der Kunst Dresden 2021, ISBN 978-3-86530-263-2, Euro 34,95

Künstlerfest zur Ausstellung “Zwischen den Well(lt)en” am 12. Juni 2021

Foto: Kulturamt Radebeul

Die „Elbhangzombies“ rockten die Stadtgalerie
Zur Finissage der Ausstellung “Zwischen den Well(lt)en”

Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Deshalb wurden das traditionelle multimediale Sommerprojekt in diesem Jahr auf Anfang Mai und das Künstlerfest in den Juni vorverlegt. Die Ausstellung „Altkötzschenbroda im Aufbruch“ in der Heimatstube konnte ebenfalls erst am 12. Juni ihre Pforten öffnen und wurde sofort rege besucht.
Die Ausstellung mit 56 Künstlerinnen und Künstlern mit Malerei, Grafik, Fotografie, Karikatur, Plastik, Keramiken und Objekten war leider nur zeitweise im Original zu besichtigen.
Nach einem ordentlichen Regenguss, den die Technik, geschützt von Sonnenschirmen vor der Bühne überlebte, fand am 12. Juni, 19.30 Uhr die Finissage mit einer Rede von Oberbürgermeister Bert Wendsche und einer nachdenklichen aber auch launischen Laudatio von Thomas Gerlach statt. Die Vorschriften verlangten noch nach einem negativen Corona-Test, was wohl doch einige Menschen von einem Besuch abhielt.
Um 20 Uhr begann mit der Vorstellung der „Untoten vom Elbhang“ das Konzert. Die „Elbhangzombies“ verkörpern mehr oder weniger prominente Figuren, die auf den rechtselbischen Dresdner Weinbergen, in vergangenen Zeiten lebten. Einige Musiker sind in Radebeul keine Unbekannten. Wolf Dieter Gööck, Prinz Albrecht von Preußen, lebt in der Lößnitz und hat hier die „Serkowitzer Volksoper“ gegründet. Robby Langer, Karl August Lingner, ist als Darsteller des Karl May im gleichnamigen Museum und zu den Karl-May Festtagen oft zu erleben und Dieter Beckert, 7. Earl of Findlater, ist ein altbekannter Gast in der Stadtgalerie. Auch Max Lorenz, Jungpionier Max, und Robert Jentzsch, Heinsius von Mayenburg hatten mit den Zombies schon ihren Auftritt zur 700jahrfeier von Serkowitz. Sie besingen auf Melodien der Beatles, Gary Glitter oder Lee Marvin und vielen anderen Musikern den Apfel, den Whisky, die Mutti und das Mundwasser. Hochphilosophische Kommentare und ebensolche Gewinnspiele flochten die Vollblutmusiker und Komiker gekonnt in das Programm ein. Das Publikum lernte viel Nützliches aus der Geschichte und für das Leben und amüsierte sich köstlich.

