Die »Grand Old Lady« des deutschen Jazz

Ruth Hohmann konzertierte in Coswig

Erwin Strittmatter hätte sie wohl eine »Anderthalbmeter-Großmutter« genannt. Viel mehr als diese Körperhöhe erreicht Ruth Hohmann tatsächlich nicht. Umso mehr erstaunt es immer wieder, über welch enormen Umfang die Stimme der Jazzsängerin, die am 19. August 2011 ihren 80. Geburtstag feiern wird, immer noch verfügt. Am 6. Februar gastierte Ruth Hohmann im Gemeindezentrum von Coswig (warum eigentlich nicht in der BÖRSE?) vor einem bestens gestimmten und wohltuend jazzbegeisterten Publikum. Begleitet wurde sie dabei vom Pianisten und Posaunisten Hartmut Behrsing und dem Bassisten Stefan Lasch. Beide gehören zum renommierten »Jazz Collegium Berlin«, in dem Ruth Hohmann bereits seit 1972 den Part der Sängerin besetzt.

Mit »I’m Confessin’ that I Love You”, einem 1930 von Doc Daugherty nach einem Text von Al Neiburg komponierten, wunderbar sanften Jazzstandard, startete die Hohmann das Konzert. Mit dem »Mackie Messer Song«, der »Sophisticated Lady« und der verruchten »Sweet Georgia Brown« (die eigentlich – so Stefan Lasch – ein sehr loses Weib gewesen sei) sammelte sie gleich in der ersten halben Stunde jede Menge Pluspunkte. Was sie im Grunde aber gar nicht nötig hat, denn vierzig Jahre Jazzgesang auf der Konzertbühne inklusive einer zwanzigjährigen Dozententätigkeit für Jazz und Chanson an der Musikhochschule »Hanns Eisler« in Berlin ließen die kleine große Frau allen nur möglichen Stürmen trotzen. Noch immer steckt in ihrer Stimme nicht nur eine unbändige Kraft, sondern auch ein wunderbar swingendes Timbre. Das ermöglicht es ihr, mühelos auch die schwierigsten Klippen im Jazzgesang zu meistern. Die öffnen sich z.B. in Ray Charles Hymne »Hallellujah« oder in der zwar volkstümlichen, aber dennoch nicht unkomplizierten Dixienummer »Oh When The Saints Go Marching In«, aber auch in Gershwins »’S wonderful« und nicht zuletzt in dem Mitsinger »Bye, bye Blackbird«.

Dass der Pianist Behrsing und der Bassist Lasch trotz der enormen Präsenz von Ruth Hohmann immer auch mit eigener Virtuosität punkten konnten, ist wohl in der jahrzehntelangen Zusammenarbeit begründet. Und beide haben natürlich Gewichtiges einzusetzen. So komponierte Behrsing beispielsweise einst die Titelmusik zur Krimireihe »Polizeiruf 110«, und Stefan Lasch leitet nicht nur das Jazz Collegium Berlin, sondern outet sich auch als Freund und Sammler von Kontrabasszitaten. Dazu gehört auch der folgende, einst von Hanns Eisler geprägte Ausspruch »Höre ich den Bass nicht, scheiß ich auf die Melodie!« Etwas ungehörig zwar, aber gleichzeitig sehr wahrhaftig.

Das Publikum im Gemeindezentrum war bunt gemischt; selbst einige Kinder waren mitgekommen und verfolgten genauso aufmerksam wie ihre Eltern oder Großeltern das Konzert. Und sie wurden von deren Begeisterung angesteckt. Beim »Entertainer«, der ersten Zugabe des Abends, klatschten sie im Rhythmus und bei dem von Johannes Brahms komponierten, sanften »Guten Abend, gut Nacht« summten sie leise die Melodie mit. Was für ein stimmungsvoller Abschluss eines Konzertes.

JAZZ im GZ gibt es wieder am 8. April 2011; dann wird mit The Shy Boys ein Trio Latin Jazz spielen.

W. Zimmermann

Heiterer Aufmarsch irrer Typen

»Arsen und Spitzenhäubchen« an den Landesbühnen

Etwa drei Jahrzehnte als Konsument von kulturellen Entäußerungen der unterschiedlichsten Art zum Thema »Mord« haben mich dazu verführt, inzwischen drei Klischees zu mögen, weil sie so liebenswert charmant wie gnadenlos naiv sind. Erstens: Der Mörder ist immer der Gärtner (lies: der am wenigsten Verdächtige). Zweitens: Über Morde spricht man nicht, Morde begeht man diskret. Drittens: Wer schön morden will, muss intelligent sein. Zugegeben, diese Mordromantik verweist auf jene Ecke des literarischen Kriminalfriedhofs, wo Agatha Christie friedlich eingerahmt von Edgar Wallace und Arthur Conan Doyle ruht, zwei Messerlängen entfernt dann Edgar Allen Poe und G. K. Chesterton. Aber warum nicht diese Klassiker der Kriminalgeschichten bemühen, die Meister der perfekten Plots, wenn über ein Theaterstück zu schreiben ist, das selbst schon klassisch zu nennen ist, weil es einerseits Klischees zu brechen scheint (Über Morde spricht man eben doch, noch dazu ohne schlechtes Gewissen!), andererseits aber so hemmungslos im Klischeetopf wühlt (Natürlich ist der Mörder der Gärtner!), dass es weder von musikalisch-literarischen Vorbildern noch den eigenen Alltagserfahrungen jemals aufgefangen werden könnte. Der Plot von Arsen und Spitzenhäubchen ist zu schrecklich, um je wahr sein zu dürfen, zu komisch, um je darüber regungslos hinweggehen zu können, zu absurd, um nicht immer wieder als Kassenschlager inszeniert werden zu müssen. Wer will, möge die Handlung im Lexikon oder Internet nachlesen.

Eine sehr gefällig gebaute und genretypische Devotionalien aufgreifende Bühne (Ausstattung: Alexander Martynow) schafft in der von Arne Retzlaff verantworteten Inszenierung alle Voraussetzungen für einen heiteren Aufmarsch irrer Typen. Ein Telefon für die allfälligen Anrufe bei der Polizei und der Presse; große Fenster mit Blick auf einen Friedhof; weit schwingende Vorhänge mit Kordeln, die zum Erwürgen einladen; eine nach oben führende Treppe, von der sich prima die ganze Bühne überblicken, von der sich herunterbrüllen und herunterrennen lässt; eine seitwärts nach unten führende unheimliche Kellerstiege; ein leicht umkippender Schaukelstuhl; eine Fensterbank, die viel Stauraum für erkaltete Körper bietet; ein Bild, das immer im rechten Moment mit Gepolter von der Aufhängung herunter und damit zu Boden fällt. Bespielt wird diese Bühne von einem menschlichen Panoptikum, das in seiner Gesamtheit ein Jahrhundert nordamerikanischer Kultur- und Sozialgeschichte umspannen und damit eine Brücke von der Entstehungszeit (Joseph Kesselring schrieb das Stück 1939) bis heute schlagen möchte. Streckenweise gelingt das sehr überzeugend, so dass die Zuschauer am Ende der Aufführung mit rhythmischem Beifall für den Theaterabend danken.

