Risikolos inszeniertes Hippie-Revival

Zur Premiere des Rockmusicals „Hair“ an den Landesbühnen am 4./5. Mai

„Hair“ – Premiere mit Luca Lehnert, Julia Rani, Lea Göpel, Christin Rettig, Holger Uwe Thews, Felix Lydike und Michael Berndt (v.l.)
Foto: M. Reißmann

Auf die Premiere des epochalen Rockmusicals „Hair“ an den Landesbühnen hatte ich mich schon lange gefreut, denn vor gut 20 Jahren war ich selbst Teil einer ambitionierten Amateurtheatergruppe gewesen, die dieses kultige Stück mit Livemusik und allem Drum und Dran inszeniert und auf einer Tournee kreuz und quer durch Sachsen auf die Bühne gebracht hatte (vgl. auch V&R 6/97, S. 10). Wie würde nun, 50 Jahre nach der New Yorker Uraufführung und deutschen Erstaufführung, ein professionelles Theater diesen Stoff aufgreifen und in eine stimmige, zeitgemäße Inszenierungsidee überführen? Denn „Hair“ fängt wie kaum ein anderes Werk das Lebensgefühl einer Generation in der damals westlichen Welt ein, die in den späten 1960er Jahren das Aufbegehren und den Protest gegen die Politik (Vietnamkrieg), bürgerliche Werte (Disziplin, Fleiß, Ehe etc.) und gesellschaftliche Verhältnisse (Diskriminierung von ethnischen Minderheiten, eingeschränkte Rechte für Frauen u.a.) durch ein Leben in „Love, Peace and Happiness“ – und eben mit lang gewachsenen Haaren – sichtbar machen wollte. Aber die Welt hat sich unterdessen weitergedreht, Jugend und Gesellschaft bewegen heute andere Probleme als damals. „Woodstock“, „Hippies“, „Flower Power“: die Schlagworte jener Jahre sind inzwischen vom Mainstream vereinnahmt worden und dienen schon lange nicht mehr als geeignete Zuschreibungen für ein antibürgerliches Schreckgespenst. Heute geht man als Mittfünfziger auf „Flower Power Parties“ um sich nett zu amüsieren, hört dabei die Musik jener Jahre, bewundert ungebrochen Joe Cockers Reibeisenstimme, Jimi Henrix’ Gitarrensoli und summt verträumt mit, wenn „California Dreamin’“ erklingt. Zeitlos allerdings ist das ewige Leiden junger Menschen an der Erwachsenenwelt, an den Verknöcherungen und Erstarrungen, denen man als Heranwachsender heute nicht anders als damals (weitgehend machtlos) gegenüber steht. Stichwort #FridaysForFuture. Und genau dieser grundsätzliche Umstand, so hatte ich hoffend erwartet, würde Ausgangs- und Bezugspunkt für eine spannende Inszenierung sein, die das Damals ins Heute übersetzt. Das Bühnenbild (Stefan Wiel), gut sichtbar bereits vor Beginn der Aufführung, ist diesbezüglich schon eine erste kleine Enttäuschung. Denn aus den die Spielfläche flankierenden Straßenmauern schauen doch tatsächlich ganz unironisch und ungebrochen die späten 60er Jahre der USA hervor: „Join the Army“ – „Uncle Sam wants you“ und weitere diverse zeittypische Graffitiversatzstücke, darunter natürlich auch „Love“ and „Peace“. Die nächste Ernüchterung folgt, wenn die Musik anhebt: Aus mir nicht ganz ersichtlichen Gründen hatte sich das Team um Regisseur Peter Dehler dazu entschlossen, die deutschsprachige Fassung der Liedtexte zu verwenden, was im Laufe der Inszenierung ein ums andere Mal die teilweise sehr naiven Texte bloßlegt, bisweilen aber auch dem geschmeidigen Groove der Musik abträglich ist, denn nicht ohne Grund hatte Komponist Galt McDermot die Musik für die bereits in Englisch bestehenden Liedtexte geschrieben. Dass sich ab und an doch eine englische Strophe mit einer deutschsprachigen abwechselt oder vereinzelt ein Song ganz in Englisch gesungen wird, ist womöglich der Versuch, dem Originalsound irgendwie nahe zu kommen. Apropos Sound: „Hair“ hat vor allem wegen seiner mitreißenden, schon fast klassisch zu nennenden Songperlen wie „Aquarius“, oder „Let the Sunshine in“ nichts von seiner musikalischen Attraktivität verloren. Tatsächlich steckt in den Nummern viel von der eigentlichen Handlung, weshalb auch die Band auf der Bühne (musikalische Leitung: Michael Fuchs und Uwe Zimmermann) die Aufführung vorantreibt und trotz kleiner Besetzung (insgesamt nur acht Musiker) orchestrale Klänge ebenso überzeugend hervorzaubert wie zarte Töne. Im Zusammenwirken mit dem Chor, bestehend aus allen Solisten und verstärkt um weitere acht Studierende der Theaterakademie Sachsen, entstehen so großartige, die Zuschauer in Tanzlaune versetzende Momente, noch dazu, weil über weite Strecken die Darsteller in ihren fantasievollen Retro-Kostümen (Stefan Wiel) in einer sehenswerten Choreografie (Till Nau) tänzerisch alles geben. Etwas schwerer tun sich einige der Darsteller (Anderson Pinheiro Da Silva, Grian Duesberg, Alexander Wulke, Julia Vincze, Sandra Maria Huimann, Luca Lehnert) allerdings mit ihren mal kleinen, mal größeren Soloparts, wobei es dem als Gast verpflichteten ausgebildeten Musicaldarsteller Benjamin Oeser (in der Rolle des Berger) und Christin Rettig (als dessen Freundin Sheila) noch am besten gelingt, die teilweise anspruchsvollen Songs kraftvoll in den Höhen bzw. satt in den Tiefen darzubieten. An seine stimmlichen Grenzen stößt (vielleicht nur am Premierenabend?) leider hörbar Holger Uwe Thews in der zentralen Rolle des Claude, um den herum sich auch die eigentliche Handlung dreht. Dessen Dilemma zwischen Anpassung an die Konventionen (dem Dienst an der Waffe im Vietnam-Krieg) und dem Wunsch nach einem selbstbestimmten, freien Leben (als Hippie in einer Gruppe von Aussteigern) wird ebenso erst nach und nach transparent erzählt wie die zwischenmenschlichen Konflikte innerhalb der Gruppe, die Claude zunehmend vor die Frage stellen, inwieweit er Verantwortung übernimmt (für sich selbst, für seinen Freundin mit dem Baby im Bauch, für den Staat). Dass die Lesart des Regieteams gänzlich darauf verzichtet, Deutungsangebote für die Gegenwart zu liefern, wird symptomatisch im Schlussbild deutlich, als Claude unter einer amerikanischen Flagge begraben liegt. In einer Zeit, da sich die USA immer weiter aus den Krisenherden und Konflikten zurückzieht, wirkt dieser Schluss gestrig und verstärkt den Eindruck, dass man auf Nummer sicher gehen und jedes Risiko einer angemessenen Aktualisierung vermeiden wollte. Schade.

Es ist zu erwarten, dass das Stück auf der Felsenbühne Rathen, wo es ab 8. Juni bis in den Sommer hinein mehrfach zu sehen und hören sein wird, vor allem aufgrund seiner musikalischen und tänzerischen Qualität wirken und für gute Unterhaltung sorgen wird. Möge dann der Wassermann zu den Aufführungsterminen nur sparsam sein Unwesen treiben, vielmehr reichlich Sonnenschein regieren.

