Editorial 07-19

Schaut man in diesen Wochen in den Veranstaltungskalender, so kann man sich vor Terminen und kulturellen Angeboten kaum retten. Einiges ist nun bereits seit Wochen Geschichte und findet in diesem Heft seinen kleinen Rückblick. Anderes ist erst vor so kurzer Frist sprichwörtlich verklungen, dass es mit unserem vorgerückten Redaktionsschluss in Kollision geriet.
So war das Wochenende vor der Sonnenwende ungewohnt prall gefüllt. Im doppelten Sinne wollte man da ausrufen: „Der Sommer ist wieder da!“, und gemeint war neben dem prachtvollen Wetter natürlich die Jazzlegende Günter Baby Sommer, unter dessen Schirmherrschaft zum nunmehr vierten Mal das X-Jazz Festival mit wunderbaren Konzerten an unterschiedlichen Orten zur großen Freude der Besucher und Veranstalter zur Aufführung kam. Im kommenden Heft wird es eine würdige Reminiszenz für dieses Ereignis geben.
Ein zweiter Höhepunkt des Wochenendes waren die Feierlichkeiten zum 875. Geburtstag vom Stadtteil Naundorf, was mit dem dortigen Schulfest verknüpft war. Chapeau den Veranstaltern, die buchstäblich ein ganzes Dorf auf die Beine brachten. Zahlreiche geöffnete Höfe luden mit ihrem oft ursprünglichen Charakter zum Besuch und Verweilen ein. In einer Scheune wurde mit umfangreichen Texten und Fotografien die Geschichte Naundorf in vielerlei Facetten eindrücklich bebildert.
Groß und Klein verlustierte sich im Rahmen der zahlreichen Angebote rund um den Dorfteich, der so manchem auch eine dankbare Erfrischung bot.

Sascha Graedtke

Buchempfehlung: Lesetipps im Bücherfrühling 2019!

Der Preis der Leipziger Buchmesse wurde in diesem Jahr zum 15. Mal verliehen. Nominiert waren Kenah Cusanit mit dem Roman „Babel“, Matthias Nawrat mit „Der traurige Gast“, Jaroslav Rudis mit „Winterbergs letzte Reise“. Die ebenfalls nominierte Anke Stelling mit ihrem Roman „Schäfchen im Trockenen“ ging als Preisträgerin hervor.

Anke Stelling, 1971 im schwäbischen Ulm geboren, lebt seit Anfang der 90er Jahre in Berlin nach einem Studium am Literaturinstitut in Leipzig. Der neue Roman „Schäfchen im Trocknen“ ist eine schonungslose Milieu-Beschreibung, die im Prenzlauer Berg spielt. Die Autorin erzählt von der Mitvierzigerin Resi, die mit der Freundesclique nicht mithalten kann und sich angesichts einer Wohnungskündigung mit der harten und enttäuschenden Wirklichkeit konfrontiert sieht. Tatsächlich hält die Autorin ihrer eigenen Generation radikal den Spiegel vor. Es geht um verwirklichte Träume, um Ankommen, um Scheitern und sich selbst in die Tasche lügen, um Unabhängigkeit und eingebunden sein, um Beziehungslosigkeit und involviert sein. Anke Stelling beschreibt unsere Klassengesellschaft in diesem Roman härter denn je, sie schreibt über die tiefen Gräben und darüber, dass immer weniger Menschen darüber entscheiden, wer zu Wort kommt und wer nicht.

Matthias Nawrat, 1979 in Polen geboren, seit 1989 in Deutschland und der Schweiz, lebt heute ebenfalls als Autor in Berlin. Drei Romanen, die mit Förderpreisen geehrt wurden, folgt nun „Der traurige Gast“, ein philosophischer und zutiefst menschlicher Roman, der zeigt, was Verlieren, Verdrängen, Neuankommen bedeuten. Höchst intensiv erzählt das Buch vom Überleben – in aller Schönheit, trotz aller Schrecken. Es ist der Winter des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. Menschen, die sich begegnen, erzählen aus ihrem Leben, aber nicht nur. In eindringlichen Bildern fragt Der traurige Gast nach dem Sinn unseres Daseins.

„Winterbergs letzte Reise“ ist eine abenteuerliche Eisenbahnreise des Altenpflegers Jan Kraus mit dem alten und kranken Wenzel Winterberg. Winterberg ist ein gesprächiger 99-jähriger Deutscher, der nach dem Krieg aus der Tschechoslowakei vertrieben wurde. Jan, der Ich-Erzähler ist sein Pfleger und Sterbegleiter. Winterberg will mit ihm eine letzte Reise antreten auf der Suche nach seiner verlorenen Liebe. Von Berlin nach Sarajevo über Reichenberg, Königgrätz, Prag, Wien und Budapest. Winterberg: “Die Schlacht von Königgrätz geht durch mein Herz … sie war der Anfang von all unseren Katastrophen“. Ein meisterlicher, so noch nie gehörter Roman zur Geschichte Mitteleuropas!

Die genannten Romane können neben vielen anderen Neuerscheinungen in der Stadtbibliothek entliehen werden.

Martina Kunath

Radebeuler Plaketten und Notgeld aus Meißen

Wenn ich in der Überschrift »aus Meißen« schreibe, meine ich natürlich Produkte der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen, also keine Münzen aus Kupfer, Silber oder einem anderen Metall. Hierbei handelt es sich um ein eher selten betriebenes Sammelgebiet innerhalb der Numismatik, was auch daran zu erkennen ist, dass man kaum Tauschpartner findet. Ich selbst kam vor etwa 40 Jahren auf die Idee, weil meine Sammlung von sächsischem Silber nicht über die »10-Stück-Marke« hinauskam. Aber eine Sammlung lebt davon, dass sie wächst. Eine Kollektion von schönen Stücken aus Böttger-Steinzeug (braun) oder Porzellan (weiß) kann man leichter erweitern – bis auf wenige besonders rare Stücke findet man sie auf Flohmärkten zwischen 3 und 10 €.

Und es sind immer künstlerisch gestaltete Nebenprodukte der Manufaktur mit den berühmten gekreuzten Schwertern. Doch sollte man sie vorsichtig aufbewahren, denn sie sind, anders als ihre metallischen Schwestern, zerbrechlich, was ich bisher aber nur einmal erleben musste.

