Struktur und Farbe

Ausstellung von Matthias Kratschmer in Radebeul

Matthias Kratschmer – Foto: Dietrich Flechtner

Matthias Kratschmer ist in Radebeul kein Unbekannter. Auch wenn der freiberufliche Industrie- und Grafikdesigner, welcher 2009 den Sächsischen Staatspreis für Design erhielt, eher auf anderen Gebieten unterwegs ist, so hat er doch schon mit seinen Werken an Ausstellungen in der Radebeuler Stadtgalerie, am Radebeuler Grafikmarkt und seit 2020 an „Kunst geht in Gärten“ teilgenommen.
Nun, seit dem 2. Juni dieses Jahres gibt Matthias Kratschmer erstmals EINBLICKE – so der Titel der Ausstellung – in sein ausschließliches Schaffen als Bildender Künstler.
Kratschmers zumeist farbige Grafiken und Collagen sind ein Spiel mit Struktur und Farbe. Geometrische Formen überlagern sich gegenseitig, gehen in einander über und werden von Linien gekreuzt. Florale Elemente, angeordnet in strenger Form, leugnen den Diplomformgestalter keineswegs. Einige Blätter zeigen Figürliches, in geometrische Formen übergehend. Ausgeführt sind die Arbeiten mit Fineliner, farbigen Marker-Stiften, Tusche/Feder und farbiger Tusche. Die Auswahl der Exponate ist vielseitig und umfangreich. Präsentiert werden sie in den Räumen der Gemeinschaftspraxis für Zahlheilkunde von Dr. Justina Schubert und Dr. Constanze Proskawetz in der Radebeuler Lutherstraße. Die ästhetische Gestaltung der Ausstellung ist sehr anspruchsvoll und fein auf die teils farbig gefassten Räume sowie den Empfangsbereich abgestimmt und überaus gelungen.

„perventum“ – Matthias Kratschmer, Tusche /Feder und farbige Tusche, 2020

Die Laudatio hielt Thomas Gerlach, dem man einmal mehr dafür dankbar sein muss. Ist es doch heutzutage schwierig überhaupt jemanden zu finden, der die einführenden Worte zu einer Ausstellungseröffnung spricht. Als Kratschmer 2020 begann, sich der Kunst zuzuwenden, lag diese brach, wie es Gerlach in seiner Rede formulierte. Und er fuhr fort: „In den drei Jahren nun, in denen Matthias sein Vorhaben so konsequent umgesetzt hat, sind über tausend Zeichnungen entstanden, mit denen er nun nicht nur medial, sondern zum ersten Mal auch real die Öffentlichkeit sucht.“. Natürlich zeigt die Ausstellung davon nur einen kleinen aber sehr bewusst ausgewählten Teil, insgesamt 77 Werke. Dem Betrachter „begegnen konstruktive Motive, die manchmal an Häuserfassaden erinnern oder Brückenkonstruktionen, wobei sie natürlich keinen realen Vorbildern folgen“, führt Gerlach weiter aus. „Stattdessen holt sich Matthias Anregungen aus der Werbung. Speziell die Modelle der Designerin Gudrun Sjöden, die schwedische Mode in die Welt bringt, regten ihn an, sie kollagenartig in seine Formen einzubeziehen.“ Es sind Stoffmuster aus den Katalogen von Gudrun Sjöden, die der Betrachter in Matthias Kratschmers grafischen Arbeiten wiederfinden kann.
Die Arbeiten können selbstverständlich auch erworben werden und erfreulicherweise zu sehr moderaten Preisen. Die Ausstellung kann mindestens bis Ende August, mit Ausnahme der Behandlungsräume, besichtigt werden.
Es lohnt sich also ein Besuch der Gemeinschaftspraxis für Zahnheilkunde in der Radebeuler Lutherstraße 1, auch wenn einen keine Zahnschmerzen plagen.
Karl Uwe Baum

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Öffnungszeiten der Praxis: Mo: 8–12 und 13–16 Uhr; Di/Do: 8–12 und 14–19 Uhr; Mi/Fr: 8–12 Uhr. Telefon: 0351/830 80 31.

 

Wenn die Neugier nicht wär…!

Gespräch mit Karin (Gerhardt) Baum zum Siebzigsten

Hat man lange nichts von einer bekannten Person vernommen, taucht irgendwann immer wieder die spannende Frage auf: Was macht eigentlich XYZ?

Auch deshalb wollten wir den Lesern von Vorschau & Rückblick die Antwort darauf nicht vorenthalten.

Die Gründe allerdings, warum die Redaktion des Monatshefts gerade sein Mitglied Karl Uwe Baum mit dieser Aufgabe betraut hatte, werden wohl im Dunklen bleiben müssen. Andererseits, warum sollte der Ehemann, quasi vis-à-vis am Küchentisch sitzend, nicht auch ein vernünftiges Interview mit seiner Gattin zustande bringen können?

So richtig wollte am 31. Januar vor nunmehr reichlich 53 Monaten keiner glauben, dass sich die Stadtgaleristin und Mitarbeiterin des Radebeuler Kulturamtes Karin Baum zum „alten Eisen“ abstempeln lassen würde. Gar der Oberbürgermeister sah sich in den Räumen der Stadtgalerie zur „Schlüsselübergabezeremonie“ veranlasst, die Parabel vom „scharfen Schwert des Abschiedes“ mehrfach mahnend anzusprechen.

Im folgenden Interview wollen wir unter anderem herausfinden, wie scharf das Schwert nun wirklich war.

Doch vorab sei von mir an dich, liebe Karin, die Frage gerichtet, ob es dich stört, dass ich als dein Ehemann dieses Interview führen werde?

Nein, das stört mich überhaupt nicht. Wir haben doch schon mehrfach bewiesen, dass wir zusammenarbeiten können, ob nun in der Redaktion von Vorschau & Rückblick, bei der Kasperiade von 2004 bis 2012 in Altkötzschenbroda oder zu „Feuerwehreinsätzen“, wenn Not am (Ehe-)Mann war wie bei kulturellen Großprojekten verschiedenster Art.

