Titelbild August 2015

Scharfenberg – Burg oder Schloss ist die Frage? Beides trifft zu, über die Jahrhunderte zum Schloss gewordene Burg läuft es heute unter »Schloss Scharfenberg«. Als erste Erwähnung der Burg gilt das Jahr 1227, doch bereits vorher dürfte hier eine Grenzfeste deutscher Siedler gegenüber dem Land der Slawen bestanden haben. Der Palas auf dem Bergsporn, später mit oberem Renaissanceabschluss, war vom Elbtal deutlich zu sehen – davon existieren nach Blitzeinschlag von 1783 heute nur noch Reste. Lange besaß die in Sachsen weit verzweigte Familie von Miltitz das Schloss. Zu Zeiten Karl von Miltitz (1780 – 1845) trafen sich hier wie auch im benachbarten Schloss Siebeneichen ein Teil der deutschen Romantiker, darunter auch der in Radebeul bekannte Moritz Retzsch. Dieser Aspekt wäre vielleicht mal in einem gesonderten Artikel zu beleuchten. In den 60er Jahren des 20. Jh. hatte der Meißner Maler Otto Walcha hier sein Atelier neben einem kleinen Heimatmuseum. Aber alle gut gemeinten Bemühungen der 70er und 80er Jahre u.a. von Günter Donath, Albrecht Höfer, TU-Studenten und dem VEB Denkmalpflege konnten den Verfall kaum stoppen. Erst der heutige (seit 1997) Eigentümer Gert Leo Lippold scheint das alte Gemäuer schrittweise mit neuem Nutzungskonzept in den Griff zu bekommen. Man kann nun stimmungsvolle Räume für private Feiern, darunter auch Hochzeiten, mieten und auch da eine Zeit lang wohnen. Schrittweise bedeutet, es ist noch nicht alles geschafft – wir wünschen Herrn Lippold weiterhin gutes Gelingen bei der Realisierung seiner Pläne!

Dietrich Lohse

Titelbild September 2015

Das kleine Dorf Mobschatz, auf dem Hochland über Cossebaude gelegen, gehört zur letzten Gebietserweiterung der Stadt Dresden und war durch seinen Obstanbau bekannt. Der alte Vierseithof Altmobschatz 1, seit 1979 Kulturdenkmal, liegt am Eingang zum Dorfanger und hat außer der Größe noch etwas Besonderes: es ist die Torgestaltung, die beiden Torsäulen der Einfahrt werden von zwei Rokoko-Sandsteinvasen bekrönt, während die Pforte, wie üblich, im Rundbogen geschlossen ist. Für eine Umsetzung der Vasen im Sinne von Spolien gibt es keine Belege. Wir dürfen also von einem wohlhabenden und kunstsinnigen Bauern ausgehen, der um 1750 sein Tor im Stile der Zeit schmücken konnte. Am Tor selbst ist keine Jahreszahl, aber an vier Stellen des Gehöfts finden wir solche, die die Geschichte des Bauernhofs widerspiegeln. Auf einer Metalltafel (wohl 20. Jh.) am großen Wohnhaus wird daran erinnert, dass der Hof bereits 1550 einer Familie Kürbis gehörte, 1816 steht für einen Wiederaufbau nach Brand im Dorf. Eine Schrift auf Putz am Auszugshaus belegt, dass Carl Traugott Kürbiß 1855 dasselbe baute bzw. umbaute und am östlichen Langhaus erkennen wir das Jahr 1896 in Sandstein gemeißelt, vielleicht eine Erweiterung. Interessant ist, dass die Familie Kürbis, wie an der Klingel zu lesen, das Anwesen wohl von 1550 bis heute besitzt, auch wenn sich die Schreibweise des Namens mal geändert hatte. Lobenswert, dass die historischen Vasen bis heute erhalten wurden. Sollte die Sanierung des Bauernhofs weitergehen, darf man auf weitere denkmalpflegerische Akzente hoffen.