Alexander Lange

Laudatio zur Ausstellung Zwischen den Well(lt)en in der Radebeuler Stadtgalerie

Die Ausstellung setzt die Tradition der jährlichen Gemeinschaftsausstellungen so erfolgreich fort, wie eine überwiegend geschlossene Galerie sie nur fortsetzen kann. In ihrem Titel aber schwingt mehr mit, als nur das Drama der letzten beiden Jahre. Auch wenn wir hier im schönen Sachsenland dazu neigen, uns um uns selbst zu drehen, steckt in den drei Eingangsworten allerhand Universales.
Mir trat zuerst der Ozean vor Augen, ein klippiges Ufer voller Fels und Gischt, wo ein harmloser Badespaß recht schnell in eine Katastrophe münden kann:
Vielleicht hast du ja zwischen den Wellen eine letzte Gelegenheit, dich aufzurichten, dir das Wasser aus den Augen zu wischen, Luft zu holen und ein paar Schritte in Richtung Rettung zu tun, bevor die nächste Welle dich erfaßt und mit sich fortträgt – ein Alptraum. In der Sinkbar hier schräg gegenüber säße es sich – so es erlaubt wäre – jedenfalls wesentlich komfortabler und sicherer, als zwischen den Wellen eines möglicherweise erzürnten Mittelmeeres. Der göttliche Dulder Odysseus hat das vor dreitausend Jahren durchlitten, wie es heute die ungezählten Migranten durchleiden, die sich einem Meere anvertrauen, das sich seit dem Fall Trojas eben gerade nicht als vertrauenswürdig erwiesen hat.
Für sie ist das Wasser zugleich die Grenze zwischen den Welten, der Welt des Elends und des Mangels auf der einen und der Welt der Schönen und Reichen auf der anderen Seite. Die es wagen, die Grenze zu überwinden, werden als Wirtschaftsflüchtlinge kriminalisiert und abgewiesen. Hunger gilt nicht. Die Götter, die zu Zeiten des Euripides die Hilfsflehenden schützten, gibt’s nicht mehr.
Die Mauer, die bis vor reichlich dreißig Jahren die östliche von der westlichen Welt trennte, ist seinerzeit von der Flüchtlingswelle fortgespült worden. Es ging um D-Mark und Bananen, und am Ende war kurzzeitig großer Jubel.
Ich weiß, ich weiß – ganz so einfach wars nicht. Doch immer, wenn ich heute mit dem Urteil negativ aus der Apotheke komme, erinnere ich mich, daß ich das schon vor fünfunddreißig Jahren hörte. Damals stand noch das Wort feindlich davor und gemahnte mich zur Vorsicht, heute legitimiert es mich, in der Öffentlichkeit ein Bier zu trinken.
Denn hier und heute bewegen uns ganz andere Well(lt)en.
Das Wellenrauschen kommt aus dem Blätterwald der Statistiker. Die Wellen selbst sind kaum sicht- aber spürbar, und wen´s erwischt, der kann, wie im Mittelmeer, auf der Strecke bleiben.
Die Welten aber – es sind deutlich mehr als zwei – sind streng von einander geschieden. Die Mauern gehen quer durch Freundes- und Familienkreise, wenn Kreuz- und Querdenker aufeinandertreffen. Militante Impfgegner, die Brandsätze auf Impfzentren werfen, gehen dabei leichtfertiger mit dem Leben anderer um als diejenigen, die mehr oder weniger helfende Substanzen mit besten Absichten in fremde Körper spritzen. Die Mauern, an denen sich Eheleute die Köpfe blutig schlagen, stehen unverrückbarer denn je, und keiner weiß, wie wir aus dem Labyrinth herausfinden, bevor Richard von Gigantikow es anzündet. Die Frage, Frau Fischer, Frau Fischer, wie tief ist das Wasser, wie kommen wir herüber, kann nicht einmal mehr die Pfarrerin beantworten.

Die Virale Spirale, von Enrico Scotta vielfarbig in Bewegung gebracht, hat uns alle erfaßt. Es ist dabei nicht nur der Selbstbetrug durch Gold und Gloria, der die Menschheit als verabscheuungswürdig erscheinen läßt, es ist unser aller Umgang mit der Schöpfung, das mangelnde Bewußtsein für die Verletzbarkeit des Wunderplaneten Erde, der die Bäume wachsen und die Vögel singen läßt. Die wenigen Vögel, die uns geblieben sind, dürfen zwar noch öffentlich auftreten – allerdings auch (in diesem Fall zum Glück) meist nur open air. Es gibt inzwischen so wenige davon, daß Irene Wieland für ihr Keramikobjekt eigens einen Tonkünstler engagiert hat.
Schließlich ist es die Art des Umgangs miteinander die uns als Spezies unausstehlich macht. Bereits Mark Twain hatte angemerkt, daß es gar nicht nötig sei, die Feinde zu lieben, solange wir nicht in der Lage sind, unsere Freunde anständig zu behandeln. Freilich wird es heute – siehe oben – immer schwieriger, die einen von den anderen zu unterscheiden. Und wenn dann auch noch zwischen den Wellen die Goldenen Haufen auftauchen, auf die der Teufel scheißt, wird’s ganz komisch: Irgendeiner verdient immer am Elend anderer. Das Sprichwort, Geld stinkt nicht, gehört zu den größten Irrtümern der letzten zweitausend Jahre, wenn es sich nicht gar um eine der ungezählten kaiserlichen Lügen handelt.