Eigenes Städtenotgeld, wie z.B. Dresden, Meißen, Freiberg oder Gotha hatten Radebeul bzw. die Radebeuler Gemeinden meines Wissens nicht in Meißen auflegen lassen. Doch war das sächsische Notgeld von 1920/21 aus Böttger-Steinzeug (zu 20 u. 50 Pfennig und zu 1 u. 2 Mark sowie zu 5, 10 u. 20 Mark, die 3 letzteren mit Teilvergoldung) auch für kurze Zeit in Radebeul in Umlauf. Avers sieht man die Werte als Zahlen, Revers neben heimischen Früchten und Figuren in bestimmter, für Sachsen typischer Tätigkeit sowie die Schwerter. Die zeittypische Gestaltung wirkt aus heutiger Sicht vielleicht etwas verspielt. Böttger-Steinzeug ist in Meißen im frühen 18. Jh. noch vor dem weißen Porzellan erfunden worden. Nach dem 1. Weltkrieg, wo alle Arten Metall in die Rüstung gegangen waren, herrschte Mangel an Metall auch für die üblichen Münzprägungen. Wohl auch deshalb besann man sich wieder des Porzellans und Böttger-Steinzeugs. Aber lange hielten sich diese Notgeldmünzen hier nicht, dann kam die Inflation und es war wohl auch etwas sperrig im Geldbeutel. Doch nun kommen wir in chronologischer Folge (soweit erkennbar) zu den Radebeuler Plaketten.
1922 Weinbaugenossenschaft Oberlößnitz mit dem Schloss Hoflößnitz (Abb. 1), D= 42mm in Weiß u. Braun, einzelne Exemplare auch teilvergoldet. Anlass dieser Auflage dürfte das Ende der Fertigstellung des Rück- u. Umbaus der Hoflößnitz (1912-21) unter Arch. Emil Högg gewesen sein.
1924 »Für den Bau einer Schwimmhalle der Lößnitz« (Abb. 2), D= 40mm in Weiß u. Braun. Die Geldsammlung durch den Verkauf der Plaketten hatte neben anderen Gründen nicht für den Bau gereicht. Vergleichen Sie hierzu meinen Artikel in V+R 06 u. 08 / 91.
1962 Radebeuler Kulturtage mit dem Jacobstein, D= 19mm in Braun, gelocht mit schwarz-rot-goldener Kordel.
1963 Radebeuler Kulturtage mit dem Jacobstein (Abb. 3), D= 24mm in Weiß, gelocht mit rosa Kordel. Mit nur zwei Jahrgängen scheint diese Idee leider nicht zu einer Tradition geworden zu sein. 1974 Stadt Radebeul mit Stadtwappen, D= 42mm in Braun, gelocht mit schwarz-rot-goldener Kordel. War das vielleicht als Erinnerung für Gäste unserer Stadt (damals war Melnik eine Partnerstadt) gedacht? Etwas in der Art ließe sich vielleicht zum Radebeuler Herbst- und Weinfest wieder mal auflegen.
1978 80 Jahre Druckmaschinenwerk »Planeta«, D= 65mm in Weiß.
1988 Karl-May-Museum Radebeul mit Indianerkopf (Abb. 4), D= 50mm in Braun.
Nach 1990 Schloss Wackerbarth mit dem Bild des Belvedere (Abb. 5), D= 50mm in Weiß, gelocht mit blauem Band.
Wie ich weiß, fehlen mir in meiner Radebeul-Kollektion mindestens noch zwei Stück – Landesbühnen Sachsen (1958) und eine weitere Plakette der Planeta (1971). Ein richtiger Sammler hat ja immer Hoffnung!

Für einen Münzsammler ist entsprechende Literatur eine wichtige Hilfe, nicht nur wegen der Preise. Das gilt selbstverständlich auch für mein dargestelltes Spezialgebiet. Meines Wissens sind bisher die Zeit der Weimarer Republik (den »Zeppelinflug« z.B. habe ich noch nicht) und die Zeit des 3. Reiches ohne Katalog geblieben, ebenso die Zeit von der Wende bis heute. Von 1947 bis 1990 gibt es jedoch sieben Katalogbände – fünf vom Transpress-Verlag Berlin und zwei vom Verlag Tierbs, Pirna. Das ist schon recht hilfreich.

Ein Sammler dieser hübschen Nebenprodukte der Manufaktur Meißen wird sich natürlich nicht auf die wenigen Radebeuler Stücke beschränken wollen. Er möchte ganz sicher das Sammeln deutschlandweit betreiben und vielleicht zu einem besonderen Anlass auch thematische Teile seiner Sammlung – wie berühmte Köpfe, z.B. die Professoren der TH/TU Dresden, interessante Gebäude oder Wappen – als eine kleine private Ausstellung gestalten.

Dietrich Lohse

Mit Thomas Rosenlöcher poetisch durch das Jahr

Nicht nur Ost-West-Spagat in Radebeul

Am 11. Mai fanden in Radebeul gleich zwei gewichtige Veranstaltungen statt: der Tag der Städtebauförderung im Sanierungsgebiet Ost und ein Stadtteilfest unter dem Motto „Radebeul tanzt“ im Sanierungsgebiet West. Also wohin zuerst? Die Entscheidung fiel zugunsten von Radebeul-Ost aus, denn dort wurde im historischen Rathaus Punkt 10 Uhr durch den Oberbürgermeister die neue Galerie im Treppenhaus eingeweiht. Den Auftakt bildete eine Präsentation mit Fotografien, Texten und Dokumenten zu den Gemeinde- und Rathäusern aller Radebeuler Ursprungsgemeinden im Wandel der Zeit. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass die Ausstellung durch Mitarbeiter der Stadtverwaltung, vorrangig des Hauptamtes, konzipiert und gestaltet wurde. Im Anschluss an die Ausstellungseröffnung startete eine Gruppe interessierter Bürger in Begleitung von Architekten und Mitarbeitern der jeweiligen Fachämter zu einem Rundgang durch die jüngst sanierten öffentlichen Gebäude wie Rathaus, Standesamt, Kulturbahnhof und Touristinformation.

Sachsens erste Palmenallee
Foto: K. (Gerhardt) Baum


In West tanzten derweil die Radebeuler mit der Einkaufstasche durch Sachsens erste Palmenallee. Dazwischen hingen Wahlplakate aller Couleur. Eine schwarze Wand stand quer auf der Bahnhofstraße und versperrte den von der Meißner-Straße Kommenden die Sicht auf das eigentliche Zentrum des Stadtteilfestes. Die ominöse Wand entpuppte sich als Teil einer Bühne, welche die Besucher mit ihre Rückseite empfing. Auf und vor der Bühne lief ein nicht zu überhörendes ganztägiges “Gute-Laune-Programm“. Models präsentierten freche Sommermode. Hip-Hopper, Rockn-Roller und Street-Dancer traten in raschem Wechsel auf. Die großen und kleinen Zuschauer tanzten emsig mit. Die Organisatoren hatten keine Mühe gescheut. Sogar 250 Stiefmütterchen wurden gepflanzt, 10 Palmen extra angeschafft und aufgestellt, 300 Luftballons aufgeblasen und unzählige Wimpelketten gespannt. Fürs leibliche Wohl war in reichem Maße mit Limonade, Kuchen, Eis, Bratwurst, Steak, Bier und Wein gesorgt. Wer da war, ließ sich den Spaß trotz des Regens nicht verderben. Der Grundtenor: „Ist doch gut, wenn was los ist. Was das ist, ist doch egal. Hauptsache es ist überhaupt was los. Die anderen meckern doch nur, weil sie immer meckern.“

Der Regen strömte und die Radebeuler strömten auch. Das Interessante daran ist allerdings, wo strömten sie hin? Welche Läden an diesem Tag bis wann geöffnet hatten, glich einem Buch mit sieben Siegeln. Wer sich im Bettenhaus vom Dschungelfieber anstecken ließ, in Büchern oder Reiseprospekten blätterte, wer Dank praktischer Tipps schlank und schön in den Sommer starten wird und ob das Stadtteilfest den Erwartungen der mitwirkenden Händler entsprochen hat – all das werden wir hoffentlich noch erfahren. Die Wahrnehmungen von Bürgern, Händlern oder Tagespresse sind sehr unterschiedlich. Und das ist auch total in Ordnung.

Die »Gute-Laune-Bühne« in Radebeul-West
Foto: K. (Gerhardt) Baum


Das Wetter jedenfalls erforderte Improvisation. In der ehemaligen Rossmann-Filiale ruckelte sich mit dem guten Willen aller Beteiligten vom Kuchenbasar, Flohmarkt, Kinderzirkus, Bastelstrecke und Limo-Bar bis zur Bürgerdiskussionsrunde irgendwie alles zusammen. Hauptsache ein wasserdichtes Dach überm Kopf!

Doch ein wenig paradox wirkte es schon – im Bürgertreff (zur Zeit ein Pop-Up-Store) waren Weinkartons gestapelt und in der ehemaligen Rossmann-Filiale die Bürger. Pardon, natürlich nicht gestapelt! Zusätzliche Bänke und Stühle wurden eilig herbeigeschafft. Jeder fand einen Platz. Die Informationsveranstaltung war mehr als gut besucht. Die angekündigten Zukunftsvisionen für Radebeul-West wollten sich die Radebeuler nicht entgehen lassen. Das Leitbild, an dem zahlreiche Händler mitgewirkt hatten, wurde durch die Stadtverwaltung erläutert und von den Anwesenden zur Kenntnis genommen. Sehr aufschlussreich waren die Ergebnisse einer Verkehrsuntersuchung. Die neue Leiterin der Radebeuler Stadtbibliothek stellte erste Überlegungen für eine künftige Bibliothekskonzeption vor, in der vor allem auch der soziokulturelle Aspekt stärkere Beachtung finden soll. Eine Bibliothek könnte demnach ein so genannter „dritter Ort“ sein. Als dritte Orte bezeichnet man neben der Wohnung und Arbeitsstätte frei zugängige Räume, die zur Kommunikation und Kreativität anregen, wo Begegnungen stattfinden können ohne Verpflichtung und Zwang. Das alles war sehr viel wohlklingende Zukunftsmusik in der Möglichkeitsform.