Bertram Kazmirowski

2. Bauherrenpreiswanderung diesmal durch die Oberlößnitz

Fast genau vor einem Jahr lud der Verein für Denkmalpflege und neues Bauen zur 1. Bauherrenpreiswanderung (siehe V&R 06/18), durch die Niederlößnitz, ein. Damals spazierten wir an über 10 Bauherren – Preisträgern vorbei. Wir begannen an der Oberen Bergstraße 84, folgten dieser bis zur Burgstraße, weiter ging es über die Bodelschwinghstraße, zurück zur Oberen Bergstraße, die Humboldtstraße bergab und die Winzerstraße zurück.

Bodelschwinghstraße 8
Foto: Wikipedia

Die zahlreichen Teilnehmer und das positive Echo bewog uns, die Idee der Bauherrenpreiswanderung 2019 fortzuführen, diesmal durch die Oberlößnitz.
Für alle, die von dieser noch nichts gehört haben, sei die Idee nochmals kurz umrissen:

In Zeiten des sich schnell entwickelnden, pulsierenden Baugeschehens in Radebeul wurde der Radebeuler Bauherrenpreis vom Verein für Denkmalpflege und neues Bauen Radebeul e.V. gemeinsam mit der Stadt Radebeul ins Leben gerufen. Von 1997 bis 2011 wurde der Preis jährlich für Neubau, Denkmalpflege und Außenanlagen verliehen. Mittlerweile ist die Intensität des Bauens in der Stadt zurückgegangen und der Preis wird alle 3 Jahre vergeben, u.a. auch wieder 2019 (siehe V&R 04/19).

Dieser Preis soll ein Element sein, um die Diskussion zu Auffassungen zur Baukultur in Radebeul zu fördern und öffentlichkeitswirksam zu machen. Er ist auch von der Hoffnung getragen, Bauherren und Investoren zu erreichen und anzuregen, im Vorfeld über die Wirkung ihrer geplanten Bauwerke in der Stadt nachzudenken. In der Satzung unseres Vereins geht es um den Erhalt des „besonderen Charakters von Radebeul“. Was das ist, diese Diskussion ist nie abgeschlossen. Nur die aktive, stetige Auseinandersetzung mit diesem Thema in der Stadtgesellschaft wird uns diesen ahnen, bewahren und gestalten lassen.

Daraus ist im Verein auch die Idee entstanden, mit einer Bauherrenpreiswanderung, sich die Preisträger vergangener Jahre wieder mal ins Bewusstsein zu rufen und diese erneut zu Fuß in Ruhe und mit offenem Blick zu betrachten und sich darüber auszutauschen.

In der Oberlößnitz gibt es bisher 15 Bauherrenpreise bzw. Anerkennungen. Kennen Sie diesen Schatz? Sicher sind den meisten Radebeulern Gebäude, wie das Meinholdsche Turmhaus, das Retzschgut, Haus Sorgenfrei oder die Villa Falkenstein bekannt. Neben diesen stolzen und immer wieder gern betrachteten Gebäuden will die Wanderung aber auch zu weniger im Rampenlicht stehenden Preisträgern und zu einigen aus dem öffentlichen Straßenraum sonst nicht möglichen Einblicken führen. Ich erinnere mich noch gern daran, zu welcher Überraschung und Freude im vorigen Jahr der durch Frau Osterkamp ermöglichte Einblick in ihr Grundstück Winzerstraße 67 bei den Teilnehmern führte. Sind Sie also gespannt!

Winzerstraße 67
Foto: FeWodirekt

Wir treffen uns am Freitag, den 28. Juni 2019, 18.30 Uhr auf dem Alvslebenplatz.

Alle sind herzlich eingeladen (besonders auch Leute, die Bauherren sind oder werden wollen). Schon um des Erlebens und des Austauschs willen wird die ca. 1 ½ – 2 stündige Wanderung eher gemächlich verlaufen und nicht sehr weit sein. Abschließen wollen wir unter den Kastanien in der Hoflößnitz.

Apropos Alvslebenplatz – wissen Sie wo der ist?

Im Jahr 1966 wurde der Name des Platzes offiziell aus dem damaligen Straßenverzeichnis Radebeuls gestrichen. Es handelt sich um den kleinen Platz an der Kreuzung Eduard-Bilz-Straße / Maxim-Gorki-Straße. Dieser wurde nach der „Friedrichstädter Nachtigall“ Henriette Melitta Otto-Alvsleben (1842 – 1893), einer Sängerin, die als lyrischer und Koloratursopran an der Dresdner Oper wirkte, benannt. Zu Ihrer Zeit unterstütze sie in Benefizkonzerten den 1880 gegründeten Verschönerungsverein der Lößnitz. Dieser sorgte dann auch für die Namensgebung. Die Sängerin verbrachte ihre Sommer in der Oberlößnitz, wo sie eine Wohnung hatte (wohl Eduard-Bilz-Straße 19, die man vom Platz aus sehen kann).

Bacchanten
Foto: Mitzschke

Auf der gegenüberliegenden Seite am Eingang der Eduard-Bilz-Straße fallen die Figurengruppen der Bacchanten ins Auge. Wer sieht diesen an, dass diese über 100 Jahre alte Tonfiguren sind? Der Eingeweihte sieht die Parallele zu den Figuren auf dem Fontainenplatz an der Dr.-Schminke-Allee. Alle stammen sie aus der Berliner Firma Ernst March und Söhne. Es ist beeindruckend in welcher Größe, mit welcher Filigranität und welcher Haltbarkeit diese Firma Tonfiguren schuf. Ihre Betrachtung wird uns ihre durch die Stadt Radebeul ermöglichte Erhaltung wertschätzen lassen.

Sie sehen, auf Schritt und Tritt gibt es auch neben den Preisträgern viel zu entdecken. Einiges werden wir vom Verein auf diesem Spaziergang zu erzählen wissen, aber vielleicht haben auch Sie etwas Besonderes, was Sie den anderen bei dieser Gelegenheit zeigen wollen. Also nochmals herzliche Einladung.

P.S. Anregung: Über die Losen-Blatt-Sammlung oder die Internetseite des Vereins (www.denkmalneuanradebeul.de) findet man die Bauherren-Preisträger und kann sich, wenn man Lust hat, auch mal selbst eine Bauherrenpreiswanderung für einen Sonntagsspaziergang zusammenstellen.

Michael Mitzschke

»IndianerART« zeitgenössische indigene Kunst aus Nord-Amerika

Eine Ausstellung des Karl May Museums Radebeul in der Stadtgalerie Radebeul

Karl May hat Indigene seiner Zeit vor etwa 150 Jahren beschrieben – ihre Kulturen sind mit einer detailreichen Sammlung im Karl May Museum präsent. Der Schriftsteller hat diese Kulturen durch Reiseberichte, Geschichtsbücher und Lexika kennengelernt und in seinen Romanen verarbeitet. Die indigenen Völker Nordamerikas unserer Zeit sind uns aber wenig bekannt. Denn freilich existieren diese Völker noch heute und allein in den Vereinigten Staaten sind 573 sogenannte First Nations von der Regierung anerkannt. 5,2 Millionen US-Amerikaner bzw. 1,6% der Bevölkerung sind indigener Abstammung. Sie leben in ländlichen Reservationen, aber auch in Städten, praktizieren ihr Brauchtum mal streng nach traditionellen Regeln oder aber frei mit neuen Ausdrucksformen und gestalterischen Mitteln. Oft äußern sie sich in ihrem künstlerischen Schaffen gesellschaftskritisch, politisch und meist in einer Formensprache der modernen nordamerikanischen Gesellschaft.