Dietrich Lohse

Leserbriefe

Liebe Frau Rau,

gerade habe ich „Vorschau & Rückblick“ Juni 2015 gelesen. Es ist diesmal eine ganz besonders gelungene Ausgabe, zu der ich gratuliere und für die ich mich beim gesamten Kollektiv (kennen Sie das Wort noch?) doch sehr bedanken möchte. Es ist keine leichte Aufgabe, jeden Monat dem interessierten Leser etwas Neues und Interessantes zu bieten. Mehr »

Gedankensplitter zur Kötzschenbrodaer Schiffsmühle

Wie die Überschrift erahnen lässt, handelt es sich nicht um eine komplette geschichtliche Abhandlung zu diesem Thema, auch nicht um die Biografie eines Schiffsmüllers, der Müller hieß. Aber ein historischer Gegenstand aus meinem täglichen Umfeld inspirierte mich, über beide Themen einen Moment nachzudenken und etwas – quasi als Splitter – niederzuschreiben. Mehr »

Erinnerungen an Milena

Irgendwann im Sommer 1925, also in diesen Tagen vor 90 Jahren, dürften sich Passanten am Bahnhof Kötzschenbroda und dann weiter entlang der Moritzburger Straße über einen nicht alltäglichen Anblick gewundert haben. Ein adliger Herr im feinen Anzug schiebt eine Karre mit Gepäckstücken, begleitet wird er von zwei jungen, gut gekleideten Damen. Mehr »

Beitrag zur Veranstaltung „Häuser und ihre Besitzer“

verein für denkmalpflege und neues bauen

Im Retzschhaus zu Gast

Es will gesehen werden, das fast 400 Jahre alte und in schönen warmen Farben restaurierte Winzerhaus der Familie Seifert/Tichatschke auf der Weinbergstraße 20. Mit seiner Süd-Westkante und dem turmartigen Vorbau schiebt es sich in die sanft ansteigende Straße und bildet somit einen dominanten Blickpunkt, aber auch einen Ort zum Verweilen. Mehr »

Radebeuler Begegnungen

Exkursion von Lindenau nach Nieder- und Oberlößnitz am 29. August 2015

Nunmehr zum siebenten Male setzen sich Radebeuler in Bewegung, um Radebeuler kennen zu lernen. Unter der fachkundigen Leitung des Freizeithistorikers Hans-Georg Staudte beginnt die Ortsteilwanderung dort, wo sie zuletzt endete. Einige der schönsten Fotos von der sechsten Radebeuler Begegnung, welche in die 725-Jahr-Feier von Lindenau eingebunden war, werden zu sehen sein. Mehr »

Editorial

Holiday in the hometown!

Heute spare ich mir den Weg zum service store im Bahnhof von Coswig, um irgendwo hin zu wollen. Nein, heute wird ein ganz besonderer Tag! Noch schnell zum discounter und shoppen für die party. Ein paar drinks und chicken wings dürfen nicht fehlen. Vielleicht noch ein highlight für die happy hour? Aber auch Andere lassen es sich heute gut gehen. Zwei tenniegirls kommen ganz crazy aus dem »nails for you«-shop in West. Stimmt, ein bißchen style und wellness müsste auch mal sein. Schon des Öfteren schielte ich auf den »Kryo Lounge«-Laden in Ost. Was die da wohl machen?