Hat sich nun seit Februar 2019 bei dir etwas gravierend geändert? Verbringst du jetzt deinen Alltag im Müßiggang?

Weniger im Müßiggang, wohl eher mit Muse und relativ selbstbestimmt. Der Zeitdruck ist endlich weg! Das genieße ich täglich sehr.

Vor vielen Jahren hattest du mal ein Philosophiestudium in Leipzig begonnen und gleich wieder abgebrochen. Schlummern da noch unerfüllte Wünsche?

Da schlummert gar nichts. Ich bin wohl eher der pragmatische Typ.

Bereits im Jahr 2013 hatte dich unser Redaktionsmitglied Bertram Kazmirowski zum 60. Geburtstag interviewt. Seitdem sind 10 Jahre vergangen. Hat sich in dieser Zeit Bemerkenswertes ereignet?

Leider habe ich in meinen letzten Dienstjahren nicht mehr alles schaffen können, was mir wichtig war. Doch einiges ist durchaus geworden. So hat die Städtische Kunstsammlung wunderbare Schenkungen erhalten und mehrere Kooperationsprojekte konnten realisiert werden. Beispielsweise 2016 die Ausstellung mit sechzehn Künstlern von der anderen (Elb-)Seite oder 2018 das Projekt „Indianerland“ mit Kinderzeichnungen von dem Radebeuler Maler und Grafiker Prof. Claus Weidensdorfer und dem dreißig Jahre jüngeren Dresdner Galeristen und Grafiker Holger John. Erstmals ist es im gleichen Jahr auch zu einer Zusammenarbeit mit der Dresdner Kunsthochschule gekommen. Unter dem Motto „SMS-Sprösslinge mit Spaß“ erprobten Studenten von Prof. Ralf Kerbach die Möglichkeiten, welche eine kommunale Galerie zu bieten hat. Eine Fortsetzung dieser Zusammenarbeit war angedacht. Rechtzeitig fertig geworden ist auch der zweite Teil der Galeriedokumentation.

Hast Du noch Kontakte zum Kulturamt bzw. zur Stadtgalerie?

Klar, die AG Kötzschenbroda „Heimatabend mit Frühstück“, deren Sprecherin ich bin, kümmert sich ein wenig um die Heimatstube Kötzschenbroda und nach wie vor bin ich Mitglied des Förderkreises der Stadtgalerie.

Als Co-Kuratorin war ich 2019 ziemlich intensiv eingebunden in Konzeption und Gestaltung der Käthe-Kuntze-Gedenkausstellung sowie 2022 und 2023 in die Jubiläumsausstellungen 30 Jahre Städtische Kunstsammlung und 40 Jahre Stadtgalerie. Ein Novum waren hierbei die recht humorvollen gemeinsamen Doppel-Kuratorenführungen. Privat beteiligen sich die Baums seit 2020 an der Veranstaltungsreihe „Kunst geht in Gärten“ und waren 2021 Mitorganisatoren beim grenzüberschreitenden Kultur- und Spielstraßenfest auf der Käthe-Kollwitz-Straße.

Was möchtest du gern mal loswerden?

Loswerden möchte ich meine überflüssigen Pfunde. Aber so war das ja wohl nicht gemeint. Mehr als überfällig finde ich eine offene und ehrliche Debatte über die Stadt- und Kulturentwicklung. Mir geht es dabei auch darum – ich hoffe das klingt jetzt nicht zu pathetisch – „die Seele und den Geist“ der Lößnitzstadt für künftige Generationen zu bewahren.

Bist du eigentlich gern Rentnerin? Also eine, die sich auch so fühlt?

Wenn ich von Jüngeren einen Sitzplatz in der Straßenbahn angeboten bekomme, finde ich das ganz prima. Ansonsten hatte ich bisher noch gar keine Zeit, über meine speziellen Rentnergefühle nachzudenken.

Nach dem „Brotjob“ ist bei Vielen Privat angesagt. Wie war das oder ist das bei dir?

Ach, da bin ich viel zu neugierig auf all das, was nun ohne mich und anders weitergeht. Denn irgendwie weiter geht es doch immer?! Außerdem habe ich meine Arbeit ohnehin nie als „Job“ angesehen.

Hast Du jemals Auszeichnungen oder Medaillen bekommen?

Wer hat das nicht, in so einemhohen“ Alter? Vor langer, langer Zeit gehörte ich mal zu einem „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ und 2019 ernannte mich die Kultur- und Werbegilde Kötzschenbroda zum Ehrenmitglied.

Was verbindet dich eigentlich mit Radebeul?

Dass ich in Radebeul geboren wurde, empfinde ich als großes Glück. Dass ich mein komplettes Arbeitsleben in dieser Stadt verbringen durfte, ist ja auch nicht selbstverständlich. Dass das Konglomerat Radebeul aus zehn Ursprungsgemeinden besteht und was das für diese Stadt bedeutet, wurde mir allerdings erst so nach und nach bewusst. Durch die Veranstaltungsreihe „Radebeuler Begegnungen“ habe ich mich dann recht intensiv mit allen Ursprungsgemeinden beschäftigt und dort viele engagierte Bewohner kennengelernt. Meine Tätigkeit als Sachgebietsleiterin für Kunst- und Kulturförderung, wie die offizielle Bezeichnung lautete, brachte es mit sich, dass ich sowohl fast alle Bildenden Künstler in ihren Ateliers besucht habe als auch mit zahlreichen Kulturvereinen, Initiativgruppen und Institutionen im permanenten Austausch stand. Ein großartiger Höhepunkt war dann das Festjahr zum 75. Stadtgeburtstag.

Karin und Karl Uwe Baum zwischen vielen Stühlen und doch miteinander verbunden, Foto: K. (Gerhardt) Baum

Nun wurdest du vor wenigen Tagen so alt, wie du in deinen jungen Jahren vielleicht nie werden wolltest. Spuken immer noch Gedanken und Ideen aus jenen Tagen in deinem Kopf herum?