Foto: Karl May Museum Radebeul


Wie positioniert sich das Indigene mit seinen Traditionen im Wechselspiel eines modernen und digitalisierten Amerikas? Wo und wie sehen sich indigene Vertreterinnen und Vertreter in einer Gesellschaft, die wenig bis keinen Platz lässt für die Kulturen der First Nations? Erfinden indigene Kunstschaffende die Rolle ihrer Minderheiten neu? Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler bilden ihre politischen Realitäten und gesellschaftlichen Stellungen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft oft plakativ und gerne mit eindeutiger Symbolik ab. Im Gegensatz zur bekannten traditionellen Kunst über Holzmasken der Nordwest-Küste und Perlenstickereien der Plains hin zu Webteppichen und Töpferkunst der Pueblos, wird in der zeitgenössischen Kunst mit den medialen Möglichkeiten von heute gearbeitet. Diese Künstlerinnen und Künstler spielen die Klaviatur des modernen digitalen Nordamerikas. Sie stammen zumeist aus urbanem Umfeld und ordnen ihre Themen als »Stadtindianer« in die moderne Realität ein. Von Pop-Art und Comics beeinflusst gestalten sie mal klar plakativ, dann wieder mystisch und symbolistisch ihre Anliegen als Vertretende ihrer Kulturen. Für uns europäische Betrachter bedeutet indigene Gegenwartskunst eine Herausforderung, da sie im krassen Gegensatz zum tradierten, oft romantisierten Indianerbild steht. Weder Formen noch Materialien schlagen eine Brücke zur Vergangenheit. Und dennoch sind Traditionen, Rituale und Geschichten in zeitgenössischen Werken präsent, wenn auch experimentell, multimedial und abstrakt. Die Relevanz dieser Kunst ist offensichtlich, da sie vom Selbstverständnis der eigenen Vergangenheit geprägt ist und es vermag, Geschichten indigener Kulturen auch mit Acrylfarbe, Leiterplatten und auf Smartphones zu erzählen.

Die Ausstellung „IndianerArt“ greift mit Werken ausgewählter indigener Künstlerinnen und Künstler das Selbstbewusstsein der »Indianer heute« auf und stellt zeitgenössische Selbstfindungsprozesse dar. So werden Angebote geschaffen, jenseits der durchaus bekannten »Indianerromantik« Lebensumstände, Nöte, Herausforderungen aber auch Chancen und den Stolz indigener Kulturen Nordamerikas im Jetzt kennenzulernen. Obwohl die Stämme heute als First Nations in den Vereinigten Staaten anerkannt sind, so leben sie doch größtenteils in Reservationen unter oft schlechten infrastrukturellen Bedingungen. Überdurchschnittlich viele Menschen indigener Herkunft leiden unter Alkohol- und Drogenproblemen, schlechter Ernährung und Krankheiten. Die Diskriminierung Indigener gerade in ländlichen Gebieten führt häufig zu Traumata, viele stehen auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie. Zeitgenössische indigene Kunstschaffende setzen sich intensiv mit diesen Problemen auseinander, öffnen aber auch Perspektiven für ihre Minderheiten über adaptierte und neue Formen der Musik, des Tanzes und der Kunst.

In der Ausstellung werden durchwegs nur indigene Künstler Nordamerikas gezeigt. Neben Gemälden, Grafiken, Drucken und Fotokunst werden auch Skulpturen präsentiert, Videokunst und digitale Ausdrucksgestaltung. „IndianerArt“ vereint 15 Künstlerinnen und Künstler, über die Zugänge geschaffen werden zur modernen Welt indigener Völker, welche viele Besucher vor allem rund um die Karl-May-Festtage inspirieren wird. Die Begeisterung eines Karl May für die Kulturen Nordamerikas wird in Radebeul jedes Jahr im Frühjahr mit dem traditionellen Karl-May-Fest“ neu belebt, die Ausstellung „IndianerArt“ setzt eine einmalige Ergänzung zum Thema »Indianer heute«.

Christian Wacker

Editorial 6-19

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn Sie unser aktuelles Heft in den Händen halten werden Sie vielleicht etwas verwundert sein, da es sich etwas dicker anfühlt als üblich. Und in der Tat, nach langer Zeit und erst zum zweiten Mal kamen wir nicht umhin ganze acht Seiten draufzuschlagen. So haben wir sprichwörtlich keine Kosten und Mühen gescheut, um Ihnen diesmal, so hoffen wir, noch mehr Lesegenuss zu bieten.

Es ist nach wie vor ohnehin ein kleines Wunder, dass sich unsere „Vorschau“ jeden Monat fast punktgenau füllt. So soll und muss es bleiben! – An dieser Stelle sei allen Autoren herzlichst gedankt!
Nur selten entsteht hingegen ein veritabler „Textstau“. Das Eine oder Andere lässt sich gelegentlich zwar verschieben, aber dies gelingt der Aktualität wegen freilich kaum. Und so keimte in unserer letzten und überaus lebhaften Sitzung eine bedenkenswerte Frage auf: Warum sollten Texte, die, aus welchen Gründen auch immer, in der gedruckten Ausgabe keinen Platz finden, nicht in einer noch neu zu fassenden Rubrik in unserer Onlinepräsenz erscheinen? Gleiches könnte für überlange Texte, die lediglich in einer gekürzten Fassung im Heft zu finden sind, gelten. Wie dem auch sei, wir werden gegebenenfalls einen entsprechenden Hinweis platzieren.

Aber nun zum eigentlichen Bonbon: Wie Sie wissen, begleitet uns 2019 Thomas Rosenlöcher poetisch durchs Jahr. In Kooperation mit Schloss Hoflößnitz ist es uns gelungen, eine Lesung mit dem Autor am 13.9. um 19 Uhr im Festsaal von Schloss Hoflößnitz zu präsentieren. Ab etwa Mitte Juni werden Sie hierfür im Besucherzentrum von Hoflößnitz und in der Buchhandlung Sauermann Karten für 10€ erwerben können.

Sascha Graedtke

Gab es beim ehemaligen „Haus der Kunst“ einen Vorgängerbau?

Als ich neulich ein Bild geschenkt bekam, was die Geschichte der Lößnitz illustriert, war da zuerst Freude über den Besitz und auch Dankbarkeit gegenüber der Frau, die es mir zugedacht hatte. Dann kam bald der Wunsch auf, mehr darüber zu erfahren: wo ist es und was ist auf dem Bild eigentlich dargestellt und existiert das heute noch so, wann und von wem wurde es gezeichnet / gemalt, bzw. welche Technik wurde angewandt, ist der Rahmen original, gibt es eventuell Rückseitenvermerke, die Rückschlüsse auf Vorbesitzer zulassen? Da fängt die Arbeit für einen Sammler an! Nachdem die ersten Antworten gefunden waren, kam die Frage, wäre das Stoff für einen Artikel in V&R? Und schließlich, wo in meiner Wohnung wäre der richtige Platz für das neue, alte Bild?

Foto: D. Lohse

Ich möchte mal mit der Antwort auf die letzte Frage anfangen. Das Bild, auf dem man einen Ausschnitt von Niederlößnitz links der Jägerhofstraße erkennt, hat im ehemaligen Büro des Vor- Vor- Vorbesitzers, des Baumeisters Franz Jörissen, in unserem jetzigen Gästezimmer seinen Platz gefunden. Das Bild kehrte so durch einige Zufälle zurück zu seinen Wurzeln.