Jetzt ist nur noch chillen angesagt. Ich gehe mit Tablett und tablet in den Garten, lege mich in den Liegestuhl und empfange meine ersten Gäste so nach und nach in social networks. Endlich sind alle wieder mal beisammen – und eine Stille ist hier. Nun gut, der eine oder andere mischt sich per skype schon etwas aufdringlicher in die wachsende Runde. Und wäre da nur nicht das Summen und Klingeln all der mails, sms‚ und whatsapps auf dem smartphone die selbst jetzt nicht aus dem Blickfeld gelassen sein wollen. Aber das coolste kommt ja noch. Jeden Sonnabend so gegen drei viertel zehn gibt es ein ritualisiertes event, was mit seiner Beständigkeit wohl nur noch mit dem Amen in der Kirche zu vergleichen ist: ein krönendes Feuerwerk, irgendwo im Häusermeer! Das lässt die von der Feier in weiten Teilen ausgegrenzte Bürgerschaft zumindest akkustisch an den allwöchentlichen Festivitäten teilhaben. So klingt der Abend mit einem update von allen Seiten nun so langsam aus. Warum denn in der Ferne schweifen? Ist doch schön bei uns in Redbull.

Sascha Graedtke

Titelbild Juli 2015

Zum Titelbild  07/15

Als Familie Matthes / Schürbrand dieses ehemalige Pfarrhaus in Naustadt 2008 in Erbbaupacht übernahm war der Pfarrer längst ausgezogen, nur die Kantorin wohnte noch hier. Erfreulich ist, dass mit dem Gemeindesaal im EG neben Wohnungen noch ein Teil des kirchlichen Lebens im Hause stattfindet, so hörte ich einmal Gesang im ehemaligen Pfarrhaus als der Kinderchor probte.
Das Haus, ein Winkelbau aus Süd- und Ostflügel mit steilen Satteldächern, ist wohl nicht ganz so alt wie die Kirche. Interessant ist, dass wir an Details erkennen können, dass im EG des Südflügels früher eine Blockstube (vergl. Umgebindehäuser i. d. Lausitz) war. Die Zahl 1826 im Schlussstein über der Tür könnte ein Indiz dafür sein, dass zu dieser Zeit die hölzerne Blockstube gegen massive Mauern ausgetauscht wurde. Der Südflügel mit dem reicheren Fachwerk ist wohl im 16. und der Ostflügel im 17. Jahrhundert entstanden. Das am leicht ansteigenden Hang liegende Ensemble (Hofseite =  Schauseite) wirkt trotz verschiedener Bauzeiten sehr harmonisch. Der gute Erhaltungszustand täuscht heute darüber hinweg, dass Familie Matthes / Schürbrand als erstes statische Probleme angehen musste und dann über die Jahre weiter viel tun hatte. Mit zwei Berufen im Holzhandwerk konnten sie manches selbst machen, zum Dachdecken des Ostflügels (Biberschwanzziegel mit Fledermausgaupen) und anderen Gewerken brauchte sie aber Hilfe. Mit dem Ergebnis einer Sanierung mit schonendem Umgang kann auch die Denkmalpflege sehr zufrieden sein.

Dietrich Lohse

Rückblick auf den Vortrag zum 125. Geburtstag von Gerhard Madaus

Sein Wirken und bauliche Zeugnisse in Radebeul

Mit Überraschung stellten die Ausrichter des Vortrags fest, dass es mehr Interessenten an diesem Thema gab, als der Vortragsraum der Stadtbibliothek mit seinen 55 Sitzplätzen fassen konnte. So verfolgten eine Reihe Gäste die Ausführung stehend und leider sah ich auch (wenige) ältere Gäste in Ermangelung eines Platzes wieder gehen. Auch die Resonanz danach zeugte von großem Interesse am Thema. Um den Teilnehmern und denen, für die eine Teilnahme nicht möglich war, etwas an die Hand zu geben, war die Referentin Frau Dr. Marina Lienert bereit, noch einen Artikel zu schreiben – vielen Dank!