Der Labyrinthiker Reinhard Zabka führt eindrücklich vor Augen, daß schon eine rostige Schrotsäge genügt, in Tateinheit mit einem kleinen Elektromotor Wellen zu erzeugen: Leben ist Bewegung: pantha rhei – womit wir wieder am Wasser wären.
Daher zeigt auch David Adams Video – das einzige der Ausstellung – daß die Lösung immer Teil des Problems ist. Das könnte manches vereinfachen, wenns nicht so kompliziert wäre.

Im Grunde hat sich ja gar nicht viel geändert. Wie schon vor vierzig Jahren kann oder muß Detlef Reinemer feststellen, Einer von denen ist immer dabei. Nur die Farben waren andere.
Daß aber Grenzen tatsächlich nur in der Vorstellung kleingeistiger Nationalisten existieren, zeigt der Saharasand, den Sophia und Franziska Hoffmann aufs Papier radiert haben. Winde wehen wo sie wollen. Der im Februar uns alle so faszinierende Staub führte freilich auch eine Erinnerung an die Kernwaffenversuche mit sich, die die Franzosen vor knapp siebzig Jahren zur Vorbereitung friedensstiftender Maßnahmen durchführten. Die alte Erde vergißt nichts, schon gar nicht die menschliche Maßlosigkeit, die Ulrike Kunze mit ihrem Objekt Aufbruch köstlich böse illustriert.

Natürlich ist die Versuchung groß, zu allen Bildern und Objekten der sechsundfünfzig beteiligten Künstlerinnen und Künstler einen Kommentar abzugeben. Die wenigen Hinweise aber mögen genügen. Sie sollen anregen, selbst zu sehen und selbst zu denken.
Immerhin darf ich vielleicht noch konstatieren, daß es auch hier wie überall die Stillen sind, die mit unerschütterlichem Optimismus die Welt am Ende vielleicht doch noch retten. Sie stellen, wie Christiane Herrmann, einfach Blumen in eine Vase, sie können, wie Gabriele Kreibich, an keiner Blumenwiese vorüber gehen, ohne ein Bild zu malen, sie bemerken, wie Silvia Ibach, schlicht, der Frühling kommt doch, oder sie setzen, wie Michael Hofmann einen von bunten Vögeln umschwirrten Träumer ins Bild, weil sie selbst gern träumen.

Sie alle miteinander aber, die Warner, die Zyniker, die Propheten, die Verzweifelten und die Hoffenden haben unter der Regie von Alexander Lange und Magdalena Piper ein Gesamtkunstwerk geschaffen, eine vielstimmige Komposition auf das Leben und für das Leben, auf daß wir, wer weiß, am Ende vielleicht doch noch herausfinden aus dem Irrgarten. Viel Zeit bleibt nicht mehr, die Zündschnur glimmt schon. Das Labyrinth sind wir.
Seht bitte selbst!
Thomas Gerlach, Mai/Juni 2021