An ein Mikrofon hatte allerdings keiner gedacht. Und so war es für die Zuhörer in den letzten Reihen recht schwierig den Vorträgen zu folgen. Wie gesagt, im Bürgertreff hatte das schon mal besser funktioniert. Trotzdem wurde nach jedem Vortrag brav geklatscht. Revolution war gestern.

Der »Feedbackbriefkasten« mit Leitbildbroschüre vorm Bürgertreff in West


Die Bürger sind geduldig – das Bahnhofsgebäude ist es nicht. Der Verfall schreitet voran. Immerhin hat sich der Eigentümer Gedanken über die künftige Nutzung gemacht und stellt sich „eine Symbiose aus Kultur und Handel“ vor. Was lange währt wird wohl besonders gut. Sinn gäbe es schon, wenn die Bibliothek recht bald dort einzöge, damit das ehemalige Bahnhofsgebäude endlich seine „Strahlkraft für das ganze Stadtquartier“ entfalten kann. Spätestens hier sei nachdrücklich klargestellt, dass eine Kultureinrichtung vorrangig der Bildung und Erbauung dient. Für die Höhe ihrer Umsätze sind die Händler selbst zuständig. Beides sollte man nicht vermengen, voneinander abhängig machen oder gar gegeneinander ausspielen. Wenn sich durch ein gutes nachbarschaftliches Miteinander zusätzliche Synergieeffekte ergeben, ist das natürlich sehr erfreulich.

Es muss nicht immer Google sein, wenn man etwas lernen will. Auch aus das Radebeuler Stadtlexikon bietet hierfür reichlich Stoff. So hatte man bereits vor 110(!) Jahren in Bezug auf die Förderung der Wirtschaft sehr ambitionierte und komplexe Vorstellungen. Im Jahr 1909 präsentierten sich zur Ausstellung der Lößnitzortschaften auf der Kötzschenbrodaer Festwiese Handwerk, Gewerbe, Gartenbau und Industrie gemeinsam. Als Ausstellungshalle wurde auch der Vorgängerbau der heutigen Elbsporthalle – die damalige Schützenhalle – mit einbezogen. In eben dieser Halle und dem vorgelagerten Außenbereich fanden in den 1990er Jahren, wenngleich nicht in einem so gigantischem Ausmaß, wieder gesamtstädtische Gewerbemessen statt. Heute agieren die Radebeuler Händler in Ost und West, jeweils für sich.

In Ost gibt es zur Zeit durch die Initiative einzelner engagierter Händler den Weinfrühling im Kulturbahnhof und das (Paul-Große-)Passagen-Fest, in welches auch Bereiche der Hauptstraße eingebunden sind. Da sich der Gewerbeverein von Radebeul-Ost 2014 aufgelöst hat, fehlt es an stabilen organisatorischen Strukturen, was den kleinen Trupp von Aktiven mitunter an seine Belastungsgrenze bringt.

In West organisierten die Händler – ebenfalls aus eigener Kraft – im Jahr 2012 ihr erstes Herbstspektakel. Nach zwei Jahren ging ihnen allerdings die Puste aus. Mit Unterstützung des Kulturamtes gab es dann noch einmal für zwei Jahre eine Fortsetzung. Schließlich wurde im Zusammenhang mit dem Sanierungsgebiet ein Stadtteilmanager eingestellt. Dessen Intermezzo währte nur kurze Zeit. Ihm folgte eine sehr agile Quartiermanagerin, die am 1. Juni 2017 mit dem ersten Stadtteilfest und einem grundlegend neuen konzeptionellen Ansatz zur Belebung des Stadtteilzentrums gestartet ist.

Dass es jetzt für Händler, Bürger und alle Vor-Ort-Akteure in Radebeul-West eine Ansprechpartnerin gibt, ist sehr wichtig, denn alle wünschen sich nichts sehnlicher als eine offene und zielgerichtete Beteiligungskultur. Wann und wo die Quartiermanagerin Nadine Wollrad zu sprechen ist, steht wohl noch nicht fest. Der Kontakt per Mail ist allerdings auch jetzt schon unter bahnhofstrasseacht@gmail.com möglich. Wem die Entwicklung und Belebung des innerstädtischen Zentrums von Radebeul-West am Herzen liegt, der sollte sich als „mündiger Bürger“ unbedingt informieren und aktiv einbringen, denn die Weichen werden jetzt gestellt. Ausführliche Informationen zum aktuellen Stand der Dinge im Sanierungsgebiet enthält die vierte Ausgabe der „West-Post“, welche bei den Händlern kostenlos erhältlich ist. Eine Leitbildbroschüre hängt zur Einsicht am „Feedbackbriefkasten“ vorm Bürgertreff.

Wie schön, dass Radebeul zehn Ursprungsgemeinden hat, wo es immer wieder Gründe zum Feiern gibt. So luden Anwohner, Gastronomen und Gewerbetreibende am 19. Mai unter dem Motto „Bunt feiern ohne Blau zu machen“ zur Angerfete für Weltoffenheit und gegen Rassismus nach Altkötzschenbroda ein. Wer das verpasst hat, kann zum Kindertagsfest am 1. Juni auf dem Anger mit den Indianern weiterfeiern. Gründe zum Feiern gibt es auch in diesem Jahr für die Bewohner von Naundorf und Niederlößnitz. All die Initiativen, welche im kleineren Kreise und mitunter recht spontan stattfinden aufzuzählen ist in diesem Beitrag gar nicht möglich. Aber genau das ist es, was die Lößnitzstadt auch zwischen den großen Stadtfesten so lebendig und sympathisch macht.

Karin (Gerhardt) Baum

Sehnsucht nach Ordnung und Chaos

Anna Mateur im Interview mit Sascha Graedtke

Vom 14.-16. Juni findet in Radebeul das nunmehr 4. X-Jazz Festival statt. Ein reiches Programm an unterschiedlichen Örtlichkeiten lädt zum Hören und Verweilen ein. Unter den Künstlern ist diesmal erstmalig Anna Mateur dabei.

Foto: David Campesino

In diesem Jahr führt dich im Rahmen des X-Jazz Festivals der Weg auf die Bretter der Landesbühnen Sachsen. Was verbindest Du mit Radebeul?

Radebeul ist für mich vor allem das Weinfest, dann der wunderschöne Dorfanger, die Weinberge wenn man mit dem Zug vorbeifährt und nach der Himmelsleiter späht…

In den Landesbühnen hatte ich meine erste Hauptrolle als schizophrener Bürgermeister im „Drachen“ von Jewgeni Schwarz. Ich trat auf, hatte meinen ersten Satz und der Saal applaudierte. Das hat mich so verwirrt, dass ich dann auch gleich mein erstes Blackout vor großem Publikum hatte. Aber im Nachhinein meinten die Mitspieler, dass es nicht so lang gewesen sein muss. Man selber empfindet dann Stunden, wenn es zum Glück nur Sekunden sind.

Das Allerschönste an Radebeul-Serkowitz ist für mich das Lügenmuseum! Solche Schreine, Wunderkammern muss man beschützen, denn es ist etwas sehr Seltenes!!!

Günter Baby Sommer ist die gestaltende Kraft des Festival. Was verbindet Dich mit ihm?