Das nicht gerade, aber der Kopf steht ja nicht still, wie man so schön sagt. Sehr viel bedeuten mir Klassentreffen. Meine Mitschüler und ich sind zur gleichen Zeit ins Leben gestartet. Wir alle hatten Wünsche, Hoffnungen und Illusionen. Und wir alle wurden zwangsläufig mit der Realität konfrontiert. Die Möglichkeit, sich mit Gleichaltrigen darüber austauschen zu können, das finde ich wunderbar.

Einst traf ich einen 80jährigen, der sich für seine Zukunft noch viel vorgenommen hatte. Wie denkst du darüber?

Also wie gesagt, ich bin kein Philosoph. Mit Plänen ist das so eine Sache. Ich denke lieber aus der jeweiligen Situation heraus. Vieles hängt im Alter von der geistigen und körperlichen Verfasstheit ab, aber auch von mehr oder weniger glücklichen Zufällen.

Von Juni 1984 bis Januar 2019, immerhin 34 Jahre, hast du die Radebeuler Kulturlandschaft nicht unwesentlich mitgeprägt. Man gewinnt den Eindruck, dass dies mit großer Leidenschaft und persönlichem Einsatz geschah…

Bevor man etwas prägen kann, wird man erst mal selber geprägt. Alles hängt mit allem zusammen und nichts entsteht aus dem Nichts. Der Zeichenzirkel von Dieter Beirich war immer mein Favorit. Aber eine kurze Zeit habe ich auch das Kindertheater ausprobiert. Durch meine Diplomarbeit über Malerei und Grafik in Radebeul lernte ich den Dresdner Kunsthistoriker Dr. Fritz Löffler kennen. Sein profundes Wissen, seine bedingungslose Hingabe zur Kunst und Denkmalpflege, seine klare kritische Haltung haben mich sehr beeindruckt. Von ihm erhielt ich viele gute Ratschläge.

Fachliche Orientierung boten mir vor 1990 hauptsächlich die Galerie Nord, die Galerie Mitte und die Galerie Kühl. Auch kann ich mich noch gut erinnern, dass wir Kulturleute einmal gemeinsam in Leipzig bei „Judy“ Lybke in der Galerie Eigen + Art zum Erfahrungsaustausch waren.

Nach 1990 habe ich mich oft mit den Kollegen des Dresdner Kulturamtes beraten. Der Architektin Petra Clausnitzer, mit der ich von 1985 bis 1991 zusammengearbeitet habe, ist es zu verdanken, dass sich das Themenspektrum der Galerie um Architektur und Stadtentwicklung erweitert hatte. Sie knüpfte den Kontakt zur TU Dresden, wo man mit den Voruntersuchungen zum künftigen Sanierungsgebiet Altkötzschenbroda befasst war. Vor allem Dr. Dieter Schubert, der von 1991 bis 2005 das Bildungs- und Kulturamt leitete, fungierte als Bindeglied zu Politik und Verwaltung. Er erreichte, dass uns Mitarbeitern ein großer kreativer Freiraum zugestanden wurde. Inspiration bot sich auch für mich im näheren Umfeld, wie zum Beispiel das Internationale Wandertheaterfestival, der Scheune-Schaubudensommer, die Diplomausstellungen der Kunsthochschule, die Ausstellungsprojekte Ornö und Ostrale, das Lügenmuseum…

Was hättest du gern noch verwirklicht?

Hin und wieder werde ich wohl noch einige Beiträge für Vorschau & Rückblick schreiben. Freuen würde es mich, wenn das Monatsheft durch eine jüngere Redaktion weitergeführt wird. Außerdem habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Städtische Kunstsammlung in naher Zukunft würdige und öffentlich zugängige Räume erhält und der dringend notwendige Galerieerweiterungsbau endlich realisiert wird. Gern möchte ich den 100. Geburtstag der Stadt Radebeul mitfeiern, dann wäre ich allerdings bereits 82 Jahre alt.

Wie beurteilst du die aktuelle Radebeuler kulturelle Szene und was hat sich seit deinem Einstieg im Juni 1984 verändert?

Das kulturelle Angebot war zu DDR-Zeiten überschaubar strukturiert. Ab Mitte der 1980er Jahre kam dann auch in Radebeul die alternative Szene hinzu, die allerdings unter ständiger Beobachtung stand. Um heute als Künstler bzw. als Kulturanbieter bemerkt zu werden, müssen immer stärkere Reize gesetzt werden. Dass bezahlbare Wohn- und Arbeitsräume in Radebeul sehr rar sind, ist ja bekannt. Erst kürzlich wurde den jungen Künstlern von der „Alten Molkerei“ der Mietvertrag gekündigt. Zur kulturellen Szene in Radebeul gäbe es natürlich viel mehr zu sagen, was aber dieses Interview sprengen würde. Nur so viel: Aktuell wird im Kulturamt nun doch an einer Kulturkonzeption gearbeitet. Allerhöchste Zeit, denn der Generationswechsel macht auch vor Radebeul nicht halt. Ein Blick nach Meißen lohnt dabei durchaus. Dort ist erstaunlich viel passiert in letzter Zeit.

Du warst an einer Reihe von Vereinsgründungen beteiligt. Planst du demnächst weitere Gründungen?

Als Neu-Rentnerin hatte ich mir zunächst einen Überblick verschafft, in welchen Vereinen ich Mitglied bin. Eigentlich reicht’s. Trotz guter Vorsätze bin ich dann 2021 doch nochmal in einen Verein eingetreten. Dass sich der Radebeuler Kultur e.V. zu kulturpolitisch brisanten Themen öffentlich positioniert, finde ich sehr wichtig und unterstützenswert.

Und was sagt zu alledem die Familie?

Tja, da müsstest du die unmittelbar Betroffenen selbst fragen. Ich vermute, dass die Auffassungen hierbei etwas auseinandergehen werden.