Der Radebeuler NOTschriften Verlag feiert sein 25. Jubiläum

Foto: J. Kuhbandner

Verleger Jens Kuhbandner kann es wohl selbst kaum fassen. Sein „NOTschriften Verlag“ feiert dieser Tage seinen 25. Geburtstag. Die Jahre sind ins Land gegangen, doch von seinem langen Haar mit Zopf kann sich der Verlagsinhaber, vielleicht auch in Reminizenz an ungestüme Jugendtage, bis heute nicht trennen.
Die Urspünge zur Verlagsidee gehen tief in die Wendezeit zurück. Aufkeimende, bislang ungeahnte Möglichkeiten schufen nun sprichwörtlich Raum für kreative Findungsprozesse. Die Keimzelle für das Kulturengagement des Literaturbegeisterten war im 1992 gegründeten „Jugend-Kultur-Treff Noteingang“ (etwas später gleichnamiger Verein mit u.a. Jens Kuhbandner und Falk Wenzel als Gründungsmitglieder) im Lutherhaus der Friedenskirche zu finden: „Wir linderten die Not mit kleinen Konzerten, Kleinkunst, Filmvorführungen, Ausstellungen und Lesungen. In unserem Monatsprogramm spielten wir bei der Ankündigung mit dem Namen NOT. „NOTArt“, „zur NOT auch Musik“ … Die Lesungen kündigten wir immer mit dem Slogan „NOTschriften präsentiert …“ an.“ Eigene Texte entstanden: Krimis, utopische Erzählungen, viele Fragmente. Es häuften sich schreibmaschinengetippte Stapel in Klemmheftern. 1995 erschienen eigene Gedichte mit Grafitti-Zeichnungen von Edgar Kupfer in einer handkopierten Broschüre, die bereits mit „NOTschriften“ untertitelt war. 1996 dann die ersten gedruckten Bücher in Wellpappe gebunden: Edward Güldner „Lyrik“ und Jens Kuhbandner „Traum“. Sie wurden am 22. September im „Noteingang“ mit einer Auflage von 30 handkopierten Stück öffentlich präsentiert. Der Gedanke eines eigenen Verlages ließ Kuhbandner seither nicht mehr los.
„Wir haben den Verlag damals begründet, um für die da zu sein, die Not haben, ihre Texte zu veröffentlichen! Das sehen wir mittlerweile nicht mehr so dramatisch, vielmehr fühlen wir uns jenen Themen und Manuskripten verantwortlich, an die sich „Große Verlage“ nicht wagen.“
Die Erstauflagen mussten bald neu aufgelegt werden und bisher erschienenen Bücher bekamen eine ISBN-Nummer, womit der Verlag „Notschriften“ mit Sitz auf der Gartenstraße und später im Lutherhaus offiziell gelistet wurde. Durch die Bekanntschaft mit „DEKAdance“-Chef Bert Stephan (verschiedene Auftritte im „Noteingang“ mit seinen Nebenbands „Aufruhr in der Savanne“, „Die Rockys“, „Olaf Schubert“) erfolgte 1998 die Veröffentlichung seines Buches „Der Tisch der Frauen“ in einer Auflage von 2000 Exemplaren. Von nun an war der Verlag schlagartig regional und überregional bekannt.
Zum Verlagsprogramm gehören heute Bildbände über Radebeul und Meißen, Reiseberichte, Lyrikbände, Hörspiele, Essays, Kindheitserinnerungen und gelegentlich auch Romane.
Eine Verlagsgeschichte ist nicht zuletzt von glücklichen Fügungen und Begegnungen abhängig, von Katastrophen wie Fehldrucke oder verheerenden Verkaufsflops gar zu schweigen. Aber die Erfolge wiederholten sich: 1999 erschien der Anekdoten-Band „… einfach absurd!“ von Wolfgang Dehler und führte ebenso zum überregionalen Erfolg. Im Herbst 2001 erfolgte der erste Bildband über Radebeul in einer Auflage von 5000 Exemplaren. 2004 war der Verlag zum ersten Mal mit einem eigenen Stand auf der Leipziger Buchmesse und 2016 auf der Frankfurter Buchmesse am Gemeinschaftsstand „Sachsen“ vertreten.
2005 erschien ein Sammelband von Hanns Cibulka. 2009 wird der langjährige Notschriften-Autor Thomas Gerlach Kunstpreisträger der Stadt Radebeul. 2010 überregionaler Erfolg der Bücher „Transit – Illegal durch die Weiten der Sowjetunion“ und Tommy Lehmann „Allein auf der Elbe – Tausend Kilometer im Faltboot“ – zahlreiche Zeitungen, Radio- und Fernsehsendungen in ganz Deutschland berichten darüber. Es folgen bis heute weitere zahlreiche Bücher mit insgesamt 315 Publikationen.
Für sein kulturelles Engagement wird der Verleger 2018 schließlich selbst mit dem Kunstpreis der Stadt Radebeul geehrt.
Seit über zwei Jahren ist der NOTschriften Verlag mit eigenem Laden in der Bahnhofstr. 19a zu finden. Ein Besuch zum Stöbern und Fachsimpeln lohnt sich!