Foto: D. Lohse

Jetzt wollen wir uns besagtes Bild (eine Farblithografie) etwas genauer anschauen. Wir sehen einen Höhenzug von rechts nach links abfallend mit lockerem Baumbestand, z.T. auch Obstbäume, im Vordergrund erkennen wir einen angeschnittenen Weinberg, da wo heute wieder Wein wächst und rechts der Mitte steht ein Landhaus um 1870 mit Nebengebäuden und einem massiven Pavillon am Hang, den es so nicht mehr gibt. Das Landhaus mit Krüppelwalmdach ähnelt dem etwa zeitgleich entstandenen aber verschwundenen „Karlshof“ in Zitzschewig. Ganz rechts erkennen wir nahezu unverändert ein zum damaligen Grundstück gehörendes kleineres, noch existierendes Fachwerkhaus um 1800 und ganz links im Hintergrund ist noch die alte Kötzschenbrodaer Kirche zu erkennen. Auf der Rückseite des zeitgemäß gerahmten Bildes fand ich zwei Notizen von unterschiedlicher Hand: ein Unbekannter notierte, auf dem Bild sei eine Mühle aus dem Lößnitzgrund abgebildet. Das wird sowohl von mir, als auch früher schon von Baumeister Jörissen angezweifelt, der die genaue Lage des Gebäudes mit Adresse und Brandkatasternummern auf einem Klebezettel notiert hatte. Mühle scheidet vor allem deshalb aus, weil der Lößnitzgrund deutlich tiefer liegt und weil es im Seitental (Auf den Bergen) des Lößnitzgrundes keinen Bach oder ein anderes Gewässer gibt.
Das abgebildete Landhaus dürfte durch den Dresdner Ratszimmermeister Daniel Ruppert errichtet worden sein, der das Grundstück Niederlößnitz BC (Brandkatasternummer) 66-68 von 1748 bis 1787 besaß. Eine Familie Schelcher verkaufte es dann 1850 an Charles Martini, der jedoch das Haus abreißen und von 1852-54 durch Baumeister Eberhardt an gleicher Stelle eine moderne Villa im Stil des Klassizismus errichten ließ. Möglicherweise wurde das signierte Bild 1852 bei Borkman (Herr oder Frau?) in Auftrag gegeben, als der Abriss beschlossen war und eine Erinnerung an das Landhaus bewahrt werden sollte. Wenn man das Haus auf dem Bild ansieht, ist nicht zu verstehen, dass es abgerissen werden musste, es scheint ja baulich in Ordnung gewesen zu sein. Der Grund für den Abriss dürfte eher gewesen sein, dass Martini ein Haus nach der aktuellen Mode und/ oder ein größeres Haus haben wollte. Er nannte sein neues Domizil „Mon Repos“ (mein Ruheplatz). Mitte des 19. Jh. kamen in der Lößnitz noch einige klangvolle Eigennamen für Häuser wie „Paradies“, „Haus in der Sonne“ oder „Haus Sorgenfrei“ auf, die der Volksmund heute noch gebraucht.

Foto: D. Lohse

Eine besondere Eigenart, eine gedoppelte Haustür, d.h. zwei Türen nebeneinander, von denen nur eine funktioniert, finden wir an dieser Villa. So was kommt noch an zwei anderen Stellen in Radebeul bei Gebäuden aus der 2. Hälfte des 19. Jh. vor, wohl der Symmetrie geschuldet. Ich erinnere mich noch an ein bemerkenswertes Treppenhaus, dreiläufig mit vier Stützen und offenem viereckigen Auge, in der Villa. Kurz nach Fertigstellung der Villa wurden die Remise mit Kutscherwohnung, ein Eiskeller und eine Schießanlage gebaut – von beiden letzteren gibt es heute keine Spuren mehr.
Ein nächster Besitzer, Major a.D. Adolf von Mayen, veranlasste 1892/ 93 dann den Bau des Gärtnerhauses (Baumeister Adolf Neumann), heute Dr.-Rudolf- Friedrich.-Str. 25, und verkaufte 1897 den Besitz an Josef Goldschmidt, einen jüdischen Kaufmann aus Berlin. Im Südteil des Grundstücks entstand ein prächtiges, gläsernes Palmenhaus, das aber zwischen den beiden Weltkriegen verfiel. Für Josef Goldschmidt und später auch für seinen Sohn, Dr. jur. Curt Goldschmidt (Bankier in Berlin), und dessen Familie war die Villa immer nur der Sommersitz gewesen. Vor allem Dr. Goldschmidt nahm am Geschehen in Radebeul regen Anteil. Es ist bekannt, dass er für die Grundschule Niederlößnitz ein farbiges, noch existierendes Treppenhausfenster gestiftet hatte. Der Stiftervermerk im Fenster wurde bereits 1936 von den Nationalsozialisten entfernt, als die Goldschmidts Deutschland in Richtung Frankreich verlassen hatten. Ihr Leben als Juden war zwar gerettet, doch der Besitz verloren.
Grundstück und Villa wurden enteignet, „arisiert“ und ein Studentenheim der nationalsozialistischen Langemarck-Stiftung eingerichtet. 1939 entstand neben der Villa ein neues Bettenhaus, das ebenfalls nach klassizistischem Vorbild gebaut wurde. Kriegszerstörungen waren im Grundstück nicht zu beklagen. Das nationalsozialistische Intermezzo endete im Frühjahr 1945 hier wie in ganz Deutschland.

Foto: D. Lohse

Da Vieles in Dresden zerstört war und man in der Aufbauphase auch schon nach Ausstellungsmöglichkeiten suchte, konnte in Radebeul geholfen werden – die Goldschmidtvilla wurde vom Land Sachsen als „Haus der Kunst“ eingerichtet. Meines Wissens wurden bis in die 50er Jahre verschiedene Bilderausstellungen gezeigt, zu denen viele Besucher aus Dresden und Radebeul kamen. Einen Schwerpunkt bildeten junge bildende Künstler und solche, die zwischen 1933 und 1945 ausgegrenzt waren. Anschließend fasste der FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) hier Fuß und betrieb in den Räumen eine Gewerkschaftsschulungsstätte. Dafür musste die Villa nach Norden hin erweitert werden. Das erfolgte unter Einhaltung der Gestaltung der Villa, bald sah man keinen Unterschied zum Altbau mehr. Nach 1990 wechselte man das „Firmenschild“, von jetzt an arbeitete der DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) an gleicher Stelle weiter. Etwa 2002 stellte dann der DGB in Radebeul seine Tätigkeit ein und es folgte längerer Leerstand in den Gebäuden. Einmal erschien hier eine Organisation aus Berlin, die zu altem jüdischem Besitz recherchierte. Eine Rückkehr der Goldschmidt-Erben erfolgte aber nicht, so dass es schließlich zum Verkauf an Herrn Kliemann (Heizung und Sanitär) aus Radebeul kam. Man teilte das große Grundstück auf: die Villa als Auf den Bergen 9, das Fachwerkhaus als Auf den Bergen 11 das ehem. Gärtnerhaus als Dr.-Rudolf- Friedrichs-Str. 25 und die ehem. Remise als 25a. Die Gebäude wurden in den folgenden Jahren durch verschiedene Eigentümer unter Mitwirkung des Denkmalschutzes saniert, aus der Villa wurde jetzt ein Mehrfamilien-Wohnhaus mit zusätzlichen Balkonen und im Gelände wurde etwas Neues gebaut. Dadurch ist vom ehemaligen Villenpark leider nicht mehr viel übrig geblieben.
Was dürfen wir als Fazit feststellen? Wir lernten ein Niederlößnitzer Grundstück mit wechselvoller Geschichte kennen, sozusagen ein Spiegelbild deutscher Geschichte. Und ja, einen Vorgängerbau gab es, wie zu sehen ist, auch.