Der Applaus gilt vor allem dem irren Typ 1, der durch die etwa 60-jährigen Jungfern Abby (Anke Teickner) und Martha Brewster (Julia Vincze) verkörpert wird. Diese brechen allerdings nach meinem Geschmack aus ihrer durch den Autor des Stückes verordneten unbedingten Harmlosigkeit und Tugendhaftigkeit angelsächsischer Prägung zu sehr aus, wodurch sie ihrer Rolle einen Teil des absurden Charmes nehmen. So sehr es z.B. passt, dass sie alle Gäste mit Tee und Gebäck verwöhnen möchten und dieses auch auf Silbergeschirr servieren, so sehr stimmig etwa ihre ehrliche Besorgnis um die Qualität der Hühnerbrühe und deren heilsame Wirkung bei der kranken Nachbarin ist, so wenig rollenkonform sind der Abklatschreigen, der die beiden um gefühlte 30 Jahre jünger machen soll, und die von aufgeregten Trippelschritten begleiteten Stimmeskapaden, die mehr Aufregung verursachen, als der erforderlichen Bühnenlautstärke dienlich ist. Dennoch ist den beiden Protagonistinnen zu bescheinigen, dass sie mit ihrer plüschigen Nächstenliebe, unter deren Deckmantel sie 12 einsame Herren mittels hausgemachten Holunderweins plus einer Prise Arsen mit bester Absicht ins Jenseits befördern, Sympathieträger im Wettstreit um die Gunst des Publikums sind. Diese verdienen sich unzweifelhaft auch die Typen 2 und 3, Jürgen Stegmann und Holger Uwe Thews als Teddy und Mortimer Brewster, die als die »guten« Neffen der beiden Damen ganz unterschiedliche Positionen auf der Skala der Verrücktheit einnehmen. Der eine (Teddy) ist es wirklich, denn er hält sich für Präsident Teddy Roosevelt, der andere (Mortimer) wird es fast, weil er wie der frühe Woody Allen sich den Fährnissen des New Yorker Lebens hilflos ausgesetzt sieht. Diese bestehen für Mortimer konkret darin, dass er sich im Zustand der seelischen Verwirrtheit und im Wissen um die Zuneigung einer Frau (Sandra Maria Huimann) von einem Moment zum nächsten der Tatsache klar werden muss, nicht nur zwei mordende Tanten zu haben, sondern auch von seinem weltweit gesuchten Mords-Bruder Jonathan (Matthias Henkel) als nächstes und damit 13. Opfer auserkoren zu sein. Jonathan ist Typ 4 und bedient als Boris-Karloff-Wiedergänger das Schaurigschreckliche, ohne das eine richtige Mordsgeschichte ja nicht auskommt. Typ 5 ist Dr. Einstein (Mario Grünewald), der sehr leicht als skrupelloser Gewinnler zu erkennen ist und dessen Verhältnis zu Jonathan etwa dem von Promoter Don King zu seinem schlagenden Brutalo-Boxer Mike Tyson in den 1990er Jahren entspricht. René Geisler darf Typ 6 sein und, herausgeputzt als Eddy Murphy, den supercoolen Cop O’Hara geben, der einem billigen Hollywoodstreifen der 1980er Jahre entsprungen zu sein scheint. Ob diese Stilisierung nötig war, ist ebenso fraglich wie jene von Mr. Witherspoon (Jost Ingolf Kittel) als buddhistischer Mönch, der so richtig weder in die Zeit noch in den Raum passt. Michael Heuser, Franziska Hoffmann und Marc Schützenhofer in kleineren Rollen würzen das Geschehen mit Normalität, was ihm nichts von seinem schwarzen Humor und seiner absurden Weltverfremdung nimmt, sondern im Gegenteil das alles nur noch stärker hervorscheinen lässt.

Es ist zu erwarten, dass diese Inszenierung den Landesbühnen dazu verhilft, ihre Zuschauerquote im Jahr 2011 auf hohem Niveau zu halten. Und auch das wäre ein legitimes Kriterium für die Platzierung des Stückes im Spielplan in diesen nicht einfachen Zeiten.

Bertram Kazmirowski

[V&R 3/2011, S. 15-17]

Eine Geschichte der Superlative

850 Jahre Weinanbau in Sachsen

Dieses Jahr wird groß gefeiert – im ganzen Elbtal zwischen Diesbar-Seußlitz und Dresden-Pillnitz, ja bis nach Pirna. Gilt es doch, dem sächsischen Wein in seinem Jubiläumsjahr entsprechend zu huldigen. Freilich ist gar nicht sicher, dass hier erst seit 850 Jahren Weinanbau betrieben wird; der Sage nach ließ Bischof Benno ja bereits Anfang des 12. Jahrhunderts die ersten Reben nahe dem Meißner Burgberg pflanzen. Doch da in der Geschichte nur zählt, was urkundlich dokumentiert ist, dient die im Staatsarchiv verwahrte Urkunde von 1161 als frühestes historisches Beweisstück. Sie belegt, dass Markgraf Otto der Reiche damals einen schon gut im Ertrag stehenden Weinberg (also keine Neupflanzung!) an die Kapelle Sankt Egidien übereignete.

850 Jahre später gilt das sächsische Weinanbaugebiet als das kleinste und nördlichste Deutschlands; viele halten es auch für das schönste, aber das ist Geschmackssache – wie der Wein selbst. Die Rebfläche beträgt nur noch knapp 480 Hektar – das ist im Vergleich zu Rhein und Mosel lächerlich wenig, aber »uns kommt es nicht auf die Quantität, sondern auf Qualität an«, betonte der Schirmherr des Jubiläums, der Präsident des Sächsischen Landtags Matthias Rößler. Wenn man alle Beteiligten, die mit dem Weinbau zu tun haben, alle Winzer und Kellermeister, Touristiker und Wirtsleute zusammenrechnet, so die Ansicht des CDU-Politikers, handelt es sich um eine regelrechte »Bürgerbewegung« .

Bei der Pressekonferenz Mitte Februar auf Schloss Wackerbarth ergänzte der Geschäftsführer des Sächsischen Weinbauverbandes, Christoph Hesse, die Reihe der Superlative, bevor er auf die vielen Veranstaltungen in der Region zu sprechen kam. So soll es in Meißen die erste Winzerschule in Europa gegeben haben, deren Besuch junge Männer vom Kriegsdienst befreite, und der in Diesbar stehende alte Rebstock von 1907, an dem die im Gefolge der Reblauskatastrophe neu entwickelte Methode der Pfopfreben erfolgreich durchgeführt wurde, sei einmalig in Deutschland.