Sascha Graedtke
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Öffnungszeiten: Mo-Fr 11-18, Sa 10-12 Uhr

Jubiläumsfeier am 4.7., 11-19 Uhr im Hof der Stadtgalerie, Altkötzschenbroda 21 (siehe Kulturtermine)

 

 

 

 

 

 

 

Editorial 7-21

Aus gegebenem Anlass möchten wir einem Menschen Danke sagen, der in nicht unerheblicher Weise mit unserem Heft und insbesondere mit dem Redakteur im Jahreskreis über viele Jahre in enger Verbindung stand.
Frau Dr. Petra Grubitzsch verabschiedete sich dieser Tage nach fast einem Vierteljahrhundert als Pressereferentin der Landesbühnen Sachsen in den wohlverdienten Ruhestand.
Mein E-Mail Postfach war wegen Nachrichten aus ihrer Hand – Termine, Premierenankündigungen oder kurzfristige Planänderungen – stets gut gefüllt. Schließlich galten ihre Angaben vor Drucklegung als verlässliche Quelle der bei uns allmonatlich zusammengestellten Veranstaltungstermine.
Reizvoller war hingegen, dass sie in ihrer Position Vertreter der regionalen Presse zu Premieren einlud und so auch unserer Redaktion ein Kontingent zukommen ließ.
So kam es in dieser langen Zeit zu zahllosen persönlichen Begegnungen am Premierenabend. In der Rückschau nun legendär ihr kleiner Stehtisch im Foyer, wo wohlgeordnet die Karten und Programmhefte auf Abholung warteten. Immer verbunden mit einem netten Plausch und dem „Knistern in der Luft“, das sich traditionell vor der Erstpräsentation eines Stückes vor Publikum breit macht.
Der Premierenbesuch von Teilen der Redaktion war jedoch nicht nur Amüsement und Selbstzweck, sondern mündete in unzähligen Rezensionen und ist so zu einem beachtlichen Spiegel und Fundus von kritischer Auseinandersetzung sowie Werbung für das stadteigene Theater geworden.
Liebe Petra, im Namen der Redaktion möchten wir Dir hier nochmals für Dein Engagement und Deine Zusammenarbeit herzlich danken!
Wir wünschen Dir eine nun von Termindrücken befreite Zeit, bei der Dir das Theater und die „Vorschau“ hoffentlich nicht verlorengehen werden.

Sascha Graedtke

Theater leben mit und hinter den Masken

Über ein Gespräch mit dem Intendanten der Landesbühnen Sachsen


Intendant Manuel Schöbel empfängt mich spätnachmittags in seinem großen Büro, er hat eine Stunde Zeit, anschließend möchte er zu einer Ballettprobe. Ein wenig muss ich warten, er beendet gerade noch ein Gespräch. Später wird er einen Anruf erhalten und mal eben schnell etwas zur gastronomischen Versorgung für die Schauspieler in der Zeltspielstätte Rathen klären. Auf dem Weg zu seinem Büro war mir Stefan Wiel, Ausstattungsleiter an den Landesbühnen, begegnet; ein Mitarbeiter der Beleuchtung hatte gerade seine Pause beendet und mir einen Gruß zugeworfen, bevor er wieder hinter einer Tür verschwand; von irgendwoher höre ich auch Musik, jemand singt. Das Haus verströmt also Geschäftigkeit und Lebendigkeit durch die Masken hindurch, die natürlich auch hier jeder trägt. So ganz ungewöhnlich ist es ja – Pandemie hin oder her – nicht, dass man in einem Theater Masken trägt. „Ein Maskenball“ lautet eine Verdi-Oper. Romeo sieht Julia erstmals anlässlich eines Maskenballs. Und nicht zuletzt nennt sich ja eine ganze Abteilung im Theater „Maske“. Man könnte also sagen: Theaterleute wissen mit Masken, mit Maskerade, auch mit Demaskierungen umzugehen – und wissen sie zu nutzen, aber eben auch auszuhalten. Wer schon einmal „in der Maske“ war, weiß, dass das nicht immer angenehm ist. Vielleicht, so wird mir nach dem Gespräch mit Manuel Schöbel bewusst, ist die Maske tatsächlich eine passende Metapher für das Leben, das sich in der letzten Zeit im Inneren der Landesbühnen Sachsen stetig geregt hat. Denn ebenso wie unser aller Minenspiel trotz Maske auf ganz natürliche Weise weiterfunktioniert hat – auch wenn das Lächeln hinter der Maske verborgen bleibt – so ist auch der Theaterbetrieb weitergegangen und hat sich unablässig entfaltet – wartend auf den Moment, da man wieder Gesicht zeigen kann.