Dietrich Lohse

Literatur. „Radebeul in alten Ansichten“, Band 2, Liselotte Schließer, Europ. Bibliothek, Zaltbommel /
Niederlande, 2002
„Juden in Radebeul“, 1933-1945, Ingrid Lewek, Wolfgang Tarnowski, Große Kreisstadt
Radebeul, 2008

Unikate aus Porzellan in Coswig

Zur Ausstellungseröffnung „Weißer Elefant“

Foto: PR Museum Karrasburg

Am vergangenen Freitag wurde die neue Sonderausstellung im Coswiger Museum Karrasburg eröffnet. Unter dem Titel „Die Künstlergruppe WEISSER ELEFANT“ zeigen Tina Hopperdietzel, Silvia Klöde, Sabine Wachs, Andreas Ehret und Olaf Fieber Unikate ihres Schaffens.
Die ehemaligen Meißner Manufakturisten haben sich vor sieben Jahren zu dieser Künstlergruppe zusammengeschlossen – nicht ohne ein Augenzwinkern im Hinblick auf die Fragilität des Porzellans wurde der Name gewählt.
Zu sehen sind Plastiken, Gefäße, Spiegel- und Wandgestaltungen, welche die fünf verschiedenen Handschriften der Künstler präsentieren.
Die Unikate zeigen die unterschiedlichen Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit dem Werkstoff Porzellan, der durch die opulente oder auch sparsame farbliche Gestaltung an Wirksamkeit gewinnt. Der interessierte Betrachter findet viele Details, die vom hohen handwerklichen Können der Künstler zeugen. Seien es bis ins Kleinste gestaltete Figuren, das Nebeneinandersetzen von glasierten und nicht glasierten Scherben, das „Bauen“ von Figuren aus kleinen Porzellanplatten oder das Freidrehen großer Gefäße – alles entfaltet einen eigenen Reiz, eine eigene Stimmung.
Wen wundert es, dass sich zur Eröffnung viele ehemalige und heutige Manufakturisten einfanden, um den Künstlern Respekt zu zollen, in Erinnerungen zu schwelgen und Gedanken auszutauschen.
Evelies Baumann

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Die Ausstellung ist bis zum 12. Mai zu sehen.
Öffnungszeiten Di, Do 12-18 Uhr / Sa, So 14-18 Uhr
Informationen: www.karrasburg.de

25 Jahre Krankenhausneubau Radebeul (Teil 2)

Neues Planen und Bauen für neue Arbeit am Radebeuler Krankenhaus

Die Schilderungen sollen verdeutlichen, wie der Enthusiasmus des Neuanfangs noch Berge versetzen half, deren Überwindung der später in die Ämter eingekehrte biedere Verwaltungsgang unmöglich gemacht hätte.
Heiner Janik, aus dem Landkreis München kommend und zum Jahreswechsel 1991/92 zum neuen Landrat im Landkreis Dresden bestellt, konnte jedenfalls sein ungläubiges Staunen kaum verbergen, als wir ihm den bisherigen Werdegang unseres Neubauvorhabens schilderten. An seiner bisherigen Wirkungsstätte im Umland von München wäre Derartiges undenkbar gewesen.
Im Februar 1991 waren wir zur Förderbehörde vorgedrungen, wo Segen und Geld für den weiteren Fortgang unserer Träume eingeworben werden mussten. Es war ein grauer Abend, als gegen 21 Uhr Dr. Bosse als Sozialdezernent des Landkreises, Günter Böhm und ich dem vom langen Tag angestrengten Staatsminister für Gesundheit und Soziales Dr. Hans Geisler mit Plänen und einem Holzmodell das Radebeuler Bauvorhaben vorstellten und erläuterten. Nachdem er seine Überraschung überwunden hatte, entließ er uns mit der Zusicherung, dass es in Radebeul immer ein Krankenhaus geben werde und dass wir uns um Geld kümmern sollten. Es gäbe Banken, die solche Vorhaben finanzieren würden, um sie dann an den Landkreis zu vermieten, gab uns der Minister noch mit auf den Weg. Ein von uns daraufhin bei der WestLb eingeholtes Angebot fand aber beim inzwischen amtierenden Finanzminister Dr. Milbradt keine Zustimmung. Er hatte wohl schon Kenntnis vom milliardenschweren Investitionsprogramm, das für die Krankenhäuser in den fünf neuen Bundesländern aufgelegt werden sollte. Da von den Ministerien aber kein Stoppzeichen kam, liefen unsere Planungen weiter. Schon Mitte des Jahres 1991 waren sie so weit fortgeschritten, dass an den berühmten „Ersten Spatenstich“ gedacht werden konnte. Am Ende der Bettenkonferenz Ende Juni im Dresdener Rathaus von mir angesprochen, stellte Staatsminister Dr. Geisler in Aussicht, drei sächsische Krankenhäuser würden bald den Bewilligungsbescheid für Neubauten erhalten. Unsere Hoffnung, eines dieser drei Häuser zu sein, ging in Erfüllung. Unser Verwaltungsdirektor Günter Böhm nahm Anfang August 1991 das wichtige Dokument aus den Händen von Dr. Hans Geisler entgegen, das uns dem Ziel unserer Wünsche ein großes Stück näher brachte. Bei dieser Gelegenheit besichtigte der Minister erstmals die zukünftige Baustelle und wünschte gutes Gelingen.
Die Bauvorbereitungen wurden nun rasch vorangetrieben. Zunächst musste die Pflegestation Haus 5 im November durch Abriss dem neuen Gebäude weichen. Dann wurde an der Südflanke des nicht unterkellerten Hauses 2 für dessen Standsicherheit eine Bohrpfahlwand niedergebracht, die aus Betonsäulen von ca. 50 cm Durchmesser besteht und bis unter das Niveau des neuen Kellergeschosses hinabreicht. Die Voraussetzungen für den Aushub der Baugrube waren geschaffen. Maschinen von hoher Effektivität, früher hier unbekannt, erledigten das in wenigen Wochen. So konnte bereits am 8.3.1992 die feierliche Grundsteinlegung erfolgen. Aus diesem Anlass trafen Staatsminister Dr. Hans Geisler und Landrat Heiner Janik erstmals zusammen und beglückwünschten gemeinsam die Einwohner Radebeuls und des Landkreises sowie Ärzte und Mitarbeiter des Krankenhauses zu diesem ersten sichtbaren Zeichen des Aufbruchs nach der Wende. Auch in der Presse fand das Ereignis lebhaftes Echo.
Das Bautempo unterschied sich wesentlich von dem der Jahre 1974 bis 1981, in denen das Haus 2 entstanden war. Moderne Technik und eine Fertigteilmontagetechnologie ließen das Gebäude so schnell wachsen, dass schon am 8. November 1992 Richtfest gefeiert werden konnte. Für den Ausbau, den Dr. Jüchser geduldig und humorvoll in enger Abstimmung mit den zukünftigen Nutzern gestaltete, wurden 18 Monate gebraucht. Damit war der erste Krankenhausteilneubau im ebenfalls neu entstandenen Bundesland Sachsen bezugsfertig.
Die Erinnerung an die festlichen Stunden am 25. Mai 1994 ist sicher so manchem noch in Erinnerung, der damals mitgefeiert hat. Seither konnten viele tausend Patienten die neuen Bedingungen kennenlernen, die sich so wohltuend von denen der Vorwendejahrzehnte unterscheiden.
Bürger unserer Stadt und des Landkreises fanden Hilfe bei den verschiedensten Gesundheitsproblemen, und so mancher von ihnen ist bis heute stolz auf sein Radebeuler Krankenhaus.