Zum Ensemble des Dreiseithofes Altkötzschenbroda 21 gehört auch das Auszugshaus. Du hast es unter Mitwirkung deiner damaligen Kollegin Ingrid May zu einer Heimatstube entwickelt. Heute nutzt u. a. auch die AG Kötzschenbroda, die Einrichtung zur Umsetzung eigener Vorhaben. Bist du damit wieder am Ausgangspunkt deiner Tätigkeit im Kulturamt angekommen?

Naja, hier schließt sich scheinbar der Kreis. Das Auszugshaus war für die Alten da, die ihren Lebensabend auch nicht im Müßiggang verbracht haben. Eine besondere Herausforderung der Heimatstube sehe ich darin, dass auf engem Raum und mit geringem Budget, möglichst viele Geschichten von Menschen, Dingen und Ereignissen vermittelt werden sollen. Übrigens plant die AG im September 2023, den 30. Jahrestag des ersten sanierten Gebäudes in Altkötzschenbroda festlich zu begehen. So viel zum scharfen Schwert…

Vielen Dank für das „scharfe“ Interview.

(Fortsetzung folgt – 2028!)

Karl Uwe Baum


Interview zum Sechszigsten in V&R 6/2013

BU: Karin und Karl Uwe Baum zwischen vielen Stühlen

 

Impressionen von der 36. Radebeuler Kasperiade

Ein Vergnügen für Groß und Klein
zwischen Regenschauern und Sonnenschein

Arnold Böswetter alias Franz Lasch war in seinem Element als es während der nachmittäglichen Böswetter-Vorstellung fast wie bestellt, laut donnerte und krachte. Zwischen Regenschauern und

Foto: K. (Gerhardt) Baum

Sonnenschein präsentierten sich zur 36. Radebeuler Kasperiade bei freiem Eintritt unter freiem Himmel in Höfen, auf Straßen und Plätzen sechs Figurentheater. Dazwischen flanierten die Elbstelzen mit ihren knallroten Zipfelmützen und animierten das Publikum. Die Atmosphäre war heiter und gelöst. Drei Kapellen spielten flott und live, was für besonders gute Stimmung sorgte und eine Alleintänzerin spontan aus der Reserve lockte. Die verkehrsfreien Bereiche im Zentrum von Radebeul-Ost verwandelten sich vom 17. bis 18. Juni in große Spielplätze mit Bewegungsbaustelle, Bastelstrecke u. v. m. Auch an Limo, Eis und Zuckerwatte gab es keinen Mangel. Ein Kinderkarussell drehte unermüdlich seine Runden. Über den Regen- und Sonnenschirmen schwebten die weiß-transparenten Figuren von Cesar Olhagaray und Muriel Cornejo – mal vor blauem, mal vor grauem Hintergrund.

Improvisation gehört zum Metier des „fahrenden Volkes“. Das war früher und das ist heute so. Ein Mangel an Geld, wurde und wird durch viel Fantasie kompensiert. Kein Wunder also, dass ein umgebauter Campinganhänger zur Guckkastenbühne wird. Und wenn sich dann der erste Vorhang öffnet und endlich derjenige erscheint, dem die Kasperiade ihren Namen verdankt, wirkt das wie ein Mini-Startschuss für das zweitägige Figurentheaterfest.

Figurentheater P.ANIKA mit „Froschkönig“, Foto: K. (Gerhardt) Baum

Wie gesagt, Improvisation gehört dazu. Wer keinen Platz auf

Tri, tra, trullala … der Kasper war bei Regen da, Foto: K. (Gerhardt) Baum

den Zuschauerbänken fand, der setzte sich einfach auf die Straße oder auf die Terrassen vorm Kulturbahnhof. Die Kinder riefen, lachten und klatschten. Recht munter und witzig kam das Figurentheater P.ANIKA mit der wortgewandten Bühnenartistin, Schau- und Puppenspielerin Anika Petzold daher. Das Märchen vom Froschkönig endete zwar völlig anders als erwartet. Doch letztlich waren alle glücklich und zufrieden. Und so verhielt es sich dann auch mit dem Wetter. Auf den turbulenten Samstag folgte ein Sonntag voller Sonnenschein.

Dass alle Akteure zur sonnabendlichen Best-Of-Gala, moderiert von Arnold Böswetter, einzeln vorgestellt wurden und sich in der Radebeuler „Zentral-Arena“ mit Kurzauftritten vor dem interessierten Publikum präsentieren konnten, ist wohl als ein besonderes Dankeschön zu verstehen, welches letztlich an alle gerichtet ist, die immer wieder dazu beitragen, dass die Kasperiade seit über drei Jahrzehnten lebt.

Karin (Gerhardt) Baum

 

Editorial

Mitte Juni ging mit großem Erfolg und Andrang die nunmehr 36. Kasperiade über die Bühnen der Hauptstraße von Radebeul-Ost. Ausführlicheres dazu im anschließenden Beitrag.
Vor dem Kulturbahnhof dominierten hingegen über weite Strecken unterschiedliche Gruppen des Radebeuler Tanzstudios „MuNo-Productions“, das an dieser Stelle besonders gewürdigt werden soll. Das Kürzel erschließt sich aus den beiden Anfangsbuchstaben der Gründer und Tänzer von Norbert Kegel und Mu-Yi Chen. Im Jahr 2015 gegründet, hat es mittlerweile zahlreiche Projekte in Sachsen und darüber hinaus realisiert. Dabei legt das kleine Unternehmen besonderen Wert auf die Verbindung von verschiedenen Tanzstilen und -traditionen sowie auf die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern aus verschiedenen Ländern und Kulturen. Das Angebot der Kurse ist breitgefächert und umfasst verschiedene Tanzkurse, Workshops, Auftritte und Performances.
Auf 200m² wird Tanzunterricht für Kinder ab 4 Jahren bis hin zu Erwachsenen in den Tanzrichtungen Ballett, Show Dance, Hip Hop und Tai Chi angeboten.
Die Begeisterung der kleinen und großen Tänzer und Tänzerinnen war deutlich zu spüren, zumal nicht wenige Angehörige die vorgetragenen Tanzkünste nun auch mal in aller Öffentlichkeit bewundern konnten.
Dem engagierten Zweiergespann ist weiterhin viel Erfolg zu wünschen, denn sie leisten einen unschätzbaren pädagogischen Beitrag für die heranwachsende Generation.
Auf der 3. Umschlagseite können Sie einen Eindruck über die Vielfalt der Projekte gewinnen.