„Wir sind Spieler“, sagt Manuel Schöbel auf meine Frage, wie es ihm und seinem Ensemble in dieser für alle mehr oder weniger belastenden Zeit geht. Was er damit sagen will: Alle Akteure können ihrer Arbeit nachgehen, ihre Stimmen geschmeidig halten, ihre Körper trainieren, Inszenierungen einstudieren, Abläufe proben. „Wir sind uns dessen bewusst, dass es ein ungeheures Glück ist, trotz allem hier sein zu können. Das wirkliche Drama unserer Zeit spielt sich woanders ab, nicht in unserem Haus. Die Pandemie ist eine globale Gefährdung.“ Aber fehlen nicht die Zuschauer, die Arbeit auf der Bühne im Rampenlicht, der unmittelbare Austausch mit dem Publikum? Natürlich fehle all das, bestätigt der Intendant, aber an die Stelle des regulären Spielbetriebes ist nicht nur die Entwicklung alternativer Formate getreten wie bspw. setup.school (ein interaktives Klassenzimmerstück), Streaming-Angebote oder auch die Hörbühne, eine Mischung aus Hörspiel und Theater. Sondern auch die Pflege der Partnerschaft zu Spielstätten in der Provinz: „Wir haben in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, wie herzlich wir mancherorts aufgenommen wurden. In Kirchen, Schlössern, Parks. Manches Mal wurden wir mit Blumen begrüßt oder in einer Probenpause mit frisch gebackenem Kuchen überrascht. Das schuf eine Beziehung zwischen uns und den Menschen dort. Deshalb haben in den letzten Wochen 12 Schauspielerinnen und Schauspieler unter dem Titel FANPOST RETOUR Briefe an diese Orte geschrieben und einmal darüber nachgedacht, warum diese Orte wichtig für sie geworden sind, welche Erlebnisse sie damit verbinden. Dazu wären wir im Normalbetrieb sicherlich nicht gekommen.“ Interessant ist für mich in diesem Zusammenhang, wie Schöbel die unterschiedlichen Zuschauergruppen beschreibt. In Radebeul gäbe es ein dem Haus sehr verbundenes, kritisches Stammpublikum, das mitunter eine jahrzehntelange Beziehung zum Haus pflegt und ganz bewusst zu bestimmten Inszenierungen kommt. So sei es nach der Premiere von Mahagonny (November 2019) vorgekommen, dass einige Besucher mit dem Intendanten über bestimmte Szenen gefachsimpelt und ihre Erinnerung an frühere Aufführungen am Haus als Vergleich herangezogen hätten. Zu unterscheiden sei dieses, man möchte fast sagen: Fachpublikum von den Theaterfreunden, die sich in idyllisch gelegenen Spielstätten auf dem Land einfänden. Denen gehe es zwar auch um das Stück, nicht minder aber auch um das Erleben von Kunst an einem ganz bestimmten, als persönlich berührend empfunden Ort. Radebeul sei dabei beides: Sitz des Stammhauses als Musentempel, aber eben auch Stadt in besonders schöner, teilweise sogar dramatisch aufgeladener Kulturlandschaft. So erklärt sich auch die Entscheidung, den Lößnitzgrund als Spielstätte für die Neuinszenierung von Winnetou I vorzusehen, solange die Felsenbühne wegen Umbauarbeiten gesperrt ist. Wenn alles geklappt hat und die Genehmigungen rechtzeitig genug erteilt worden sind, so findet jetzt, am letzten Maiwochenende, die Premiere statt: „Aus den Büchern, die einst Karl May hier in Radebeul geschrieben hat, steigen die Figuren auf die Bühne im Lößnitzgrund und wir freuen uns auf den Moment, wenn unser Winnetou sozusagen nach Hause kommt.“ Wissenswert ist, dass Winnetou nur ein Baustein des Großprojektes Der Lößnitzgrund ruft (mit Gojko Miti? als Schirmherr) ist, das neben einer Eröffnungsveranstaltung am 28. Mai u.a. auch noch eine Sternwanderung am 5. Juni und weitere Veranstaltungen enthält. Es ist dem Ensemble aufrichtig zu wünschen, dass die geplanten 10 Aufführungen und das vielfältige Beiprogramm auch tatsächlich stattfinden können (Hinweis s.u.).