5-madaus-1Am 23. April 1919 gründeten der Bankbeamte Friedemund Madaus (1894-1969) und der Apotheker Hans Madaus (1896-1959) in Bonn das pharmazeutische Laboratorium „Gebrüder Madaus“. Am 1. Juni 1919 trat auch der dritte Bruder in das Geschäft ein, das nun unter dem Namen „Dr. Madaus & Co., pharmazeutisches Laboratorium“ in Bonn firmierte. Gerhard Madaus (1890-1942) war 1918 in Bonn zum Dr. med. promoviert worden. 1920 heiratete er Hanna, geb. Kinne (geb. 1892). Der Ehe entstammten vier Kinder. Die Arzneimittel, die das pharmazeutische Laboratorium herstellte, bedienten alternativmedizinische Konzepte. Diese hatten die Brüder bei ihrer Mutter kennengelernt. Die Pastorenfrau und Mutter von sieben Kindern Magdalene Madaus (1857-1925) hatte als Heilerin homöopathische Komplexmittel (Präparate mit mehreren bei einem Anwendungsgebiet wirksamen homöopathischen Einzelmitteln) entwickelt und mit der Irisdiagnostik gearbeitet.

Gerhard Madaus entwarf das Konzept der „Biologischen Heilkunde“, ausgehend von der „biologischen Reizregel“, die sein Lehrer Hugo Schulz (1853-1932) vertreten hatte. Danach soll die Lebenstätigkeit durch kleine Reize angefacht, durch mittelstarke gefördert, durch starke gehemmt und durch stärkste aufgehoben werden. Nach Madaus erkrankt immer der ganze Mensch, nicht nur ein Organ, und die Selbstheilungskräfte des Organismus (Immunsystem) können mittels verschieden starker Reize beeinflusst werden, damit der Mensch gesundet. Dies konnte durch naturheilkundliche Anwendungen (Licht, Luft, Wasser, Wärme, Kälte, Bewegung, Ruhe, Ernährung), aber auch durch homöopathische Niedrigpotenzmittel und Komplexmittel – von ihm als Oligoplexe auf den Markt gebracht – , Pflanzenheilmittel oder biochemische Präparate geschehen. Er verband also mehrere alternativmedizinische Heilweisen miteinander. Madaus lehnte zwar die Schulmedizin weitgehend ab, aber er standardisierte seine Präparate und bediente sich dabei naturwissenschaftlicher Methoden.

Farbrikansicht der Familie Dr. Madaus & Co. von der Gartenstraße aus

Farbrikansicht der Familie Dr. Madaus & Co. von der Gartenstraße aus      Foto: Radebeuler Stadtarchiv

Sein Motto lautete: „Das exakt zubereitete Arzneimittel ist für den Heilerfolg ebenso wichtig wie die richtige Verordnung.“ Deshalb mussten alle Einflussfaktoren auf das Arzneimittel – beginnend bei der Auswahl der Pflanzen, über den Zustand des Bodens, die klimatischen Bedingungen, den Teil der genutzten Pflanze, den Erntezeitpunkt, die Weiterverarbeitung bis hin zu Verpackung, Lagerung und Versand – analysiert und standardisiert werden. Dann war gewährleistet, dass immer die gleiche Menge arzneilich wirksamer Substanz in den Präparaten enthalten war. Der wirtschaftliche Erfolg der Firma ermöglichte auch die dazu erforderliche wissenschaftliche Forschung. Schon im ersten Jahr nach Gründung des Geschäfts in Bonn richteten die Brüder Madaus 1920 eine erste Filiale in Stuttgart ein. Weil 1920 das Saargebiet unter französische Verwaltung gestellt sowie in das französische Zoll- und Währungsgebiet integriert worden und daher für den Export nach Deutschland Zoll zu zahlen war, zog Madaus & Co. 1921 nach Radeburg. Hier setzte Gerhard Madaus gegen seine Brüder durch, dass ab 1922 mit dem Arzneipflanzenanbau begonnen wurde. Im nächsten Jahr folgte die Gründung einer Verlagsabteilung und Hausdruckerei für die Etiketten und Werbeschriften. 145 Publikationen verlegten Gerhard Madaus und seine Brüder, darunter die beliebten Madaus-Jahrbücher (1926-1938), die Mitteilungsblätter für die Praxis und wissenschaftliche Begründung der Anwendung biologischer Heilmittel (1936 – 1941) sowie das Taschenbuch für die biologische Praxis (1930-1941). Von besonderer Bedeutung war der Aufbau einer chemischen Abteilung im Jahr 1927 für die naturwissenschaftliche Forschung und die Kontrolle der Präparate. Parallel zum Ausbau in Radeburg eröffnete Madaus & Co. von 1924 bis 1935 sechs weitere Filialen in Deutschland, Frankeich und Holland. Bereits 1929 waren die Möglichkeiten in Radeburg ausgeschöpft. Die Firma zog nach Radebeul, weil hier eine größere Fabrikanalage mit direktem Gleisanschluss sowie umfangreichere Anbaugebiete zur Verfügung standen. Immerhin rund 250 Mitarbeiter nannten sich nun „Madausianer“. 1933 wurde die Firma wohl als „judenfreundlich“ durchsucht – Gerhard Madaus hatte sich im „Biochemischen Bund“ engagiert, in dem mehrere als Juden geltende Vorstandsmitglieder agierten – und die Brüder auch kurzfristig festgenommen. Gerhard Madaus soll dann in den „Stahlhelm“ eingetreten und mit dessen „Gleichschaltung“ Mitglied der NSDAP geworden sein.