Interessant in dem Zusammenhang ist auch der für Radebeul so wichtige, das Ortsbild prägende Terrassenweinbau; ihn gibt es hier aber erst gut 400 Jahre. 1603 wurde auf kurfürstlichen Befehl und mit Unterstützung von Fachleuten aus Stuttgart der Grundstein dafür gelegt, zunächst in Cossebaude und Zscheila. »Wirtschaftlich eine harte Notwendigkeit und heute ein weicher Standort-Faktor«, so der Chef des Weinbauverbands abschließend.

Doch nun zu den Veranstaltungen, die offiziell im April beginnen und erst im November enden werden. Am Anfang stand die Idee, ein Weinfass als Symbol zu nehmen und es jeweils dorthin zu rollen, wo gerade gefeiert wird. Allerdings hätte das vermutlich viele blaue Flecke und ein geschundenes Fass zur Folge gehabt. Nun soll ein zünftiger Pferdewagen das Fass an den Ort der Feierlichkeiten bringen. Meißen macht den Anfang am 14. April auf dem Marktplatz, am Tag darauf folgt die Jungweinprobe in Weinböhla und am 16. April wird die Porzellanmanufaktur Meißen ihren »Tag der Offenen Tür« unter das Thema Weinmotive stellen. So geht es dann Wochenende für Wochenende weiter. Bei der Vielfalt der Angebote ist es empfehlenswert, sich vorher zu überlegen, was einen interessiert. Ist es eher eine Ausstellung, zum Beispiel zur Geschichte des Weins in der Karrasburg in Coswig oder in der Radebeuler Hoflößnitz? Ist es eher eine Weinprobe mit Führung inmitten der Weinberge (wie jedes Jahr am Tag des offenen Weinbergs Mitte Juni)? Oder doch »nur« ein gemütliches Hoffest – vielleicht auch mit Führung oder Gesang – zum Beispiel im Weinhaus Schuh zu Füßen der Bosel? Für jeden Geschmack ist etwas dabei.

Ob die Kunde vom Jubiläumsjahr allerdings auch über Sachsen hinaus dringt und der Tourismusverband genügend Werbung macht, muss sich zeigen; zumindest im Februar gab es darauf keine klare Antwort seitens des Weinbauverbands. Die geplanten Veranstaltungen sind in dem Festkalender »850 Jahre Weinbau in Sachsen 1161-2011« auf über 80 Seiten zusammengefasst, allerdings nicht vollständig. So ist beispielsweise die Aktion, die die Radebeuler Stadtgalerie zum Künstlerfest am 3. September vorhat, gar nicht erwähnt. Und für spontane Aktionen bleibt immer noch genügend Raum.

Karin Funke

Das historische Porträt: Benjamin Gottfried Weinart (1751-1813)

In einer knappen Übersicht von 1840 über die Kötzschenbrodaer Weinbergsflur stieß ich vor einiger Zeit auf den Namen »Weinartsruh, wo vor 30 J. der berühmte Schriftsteller Finanzproc. Weinart privatisirte«. Wackerbarths Ruhe kennt man noch, auch wenn das Staatsweingut diesen schönen Namen leider zu den Akten gelegt hat. Aber »Weinarts Ruhe«? – Nie gehört. Was steckt also dahinter?

Welcher berühmte Schriftsteller da beim alten Reichsgrafen abgekupfert hatte, ließ sich relativ leicht ermitteln: Es handelt sich um Benjamin Gottfried Weinart, Mitglied diverser gelehrter Gesellschaften, der um 1800 als ausgewiesene Kapazität auf dem Gebiet der sächsischen Geschichte galt. Am 4. Mai 1751 in Dohna als Pfarrerssohn geboren, hatte Weinart in Leipzig Jura studiert und sich schon bald nach Erwerb des Magistergrads 1774 »durch seine rasche litterarische Production den Ruf eines vielseitigen Geschichtsforschers und federgewandten Schriftstellers« erworben, wie es 1910 in der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB) heißt.

Sein erstes größeres Werk war eine »Topographische Geschichte der Stadt Dresden und der um dieselbe liegenden Gegenden«, die zwischen 1777 und 1781 erschien und vor allem wegen der zahlreichen Kupferstiche noch heute eine gesuchte Rarität darstellt. Von Dresden, wo Weinart nach der Approbation als Advokat tätig gewesen war, wechselte er 1779 als Amtmann ins damals noch sächsische Städtchen Ruhland in der Oberlausitz. Dieser Brotberuf ließ ihm Zeit für seine Studien, die sich nun vor allem auf die Rechtsgeschichte der beiden Lausitzen konzentrierten und in mehreren Publikationen ihren Niederschlag fanden.

Daneben betätigte er sich als Sammler und Bibliograph und legte 1790/91 in zwei Bänden seinen »Versuch einer Litteratur der Sächsischen Geschichte und Staatskunde« vor, den er später noch mehrfach ergänzte und der wegen seiner Materialfülle lange ein Standardwerk blieb.

1797 wurde Weinart zum kurfürstlich sächsischen Finanzprokurator in den Ämtern Senftenberg, Finsterwalde und Doberlug ernannt und kehrte nach Dresden zurück, wo er fortan auch anwaltlich und für verschiedene Periodika tätig war. Auch die ADB erwähnt, dass er sich als Wohnsitz »nahe bei der Stadt einen Weinberg mit einem Landhause [kaufte], das er Weinartsruhe nannte«. Doch um welchen Berg handelte es sich?

Aus Gustav Wilhelm Schuberts »Chronik und Topographie der Parochie Kötzschenbroda« (1865) geht hervor, dass Weinartsruh mit dem später v. Minckwitzschen Anwesen, heute Obere Bergstraße 30 in Niederlößnitz, identisch ist. Dessen Geschichte hat Liselotte Schließer akribisch erforscht. Ihre Ausarbeitung belegt auch, warum sich Weinart gerade dieses Weingut aussuchte. Das gehörte nämlich bereits seit 1762 seiner inzwischen verwitweten Mutter Christiane Johanna Weinartin geb. Krause, einer Enkelin von Caspar Christian Kober, der 1713/14 das Herrenhaus und 1729 das weithin sichtbare Belvedere hatte erbauen lassen. Der Kaufkontrakt vom 7. Januar 1797 liefert eine detaillierte Aufstellung des umfangreichen Besitzes, der aus verschiedenen Einzelbergen und Feldparzellen mit den zugehörigen Baulichkeiten, mehreren Brunnen am Rieselgrund sowie dem Koberschen Betstübchen samt Erbbegräbnis in der Kötzschenbrodaer Kirche bestand und – zumindest auf dem Papier – für 4.000 Taler den Eigentümer wechselte. Damals wurde das Anwesen noch »Hausberg« genannt. Am 14. September 1798 verkaufte Weinart drei der zugehörigen Weinberge für 1.700 Taler; dieser Kontrakt trug schon die Ortsbezeichnung »Weinarts Ruhe«.