Bernd Uhlemann

Bewahren von Fachwerk, Holzkonstruktionen u. Kunstwerken aus Holz

Der Fachwerkbau unterlag in seiner Geschichte einer wandelnden Wertschätzung. Gerade die letzten Jahrzehnte belegen, dass seine prägende Wirkung für Sachsen nicht unterschätzt werden darf. Eine Konsolidierung dieser Bauten setzt allerdings ein Spezialwissen voraus, das heute nicht mehr Allgemeingut ist und darum dringend in der handwerklichen Fortbildung vermittelt werden muss. Holzkonstruktionen sind durch Umweltfaktoren aber auch durch falsche Behandlungen gefährdet. Es zeigt sich, dass erfolgreiche Instandsetzungen für sich sprechen und beispielgebend wirken, was anhand des linkselbischen Naustadt (Gemeinde Klipphausen) – zugehörig zu „Sachsens Schönsten Dörfern“ ausgeführt wurde. Diese Initiative zur Bewahrung der Identität und dem Schutz der Baukultur zeigt erste Erfolge.
Die Holzkonservierung hat in Sachsen eine lange Geschichte. Bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts begannen die nicht immer erfolgreichen Anstrengungen um das Kunstgut zu erhalten. Es waren jedoch gerade diese Bemühungen, denen wir heute in Sachsen ein reiches kulturelles Erbe zu verdanken haben. In alten Akten finden sich dazu interessante Hinweise. So gab es bereits um 1830 ernsthafte Bestrebungen, die Kunst authentisch zu bewahren und nicht durch Kopien zu ersetzen. Beispielsweise sollte der Augustusburger Cranach-Altar damals aufgrund eines starken Anobienbefalls anfänglich als Kopie neu geschaffen werden. Diverse restauratorische Maßnahmen zeigten in Folge nicht den gewünschten Erfolg oder führten zu schädigenden Nebenwirkungen. 1902 wurde darum in Dresden eine Versuchsanstalt für wurmkranke Hölzer gegründet. In sehr unterschiedlicher Weise schritt die Entwicklung von Konservierungsmitteln fort. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte der Holzbau einen gewaltigen Aufschwung. Industrieller Holzbau war ohne Holzschutz undenkbar. Nach dem ersten Weltkrieg wurde der sparsame und nachhaltige Umgang mit Bauholz sowie der vorbeugende Schutz der Bausubstanz propagiert. Der Faktor Zeit wurde im Bauwesen immer entscheidender. Gleichzeitig waren die Gefahren bekannt, die aus nassem Holz resultierten. Bereits im Ersten Weltkrieg wurden die Auswirkungen des Luftkriegs auf die Zivilbevölkerung deutlich. So kamen verstärkte Anstrengungen zum Flammschutz hinzu. Die Folge davon waren z.T. hochbelastete Denkmäler. Bekanntlich ist darum der chemische Holzschutz bereits vor gut 35 Jahren in Verruf geraten. Aufgerüttelt durch die Holzschutzmittelprozesse in der Bundesrepublik begann ein Umdenken. Auch hier waren es erst die Spätfolgen, die aufhorchen ließen. Als Konsequenz daraus versuchten wir andere Wege zu gehen. Es wurde beobachtet, dass verkieselte Hölzer beständiger gegen Pilze und Insekten sind. Zudem erfolgten Modifizierungen mit weiteren fungizid und insektizid wirkenden Zusätzen, wie u.a. Borsäure, Kupfer und Silber. Trotz der Erfolge gab es bislang keine Zulassung der von uns mitentwickelten Siliziumdioxid-Nano-Sole und eine großtechnische Realisierung.
Holzschutz kann nie eine fehlende Baupflege ersetzen. Gerade in Notzeiten führten nicht behobene Bauschäden in Verbindung mit fehlendem Holzschutz zu weiteren Verlusten. Doch auch Kunstwerke galt es zu schützen. Leider wurden da anfänglich kaum Unterschiede gemacht, bis die Schäden allzu deutlich wurden. Grundsätzliche Dinge sind zu beachten. Dazu zählt, die für ein Denkmal angemessenen Materialien zu wählen. Wir sind sehr froh darüber, dass es inzwischen eine Renaissance des Leinöls gibt. Der große Vorteil dieser Anstriche ist, dass sie natürlich altern und ohne größere Vorbehandlungen des Grundes überarbeitet werden können. Dennoch verfault das Holz nicht, es sei denn es herrscht stauende Nässe. Derzeit laufen Tests zu verschiedenen Anbietern. Zudem kann Bauholz thermisch modifiziert werden, um es dadurch haltbarer zu gestalten. Wir verwenden derartige Hölzer ebenfalls an Kunstobjekten, um diese gegen feuchte Bereiche abzuschirmen.
Eher am Rande sei auf die Stabilisierung geschwächter Holzkonstruktionen mit Kohlefaserlamellen hingewiesen. In Görlitz am Schönhof wurde auf diese Weise eine Deckenkonstruktion ertüchtigt. Auch die Rahmen des Wolgemutaltars in Zwickau wurden durch CFK-Lamellen freitragend. Zu den richtigen Materialien nicht nur im Denkmal zählt zudem der oft unterschätzte Lehm. Er gibt ein gutes Wohnklima und durch seine Feuchte ausgleichende Wirkung werden Holzkonstruktionen geschützt.
Ohne ein gutes Klima im Baudenkmal geht es nicht. Die Wechselwirkungen sind nicht trivial und werden oft unterschätzt. Wird eine Komponente verändert hat das oft Auswirkungen aufs ganze System. Ein gut durchlüftetes Kaltdach hat seine unbestrittenen Vorteile. In Rochlitz am Fürstenhaus wurden extra diese Schornsteinatrappen aufgesetzt, damit die Durchlüftung gewährleistet wird. Diese war nötig, um die Schadstoffkonzentration in ein tolerables Maß zu bringen, hilft aber auch zur Feuchteabfuhr. Das ist besonders bei sehr dichten Dachkonstruktionen erforderlich. Doch nicht nur Querlüftungen, sondern auch Vertikalentlüftungen sind nötig. Die wieder in Mode kommenden Kaminöfen tragen dazu bei. In diesem Zusammenhang wird auf die notwendige Fugenlüftung aufmerksam gemacht. Mit Hilfe von Verbundfenstern konnten angemessenere Lösungen musterhaft für das Kloster St. Marienthal entwickelt werden.
Der Klimawandel bereitet uns Sorgen. Wir sind natürlich auch in der Denkmalpflege bemüht das Nötige zu tun. Neben dem Wärmeschutz rein zugunsten der Heizkostenabrechnung, gilt es auch sich mit der Problematik des sommerlichen Wärmeschutzes auseinanderzusetzen. Hierbei wollen und müssen wir die Gebäude kühl halten, um den Einsatz von Klimaanlage zu vermeiden. Eine besondere Rolle spielt dabei der Lichtschutz, damit restaurierte Objekte nicht vorschnell altern.
Anhand von langjährigen wissenschaftlichen Voruntersuchungen konnte ein gutes Fundament für den Erhalt von Holzschindeln gelegt werden – in Sachsen inzwischen fast ein exotisches Bauteil. Vorteilhaft ist die Handlichkeit der Schindel. Was bei ihr grundsätzlich funktioniert geht auch am Fachwerk, an der Verbretterung und anderen Bauteilen. Wir hoffen sehr, dass ein entsprechendes, vielleicht sogar grenzüberschreitendes Projekt, zur Verbesserung der Nachhaltigkeit gelingt.
Seit gut zehn Jahren finden vor diesem Hintergrund am LfD-Sachsen die Holzfachgespräche statt. Aus einem Rundtischgespräch entwickelten sich Kolloquien und in Folge davon manches Forschungsprojekt. Mein letztes Fachgespräch wird am 10. Oktober 2019 stattfinden, bevor ich in den Ruhestand gehe. Es wird noch ein langer Weg sein bis wir einen effektiven und humantoxisch unbedenklichen Holzschutz haben. Dieser wird wohl erst gelingen, wenn die Wirkkomponenten direkt an die Holzfaser anbinden. Erste Gedanken gibt es dazu bereits. So gilt mein Dank allen, die sich auf vielfältige Weise um den Erhalt des Kulturgutes und der Denkmallandschaft mühen.
Manfried Eisbein
Sehr geneigte Leser, dies war ein Kurzabriss des hochinteressanten Vortrages von Manfried Eisbein am 22. März 2019 auf Einladung des Vereins. Es ist uns wichtig, dass wir weiterhin informative und anwendbare Vorträge zu bautechnischen Fragen anbieten.
Abschließend möchte ich noch auf die Eröffnung des Bismarckturmes am 19. Mai gegen 15.00 Uhr aufmerksam machen. Wir haben es – dank allen Unterstützern – geschafft; die unglaubliche Summe von 300.000 € ist zusammengekommen. Sie werden es sehen: die Aussicht ist ein Erlebnis. Weitere Informationen erfolgen in der Presse.
Jens Baumann

Die Quadratur des Kreises

oder das innerstädtische Zentrum Radebeul-West und die Bahnhofstraße

Jüngst war ich im Netto-Markt und wollte eigentlich nur einkaufen. Doch dann kam es unvermittelt zu einer Diskussion über die Situation in Radebeul-West. Drei Personen, drei Meinungen. Jeder verkündete seine Sicht auf die Dinge. Die Gemüter waren erhitzt und eigentlich hörte keiner mehr dem anderen so richtig zu. Irgendwann ging man erschöpft auseinander.