Sascha Graedtke

 

 

Zum Titelbild Juni 2023

Radebeul in historischen Ansichten

Spitzhaus, Spitzhausstraße 36
Das Spitzhaus – Name kommt von der Form – wurde 1672 als Lusthaus für den Dresdner Tuchhändler P. F. Landsberger über dessen Weinberg errichtet. Spätere Besitzer waren J.G. von Wolfframsdorf. Gräfin Cosel und ab 1710 August der Starke. Durch den Vergleich des Spitzhauses mit der Moritzburger Schlosskapelle erhärtet sich die Zuschreibung des Entwurfs für Oberlandbaumeister Wolf Caspar von Klengel [163O-1691). Lange Zeit im Besitz der Wettiner stand das Wahrzeichen Radebeuls turmartig mit zweigeschossigem Massivbau (9,5›<9,5m), welscher Haube, achteckiger Laterne und Spitzhelm über Oberlößnitz. Die Reblauskatastrophe führte nach 1901 durch Anbau von zwei Flügelbauten zum Betrieb einer Gaststätte, die in den 20er Jahren noch eine große Veranda erhielt. 1997/98 wurde durch das Architekturbüro Kempe der Umbau und die Sanierung des Spitzhauses vorbereitet und durchgeführt. Der Stadt Radebeul ist es hier durch Wahrnehmung des Vorkaufsrechts gelungen, die Fortführung eines Gaststättenbetriebes in exponierter Lage, anders als später bei der Friedensburg, abzusichern.
Dietrich Lohse

Mit den Texten der brachialromantischen Hausapotheker Dieter Beckert und Jürgen B. Wolff durchs Jahr

Statt einer Glosse

Stadtgesellschaft…?

Eigentlich hatte der Verein Vorschau & Rückblick festgelegt, dass sich das kulturelle Monatsheft mit seinen Beiträgen aus der „großen Politik“ heraushalten sollte. Aber wie macht man das? Und was ist unter „großer Politik“ zu verstehen? Wenn die „große Politik“ sich in kriegerische Auseinandersetzungen anderer Staaten einmischt oder wenn die Spritpreise und die Mieten davonrennen, trifft das auch die „kleinen Leute“. Und wenn in der Radebeuler Bahnhofstraße nach der Sanierung nur noch zwei Behindertenparkplätze übrigbleiben, trifft es besonders die Alten und die Händler.

Kann man sich denn überhaupt aus der Politik heraushalten, bei einer Entwicklung, die immer mehr an den Menschen vorbeigeht? Eine Mehrheit der bundesdeutschen Gesellschaft, zu der auch ich gehörte, hatte damals den Einsatz von deutschen Soldaten in Afghanistan abgelehnt. Doch die „große Politik“ scherte sich einen Dreck darum. Will man nichts aus der Geschichte lernen oder welche Interessen werden da eigentlich vertreten, wenn nicht die des Volkes, wie man es von einer Demokratie erwarten müsste?

Für eine „kleine Stadt“ ist „große Politik“ schon, wenn ein Schulgebäude saniert wird oder sich außerplanmäßig ein kleines Unternehmen ansiedelt. Das interessiert die Leute oder wie man heute sagt, die Stadtgesellschaft. Auch wenn der Begriff für manch einen erst seit circa zwanzig Jahre geläufig ist, findet er schon lange in der Geschichtsforschung Anwendung, um Städte ab dem Mittelalter genauer beschreiben und erfassen zu können. Auch wenn keine allgemeine Definition für den Begriff „Stadt“ existiert, nimmt die Verstädterung besonders seit der Industrialisierung enorm zu. So umfasste Radebeul mit allen Ursprungsgemeinden 1849 gerade mal 5.195 Einwohner und ist gut 100 Jahre später mit über 44.000 auf den bisher höchsten Stand angestiegen!

Heute leben gut 85 Prozent der Bundesbürger in urbanen Räumen. Diese gewaltige Verschiebung vom Land in die Stadt veränderte die Lebenswelten der Menschen sowie die Produktionsweisen für die benötigten Güter und brachte natürlich auch vielfältige Probleme mit sich, von der Globalisierung zusätzlich befeuert. Die Städte werden größer, die Wohnungsnot steigt rapide, die Versiegelung großer Flächen nimmt zu. Der Natur wird mehr entnommen, als sie „geben“ kann. Wir leben auch hier in Radebeul schon lange auf Pump!

Nun mag der ökologische Fußabdruck von Radebeul gegenüber Städten mit geschlossener Bebauung eventuell noch günstig ausfallen. Aber Genaues weiß man nicht. Zwar wurde im Kommunalen Energie- und Klimaschutzkonzept von 2014 die „Aufstellung einer fortschreibbaren Energie- und CO2-Bilanz“ für Radebeul festgelegte und müsste eigentlich auch vorliegen, doch auf der Homepage der Stadtverwaltung konnte ich sie leider nicht finden. Die Maßnahmen im Bereich Umwelt, Energie und Klimaschutz nehmen sich im INSEK 2015 freilich reichlich bescheiden aus. Die Festlegungen im Energie- und Klimaschutzkonzept von 2014 beziehen sich gar in der Hauptsache nur auf die städtischen Immobilien. Der Energieverbrauch in Radebeul ist zwar seit 1990 stark gesunken, aber seit 2005 wieder angestiegen. Er hat sich weg von der Braun- und Steinkohle, hin zu anderen fossilen Energieträgern bewegt. Demzufolge verschlechterte sich auch die CO2-Bilanz seit 2005 wieder. Sonnenkollektoren und Umweltwärme spielen hierbei verständlicherweise eine zu vernachlässigende Größe.