Günther Baby Sommer saß damals in meiner Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik in Dresden. Es war meine erste und einzige Aufnahmeprüfung. Ich hatte sehr viel Prüfungsangst und meine Mutter meinte „Geh hin, dann weißt du wie es ist!“

Ich hatte einen Monolog der Irrenärztin Dr. Mathilde von Zahnd aus die Physiker von Dürrenmatt vorbereitet. Baby Sommer musste als Möbius, den ich anspielte und dem ich mich offenbarte herhalten. Ich brüllte rum und riss die Augen auf. Vermutlich war ich eine der Wenigen die Monologe vorbereitet hatte, denn wie ich später erfuhr, trugen die Meisten ein Gedicht vor.

Wie lange begleiten dich deine Musikerkollegen Samuel Halscheidt und Kim Efert schon und wo hast du sie kennen gelernt?

Samuel habe ich damals als Mitstudenten in der Hochschule kennengelernt. Er ging dann nach Berlin und tauchte wieder auf als ich neue Gitarristen suchte, weil meine damaligen Bandkollegen ihre eigenen Projekte angingen in Indien und Linz.

Da tauchte Samuel dann auf. War das 2008? oder 2010? Ich hab es nicht so mit Zahlen.

Kim kannte ich gar nicht aber Stephan Braun, unser Jazzcellist meinte, wir sollten ihn mal einladen. Für Kim war das auch merkwürdig als wir ihn baten sich zu Libertango auf den Boden zu legen.
Beide sind immer noch am Start. Aber wir werden älter und kinderreicher.

Du entstammst einem sehr musikalischen Elternhaus. Wann war Dir klar, dass Du auch einen künstlerischen Weg einschlagen willst?

Als ich in der 7. Klasse an die Spezialschule für Musik wechselte. Wenigstens für 3 Jahre, denn eine gute Querflötistin wäre nimmer aus mir geworden.

Im Oktober 2019 jähren sich zum nunmehr 30. Mal die Feierlichkeiten zur sogenannten „Wende“. Du bist Jahrgang 1977. Welche Rolle spielt die DDR noch in Deinen Erinnerungen?

Meine Kindheit verbrachte ich in der DDR. Ich wurde in Dresden geboren bin in Dresden-Süd aufgewachsen. Mit 16 zog ich mit meinen Eltern und drei Geschwistern nach Bannewitz. Vor dem Haus war nur Feld und hinterm Haus war eine Wiese und ein Waldrand. Das war erstmal eine Umstellung, zumal man mit 16 eher auf andere 16jährige scharf ist…, das war zunächst hart,aber dann genoss ich es auch auf Dresden im Morgennebel zu schauen. Allerdings hätte ich auf den bergigen Schulweg mit dem Rad verzichten können.

Die DDR-Kindheit war schön und beschaulich. Man bekommt als Kind nicht das große Ganze mit, sondern sein Umfeld. Die Wende kam, da war ich 11/12/13. Meine Eltern und meine Großmutter waren nicht in der Partei und mein Großvater war Pfarrer gewesen. Wir lebten alle in einem Haus am Stadtrand, welches meine Ururgroßeltern gebaut hatten, eine alte Eisenbahnerdynastie.

In unserem Garten stand ein Eisenbahnwagon 4!!!!Klasse. Den hatte Tante Jenny damals an ihr Auto angehängt und vom Dresdner Hauptbahnhof nach Dresden Altpestiz gezogen. Die ganzen Neubauten und dergleichen gab es damals noch nicht.

Den Wagon hat mittlerweile ein Eisenbahnverein abgeholt. Er diente uns damals zum Versteckspiel und für die Gartengeräte.

Wir hatten kein Westfernsehen, also genoss ich eine Kindheit mit Flimmerstunde, Clown Hoppla, Spielhaus…

Die Lehrer waren freundlich und streng. Und doch gab es das „Ab in die Ecke und schäme dich“ oder „Wir alle als Kollektiv wollen nicht, dass du…….“ usw. Aber ob das jetzt nur im Osten so war und ob das nicht zu Zeiten meiner Großmutter noch schlimmer war kann ich nicht sagen.

Wir bekamen 1988 ein Telefon von fünf Leuten installiert, als nur mein kleiner Bruder zu Hause war. Meine Eltern waren oft auf Veranstaltungen und Demos und machten sich auch manchmal Sorgen dass man uns als Druckmittel einkassieren könne. Meine Mutter meinte dann oft zu uns:“ Wenn jemand sagt, komm mit ich kenne deine Eltern, dann geht nicht mit!“ oder „Wenn wir mal nicht nach Hause kommen dann ist ja die Grossmama da, die passt auf euch auf.“ Ich habe diese Sätze damals nie begriffen.

Da ich sie heute verstehe bin ich sehr wütend, dass Menschen sich um so etwas überhaupt sorgen müssen.

Und es sind ja auch genug Dinge passiert. Wir hatten Glück. Mein Vater leitete einen Chor. Die trafen sich bei uns zu Hause und auch unser Spitzel sang da mit. Der andere Spitzel kam jeden Tag zum Mittagessen. Er war Heimkind und naja, ich denke die DDR hat Heimkinder wunderbar indoktrinieren und benutzen können.

Die Wende und die Debatten und Demos waren für mich unglaublich spannend und haben mich sehr geprägt. Wenn man aufwächst und es heißt immer:“Ach, die Nazis und was haben sie alles mit den Juden und Andersdenkenden gemacht.“ und “Wir lassen nicht zu, dass so etwas wieder passiert.“ und dann sieht man irgendwann Dokus, dass sich Honecker und Konsorten in Wandlitz auch das Reh vor die Flinte jagen ließen. Holzauge sei wachsam aber werde nicht paranoid. Mein Geschichtslehrer Herr Rothe an der Spezialschule für Musik meinte, „Geschichte wiederholt sich gern, das geht immer in Wellen, schaut euch um und vergleicht!“

Als gebürtige Dresdnerin bist du eng mit Deiner Heimatstadt verbunden. Wie empfindest du die Entwicklungen der jüngsten Jahre?

Es gibt ja DIE Wahrheit nicht und ich habe sie nicht gepachtet. Ich kann tatsächlich nur Empfindungen schildern und mir wünschen, dass wir uns überraschen mit unserer Schwarmintelligenz, die ich unserer Schwarmdummheit gegenüberstelle.

Genauso überfordert wir von den vielen Informationen sind, die auszusortieren wir noch nicht gut gelernt haben, genauso sehe ich auch eine Chance darin, dass sich viele Menschen austauschen.
Es ist traurig wenn ich sehe, dass da 15.000 Leute „Wir sind das Volk“ brüllen und mir überlege, dass damals auf dem Theaterplatz ein Schrei nach Vereinigung war und nicht nach Trennung. Die Leute hatten Scherpen um auf denen stand: KEINE GEWALT!

Die Ostdeutschen wollten auch ein besseres Leben als sie in den Westen flohen. Was also empfinde ich, wenn ich sehe wie Menschen auf die Straße gehen und Dinge sagen wie: Ab nach Auschwitz oder Feiern wenn Menschen ertrinken. Aber das sind eben nicht ALLE Dresdner. Das sind Wenige und auch viele von Außerhalb die sich da zusammenfinden um zu Motzen. Warum findet man sich nicht zusammen um etwas Schönes zu unternehmen? Gemeinsam picknicken oder Zaun streichen, gemeinsam aufs Amt gehen und Muffins mitnehmen, für die lange Wartezeit. – Spinnstuben mussten was Tolles gewesen sein. Das Wertschätzen und das gemeinsame Miteinander sind Dinge die wir wiederentdecken sollten.

Meine Maxime lautet: „Ältestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgefasstes Neue.“ (Goethe)

Ich war an einem musisch humanistischen Gymnasium. Mittlerweile weiß ich vor allem das Musische und das Humanistische sehr zu schätzen. Das sind für mich die Dinge unser Miteinander zu regeln und unsere Werte zu definieren im Umgang miteinander. Ich sehe viele Bemühungen in Dresden sich wieder mehr zur Mitte zu zu orientieren.

Du sprachst vom Widerstreit von Chaos und Ordnung im Leben und in der Musik. Was meinst du damit konkret?