Schöbel spricht langsam, fast bedächtig. Er wägt die Worte, lässt sich Zeit für eine Antwort. Etwa auch auf die Frage, wie seine Bilanz nach 10 Jahren Intendanz ausfällt, denn er kam mit Beginn der Spielzeit 2011/12 und hat gerade für weitere fünf Jahre bis 2027 verlängert. Sind denn alle Ziele erreicht worden, konnte er seine Visionen von einem leistungsfähigen Mehrspartentheater verwirklichen? „Wissen Sie, es geht im Letzten nicht darum, zwanghaft auf ein Ziel fixiert zu sein. Wichtiger ist, dass man sich Offenheit und Neugier für die Welt um sich herum bewahrt. Überall liegen Geschichten verborgen, die erzählt werden wollen. Ob das nun Stoffe aus der unmittelbaren Umgebung sind wie der Friedensschluss von 1645 in Kötzschenbroda, den wir 2013 für die Bühne aufbereiteten oder Ideen, die auf Umwegen sich zu ganz erstaunlichen Produktionen entwickelten, wie etwa In Gottes eigenem Land 2017“. Dieses großartige Stück über einen aus Mitteldeutschland in die USA ausgewanderten Pastor, dessen Premiere ich selbst erlebt und in V&R 6/2017 rezensiert hatte, ist tatsächlich ein gutes Beispiel dafür, wie Schöbel Theater als künstlerisch gestaltende, innovative und gesellschaftlich verbindende Instanz versteht: Die Kräfte im Haus bündeln, externe Expertise einbinden und damit über den eigentlichen regionalen Wirkungskreis hinaus ausstrahlen. Mit großem Erfolg gastierte dieses Stück denn auch in den USA und wurde die bereits bestehende Kooperation nach York (England) befestigt. „Kreativität speist sich aus konkreten Quellen“, ergänzt Schöbel und fügt hinzu: „Wir werden inzwischen durchaus überregional wahrgenommen. Dafür spricht auch, dass uns die Bundeskulturstiftung für zwei aktuelle Produktionen Fördergelder bereitstellt, mit denen wir vor allem jugendliche Zielgruppen erreichen wollen.“

Es ist schon 18 Uhr vorbei, eigentlich müsste Manuel Schöbel jetzt im Zuschauerraum bei einer Probe des Tanzensembles für den Abend „HeimatBILDER“ sitzen. „Keine Sorge, ich komme noch zurecht“, meint er und gibt mir zum Schluss eine Erklärung dafür mit auf den Weg, wie er es schafft, sich immer wieder neu zu motivieren und nach vorn zu schauen: „Der Mensch verliert seine Kraft nicht durch die Arbeit, sondern findet sie darin – wenn’s gut geht.“ Schöbel richtet seine Maske, ich glaube, er lächelt, und wir verabschieden uns.

Bertram Kazmirowski

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Bitte entnehmen Sie dem aktuellen Veranstaltungskalender bzw. der Website der Landesbühnen, ob die für den 29.5. – 13.6. (jeweils 19.30 Uhr) geplanten Aufführungen von „Winnetou 1“ im Lößnitzgrund stattfinden.

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