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Produktwerbung  Foto: Radebeuler Stadtarchiv

Er galt zwar nicht als eifriger Nationalsozialist. Seine „Biologische Heilkunde“ passte aber bestens in die vom “Reichsärzteführer“ propagierte „Neue Deutsche Heilkunde“, die eine „Synthese von Schulmedizin und alternativen Heilweisen“ vorsah, die der Arzt dann vertreten sollte. Heilpraktiker und andere Alternativmediziner würden damit überflüssig, und der Arzt als alleiniger „Gesundheitsführer“ konnte seinen Patienten dann auch die erbbiologischen und rassenhygienischen Auffassungen vermitteln. Die Firma expandierte und beschäftigte 1936 schon rund 550 Mitarbeiter. Mit der Gründung des Biologischen Instituts zur Erforschung von Arzneipflanzenwirkstoffen 1935 konnte die Forschung weiter ausgebaut werden. Auf dieser Grundlage verfasste Gerhard Madaus das „Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, Abt. I, Heilpflanzen“ (Georg Thieme Verlag Leipzig 1938), das in bisher unerreichter Weise Heilpflanzen, ihr, Vorkommen, ihre Wirkstoffe und auch die volkstümliche Anwendung vorstellt. 1938 erfolgte noch ein großer Neubau für Produktion und Verwaltung in Radebeul, sodass 1939 rund 700 „Madausianer“ hier arbeiteten. Während des Zweiten Weltkriegs erhielt die Firma „[…] aufgrund der Herstellung kriegsentscheidender Arzneimittel vom Reichswirtschaftsminister den Sonderausweis II Chem. Nr. 36 [und den Status, dass] die Produktion [der] Arzneimittel nicht eingeschränkt werden darf“. Da viele Mitarbeiter eingezogen wurden, mussten Zwangsarbeiterinnen, die im ehemaligen Gasthof „Krone“ untergebracht waren, deren Arbeit übernehmen.
Die Forschungsarbeiten konnte Madaus fortsetzen. Er hatte während seiner ausgedehnten Reisen erfahren, dass von den Ureinwohnern Brasiliens das Schweigrohr als Pfeilgift zur Sterilisierung ihrer Gegner verwendet wurde. Er konnte anhand von Tierexperimenten nachweisen, dass tatsächlich eine solche Wirkung erzielt werden konnte und hoffte, ein zeitweise sterilisierendes Präparat entwickeln zu können, vergleichbar der späteren Antibaby-Pille. Gemeinsam mit dem Direktor seines Forschungsinstituts, Dr. Friedrich Koch, publizierte er diese Ergebnisse. Am 26. Februar 1942 verstarb Gerhard Madaus. Danach interessierte sich die SS für die Schweigrohr-Versuche mit dem Ziel, eine preiswerte und sichere Methode für die Unfruchtbarmachung der unterjochten slawischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu erhalten. Wenn das Präparat beispielsweise jedem Brot beigemischt würde, könnten die Menschen noch als Arbeitskräfte gebraucht werden, aber sich nicht mehr fortpflanzen, so die perfide Vorstellung. Koch setzte auf Veranlassung der SS seine Experimente im Institut fort und forderte den Bau eines größeren Treibhauses. Ob die Experimente im KZ Dachau an Menschen fortgesetzt wurden, wie vorgesehen, ist nicht überliefert. Wohl aber, dass Brandwunden-Experimente mit Ecchinacea purpurea (Purpur-Sonnenhut), die Koch im Institut an Tieren durchgeführt hatte, im November 1943 im KZ Buchenwald von Dr. Ding an fünf KZ-Häftlingen „überprüft“ wurden und Koch davon Kenntnis erhielt. Daraufhin beeilte er sich, mit einer Publikation seine Erstautorenschaft sicher zu stellen.