Diese Frage sprengt den Rahmen des Interviews. Ich kann es nur anreißen und darauf verweisen, dass ich ein Büro für Ordnung und Chaos hatte, das war als Show einmal im Monat in der Scheune zu erleben. Es wird dieses Büro wieder geben. Momentan ist es in meinem Schrank hinter mir und neben mir und in meinem Kopf.

Ich denke es gibt große Kräfte: Ordnung und Chaos. Das ist natürlich von der Seite einer Ordentlichen aus beobachtet, ein Chaot würde sich sträuben sich in so ein Muster einzutüten.

Keines von beiden Konzepten ist besser oder schlechter als das Andere. Es ist wie Yin und Yang.

Kein Gut, kein Böse.

Wörter der Ordnung: Struktur, Muster, Reihenfolge, Rituale, Tradition, Geborgenheit, Pathos, Regeln, Gesetze, Hierarchie, Etabliertheit, Vorsorge, Befehl, Nachvollziehbarkeit,Sicherheit…

Bei Chaos denken die Meisten an Tohuwabohu Durcheinander und Krieg. Es ist aber weit mehr als das, denn Chaos ist auch im Kleinen vorhanden.

Zwischenruf: Chaos und Ordnung kann man natürlich nicht wirklich trennen! Es gibt immer den Anteil der Ordnung im Chaos und den Anteil von Chaos in der Ordnung.

Darum zählen für mich zum Chaos: Liebe, Humor und Fantasie, Intuition, Revolution, vom Wege abkommen, das Neue, das Flüchtige, das nicht Fassbare, das Unvollendete, auch Fehler und Unnachvollziehbarkeit, Bewegung, Abenteuer, Gefahr, Veränderung…

Ich behaupte: Jeder Mensch hat zu jeder Zeit Sehnsucht nach Ordnung oder nach Chaos. Und jetzt höre ich auf, denn es ist mein Lieblingsthema. Dazu werde ich noch viel singen, schreiben, zeichnen, denn es ist unerschöpflich und es macht Riesenspaß darüber zu philosophieren…

Und in der Kunst? Was war dein chaotischstes Bühnenerlebnis?

Verdrängt. Ach, ich habe mir mal den Fuß gebrochen, während der Frau Luna Vorstellung im Tipi. 3-fach Bruch. Ich habe weitergespielt und noch 5! große Choreografien bis zu Ende getanzt. Vor der Zugabe bin ich hinter der Bühne zusammengebrochen. Ich konnte einfach nicht mehr „auftreten“. Am nächsten Tag war zum Glück sowieso ein OFFday den ich in der Charité verbrachte, und am übernächsten Tag spielte ich ab da eineinhalb Monate im Rollstuhl weiter. Das kam aber gut an bei den Rollifahrern, weil sie sich durch mich auch auf der Bühne vertreten sahen.

Dein Programm in Radebeul wird zum letzten Mal gespielt. Welche Pläne hast für die kommende Zeit und wo kann man Dich wiedersehen?

Ich werde in Weissenburg in Bayern unter Georg Schmiedleitner ein Stück von Franzobel spielen. Es heißt „Der Lebkuchenmann“ und ist ein Sommernachtsalbtraum. Darin geht es um die Geschichte des kleinen Städtchens. Ich bin eine sehr sehr böse Erlkönigin und mein Gegenspieler ist Andreas Leopolt Schadt, bekannt aus dem fränkischen Tatort.

Dann werde ich in Berlin im Herbst 2019 mit Katharina Talbach, Meret Becker, Andreja Schneider und Anna Fischer in der Bar jeder Vernunft die „Glorreichen 5“ geben.

Ein neues Programm mit den Gitarristen kommt im Februar 2020. Das heißt, wie kann es anders sein „Kaoshüter“, denn alle Künstler sind Kaoshüter. So wie Polizisten und Bibliothekare sich um Einhaltung der Regeln bemühen, sind wir verantwortlich zu inspirieren zum Lachen, Nachdenken und zum Weinen zu bringen. Wir schubsen die Leute emotional, bringen sie auf, bringen sie vom Wege ab und das ist unsere Aufgabe als Kaoshüter. BurnOutschützer, Kuppler, Aufwiegler…

Herrlicher Beruf!

Liebe Anna, ich wünsche Dir viel Freude beim Jazzfestival in Radebeul und danke Dir für unser ausführliches Gespräch.

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Nächster Termin in Dresden: FILMNÄCHTE AM ELBUFER, 26.7.2019
„Dreckiges Tanzen“ gemeinsam mit „Zärtlichkeiten mit Freunden“ und Obertonsänger Jan Heinke. Auch mit dabei Samuel und Kim und Ausschnitte aus dem aktuellen Programm.

VON HIER AUS

Malerei und Grafik von Friedrich Porsdorf in der Hoflößnitz

Noch bis zum 22. Juni zeigt das Sächsische Weinbaumuseum Hoflößnitz Arbeiten des Berliner Malers Friedrich Porsdorf (*1938), großenteils Landschaften und Bildnisse der letzten anderthalb Jahrzehnte mit Motiven aus seiner Geburtsstadt Radebeul. Ungefähr so lange ist seine letzte Ausstellung in der Lößnitz her, und die letzte größere, »Porsdorf 50«, damals noch in der kleinen Galerie auf der Ernst-Thälmann-Straße, schon um einiges länger. Seit seiner Emeritierung als Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee 2004 ist Porsdorf – zumindest mit einem Bein und mit Pinseln und Farben – wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Im Folgenden dokumentiert die ›Vorschau‹ leicht gekürzt die Laudatio zur Ausstellungseröffnung am 27. April. Das Museum Hoflößnitz in Radebeul, Knohllweg 37, ist täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

Selbstporträt
Foto: F. Porsdorf


Von hier aus… das ist ein Satz für Fremdenführer: Von hier aus sehen Sie bei gutem Wetter die Zugspitze; von hier aus begann Napoleon den Feldzug nach Moskau; von hier aus leitete König Heinrich den Angriff auf die Burg Gana… Jede und jeder von uns kennt solche Erinnerungspunkte, die, mehr oder weniger schwerwiegend, dem kollektiven Gedächtnis bedeutsam sind oder der eigenen Biografie einen Ort geben.

Irgendwann, stelle ich mir deshalb vor, eines vielleicht gar nicht mehr so fernen Tages könnte hier unten an der ehrwürdigen Mauer des Berg- und Lusthauses Hoflößnitz eine Tafel aus weißem Marmor angebracht werden oder, besser, eine aus rotem Granit mit grünlichen und bläulichen Einsprengseln. Und sie könnte die Worte tragen: Von hier aus begann Friedrich Porsdorf seinen Weg zur Malerei. Das wird dann nicht nur ein Satz für Fremdenführer sein, sondern auch der Wahrheit so nahekommen, wie ein in Stein gemeißelter Satz der Wahrheit nur nahekommen kann.
Tatsächlich ist es für den Maler eine wahrhaftige Freude, nun, nach einem erfüllenden aber noch keineswegs erfüllten Malerleben mit einer Ausstellung in dieses fürstliche Haus geladen zu sein, denn – siehe oben.

Friedrich Porsdorf ist 1938 in Radebeul geboren. Es war von seiner Wohnung nicht weit zur Hoflößnitz. Er hat in seiner Kindheit und Jugend viel Zeit hier oben verbracht, und er sieht sich heute noch so manches liebe Mal mit der Mutter die Treppen aus dem Grund zum Schloß hinaufsteigen. Er weiß noch genau, wie er sich fühlte in diesen Tagen, und auf dieses sorgsam bewahrte Gefühl nimmt diese Ausstellung Bezug.

Es gibt sogar noch einige der Blätter in seinem Besitz, die er bei solcher Gelegenheit auf dem Gelände zeichnete. Diese frühen Arbeiten haben – vom persönlichen und künstlerischen mal abgesehen – inzwischen auch dokumentarischen Wert. Sie zeigen zugleich, mit welcher Ernsthaftigkeit und mit welchen Intentionen der junge Mann sein Studium in Berlin begonnen hatte.