Dass seine Ruhe hier nur von kurzer Dauer war und der Name bald wieder verschwand, hatte er sich selbst zuzuschreiben. Im Jahre 1800 veröffentlichte Weinart ein Buch »Über die chursächsische Steuer-Verfassung«; das Manuskript stammte aber gar nicht von ihm, sondern von Dr. jur. Friedrich August Eichhoff (1769-1830). Ein Freiherr kann sich bei so was vielleicht gewisse Freiheiten erlauben, aber Weinart fehlte das Von und Zu. Dr. Eichhoff strengte einen Plagiatsprozess an, der für den Beklagten 1804 mit Arrest und erheblichen Schadenersatz- sowie Gerichtskosten endete. Vermutlich zu deren Bestreitung versuchte Weinart 1806 von der Lößnitz aus, Teile seiner umfangreichen Bibliothek zu veräußern – für einen Büchermenschen ein hartes Los. Offenbar reichte das trotzdem nicht, denn am 12. Juni 1810 wurde »Weinarts Ruhe« (seit 1685 quasi im Familienbesitz) samt allen Zubehörungen »schuldenhalber« zwangsversteigert.

Erstaunlicherweise behielt der im Alter schwer kranke Weinart seinen Posten als Fiskal und ist im Dresdner Adresskalender auch weiterhin als Rechtskonsulent verzeichnet. Im Juli 1811 meldete die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, für die er als Rezensent tätig gewesen war, dann voreilig sein Ableben. Tatsächlich starb Benjamin Gottfried Weinart aber erst 1813, am 1. oder, nach anderen Quellen, am 9. September, in Dresden-Neustadt. Seine »Ruhe« und den Platz im Koberschen Erbbegräbnis hatte er verwirkt. Das einzige, was in Radebeul heute noch an ihn erinnert, ist ein großformatiges Ölgemälde »Der Leichnam Christi« von unbekannter Hand, das Weinart der Kötzschenbrodaer Kirchgemeinde im Jahre 1800 gestiftet hatte und das seinen Platz inzwischen unter der Orgelempore der Friedenskirche gefunden hat.

Frank Andert

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An dieser Stelle möchte ich mich bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, als verantwortlicher Redakteur von ›Vorschau & Rückblick‹ verabschieden. Ich habe diese Funktion 2009 gern übernommen und mich – aus Hochachtung vor dem Publikum und der Tradition der ›Vorschau‹ – seitdem bemüht, das inhaltliche und gestalterische Niveau dieser für die Radebeuler Kultur so wichtigen kleinen Zeitschrift hoch zu halten. Der schwer gefühlte Mangel an Verständnis und Unterstützung für dieses Anliegen veranlasste mich, zu Jahresbeginn meinen Rücktritt zu erklären. Ich wünsche meinem Nachfolger Sascha Graedtke von Herzen immer gute Texte und die Hilfe, die er braucht. Mir und Ihnen wünsche ich, dass die ›Vorschau‹ noch viele Jubiläen feiern möge. Eine Kästner-Moral auf den Weg: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

F. A.

[V&R 3/2011, S. 22-25]


Zum Titelbild März 2011

Wer die Moritzburger Straße und weiter die Karlstraße bergan geht, sieht als Blickfang schon von weitem eine Villa mit spitzem Turm, Obere Bergstraße 64. Davor stehend, erkennen wir dann mehrere Köpfe an der der Straße zugewandten Fassade.

Unser Titelbild entspricht dem gerahmten Kopf in Stuck rechts im 1. OG neben der Balkontür. Links von der Tür befindet sich ein gleicher Schmuck, was für Manufakturware spricht. Die junge Dame trägt einen durchbrochenen Hut über den Locken und wird durch einen Kranz im Geviert gerahmt. Hut und Rahmen erinnern an die weit zurückliegende Renaissancezeit – die Villa stammt von 1892, der Zeit der Neostile innerhalb der Gründerzeit.

Die Putzgestaltung, insbesondere die Bänder und Lisenen, entspricht wohl nicht der Originalfassung, sondern gehört zu einer Sanierung in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Bei der letzten Sanierung in den 90er Jahren wurde diese in Ermanglung von Originalbefunden bzw. -zeichnungen unverändert übernommen.

Dietrich Lohse

[V&R 3/2011, S. 32]

Editorial Februarheft 2011

Nicht genug damit, dass den Radebeulern vor Jahren ihre »Vier Jahreszeiten« abhanden gekommen sind, diesmal fällt auch die »fünfte« aus. Während bei unseren westlichen Nachbarn wenigstens immer mal »Narrenkriege« toben, nach denen man sich wieder vertragen kann, und die Karnevalsbegeisterung in Radeburg sowieso nur einen Feind hat, das mitunter schlechte Wetter, scheint dem Westimport Karneval in Radebeul endgültig die Luft ausgegangen zu sein. Die letzte Nachricht, die der Radebeuler Karneval Verein 2003 e.V. ins Internet stellte, lautete: »Das gesamte finanzielle Vermögen des RKV wurde leider in so grober Weise veruntreut, dass eine Weiterarbeit des Vereines nicht mehr möglich ist.«

Helau?! Eigentlich geht es beim Karneval oder, wie man in Sachsen zu sagen pflegte, beim Fasching (von Fastschank) ja darum, vor einer langen Durststrecke (der Fastenzeit) noch einmal ausgelassen zu feiern. Lebensfreude sollte dabei wichtiger sein als Geld, und die nächste Durststrecke kommt bestimmt.

Fasching in der Kolbevilla, Rosenmontag 1926

Das nebenstehende Foto, aufgenommen am 15. Februar 1926, Rosenmontag vor 85 Jahren, belegt, dass das Faschingfeiern auch in Radebeul eine lange Tradition hat. Erkennen Sie die Treppe, auf der die illustre Gesellschaft damals Aufstellung nahm? Wer mal in der »Kolbe-Villa«, Zinzendorfstraße 16, beim Arzt war, könnte sie erkennen. Zum Arzt geht man dort nun schon lange nicht mehr. Dass eine der prächtigsten Villen unserer Stadt so verkommen durfte, ist eine Schande! Jetzt scheint es da wieder Hoffnung zu geben…

Auch der Fasching ist nicht ganz tot, am Faschingsdienstag, den 8. März, lädt z. B. der Rosenhof Kinder und Jugendliche gegen kleinen Eintritt zum Feiern ein. Kostümschneider an die Arbeit!

Frank Andert

[V&R 2/2011, S. 1]

Nachspiel 75

oder Rückschau auf ein ungewöhnliches Langzeitexperiment der Radebeuler (Basis)Kultur

Plötzlich stand sie im Raum, die Idee, und verkündete mit zarter Stimme: »Wir Radebeuler feiern gemeinsam ein Fest, denn im Jahr 2010 wird unsere Stadt 75 Jahre alt.« So ein Quatsch, meinten einige, die 75 ist doch keine Zahl zum Feiern. Und wer will schon so genau wissen, was da los war im Jahr 1935?! Andere wiederum vermissten die nötige Würde. Ihnen schien alles zu klein in klein, zu unspektakulär, zu spontan und zu ungewiss.