Schon seit Jahren „frisst“ sich die mit ockerfarbigen Betonsteinen „gepflasterte, sächsische  Wegedecke“ immer mehr durch unseren Ort. In der Bundesrepublik sind 45 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsflächen versiegelt! Der tägliche Zuwachs beträgt 30 Hektar. Jährlich wird somit eine Fläche von Radebeul viermal versiegelt! Die Erhaltung der Fußwege mit Sandbelag sollte deshalb Vorrang haben, da Ausgleichsflächen für Neuversiegelungen z. B. für den Villenpark (ehemals Glasinvest) kaum vorhanden sind.
 
Nicht nur die Stadt, sondern auch ihre Bürger haben sich in den letzten 20 Jahren verändert. Sie nehmen nicht mehr alles so ohne weiteres hin, was in der Stadt geschieht. Allein seit 2016 wurden zehn Petitionen gestartet, davon drei zu städtebaulichen Problemen. Die Bürger wollen gefragt werden, wenn es um „ihre Stadt“ geht, schließlich leben sie in ihr und wollen sich in ihr wohlfühlen. Aber auch sie müssen begreifen, dass es nicht so weiter gehen kann, wie bisher, wie auch die Politik und die Stadtverwaltung  nicht mehr ohne Einbeziehung der Bürger, der Stadtgesellschaft, agieren sollte. Zunehmend setzt sich die Partizipation der Bürger in der Kommunalpolitik durch, geht es doch auch um die Stärkung der Demokratie in der Gesellschaft. Was ist eigentlich im Bildungs-, Kultur- und Sozialausschuss des Radebeuler Stadtrats so „geheim“, dass 45 Prozent der Tagesordnungspunkte im letzten Jahr nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit beraten werden konnten?

Die sogenannten Verfassungsstädte Frankfurt am Main, Weimar und Bonn haben sich im Mai zu einem Netzwerk zur Unterstützung von Forschungs- und Vermittlungsarbeit vereint, um „Lehren aus der Vergangenheit für die Gestaltung der Zukunft nutzbar zu machen“. Ein Vorhaben, welches auch Radebeul gut zu Gesicht stehen würde, meint

Euer Motzi

Buchlesung am Montag

„Wege im Schatten der Kakaobäume“ von Ina Vogt

Es fehlte nichts.

Zartes Maigrün entfaltete sich auf den Weinberge am Fuße der Bosel und in den Treibhäusern leuchteten die frischen Balkon- und Gartenblüten in den schönsten Farben. Hier erlebten wir gestern eine freundschaftlich verbundene Gemeinschaft, Augenblicke des Verstehens, aber weltvergessen dürften wir diese Stunden nicht nennen, eher mit wachem Verstand, offen und bereit, Informationen über die weit entlegene Inselwelt in Sao Tomé und Príncipe aufzusaugen.

An diesem besonderen Abend gestern ohne die übliche Bewegung kamen sie in die Gärtnerei Damme, ein Bildschirm war an den Laptop mit den alten Fotos angeschlossen und zwischen den Töpfen und Vasen voller fremdartiger Blüten und Pflanzen tauchten die alten Dias auf, die 30 Jahre im Verborgenen geschlummert hatten. In dem schönen Ambiente trafen sich die Sportlerinnen, die sonst montags Gymnastik treiben. Das wöchentliche Fitnessprogramm findet unter der kompetenten, freiwilligen und unbezahlten Anleitung von Andrea statt, seit vielen Jahren treffen sie sich 20.00 Uhr in der Brockwitzer Turnhalle, alle Frauen sind eingeladen. Das zeichnet die Gruppe aus, die Vielfalt der Berufe, der unterschiedlichen Lebensart und doch das gegenseitige Verständnis für den Alltag.
Und nun hatten sich alle in der Gärtnerei verabredet, außergewöhnlich und herzerfrischend. Es war völlig verständlich, zu beobachten, wie anfangs alle stehend durcheinander redeten. Gerade dieser kleine Austausch pflegt das Zusammenleben und es sind die nicht unwichtigen Gespräch über das Leben, die Geburten von Enkelkindern, die Freude, sie wachsen zu sehen und die Sorge um deren und die eigene Gesundheit zu teilen. Jemand ließ uns darauf anstoßen, nach einem erfüllten Arbeitsleben endlich das Rentenalter erreicht zu haben, vorzeitig?

Doch das Geplapper dauerte kurze zehn Minuten und nach dem ersten Tropfen Wein im Glas versammelten wir uns voller Erwartung auf die Vorstellung meines Buches „Wege im Schatten der Kakaobäume“, welches 2022 erschienen ist. Ich konnte es in den Gesichtern der „Sportmädels“ erkennen, dass sie viele Fragen über unsere damalige Zeit 1986 bis 1989 hatten, die sicher an diesem Abend gestillt werden würden. Gleich zu Beginn stellte jemand die Frage, warum es so lange gedauert hatte, bis ich mein Buch geschrieben hatte. Es macht mir Freude, mich an die Zeit vor 30 Jahren zu erinnern, als ich an der Seite meines Ehemanns jung, voller Ideale und rückblickend hübsch auf der hier fast unbekannten Insel Sao Tomé lebte.