Freilich: Noch fehlts an Farben im Revier… Die Farben sind im Laufe der Jahre Friedrich Porsdorfs eigentliche Leidenschaft geworden, um derentwillen er immer wieder zum Pinsel greifen muß. Die konkreten Ansichten, die topografischen Gegebenheiten haben gegen die Farben keine Chance: sie dienen bestenfalls als Alibi, eine Vielzahl von Sekundär- und Tertiärfarben nach Herzenslust, möglichst ausgewogen und doch spannungsreich auf der Leinwand zu verteilen.

Friedrich Porsdorf war noch keine zwanzig Jahre alt, als er sich zum Studium aufmachte und seiner Heimatstadt den Abschied gab. Und auch wenn er dann aus beruflichen und familiären Rücksichten Berlin zum Dreh- und Angelpunkt seines Lebens machte – so ganz hat er Radebeul nie verlassen. Das hat viel mit der Hoflößnitz zu tun. Zudem hat er auch über all die Jahre die alten Freundschaften gepflegt, vielleicht auch neue hinzugewonnen – die hier gezeigten Portraits sprechen besonders in dieser Hinsicht eine beredte Sprache.

Mit größtmöglicher Naturnähe haben die Portraits, wenn wir so wollen, den geringsten Abstraktionsgrad unter den Gemälden Friedrich Porsdorfs. Auch hier geht es natürlich um Farbe – ich hätte nie gedacht, wie vielfarbig ein grauer Bart sein kann – vor allem aber geht es hier um Gegenseitigkeit. Anders als zur Zeit des Barock, als Kurfürst Johann Georg sich selbst in diesem Hohen Haus verewigt sehen wollte, ist das Portrait heute eine besondere Form der Kommunikation, in der alles mitschwingt, was uns an gemeinsamen Erinnerungen verbindet. Und wie jedes andere Bild auch, wird das Portrait geprägt von der Persönlichkeit des Malers: Mit dem Gegenüber malt er zugleich auch sich selbst. […]

Foto: F. Andert


In seinen Landschaften läßt der Maler die Zügel lockerer. Ich stelle mich in die Natur, sagt er, um zu sehen, wie die Dinge zueinander stehen. Natürlich geht es in erster Linie um die Farben, die die Dinge haben, die unterschiedlichen Rottöne in den Dachlandschaften Meißens oder Radebeuls etwa oder die Blau- und Grünvariationen auf den Hängen unterm Spitzhaus.

In seinen Lößnitzlandschaften bleibt Friedrich Porsdorf immer noch vergleichsweise eng am Gegenstand. Immerhin gibt es auch von hier assoziative Fensterbilder, auf denen die Fleckhaftigkeit überwiegt und die Farb-Fabulierkunst des Malers sich frei entfaltet. Er hat seine Freude an der Wechselwirkung zwischen mehr dem Gegenständlichen verhafteten erzählenden Bildern und eben den assoziativ-fabulierenden, bei denen das Sujet im Hintergrund bleibt und allein die Farben den Ton angeben.

Bei allen Differenzierungen bleibt Friedrich Porsdorf stets er selbst. Seine Farben sind seine Farben, die er hingebungsvoll mischt und wohlausgewogen aufträgt. Hat er irgendwo etwas zu viel Blau erkannt, ist es an der Zeit, mit Grün oder Gelb gegenzusteuern, wobei er ohnehin reine, also primäre Farben tunlichst vermeidet. Die Bauhaus-Troika Blau-Rot-Gelb ist ihm bei weitem zu wenig. Das Licht bestimmt die Mischung der Farben.

Seine Landschaften entstehen meist unterwegs. Sie werden auch unterwegs vollendet. Spätere Korrekturen im Atelier verbieten sich: Da ist das Licht weg, da ist die Stimmung durch Weg und Lärm verflossen, die Spannung aufgelöst, da läßt sich nichts bessern. So bleibt das Unmittelbare erhalten, das auch die Betrachter anspricht, die sich, wer weiß, beim Schauen an einen ähnlichen Tag erinnert fühlen oder vielleicht gar die Geschichten fortspinnen, die das Bild erzählt.

Von hier aus blickt Friedrich Porsdorf nun zurück. Nahezu fünfunddreißig Jahre lehrte er an der Kunsthochschule Berlin, also genau dort, wo er selbst das malerische Rüstzeug erworben hatte, künstlerische Grundlagen, Farbtheorie und Zeichnung.

Und so kommt es, daß er nun wieder von hier aus, überall, wo er sich zum Malen niederläßt, aus einem Ozean an Erfahrungen schöpft, woraus sich für uns die Gewähr ergibt, daß er nicht so schnell damit aufhören wird. Der Meeresspiegel steigt nicht nur klimabedingt, bei Friedrich Porsdorf vertieft er sich – von hier aus wie von überall – mit jedem Bild.

Thomas Gerlach

Risikolos inszeniertes Hippie-Revival

Zur Premiere des Rockmusicals „Hair“ an den Landesbühnen am 4./5. Mai

„Hair“ – Premiere mit Luca Lehnert, Julia Rani, Lea Göpel, Christin Rettig, Holger Uwe Thews, Felix Lydike und Michael Berndt (v.l.)
Foto: M. Reißmann