Doch einmal in die Welt gesetzt, bahnte sich die Idee ihren Weg, stieß auf die Humorvollen, Einfallsreichen und Aktiven in dieser ihrer Heimatstadt.

In Windeseile wurde ein Festprogramm zusammengestellt, das man schließlich als gedruckte Broschüre in Händen halten konnte. Im Verlauf des Jahres fanden noch weitere Mitbürger Gefallen an der Geburtstagsfeier und beschenkten die Lößnitzstadt auf verschiedenartige Weise. Eine Spende von 25.000 Euro war für die Gestaltung einer Parkanlage bestimmt, die Chronik des Radebeuler Männerchores, dessen Gründung bis ins Jahr 1844 zurückreicht, wurde fertig gestellt und feierlich übergeben, eine Rechercheaktion lief an über Radebeuler Ehrenbürger, Bilder-Schenkungen gingen samt Liebeserklärung an die Kunstsammlung der Stadt, 75 Bäume wurden gepflanzt usw. usw. …

Gleich zur Eröffnung des neuen Museumsdepots am 8. Januar 2010 wurden die Gänge gestürmt und die eigens fürs Stadtjubiläum konzipierte Ausstellung »100 Jahre Vor(Stadt)Geschichte – Die Lößnitz 1835-1935« stieß auf lebhaftes Interesse. Exkursionen, Führungen, Wettbewerbe, Preisverleihungen sowie Vorträge über Radebeuler Persönlichkeiten und stadtgeschichtliche Zusammenhänge fanden statt. Über zwanzig Ausstellungen gab es zu sehen. Ein Untoter belebte den künftigen Kulturbahnhof. Bau-Damen und -Herren schufen in einem Vorgarten das perfekte Radebeul. Aus den Szenen einer Zwangshochzeit entstand ein Theaterstück mit Potential zum Kultstatus. Über 200 Sänger traten zur Nacht der Chöre auf. Altes und neues Radebeuler Liedgut wurde beim Waldparksingen zu Gehör gebracht. Der Autorenkreis las Kurzgeschichten über das Leben in der Lößnitzstadt und im Kurzfilm »Ein umstrittener Name« kamen Vertreter aller Ursprungsgemeinden zu Wort. Heimatgeschichte konnte man in laufenden und stehenden Bildern erleben.

Dass Kleines und Großes eng miteinander verwoben ist, verdeutlichen die Aufzeichnungen der »Radebeuler Alltagsschreiber«. Debattiert wurde auch über Zwangsarbeit in den Weinbergen und über Stolpersteine in Radebeul und anderswo. Zu sehen waren Architekturentwürfe und Modelle, die niemals gebaut worden sind. Jubiläum reihte sich an Jubiläum, vom 10- bis zum 120-jährigen. Feste wurden gefeiert in Wahnsdorf, Naundorf, Lindenau, Kötzschenbroda und Radebeul, bei strahlendem Sonnenschein und auch bei Dauerregen. Ein festlicher Hauch streifte mehr oder weniger alle zehn Ursprungsgemeinden.

Speziell für Trophäenjäger wurde ein Jubiläumsposter gestaltet, auf dem erstmals Herr Radebeul und Frau Kötzschenbroda mit ihrer zahlreichen (Adoptiv-)Kinderschar zu sehen sind. Gut mit Radebeul meinte es auch ein Lößnitzzwerg. Aus seinem Füllhorn ließ er Euros regnen. Doch Vorsicht: Alles nur Kunst! Aber was soll’s, Geld alleine macht die Bürger einer Stadt nicht glücklich.

»Radebeul, du wandelbare Schöne, dein Geheimnis zu ergründen, wem wird das je gelingen?« Maler, Dichter, Fotografen, Komponisten, Filmemacher – sie alle haben versucht, den eigenwilligen Reiz der Lößnitzstadt zu ergründen und für die Nachwelt festzuhalten. Archive, Bibliotheken, Museen, Sammlungen lassen uns fündig werden, und aus jeder Antwort erwachsen neue Fragen.

Doch gelohnt hat es sich auf jeden Fall, das Nachdenken über Radebeul, beginnend bei den Umständen, unter denen sich dieses Konglomerat aus ehemals zehn Ursprungsgemeinden in seine heutige Begrenzung fügte bis ins krisengeschüttelte Jahr 2010 mit Firmenpleiten, Armut, Wetterkapriolen und den arg bedrängten Landesbühnen. Gelohnt hat sich das Festjahr auch, weil sich Menschen begegneten und miteinander ins Gespräch kamen, weil neue Kontakte geknüpft wurden, von denen einige sicher auch bestehen bleiben werden.

Eine Würdigung erfuhr das Engagement aller beteiligten Vereine, Initiativgruppen, Künstler, Einrichtungen und Bürger durch den Radebeuler Oberbürgermeister Bert Wendsche im Rahmen einer kleinen Festveranstaltung am 23. Januar 2011 in der Stadtgalerie. Für hervorhebenswerte Beiträge, die aus Anlass des Jubiläumsjahres entstanden sind, erfolgte durch den Leiter des Amtes für Kultur und Tourismus erstmalig die Verleihung des »Goldenen RadeBeilchens« an Steffen Große, Monika Hornuf und Klaus Hübner.

»Nachspiel 75« zeigt den ungewöhnlichen Umgang mit einem Stadtjubiläum, das ein Nachspiel haben wird, weil es uns gezeigt hat, was erreicht werden kann, wenn jeder seine Stärken zum Wohle der Gemeinschaft einbringt, und weil es die Sinne schärfte für das Woher und Wohin. Wie hieß es doch im Vorwort zum Festprogramm: »Zukunft braucht Herkunft, aber auch Inspiration, Phantasie und eine Vision«.

Karin Gerhardt

[V&R 2/2011, S. 2-4]

Ein Jahr Fechten in Radebeul

Felix mustert sein Gegenüber und hält Abstand. Er wirkt zögerlich. Da macht Luisa einen großen Schritt vor und sticht auch schon zu: Ihr Treffer landet an Felix’ Brust, unweit des Herzens. Zum Glück hat er eine Lederjacke an und ist nicht verletzt. Solche Szenen spielen sich in Radebeul jetzt öfters ab: Die beiden Kinder üben fechten. In der Sporthalle an der Kötzschenbrodaer Festwiese.