Der Oberbürgermeister Bert Wendsche mit Matthias Hennl, dem Vertreter der Händlergemeinschaft, beim offiziellen Start des Sanierungsgebietes »Zentrum Radebeul-West« zum Frühlingsfest am 13. Mai 2017 auf der Bahnhofstraße Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Wie schade, dachte ich, dass sich zur Zeit im Bürgertreff keine Bürger mehr treffen können, um sowohl miteinander als auch mit Fachleuten über die Entwicklung ihres Stadtzentrums zu diskutieren. Denn für Beratungen, Gesprächsrunden, Vorträge, Ausstellungen, Workshops sowie vielfältige kulturelle Veranstaltungen wurde der Bürgertreff ursprünglich von der Stadtverwaltung angemietet und dementsprechend ausgestattet. Stattdessen stellen sich in diesen Räumen Testläden vor und man fragt sich, warum testen die Testläden nicht die vielen leer stehenden Läden und arrangierten sich mit deren Vermietern?

Wenn also nicht im Bürgertreff, wo findet dann der Diskussionsprozess mit den Radebeuler Bürgern statt? Und wer wäre dafür zuständig? Und wo sind eigentlich all die kompetenten Mitarbeiter der Stadtverwaltung, die viele eigene Ideen zur Entwicklung des Sanierungsgebietes beisteuern könnten? Ich denke dabei an die Fachbereiche Stadtentwicklung, Verkehrsplanung, Wirtschaftsförderung, Jugend und Soziales, Kultur und Tourismus, Ordnung und Sicherheit, Feste und Märkte. Gemeinsam mit einem Stadtmanager könnten sie doch den öffentlichen Diskurs mit Händlern, Bürgern und Eigentümern über das Sanierungsgebiet zielführend begleiten. Erregte Diskussionen auf der Straße oder wie eingangs geschildert im Netto-Markt tragen wohl kaum zur nachhaltigen Akzeptanz der geplanten Sanierungsmaßnahmen in Radebeul-West bei.

Dass in Radebeul-West ein massiver Umbruch stattfindet, ist unübersehbar. Während meiner dreijährigen Zusammenarbeit als Mitarbeiterin des Kulturamtes mit Kollegen aus verschiedenen Fachbereichen der Stadtverwaltung, der Oberschule Kötzschenbroda und den Händlern von Radebeul-West wurde ich mit den akuten Problemen vor Ort auf sehr direkte Weise konfrontiert. Gemeinsam haben wir im Zeitraum von 2015 bis 2017 u. a. vier Händlerspektakel und eine große Wunschbriefkastenaktion organisiert. Der Rücklauf war erfreulich. Und ich frage mich, was aus all den Ideen und Hinweisen werden soll. Kleine Erfolge konnten wir schon damals verbuchen. Endlich stand wieder ein Weihnachtsbaum auf dem Bahnhofsvorplatz, auf der Bahnhofstraße wurden bequeme Sitzbänke aufgestellt und in einem ehemaligen Ladengeschäft erfolgte die Eröffnung des Bürgertreffs. Während dieser Zeit habe ich viele Händler kennen und schätzen gelernt. Trotz aller Bemühungen wurden immer wieder Läden aus ganz unterschiedlichen Gründen geschlossen. Die Käse-Theke Hoffmann, das Haushalt- und Eisenwarengeschäft Lindner, Markos Lampenladen oder der Lebensmittelmarkt Müller seien hier beispielgebend genannt. Für viele Ladengeschäfte hat sich bis heute kein Nachmieter gefunden. Und wenn, dann sind es Branchen, die nur wenig zur Belebung der Einkaufsstraße beitragen. Besonders einschneidend war im vergangenen Jahr die Schließung des Drogeriemarktes Rossmann, da er als Frequenzbringer für die umliegenden Geschäfte sehr wichtig gewesen ist. Was nützt die originellste Sitzbank, wenn man auf tote oder blickdichte Fensterfronten schaut. Liegestühle, Stiefmütterchen und Luftballons – das alles ist rührend, macht die Einkaufsstraßen etwas bunter und die einheimischen Händler sympathisch. Straßen-Pflanzaktionen, Stadtteilfeste, Themenmärkte, Anzeigenschaltungen, Marketingstrategien, Rabattaktionen, Modenschauen, Schaufensterwettbewerbe oder Saison-Schlussverkäufe halten das Sterben der kleinen inhabergeführten Läden aber nicht auf. Ich kaufe ja auch nur das, was ich brauche und halte mich nur dort auf, wo es für mich einen Sinn ergibt. Eine Bürgerbefragung zum Einkaufs- und Freizeitverhalten der Radebeuler Bürger wäre da wohl ganz aufschlussreich. Trotzdem sollten sich die Händler nicht entmutigen lassen, weiterhin zusammenhalten und immer wieder ohne Schere im Kopf neue belebende Aktionen starten.

Der Erste Bürgermeister Dr. Jörg Müller (3.v.r.) und die Mitarbeiterin Anja Schöniger (Mitte) vom SG Stadtentwicklung beantworten im Bürgertreff die Fragen interessierter Bürger zum Sanierungsgebiet Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Die Erwartungen der Kunden an die Händler sind hoch und nicht alle Wünsche lassen sich realisieren. Es genügt schon ein Taschenrechner, um herauszufinden, was dem Händler nach Abzug von Miete, Betriebskosten, Verbindlichkeiten für den Warenbestand, Steuern sowie sonstigen Beiträgen und Unkosten zum Leben bleibt. Die Gründe wer warum im Handel arbeitet sind unterschiedlich. Nicht selten bekam ich zu hören, dass man unter den heutigen Bedingungen wohl kein Ladengeschäft mehr eröffnen würde. Umso erstaunlicher ist es, dass sich dann doch immer wieder Enthusiasten finden, die leidenschaftliche Händler sind und das auch noch lange bleiben wollen in der Hoffnung, dass bessere Zeiten und viele kauffreudige Kunden kommen.

Aber welche Geschäftsideen hätten denn überhaupt eine realistische Chance? Die Ladenflächen sind klein und die Mieten sind hoch. Die meisten Vermieter denken in erster Linie monetär. Die Sicherung eines ausgewogenen Branchenmixes ist nicht ihre Aufgabe und kann von ihnen auch nicht geleistet werden. Das Risiko liegt allein beim Gewerbetreibenden. Und was gab es da nicht schon alles für tolle Ansätze mit Cafeteria in der Sparkasse, Boutiquen, Jugendmode, Geschenkartikeln, Spezialitäten, Blumen, Antiquitäten, Modeschmuck, Gebraucht-, Schreib- und Spielwaren, die über kurz oder lang gescheitert sind. Ein entscheidender Punkt ist, wie lässt sich das Risiko für Neustarter minimieren? Vier Wochen Pop Up Store reichen da vermutlich nicht aus. Also welche Art von Unterstützung brauchen die jungen Kreativen mit wenig Startkapital?

Das Einzelhandelssterben ist ein deutschlandweites Phänomen. Bestehen wird künftig, wofür es einen Bedarf gibt. Angebot und Nachfrage bedingen einander. Die Kunden sind nicht weg – sie sind nur woanders. Man begegnet sich heutzutage in den Gängen der großflächigen Discounter, Supermärkte, Fachmärkte und Vollversorger. Die Einkaufswagen sind gut gefüllt, was der Theorie, allein der Online-Handel sei an der ganzen Misere schuld, widerspricht.
Die großflächigen Märkte auf der grünen Wiese mit kostenlosen Parkplätzen und breit aufgestellten Sortimenten von billig bis Bio haben den Innenstadtbereichen erhebliche Kaufkraft entzogen. Wie gehen andere Städte damit um? Dank Google stößt man da auf sehr viele gute Beispiele.