Auf die Premiere des epochalen Rockmusicals „Hair“ an den Landesbühnen hatte ich mich schon lange gefreut, denn vor gut 20 Jahren war ich selbst Teil einer ambitionierten Amateurtheatergruppe gewesen, die dieses kultige Stück mit Livemusik und allem Drum und Dran inszeniert und auf einer Tournee kreuz und quer durch Sachsen auf die Bühne gebracht hatte (vgl. auch V&R 6/97, S. 10). Wie würde nun, 50 Jahre nach der New Yorker Uraufführung und deutschen Erstaufführung, ein professionelles Theater diesen Stoff aufgreifen und in eine stimmige, zeitgemäße Inszenierungsidee überführen? Denn „Hair“ fängt wie kaum ein anderes Werk das Lebensgefühl einer Generation in der damals westlichen Welt ein, die in den späten 1960er Jahren das Aufbegehren und den Protest gegen die Politik (Vietnamkrieg), bürgerliche Werte (Disziplin, Fleiß, Ehe etc.) und gesellschaftliche Verhältnisse (Diskriminierung von ethnischen Minderheiten, eingeschränkte Rechte für Frauen u.a.) durch ein Leben in „Love, Peace and Happiness“ – und eben mit lang gewachsenen Haaren – sichtbar machen wollte. Aber die Welt hat sich unterdessen weitergedreht, Jugend und Gesellschaft bewegen heute andere Probleme als damals. „Woodstock“, „Hippies“, „Flower Power“: die Schlagworte jener Jahre sind inzwischen vom Mainstream vereinnahmt worden und dienen schon lange nicht mehr als geeignete Zuschreibungen für ein antibürgerliches Schreckgespenst. Heute geht man als Mittfünfziger auf „Flower Power Parties“ um sich nett zu amüsieren, hört dabei die Musik jener Jahre, bewundert ungebrochen Joe Cockers Reibeisenstimme, Jimi Henrix’ Gitarrensoli und summt verträumt mit, wenn „California Dreamin’“ erklingt. Zeitlos allerdings ist das ewige Leiden junger Menschen an der Erwachsenenwelt, an den Verknöcherungen und Erstarrungen, denen man als Heranwachsender heute nicht anders als damals (weitgehend machtlos) gegenüber steht. Stichwort #FridaysForFuture. Und genau dieser grundsätzliche Umstand, so hatte ich hoffend erwartet, würde Ausgangs- und Bezugspunkt für eine spannende Inszenierung sein, die das Damals ins Heute übersetzt. Das Bühnenbild (Stefan Wiel), gut sichtbar bereits vor Beginn der Aufführung, ist diesbezüglich schon eine erste kleine Enttäuschung. Denn aus den die Spielfläche flankierenden Straßenmauern schauen doch tatsächlich ganz unironisch und ungebrochen die späten 60er Jahre der USA hervor: „Join the Army“ – „Uncle Sam wants you“ und weitere diverse zeittypische Graffitiversatzstücke, darunter natürlich auch „Love“ and „Peace“. Die nächste Ernüchterung folgt, wenn die Musik anhebt: Aus mir nicht ganz ersichtlichen Gründen hatte sich das Team um Regisseur Peter Dehler dazu entschlossen, die deutschsprachige Fassung der Liedtexte zu verwenden, was im Laufe der Inszenierung ein ums andere Mal die teilweise sehr naiven Texte bloßlegt, bisweilen aber auch dem geschmeidigen Groove der Musik abträglich ist, denn nicht ohne Grund hatte Komponist Galt McDermot die Musik für die bereits in Englisch bestehenden Liedtexte geschrieben. Dass sich ab und an doch eine englische Strophe mit einer deutschsprachigen abwechselt oder vereinzelt ein Song ganz in Englisch gesungen wird, ist womöglich der Versuch, dem Originalsound irgendwie nahe zu kommen. Apropos Sound: „Hair“ hat vor allem wegen seiner mitreißenden, schon fast klassisch zu nennenden Songperlen wie „Aquarius“, oder „Let the Sunshine in“ nichts von seiner musikalischen Attraktivität verloren. Tatsächlich steckt in den Nummern viel von der eigentlichen Handlung, weshalb auch die Band auf der Bühne (musikalische Leitung: Michael Fuchs und Uwe Zimmermann) die Aufführung vorantreibt und trotz kleiner Besetzung (insgesamt nur acht Musiker) orchestrale Klänge ebenso überzeugend hervorzaubert wie zarte Töne. Im Zusammenwirken mit dem Chor, bestehend aus allen Solisten und verstärkt um weitere acht Studierende der Theaterakademie Sachsen, entstehen so großartige, die Zuschauer in Tanzlaune versetzende Momente, noch dazu, weil über weite Strecken die Darsteller in ihren fantasievollen Retro-Kostümen (Stefan Wiel) in einer sehenswerten Choreografie (Till Nau) tänzerisch alles geben. Etwas schwerer tun sich einige der Darsteller (Anderson Pinheiro Da Silva, Grian Duesberg, Alexander Wulke, Julia Vincze, Sandra Maria Huimann, Luca Lehnert) allerdings mit ihren mal kleinen, mal größeren Soloparts, wobei es dem als Gast verpflichteten ausgebildeten Musicaldarsteller Benjamin Oeser (in der Rolle des Berger) und Christin Rettig (als dessen Freundin Sheila) noch am besten gelingt, die teilweise anspruchsvollen Songs kraftvoll in den Höhen bzw. satt in den Tiefen darzubieten. An seine stimmlichen Grenzen stößt (vielleicht nur am Premierenabend?) leider hörbar Holger Uwe Thews in der zentralen Rolle des Claude, um den herum sich auch die eigentliche Handlung dreht. Dessen Dilemma zwischen Anpassung an die Konventionen (dem Dienst an der Waffe im Vietnam-Krieg) und dem Wunsch nach einem selbstbestimmten, freien Leben (als Hippie in einer Gruppe von Aussteigern) wird ebenso erst nach und nach transparent erzählt wie die zwischenmenschlichen Konflikte innerhalb der Gruppe, die Claude zunehmend vor die Frage stellen, inwieweit er Verantwortung übernimmt (für sich selbst, für seinen Freundin mit dem Baby im Bauch, für den Staat). Dass die Lesart des Regieteams gänzlich darauf verzichtet, Deutungsangebote für die Gegenwart zu liefern, wird symptomatisch im Schlussbild deutlich, als Claude unter einer amerikanischen Flagge begraben liegt. In einer Zeit, da sich die USA immer weiter aus den Krisenherden und Konflikten zurückzieht, wirkt dieser Schluss gestrig und verstärkt den Eindruck, dass man auf Nummer sicher gehen und jedes Risiko einer angemessenen Aktualisierung vermeiden wollte. Schade.

Es ist zu erwarten, dass das Stück auf der Felsenbühne Rathen, wo es ab 8. Juni bis in den Sommer hinein mehrfach zu sehen und hören sein wird, vor allem aufgrund seiner musikalischen und tänzerischen Qualität wirken und für gute Unterhaltung sorgen wird. Möge dann der Wassermann zu den Aufführungsterminen nur sparsam sein Unwesen treiben, vielmehr reichlich Sonnenschein regieren.

Bertram Kazmirowski

2. Bauherrenpreiswanderung diesmal durch die Oberlößnitz

Fast genau vor einem Jahr lud der Verein für Denkmalpflege und neues Bauen zur 1. Bauherrenpreiswanderung (siehe V&R 06/18), durch die Niederlößnitz, ein. Damals spazierten wir an über 10 Bauherren – Preisträgern vorbei. Wir begannen an der Oberen Bergstraße 84, folgten dieser bis zur Burgstraße, weiter ging es über die Bodelschwinghstraße, zurück zur Oberen Bergstraße, die Humboldtstraße bergab und die Winzerstraße zurück.

Bodelschwinghstraße 8
Foto: Wikipedia

Die zahlreichen Teilnehmer und das positive Echo bewog uns, die Idee der Bauherrenpreiswanderung 2019 fortzuführen, diesmal durch die Oberlößnitz.
Für alle, die von dieser noch nichts gehört haben, sei die Idee nochmals kurz umrissen:

In Zeiten des sich schnell entwickelnden, pulsierenden Baugeschehens in Radebeul wurde der Radebeuler Bauherrenpreis vom Verein für Denkmalpflege und neues Bauen Radebeul e.V. gemeinsam mit der Stadt Radebeul ins Leben gerufen. Von 1997 bis 2011 wurde der Preis jährlich für Neubau, Denkmalpflege und Außenanlagen verliehen. Mittlerweile ist die Intensität des Bauens in der Stadt zurückgegangen und der Preis wird alle 3 Jahre vergeben, u.a. auch wieder 2019 (siehe V&R 04/19).

Dieser Preis soll ein Element sein, um die Diskussion zu Auffassungen zur Baukultur in Radebeul zu fördern und öffentlichkeitswirksam zu machen. Er ist auch von der Hoffnung getragen, Bauherren und Investoren zu erreichen und anzuregen, im Vorfeld über die Wirkung ihrer geplanten Bauwerke in der Stadt nachzudenken. In der Satzung unseres Vereins geht es um den Erhalt des „besonderen Charakters von Radebeul“. Was das ist, diese Diskussion ist nie abgeschlossen. Nur die aktive, stetige Auseinandersetzung mit diesem Thema in der Stadtgesellschaft wird uns diesen ahnen, bewahren und gestalten lassen.

Daraus ist im Verein auch die Idee entstanden, mit einer Bauherrenpreiswanderung, sich die Preisträger vergangener Jahre wieder mal ins Bewusstsein zu rufen und diese erneut zu Fuß in Ruhe und mit offenem Blick zu betrachten und sich darüber auszutauschen.

In der Oberlößnitz gibt es bisher 15 Bauherrenpreise bzw. Anerkennungen. Kennen Sie diesen Schatz? Sicher sind den meisten Radebeulern Gebäude, wie das Meinholdsche Turmhaus, das Retzschgut, Haus Sorgenfrei oder die Villa Falkenstein bekannt. Neben diesen stolzen und immer wieder gern betrachteten Gebäuden will die Wanderung aber auch zu weniger im Rampenlicht stehenden Preisträgern und zu einigen aus dem öffentlichen Straßenraum sonst nicht möglichen Einblicken führen. Ich erinnere mich noch gern daran, zu welcher Überraschung und Freude im vorigen Jahr der durch Frau Osterkamp ermöglichte Einblick in ihr Grundstück Winzerstraße 67 bei den Teilnehmern führte. Sind Sie also gespannt!

Winzerstraße 67
Foto: FeWodirekt

Wir treffen uns am Freitag, den 28. Juni 2019, 18.30 Uhr auf dem Alvslebenplatz.