Fechten in der Elbsporthalle

Jeden Donnerstagnachmittag kann man erleben, wie sich die jüngsten Florett-Fechter in dieser eleganten Sportart messen. Die riesige Halle scheint zu groß für die Steppkes zwischen acht und elf Jahren. Deshalb hat Robert Peche, der Gründer und Vorsitzende des Fechtclubs Radebeul e. V., sie auch in drei Gruppen eingeteilt. Gleich am Eingang wird gar nicht gefochten: Da trainieren die Wettkampf-Erprobten einfach nur ihre Fitness mit Leichtathletik und Ballspiel. Schließlich haben sie Anfang Januar gerade erst an einem Turnier des Fechtclubs Leipzig in Mölkau teilgenommen – »und ich hab’ den 3. Platz gemacht«, ergänzt ein Mädchen namens Julie stolz. In der Mitte der Halle üben die Kleinsten, die teils noch im Kindergartenalter sind, die ersten Grundschritte mit einer Übungsleiterin. Der Chef selbst, Robert Peche, ist mit den 10- und 11-Jährigen schon weiter.

Sie tragen die Profi-Ausrüstung: weiße Westen oder Jacken, die wie Leder aussehen, aber aus einem speziellen Gewebe sind, das keine Hiebe durchlässt. Dazu Helme, die in der Fachsprache »Masken« heißen und wie übergroße Bienenkörbe um die kleinen Köpfe wirken. Die Hosen in schwarz sind teils kurz, teils lang, egal, da gibt es keine Vorschrift, und natürlich Turnschuhe. Jeweils zwei Personen – die Gegner – nehmen Aufstellung mit der richtigen »Mensur«. Das ist der Abstand, der anfangs durch die gekreuzten Florettspitzen bei angewinkeltem Arm bestimmt wird. Die Kinder lernen die richtige Körperhaltung, den Ausfallschritt, die Angriffsrechte und die Parade. Der 31-jährige Peche gibt freundlich, aber bestimmt seine Anweisungen; zwar ist seine Stimme durch die Maske und den Raumhall nicht so gut zu verstehen, aber die Kinder haben offensichtlich dabei kein Problem, das mag auch an den Wiederholungen liegen.

Vor einem Jahr, als der Inhaber der Fechtschule Dresden die ersten »Schnupperstunden« in Radebeul gab – in den Winterferien 2010 – da musste er sich noch mit der alten, ungeheizten Halle der ehemaligen Waldparkschule zufrieden geben, eine andere war nicht frei. Inzwischen ist nicht nur die Zahl der Interessenten gestiegen, sondern auch die Mitgliederzahl, so dass in der modernen Elbsporthalle trainiert werden kann, wenn die nicht gerade im Wasser steht. Stolze hundert Mitglieder zählt der »Fechtclub Radebeul« mittlerweile, auch Erwachsene gehören ihm an.

»Es ist ganz komisch«, meint Robert Peche, »wenn die Erwachsenen von Fechten hören, denken sie an die ›Mantel und Degen‹-Filme oder an die drei Musketiere, Kinder assoziieren dagegen ihre Helden aus ›Star Wars‹ mit Fechtszenen und fragen, ob denn auch mal mit Laser-Schwertern gekämpft wird.« Eines aber macht er von Anfang an für alle Altersgruppen deutlich: beim Fechten geht es um Sport und nicht um Show. Hier wird echt gekämpft, jeder Treffer zählt. Im Film und auf der Bühne dagegen muss die Choreographie so gut eingeübt sein, dass bei den Schauspielern keine Verletzungen erfolgen: Der Degen oder Säbel (seltener das Florett) muss eben kurz vor der Stirn halt machen, damit das ungeschützte Gesicht des Stars keinen Kratzer kriegt. Das ist die Kunst.

Wer sich die Fecht-Profis von Radebeul mal hautnah ansehen möchte, hat dazu am 11. und 12. Juni Gelegenheit: Da wird der 3. Radebeuler Fechtcup wieder in der Elbsporthalle ausgetragen. Mehr unter www.fechtclub-radebeul.de.

Karin Funke

[V&R 2/2011, S. 5f.]

RADEBEUL in feinen Fotos

(Radebeul’s finest)

Der repräsentative Bildband von Horst Bieberstein (im Eigenverlag, Radebeul) ist nicht mehr ganz neu, er liegt schon seit Herbst vorigen Jahres vor. Das Buch will vor allem Gästen unserer Stadt (Touristen und Geschäftsleute) mit einem Querschnitt der Häuser und etwas Landschaft den besonderen Charakter Radebeuls erklären und ein Souvenir sein. Es ist endlich mal wieder ein Buch über Radebeul, das zweisprachig (deutsch und englisch) angelegt ist und so auch internationale Gäste anspricht. Ein solcher Wunsch wurde ja bereits in V+R 07/03 vorgetragen.

Erfüllt das vorliegende Buch nun die Zielstellung und alle Erwartungen? Auf den ersten Blick war ich begeistert, vor allem von den großformatigen Farbfotos, von ungewohnten, den Postkartenblick vermeidenden Bildern, von besonderen Lichtstimmungen und schönen Details. Die meisten dargestellten Objekte sind Kulturdenkmale, die ich in meinem zweiten Arbeitsleben ein Stück weit begleitet hatte. Schon deshalb kam ich an dem Buch nicht vorbei. Nein, eine neue Denkmaltopografie will das Buch nicht sein. Erfreut war ich auch, dass bei der Bildauswahl neben einer großen Zahl sanierter Häuser auch einzelne unsanierte gezeigt und vor allem, dass auch moderne Häuser ins rechte Licht gesetzt werden.

Auf den zweiten Blick gibt es dann aber ein paar Fragen und Kritikpunkte. Da ist zunächst der Titel – »Radebeul exklusiv« – ein bisschen abgehoben vielleicht? Wenn man dazu noch den Preis von 48,- € sieht, erkennt man, dass das Buch die so genannten Besserverdienenden im Auge hat. Der in den Monaten Oktober und November 2010 gewährte Einführungspreis von 39,90 € erschiene mir als endgültiger Preis durchaus angemessen! Und da ist der Schutzumschlag, der m. E. mit grafisch wirkenden gelben, blauen und weißen Diagonalstreifen etwas zu heiter in Bezug zum Titel erscheint. Natürlich gibt es beim zweiten Durchblättern auch weitere erfreuliche Aspekte zu entdecken. Da sind eine Reihe interessanter Gegenüberstellungen von Motiven mit z. T. gleicher oder kontrastierender Aussage, wie auf den Seiten 34/35 oder 88/89, ohne dass das Prinzip überstrapaziert wird. Der Inhalt ist entsprechend dem Jahresablauf, beginnend mit dem Frühling, gegliedert – ein bewährtes Schema. Quasi als roter Faden kann man Raddarstellungen in vielfältiger Form erkennen, was dem Autor offensichtlich Spaß gemacht hat. Radebeul hat schließlich auch ein Rad im Stadtwappen!