Aus der Erinnerungen berichte ich zunächst mit meiner nicht verblasster Bewunderung über die herrliche tropische Vegetation, die in den Gärten reich blühenden Hibiskushecken, dicht aufragende Palmen, Bananenstauden mit Webervogelnestern und Schmetterlinge. Die Fragen voller Interesse drehten sich jedoch um unser Leben dort: „Was habt ihr gearbeitet? Wie seid ihr dorthin gekommen? Wie hast Du die Sprache gelernt? Wie lebten die Menschen? Warum war das Land so arm? Was hast Du jeden Tag gekocht? Wie wurde Weihnachten gefeiert? Gingen Eure Kinder zur Schule?“

Gemeinsam mit meinem Ehemann beantworteten wir ehrlich die Fragen: „Wir waren dort, um Lehrlinge auszubilden, Maurer und eine Schule zu bauen. Es war eine wichtige, friedliche Tätigkeit einer Jugendbrigade, die „Freundschaftsbrigade“ hieß. In unserer Freizeit beschäftigten wir uns auch mit den santomensischen Kindern in deren Freizeit. Wir berichteten über den Kakao und dessen niedrigen Weltmarktpreise, das Gesundheitssystem, die andauernde Armut in der ehemaligen portugiesischen Kolonie. Natürlich hatten wir dort Freizeit, herrliche Strände, Ausflüge und ausländische Freunde hatten wir auch gefunden, kubanische, russische, zu denen wir bis heute Kontakt haben. Ein Grund war, dass wir keine Kontakte zu „nichtsozialistischen“ Ländern haben durften, uns an die Regeln halten mussten. Uli las aus dem Buch auszugweise vor und schließlich erzählte er auch von der Tierwelt, dem riesigen Rochen, Krabben, Vögeln. Flughunden usw. Abends im Bett fiel mir ein, dass er vergessen hatte, von den Ziegen zu erzählen, die geschickt auf dem Zaun balancierende gern die Knospen an der Hibiskus-Hecke abknabberten.

Die Krönung des Abends war der Sturm auf unser Buffet, zu dem jeder hatte etwas beigesteuert.

Wir kamen zurück auf die Frage, warum ich erst jetzt das Buch geschrieben hatte. Diese sehr persönliche Frage zu beantworten war nicht leicht. Ein Grund war, dass 1990 zur Wende bereits die Verlage die Qualität der Fotos bemängelten, denn wir hatten alles mit einer guten Kamera, einer Practica MTL 3 auf ORWO-Filmen festgehhalten. Die Qualität der Farben genügte den gehobenen Anforderungen nicht. Also verließ ich die Verlage der Buchmesse unverrichteter Dinge und legte mein Projekt auf Eis. Auch ich hatten mit der Wende einen neuen Lebensweg eingeschlagen, studierte, hatte während dessen ein zweites Kind bekommen und bin nach dem 2. Staatsexamen in das Berufsleben eingetreten. Nachdem die ersten Gehälter zuverlässig gezahlt wurden, konnte ich Anfang des neuen Jahrtausends forschen, wer die Inseln entdeckte, ob sie bewohnt waren usw.

Zeit zum Schreiben hatte ich nicht mehr, bis ich erkrankte. Als ich aus unserer Holztruhe, die den Duft des tropischen Holzes nicht verloren hatte, öffnete, die Muscheln in die Hand nahm und allerlei Dinge fand, die viele Jahre unberührt darin lagerten, erwachte in mir die Lust, jetzt alles aufzuschreiben. Als ich im Sommer 2021 das erste Buch in den Händen hielt, freute ich mich sehr. Ich rekapitulierte die Kapitel, dabei weckte ich alle guten und schwierigen Erinnerungen. Das Erlebte erzählt von der Inselwelt, den Menschen, der reichen Vegetation, dem feuchten Klima, den zerklüfteten Hängen der Vulkaninsel, den Kakaobauern, den Fischerbooten und Stränden. Ich traf begeistert auf scheinbar unberührte Natur ohne die Zerstörung der Industrie, aber auch Menschen in Armut und voller Krankheiten. Schließlich kam ich nicht umhin, über die portugiesische Kolonialzeit nachzuforschen, die Geschichte seit der Entdeckung 1470 aufzunehmen und zu hinterfragen, was davor hier passiert war. War die Insel wirklich unbewohnt, als sie von den Seefahrern der Neuzeit entdeckt wurde?

Es war ein gutes Gefühl, nach so langer Zeit noch zu erzählen, auch mitzuteilen, was wir geleistet haben, um diesem Land etwas Verbesserung zu bringen und einen kleinen Beitrag für Freundschaft, Lachen und Frieden in der Welt getan zu haben.

Von Herzen danke ich Jeannette Damme, die diesen besonderen Vortrag in ihrer Gärtnerei ermöglichte.

Ina Vogt

Und wenn ich Sie neugierig gemacht habe, können Sie gern bei mir nachfragen. Die Kontaktdaten gibt Ihnen gern die Redaktion.

Ein Nachruf für Käte Neumann (3.8.1923 – 11.2.2023)

Die Schreibenden Senioren Radebeul trauern um ihr langjähriges Mitglied Käte Neumann. Sie hat die Arbeit unserer Schreibgruppe über drei Jahrzehnte hinweg mit vielfältigen Ideen bereichert. Bis in ihr einhundertstes Lebensjahr hinein nahm sie aktiv an unseren Arbeitstreffen teil. Voller Humor erklärte sie: „Ich bin heute mit meinem Rolls-Royce gekommen!“, und meinte damit ihren schicken dunkelroten Rollator. Bei uns allen war sie aufgrund ihrer bedachtsamen, stets freundlichen und zurückhaltenden Art beliebt und geschätzt. Es ist mir daher ein Herzensbedürfnis, an dieser Stelle rückblickend etwas näher auf ihr Leben und Wirken einzugehen.

Käte Neumann, 2018, zur Herbstlesung des Autorenkreises »Schreibende Senioren« in der Stadtgalerie Radebeul
Foto Ulrike Keller, Archiv Regionalverband Volkssolidarität Elbtalkreis-Meißen e.V.

Käte Neumann wurde in Chemnitz geboren. Die Familie zog jedoch bald nach Dresden um, wo Käte ihre Ausbildung zur Diplom-Bibliothekarin absolvierte. 1945 ausgebombt, kam die Familie schließlich in Radebeul unter. Seither war Käte Neumann hier in der Borstraße ansässig.