Als die Brüder Madaus erkannt hatten, dass das „Dritte Reich“ den Krieg verlieren musste und Sachsen dann unter sowjetische Herrschaft gelangen würde, begannen sie 1944 mit der Verlagerung wichtiger Drogen, Forschungsunterlagen, Laboreinrichtungen und Apparate nach dem Westen. Schon vor Kriegsende floh die Familie Madaus nach Bonn, nur Friedemund Madaus hielt sich zeitweise in Radebeul auf. Mit dem Einmarsch der Roten Armee am 5. Mai 1945 erfolgte die sofortige Besetzung der Firma und deren Demontage sowie Verbringung in die UdSSR. Am 5. Oktober 1945 genehmigte und befahl die Sowjetische Militäradministration die Wiederaufnahme der Produktion mit max. 200 Mitarbeitern und 30 Maschinen. Wichtig wurde hierbei die Produktion von Penicillin, das erst 1942 in die Therapie eingeführt worden war und nun in der Nachkriegszeit für die Bekämpfung vieler bakterieller Infektionen in großen Mengen gebraucht wurde. Am 21. November 1946 verkündeten die Brüder Madaus offiziell die Verlegung des Firmensitzes nach Bonn, woraufhin ihnen am 3. April 1947 die Vertretungsbefugnis für die Radebeuler Produktionsstätten entzogen wurde. Am 1. Juli 1948 folgte dann die Enteignung der Firma Dr. Madaus & Co. Der Betrieb wurde der VVB (Vereinigung volkseigener Betriebe) Pharmazeutische Industrie zugeordnet.
Wie also ist das Wirken von Gerhard Madaus zu bewerten? Er hat gemeinsam mit seinen Brüdern den nach Wilmar Schwabe / Leipzig weltweit größten Exportbetrieb für homöopathische und biochemische Präparate aufgebaut. Seine Forschungen waren naturwissenschaftlich exakt und haben die standardisierte Herstellung von Pflanzenheilmitteln vorangebracht und das Wissen um die gegenseitige Beeinflussung von Pflanzengemeinschaften erweitert. Einzelne Präparate, wie Ecchinacea purpurea für die Unterstützung des Immunsystems, werden auch heute gern angewandt. Inwieweit homöopathische und biochemische Medikamente wirksam sind, bleibt aber stark umstritten. Madaus‘ pflanzenheilkundliches Wissen hingegen bleibt sein Vermächtnis. Der geplante Missbrauch seiner Erkenntnisse durch das NS-Regime (mit dem er sich arrangiert hatte) kann ihm, da er vorher verstarb, nicht angelastet werden. Inwieweit sein Forscher-Kollege Koch darin involviert war oder er durch die Forderung nach einem Treibhaus-Neubau diese Planungen behinderte, ist nicht mehr exakt nachvollziehbar.
Dr. Marina Lienert und Michael Mitzschke

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