Auffallend ist, dass Horst Bieberstein auf seinen Fotos Menschen fast ganz ausgeblendet hat. Ob das einen juristischen Hintergrund hat, damit sich so eine Reihe von Einverständniserklärungen von Privatpersonen erübrigen sollen? So hat es doch wieder etwas Ähnlichkeit mit der Denkmaltopografie von Radebeul. Zwangsläufig entsteht der Eindruck, dass Radebeul eine schöne, aber unbelebte Stadt sei, schade. Bei einer eventuellen 2. Auflage des Buches sollten aber die Kurztexte und Bildunterschriften noch einmal überprüft werden. So bin ich der Auffassung dass nicht Gustav Ziller (S. 53) das Karl-May-Grabmal entworfen hat, sondern sein jüngerer Bruder Paul Ziller, der seinerseits den Athener Bruder Ernst konsultiert hatte. Gustav Ziller starb bereits 1901, Karl May aber erst 1912. Magnolien und Tulpenbäume sind zwar beide in Radebeul vorkommende exotische Zierbäume, aber botanisch betrachtet nicht das Gleiche (S. 17). Erstere blühen im März/April und letztere erst im Juni.

Dennoch lautet mein Resümee: Das Buch ist unter den nach 1990 erschienen Radebeul-Büchern eines der besten. Außer unseren Gästen sollten es auch Radebeuler Bürger im Regal stehen haben, so sie den Preis akzeptieren können.

Dietrich Lohse

H. Bieberstein: Radebeul exklusiv. Bieberstein Verlag Radebeul 2010, 192 S., 164 Abb., 48 €, ISBN 978-3-927656-20-8.

[V&R 2/2011, S. 7f.]

Das historische Porträt: Johann Peter Hundeiker (1751-1836)

»Er war ein edler und hoher Geist, welcher in seinem engeren Kreise, wie für die Welt, Gutes wollte und that«. So beginnt der Lebensabriss, mit dem der ›Neue Nekrolog der Deutschen‹ (14. Jg., 1838) den herzoglich braunschweigischen Edukationsrat Dr. Johann Peter Hundeiker würdigte, der vor 175 Jahren, am 2. Februar 1836 »zu Friedstein bei Dresden« starb. Mit Friedstein ist das damals noch nicht in Alt- und Neu- geteilte Weingut bei Kötzschenbroda gemeint, wo Dr. Hundeiker die letzten gut anderthalb Jahrzehnte seines Lebens verbracht hatte. Und dass dieser Wohltäter im Großen und Kleinen eine seinerzeit bedeutende Persönlichkeit war, wird schon daran deutlich, dass sein Nachruf im ›Nekrolog‹ den exakt gleichen Umfang hatte wie der auf den wenig später verstorbenen sächsischen König Anton im gleichen Band.

An der Wiege war Hundeiker diese Ehre noch nicht gesungen worden. Die hatte im Hause des Krämers von Groß Lafferde gestanden, eines stattlichen Bauerndorfs auf halbem Wege zwischen Braunschweig und Hildesheim, wo Hundeiker am 29. November 1751 geboren war und bis 1804 ansässig blieb. Nur während der Schulzeit hatte der hochbegabte Knabe sein Dorf für einige Jahre verlassen müssen. Was er in dieser Zeit an der Braunschweiger Waisenhausschule und der Stadtschule von Peine erlebte, prägte seinen Entschluss, selbst Lehrer zu werden, und zwar ein guter – kein Pauker mit dem Rohrstock, sondern ein Erzieher und Förderer der Jugend im besten Sinne des Wortes. Zunächst musste er sich aber dem Kaufmannsberuf widmen. Ein Universitätsstudium lehnte sein Vater kategorisch ab, so dass sich Hundeiker – von der Mutter und wohlmeinenden Gönnern unterstützt – nur »in den Stunden der Nacht beim Schein eines dürftigen Lämpchens […] mit unermüdlichem Fleiße« durch Lektüre selbst weiterbilden konnte. Insbesondere philosophische und pädagogische Autoren hatten es ihm angetan, darunter Moses Mendelssohn, Jean-Jacques Rousseau und Johann Bernhard Basedow.

Die zufällige Bekanntschaft mit dem herzoglichen Leibmedikus Dr. Carl Gottlieb Wagler in Braunschweig brachte Hundeiker dann in Kontakt sowohl mit der vornehmeren Welt wie auch mit einflussreichen Protagonisten der (Volks­)Aufklärung und des Philanthropismus wie Friedrich Eberhard v. Rochow, Joachim Heinrich Campe, Christian Wilhelm v. Dohm und dem bewunderten Basedow selbst. Letzterer fand Gefallen an dem jungen Mann und hätte ihn gern als Lehrer an sein 1774 gegründetes Philanthropin in Dessau verpflichtet. Doch obwohl Hundeiker in Dessau, wo er 1778 u.a. auch den zufällig anwesenden hessischen Nachwuchsdichter J. W. Goethe kennenlernte, beste Voraussetzungen geboten wurden, lehnte er ab, kehrte nach Groß Lafferde zurück und führte mit Rücksicht auf die Familie den 1775 vom Vater geerbten Laden weiter. Daneben aber bemühte er sich aktiv um die Vermittlung aufklärerischen Gedankengutes an die Bauern der Umgebung, erwarb sich dabei große Achtung und übernahm schließlich auch noch unentgeltlich die Leitung der örtlichen Dorfschule, die er in wenigen Jahren zu einem musterhaften und fortschrittlichen Institut umgestaltete.

Sein guter Ruf als Pädagoge führte dazu, dass Hundeiker nachgerade bedrängt wurde, auch Knaben aus »besseren Kreisen« als Schüler anzunehmen, was er nach der Gründung einer eigenen Familie – 1783 heiratete er eine »gebildete Pfarrerstochter« aus seiner Gegend – auch tat. Der Andrang war so groß, dass er sich bald darauf entschloss, den Krämerberuf ganz an den Nagel zu hängen und im eigenen Haus eine private Erziehungsanstalt aufzubauen. Schnell hatte Hundeiker an die 30 Zöglinge aus aller Herren Ländern, und die öffentlichen Blätter waren voll des Lobes für seine fortschrittlichen Lehr- und Erziehungsmethoden. So fand die von ihm propagierte Lautiermethode, die den Kindern das Lesenlernen erleichterte, weite Verbreitung, und seine dafür entwickelte Fibel wurde zum Vorbild einer ganzen Lehrbuchgattung. 1804 wurde auch der regierende Herzog auf Hundeiker aufmerksam, verlieh ihm den Ratstitel und stellte ihm sein in der Nachbarschaft gelegenes Lustschloss Vechelde unentgeltlich als neues Schuldomizil zur Verfügung.