Alles ist relativ. Im Vergleich z.B. mit Wahnsdorf oder Lindenau sieht es im Zentrum von Radebeul-West doch ganz gut aus. Hier vermisst man fast nichts. Waren des täglichen Bedarfs, Eisdiele, Sparkasse, Apotheke, Buchhandlung – alles noch da! Und was es hier nicht gibt, besorgt man sich in Dresden oder im Netz. Das Zentrum von Radebeul-West ist zwischen Weinhängen und Elbaue sehr schön gelegen und hat allerhand zu bieten: eine repräsentative Gründerzeitbebauung, breite Fußwege, Schatten spendende Bäume, eine gute Anbindung an das öffentliche Nahverkehrsnetz und den Elberadweg. Nur ein paar Schritte weiter in Altkötzschenbroda befinden sich sonnige Biergärten, kleine Kneipen, Kunst, Kultur und exklusive Läden. Also wo liegt das Problem?

Woran es eindeutig mangelt im Bereich der Bahnhofstraße, sind größeflächige Frequenzbringer, von denen die kleine Läden partizipieren können. Und nun wird es kompliziert. Obwohl die Zeitfenster für den Verkauf von Bahnhof und Post viele Jahre offen standen, fehlte wohl den Entscheidungsträgern der strategische Durchblick. Wer, wann, was versäumt hat, das herauszufinden ist müßig. Wie heißt es doch: Gemeinwohl geht vor Eigennutz. Spätestens hier scheiden sich die Geister. Der Pessimist wird zynisch, der Optimist wird ironisch. Gegenseitige Schuldzuweisungen sind unproduktiv. Zu spät ist zu spät! Und privat ist privat! Alles andere ist Wunschdenken und setzt die Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer voraus. Im Besitz der Stadt befinden sich zur Zeit lediglich der Bahnhofsvorplatz, der Apothekerpark sowie öffentliche Fußwege und Straßen bzw. verschiedene Flächen, welche einmal für den „Schulcampus“ genutzt werden sollen.

Dass sich vier Schulen, zwei Horte und ein Schulclub in diesem ohnehin dicht besiedelten Gebiet befinden werden, ist nicht unwesentlich und wirft einige Fragen auf. Wo werden die vielen Kinder und Jugendlichen ihre Freizeit verbringen? Was bedeutet das für die immer größer werdende Bevölkerungsgruppe von Senioren, die im nahen Wohnumfeld fußläufig einkaufen, soziale Kontakte und den geistigen Austausch pflegen, sich bilden und informieren wollen?

Das Sanierungsprogramm steht unter dem Motto „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“. Hierfür wurden die Fördermittel bewilligt. Das Spannende hieran ist, welcher praktische Nutzeffekt sich daraus für die Radebeuler Bürgerschaft ergeben wird. Der Horizont sollte nicht zu eng abgesteckt werden, denn immerhin ist Radebeul-West eines von zwei Stadtzentren, die alters- und sozialübergreifend gedacht werden müssen. Es ist völlig kontraproduktiv, die Bahnhofstraße isoliert zu betrachten.

Im Sinne von Händlern und Kunden könnte z.B. durch die Wirtschaftsförderung ein gesamtstädtisches Informationsportal mit kurzen sachlichen Texteinträgen von allen Radebeuler Handels- und Dienstleistungseinrichtungen eingerichtet werden. Vielleicht ließe sich damit das bewusste Einkaufen vor Ort befördern. Denn oftmals mangelt es an Information. Häufig hört man: „Das es das hier gibt, habe ich gar nicht gewusst.“ Vor allem für die Neuradebeuler wäre dieser Service ein sehr nützliches Stück Willkommenskultur. Der Besonderheit unserer Stadt Rechnung tragend, sollte man auch viel mehr die Stärken von Radebeul-Ost und Radebeul-West herausstellen und damit das Interesse für beide Zentren wecken. Ein durchgängiger Radweg könnte hierzu verbindend beitragen.

In Kooperation von Händlerschaft und Stadtverwaltung wurde zur Entwicklung der Bahnhofstraße eine AG Leitbild gegründet. Die ersten Arbeitsergebnisse kann man in einer Leitbildbroschüre nachlesen. So will man z.B. unter dem Motto „Bahnhofstraße – das hat was“ ein neues „Wir-Gefühl“ vermitteln. Da ist u.a. die Rede von Co-Working-Spaces, Tiny Houses, Moonlight-Shopping, Pop Up Stores … Moment mal, bin ich mit 65 Jahren schon zu alt, um zu verstehen worum es hier eigentlich geht?
Ach übrigens, vorm Bürgertreff steht wieder ein Briefkasten für Wünsche, Ideen, Vorschläge und Kritik. Die Leitbildbroschüre habe ich allerdings im Bürgertreff vergebens gesucht. Gefunden habe ich sie dann im Internet.

Bevor mit der praktischen Sanierung begonnen wird, wäre es wohl wichtig, dass sich Händler, Bürger, Eigentümer, Vertreter der ortsansässigen Bildungseinrichtungen, Fachämter und Kommunalpolitiker noch einmal mit der komplexen Problematik kritisch auseinandersetzen, um eventuelle Interessenkonflikte bereits im Vorfeld zu minimieren. Der Optimist würde hier anmerken: Besser spät als nie. Die Entwicklung eines modernen, lebendigen und gut funktionierenden Stadtzentrums ist schließlich unser aller Ziel.

Karin (Gerhardt) Baum

Editorial 05-19

Unsere Kulturzeitschrift mit dem programmatischen Titel „Vorschau & Rückblick“ kommt nicht umhin, auf die Zeit von vor genau 30 Jahren vertieft zurückzublicken. Immerhin ist auch die Wiedergründung der „Vorschau“ dann im Mai 1990 ein Kind jener spannenden Zeit des Umbruchs, der, fast unmerklich, schon im Monat Mai ’89 mit den Unregelmäßigkeiten bei den Kommunalwahlen seinen Anfang nahm. Es folgte ein beispielloser Exodus von DDR-Bürgern in den Sommermonaten nach Ungarn oder in die Tschechoslowakei, um über Umwege in die alte Bundesrepublik zu gelangen. Unvergessen bleiben die Worte von Hans-Dietrich Genscher an die Ausreisewilligen in der Prager Botschaft, die in der Erinnerung noch heute eine Gänsehaut beschert.
So hat sicher ein jeder, der die Vierzig ein Stück weit überschritten hat, seine ganz eigenen klaren Bilder und Geschichten vor Augen.
Für mich war überaus prägend, dass ich wohl die interessanteste Abi-Zeit an der einstigen „Erweiterten Oberschule Juri-Gagarin“ (heute Gymnasium Luisenstift) erleben durfte. Im Herbst 1989 startete die 11. Klasse noch mit FDJ-Montagen, an denen das Tragen des Blauhemds Pflicht war. In den Gängen hingen die üblichen Wandzeitungen und zwischen der Schulleitung und „aufmüpfigen“ Schülern gab es über Wochen einen erbitterten Streit, ob Artikel aus West-Zeitungen ausgehängt werden durften. Die Geschehnisse überschlugen sich. Es folgten die berühmten Montagsdemos, der Bildungsplan wurde rigoros über den Haufen geworfen, DDR-Schulbücher wurden durch Importe ersetzt und keine zwei Jahre später sah ich mich mit einem bundesdeutschen Abitur in einem neuen Land in den Händen.

Verehrte Leserinnen und Leser,
hiermit möchte wir Sie nun ausdrücklich ermuntern, uns Ihre Geschichten zu erzählen, damit wir bestenfalls noch jedes Heft dieses Jahres mit persönlichen Zeitdokumenten bereichern können.
Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften!

Sascha Graedtke

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