Alle sind herzlich eingeladen (besonders auch Leute, die Bauherren sind oder werden wollen). Schon um des Erlebens und des Austauschs willen wird die ca. 1 ½ – 2 stündige Wanderung eher gemächlich verlaufen und nicht sehr weit sein. Abschließen wollen wir unter den Kastanien in der Hoflößnitz.

Apropos Alvslebenplatz – wissen Sie wo der ist?

Im Jahr 1966 wurde der Name des Platzes offiziell aus dem damaligen Straßenverzeichnis Radebeuls gestrichen. Es handelt sich um den kleinen Platz an der Kreuzung Eduard-Bilz-Straße / Maxim-Gorki-Straße. Dieser wurde nach der „Friedrichstädter Nachtigall“ Henriette Melitta Otto-Alvsleben (1842 – 1893), einer Sängerin, die als lyrischer und Koloratursopran an der Dresdner Oper wirkte, benannt. Zu Ihrer Zeit unterstütze sie in Benefizkonzerten den 1880 gegründeten Verschönerungsverein der Lößnitz. Dieser sorgte dann auch für die Namensgebung. Die Sängerin verbrachte ihre Sommer in der Oberlößnitz, wo sie eine Wohnung hatte (wohl Eduard-Bilz-Straße 19, die man vom Platz aus sehen kann).

Bacchanten
Foto: Mitzschke

Auf der gegenüberliegenden Seite am Eingang der Eduard-Bilz-Straße fallen die Figurengruppen der Bacchanten ins Auge. Wer sieht diesen an, dass diese über 100 Jahre alte Tonfiguren sind? Der Eingeweihte sieht die Parallele zu den Figuren auf dem Fontainenplatz an der Dr.-Schminke-Allee. Alle stammen sie aus der Berliner Firma Ernst March und Söhne. Es ist beeindruckend in welcher Größe, mit welcher Filigranität und welcher Haltbarkeit diese Firma Tonfiguren schuf. Ihre Betrachtung wird uns ihre durch die Stadt Radebeul ermöglichte Erhaltung wertschätzen lassen.

Sie sehen, auf Schritt und Tritt gibt es auch neben den Preisträgern viel zu entdecken. Einiges werden wir vom Verein auf diesem Spaziergang zu erzählen wissen, aber vielleicht haben auch Sie etwas Besonderes, was Sie den anderen bei dieser Gelegenheit zeigen wollen. Also nochmals herzliche Einladung.

P.S. Anregung: Über die Losen-Blatt-Sammlung oder die Internetseite des Vereins (www.denkmalneuanradebeul.de) findet man die Bauherren-Preisträger und kann sich, wenn man Lust hat, auch mal selbst eine Bauherrenpreiswanderung für einen Sonntagsspaziergang zusammenstellen.

Michael Mitzschke

»IndianerART« zeitgenössische indigene Kunst aus Nord-Amerika

Eine Ausstellung des Karl May Museums Radebeul in der Stadtgalerie Radebeul

Karl May hat Indigene seiner Zeit vor etwa 150 Jahren beschrieben – ihre Kulturen sind mit einer detailreichen Sammlung im Karl May Museum präsent. Der Schriftsteller hat diese Kulturen durch Reiseberichte, Geschichtsbücher und Lexika kennengelernt und in seinen Romanen verarbeitet. Die indigenen Völker Nordamerikas unserer Zeit sind uns aber wenig bekannt. Denn freilich existieren diese Völker noch heute und allein in den Vereinigten Staaten sind 573 sogenannte First Nations von der Regierung anerkannt. 5,2 Millionen US-Amerikaner bzw. 1,6% der Bevölkerung sind indigener Abstammung. Sie leben in ländlichen Reservationen, aber auch in Städten, praktizieren ihr Brauchtum mal streng nach traditionellen Regeln oder aber frei mit neuen Ausdrucksformen und gestalterischen Mitteln. Oft äußern sie sich in ihrem künstlerischen Schaffen gesellschaftskritisch, politisch und meist in einer Formensprache der modernen nordamerikanischen Gesellschaft.

Foto: Karl May Museum Radebeul


Wie positioniert sich das Indigene mit seinen Traditionen im Wechselspiel eines modernen und digitalisierten Amerikas? Wo und wie sehen sich indigene Vertreterinnen und Vertreter in einer Gesellschaft, die wenig bis keinen Platz lässt für die Kulturen der First Nations? Erfinden indigene Kunstschaffende die Rolle ihrer Minderheiten neu? Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler bilden ihre politischen Realitäten und gesellschaftlichen Stellungen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft oft plakativ und gerne mit eindeutiger Symbolik ab. Im Gegensatz zur bekannten traditionellen Kunst über Holzmasken der Nordwest-Küste und Perlenstickereien der Plains hin zu Webteppichen und Töpferkunst der Pueblos, wird in der zeitgenössischen Kunst mit den medialen Möglichkeiten von heute gearbeitet. Diese Künstlerinnen und Künstler spielen die Klaviatur des modernen digitalen Nordamerikas. Sie stammen zumeist aus urbanem Umfeld und ordnen ihre Themen als »Stadtindianer« in die moderne Realität ein. Von Pop-Art und Comics beeinflusst gestalten sie mal klar plakativ, dann wieder mystisch und symbolistisch ihre Anliegen als Vertretende ihrer Kulturen. Für uns europäische Betrachter bedeutet indigene Gegenwartskunst eine Herausforderung, da sie im krassen Gegensatz zum tradierten, oft romantisierten Indianerbild steht. Weder Formen noch Materialien schlagen eine Brücke zur Vergangenheit. Und dennoch sind Traditionen, Rituale und Geschichten in zeitgenössischen Werken präsent, wenn auch experimentell, multimedial und abstrakt. Die Relevanz dieser Kunst ist offensichtlich, da sie vom Selbstverständnis der eigenen Vergangenheit geprägt ist und es vermag, Geschichten indigener Kulturen auch mit Acrylfarbe, Leiterplatten und auf Smartphones zu erzählen.

Die Ausstellung „IndianerArt“ greift mit Werken ausgewählter indigener Künstlerinnen und Künstler das Selbstbewusstsein der »Indianer heute« auf und stellt zeitgenössische Selbstfindungsprozesse dar. So werden Angebote geschaffen, jenseits der durchaus bekannten »Indianerromantik« Lebensumstände, Nöte, Herausforderungen aber auch Chancen und den Stolz indigener Kulturen Nordamerikas im Jetzt kennenzulernen. Obwohl die Stämme heute als First Nations in den Vereinigten Staaten anerkannt sind, so leben sie doch größtenteils in Reservationen unter oft schlechten infrastrukturellen Bedingungen. Überdurchschnittlich viele Menschen indigener Herkunft leiden unter Alkohol- und Drogenproblemen, schlechter Ernährung und Krankheiten. Die Diskriminierung Indigener gerade in ländlichen Gebieten führt häufig zu Traumata, viele stehen auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie. Zeitgenössische indigene Kunstschaffende setzen sich intensiv mit diesen Problemen auseinander, öffnen aber auch Perspektiven für ihre Minderheiten über adaptierte und neue Formen der Musik, des Tanzes und der Kunst.

In der Ausstellung werden durchwegs nur indigene Künstler Nordamerikas gezeigt. Neben Gemälden, Grafiken, Drucken und Fotokunst werden auch Skulpturen präsentiert, Videokunst und digitale Ausdrucksgestaltung. „IndianerArt“ vereint 15 Künstlerinnen und Künstler, über die Zugänge geschaffen werden zur modernen Welt indigener Völker, welche viele Besucher vor allem rund um die Karl-May-Festtage inspirieren wird. Die Begeisterung eines Karl May für die Kulturen Nordamerikas wird in Radebeul jedes Jahr im Frühjahr mit dem traditionellen Karl-May-Fest“ neu belebt, die Ausstellung „IndianerArt“ setzt eine einmalige Ergänzung zum Thema »Indianer heute«.

Christian Wacker

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