Das bis zuletzt wegen seines beispielhaften, praxisorientierten Realienunterrichts und seiner hervorragenden Lehrkräfte (in Anlehnung an das von Christian Gotthilf Salzmann 1784 gegründete thüringische Pendant) als »braunschweigisches Schnepfenthal« geschätzte Hundeikersche Institut bestand bis 1819, hatte in dieser Zeit aber durch die napoleonischen Kriege und die unstete Haltung wechselnder Obrigkeiten manche Krise auszustehen. Mit der fürstlichen Protektion war es schon nach dem Tod von Herzog Karl II. Wilhelm Ferdinand zu Braunschweig und Lüneburg (der zwar ein Herz für die Bildung hatte, als Oberbefehlshaber der preußischen Truppen in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt aber eine krasse Fehlbesetzung war und diesen Ausflug in die Weltgeschichte mit dem Leben bezahlte) Ende 1806 vorbei. Um die Schule zu retten, musste der nicht eben reiche Hundeiker Schloss Vechelde 1811 endlich sogar kaufen. Diese Transaktion wurde nach dem Ende der napoleonischen Ära von der neuen herzoglichen Regierung angefochten, was langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen und für den fast 70-jährigen Institutsleiter reichlich Kränkungen und Kummer mit sich brachte. Schließlich resignierte er und zog in die Lößnitz, wo eine und bald sogar zwei seiner Töchter in guten Verhältnissen lebten.

Seine zweite Tochter Elise war mit dem Leipziger Kaufmann Ludwig Pilgrim verheiratet, seit 1816 Besitzer des Weinguts Friedstein, der 1818 zusätzlich noch das Mohrenhaus erworben hatte. Die geistreiche Elise, die selbst auch als Dichterin hervortrat, wurde 1823 übrigens die Taufpatin der später berühmten, auf Wackerbarths Ruhe geborenen Schriftstellerin Elise Polko. Hundeikers älteste Tochter Emilie hatte den vermögenden Kaufmann Georg Schwarz geheiratet, einen engen Freund des russischen Zaren Alexander I., der sich seinerseits – während eines längeren Aufenthalts des Paares in St. Petersburg – unsterblich, aber vergeblich in Emilie verliebt haben soll. (Elise Polko hat den Stoff 1866 zur Novelle »Am Teetisch einer schönen Frau« verarbeitet.) Schwarz, der Namenspatron von »Schwarzes Teich«, bezog um 1820 mit seiner Familie das Herrenhaus Altfriedstein, das er später von seinem Schwager Ludwig Pilgrim auch käuflich erwarb, und gehörte in Hundeikers Todesjahr gemeinsam mit Pilgrim zu den Gründern der »Fabrik moussirender Weine« (später Sektkellerei Bussard).

Der Lebensabend in der Lößnitz gestaltete sich für Johann Peter Hundeiker freudevoll und fruchtbar. Im Lang’schen Erziehungsinstitut auf Wackerbarths Ruhe fand er bis zu dessen Auflösung 1823 ein neues pädagogisches Betätigungsfeld. Auch die Schriftstellerei – schon seit den 1770er Jahren hatte er zahlreiche Aufsätze und (Kinder-)Lieder sowie mehrere Erbauungsbücher veröffentlicht – nahm er wieder auf. (»Besonders fand den verdienten Beifall sein ›Festbuch für gebildete Nachtmahlsgenossen‹ und sein ›Weiheschenk für junge Christen.‹ 2 Thle. 1821 und 1823. Günstige Beurtheilungen erhielten auch sein[e] 1824 erschienenen ›Lichtstrahlen aus den Tempelhallen der Weisheit‹ und seine ›biblischen Feierstunden.‹ 1829 und 1830.«) Hundeikers geliebte Bibliothek fand ihren Platz im noch heute existierenden Winzerhaus Am Jacobstein 2 (»Ein freundliches Häuschen, in der Mitte eines heitern Gartens«), das seine Schwiegersöhne eigens als Ruhesitz für ihn neu aufgebaut haben sollen.

Seiner Gewohnheit gemäß ging Hundeiker noch im hohen Alter täglich zwei bis drei Stunden durch die Berggassen der Lößnitz spazieren und nahm am gesellschaftlichen Leben tätigen Anteil. Neue Freundschaften wurden geknüpft, so zum 1824 ins Amt eingeführten Kötzschenbrodaer Pfarrer und Poeten Johann Gottlob Trautschold (1777-1862), der ihm mehrere Gedichte widmete. Auch zu den geistigen und künstlerischen Zirkeln der Residenz ergaben sich vielfältige Beziehungen.

Edukationsrat Hundeiker muss zeitlebens eine überaus markante Erscheinung gewesen sein; auf den Dichter Jean Paul (Friedrich Richter), der für Hundeikers Tochter Elise schwärmte und deren Vater 1825 besuchte, machte dessen Menschenkenntnis und sicherer Blick einen tiefen Eindruck, und Geheimrat Goethe erinnerte sich noch nach einem halben Jahrhundert mit warmen Worten an die Begegnung von 1778. Vielleicht hatte der Dichterfürst ja auch die Hand dabei im Spiel, dass die Universität Jena Hundeiker zum 80. Geburtstag 1831 den Ehrendoktortitel verlieh. Am 29. Juli 1833 wurde Hundeiker dann noch die Freude zuteil, in Kötzschenbroda die eigene Goldene und die Hochzeit seiner ältesten Enkelin zu feiern; Freund Trautschold sorgte mit einer aus diesem Anlass publizierten Gelegenheitsschrift dafür, das Ereignis der Nachwelt zu überliefern.

Ein in der Lößnitz entstandenes Bleistiftporträt des Dresdner Akademieprofessors Karl Christian Vogel von Vogelstein zeigt Johann Peter Hundeiker im Oktober 1834 als rüstigen Greis mit geistvollen Zügen im Bewusstsein eines erfüllten Lebens. Zu diesem Zeitpunkt waren von seinen insgesamt zwölf Kindern nur noch fünf am Leben, sechs waren schon im frühen Kindesalter verstorben. Entgegen dem Sprichwort, das besagt, Lehrers Kinder würden selten oder nie gedeihen, machte der Hundeikersche Nachwuchs dem Vater, nebenbei bemerkt, alle Ehre; zwei der Töchter sind schon erwähnt worden, der älteste Sohn Julius wurde Pfarrer und verfasste mehrere gern gelesene Romane, der zweite Sohn Wilhelm brachte es nach der Promotion zum angesehenen Direktor der Bremer Handelsschule.

Seine letzte Ruhe fand Johann Peter Hundeiker 1836 auf dem Kötzschenbrodaer Friedhof. Sein Grab ist längst verschwunden, ebenso wie offenbar auch die Lutherbüste, die der nach jugendlichen Anfechtungen geläuterte, tief gläubige Christ der Gemeinde zum 300. Jubiläum der Augsburgischen Konfession 1830 zum Geschenk gemacht hatte und die, wie alte Fotos beweisen, noch im frühen 20. Jahrhundert einen Ehrenplatz in der Kötzschenbrodaer Kirche einnahm.

Frank Andert

[V&R 2/2011, S. 9-13]

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