Sie war die konsequenteste Tagebuchschreiberin, die ich kenne, und ausgesprochen belesen. Aus der intensiven Beschäftigung mit Literatur erwuchsen erste eigene literarische Versuche. Aber ich lasse sie hier gleich einmal selbst zu Wort kommen: „Warum ich schreibe? Vor allem, um Erlebtes und Erfahrenes vor dem eigenen Vergessen zu bewahren. Gelegentlich aber auch, um mir über die Dinge des Lebens und das tägliche Geschehen klar zu werden… Bisweilen ist etwas darunter, welches vielleicht auch andere interessieren könnte, und das landet dann manchmal in einer Druckerei…“

Beim Radebeuler Notschriftenverlag fand sie in Jens Kuhbandner einen adäquaten Partner, der mehrere ihrer zum Teil von ihr selbst liebevoll illustrierten Bücher veröffentlicht hat, unter anderem „Von Katzen und anderen Naturwundern“ und „Radebeuler Spaziergänge“. Die „Spaziergänge“ empfehle ich aufgrund der kenntnisreichen Details sogar gestandenen Radebeulern zum Nachschlagen und Nachwandern.

Wandern und Reisen war ohnehin Käte Neumanns zweite große Leidenschaft. Anspruchsvolle Bildungsreisen führten sie bis ins ferne China. Sie vertiefte sich in die Geschichte des jeweiligen Ortes und hielt auch die kleinen Beobachtungen am Rande fest, was ihre Reiseberichte so lesenswert macht.

Als eine Mitarbeiterin der Volkssolidarität im Jahre 1995 den „Radebeuler Autorenkreis Schreibender Senioren“ initiierte, gehörte Käte Neumann zu den Gründungsmitgliedern. Bereits die erste unter dem Titel „Radebeuler Mosaik“ veröffentlichte Anthologie des Autorenkreises enthielt drei Beiträge aus Käte Neumanns Feder und bis 2022 kamen jährlich zahlreiche neue hinzu. Viele ihrer Texte enthalten interessante biografische Details, alle sind wertvolle Zeitzeugnisse. Als Beispiele will ich hier nur „Große Wäsche“ aus dem „Mosaik“ Nr. 18 und „Erinnerungen an eine aussterbende Spezies“ aus Nr. 25 erwähnen, wo sie einen Bogen von ihrer Kindheit bis in die Gegenwart hinein spannt.

Am Zeitgeschehen nahm Käte Neumann regen Anteil. Als treue Theater- und Opernliebhaberin war sie den Landesbühnen Sachsen und der Dresdner Kulturszene eng verbunden, hat dort wahrscheinlich kaum eine bedeutende Premiere verpasst. Nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit engagierte sie sich zudem für den Schutz der Sächsischen Schweiz und unterstützte aktiv den Landesverein Sächsischer Heimatschutz.

Aus einer zutiefst humanistischen Grundhaltung heraus war sie immer auch Mahnerin. So beschrieb sie 2005 ihre „Überlegung“ wie folgt: „Ich denke darüber nach, ob das grundlose Töten unterlegener und hilfloser Lebewesen dem Menschen angeboren ist. Und wenn es so wäre, wie kann man ihn davon abbringen?“

Käte Neumann ist uns ein großes Vorbild. Wir vermissen sie und wir werden sie nicht vergessen.

Gudrun Scheibe
Schreibende Senioren Radebeul

Mit Herz und Verstand

Ein Nachruf auf Christian Schmidt (*1.12. 1957 in Görlitz, +22.4. 2023 in Radebeul)

Bild: H. König

Ein Mann der lauten Worte, des energischen Auftretens war Christian Schmidt nie gewesen. Nein, er war ein Mann des Ausgleichs, der Mitte, einer, der Herz und Verstand in Einklang bringen, einer, der Menschen verbinden und zusammenführen konnte. Wohl auch deshalb wurde Christian Schmidt in den Wendewirren 1989/90 durch das Ensemble der Landesbühnen Sachsen zum kommissarischen Intendanten bestimmt, mit Matthias Liebich und Horst Mendelsohn als Berater an seiner Seite. Zu diesem Zeitpunkt war Schmidt erst gut zwei Jahre fest als Opernregisseur am Radebeuler Haus engagiert gewesen, hatte aber vor 1987 schon als Gast mit Humperdincks „Hänsel und Gretel“ und Verdis „Rigoletto“ Kostproben seines Könnens gegeben. Geradezu legendär sind inzwischen jedoch die Umstände, unter denen Schmidt im Herbst 1991 vom Übergangsintendanten zum ordentlich berufenen Intendanten wurde. Selbst Teil der Auswahlkommission für seine Nachfolge zu sein war für Schmidt nicht das Problem – ein Problem hatte er mit den anderen 25 Bewerbern und deren Plänen für die künstlerische und organisatorische Ausrichtung des Hauses, das sich wie alle Kultureinrichtungen der ehemaligen DDR neu (er-)finden musste. Während des laufenden Prozesses verließ er nach Beratung mit Familie und Freunden die Kommission, bewarb sich selbst – und machte das Rennen. Zu diesem Zeitpunkt – Schmidt war noch keine 35 Jahre alt – war er der jüngste Theaterintendant Deutschlands. Als er 20 Jahre später, im Herbst 2011, als Intendant der Landesbühnen trotz laufenden Vertrages bis 2013 erschüttert von den Spardebatten in unserem Freistaat abtrat, war er zum dienstältesten Intendanten geworden und mit den Fährnissen und Fallstricken des bundesdeutschen und besonders sächsischen Kulturbetriebes nur zu gut vertraut. Die ermüdenden Kämpfe um Zusammenlegungen, Stellenstreichungen, Budgetkürzungen unter dem Schlagwort der effizienten Verwendung von Steuergeldern sollte fortan ein anderer führen müssen, und also wurde Manuel Schöbel sein Nachfolger. In der Sächsischen Zeitung und auch den Dresdner Neuesten Nachrichten (jeweils 9.5.23) sind Schmidts bleibende Verdienste um die künstlerische und strukturelle Qualität des Radebeuler Hauses sehr angemessen gewürdigt worden, worunter der noch immer frisch und zeitgemäß anmutende Neubau des Stammhauses, der unter Schmidts Ägide errichtet wurde, für alle ein sichtbares Zeugnis ablegt. Ebenso wurde aber auch an den Musikliebhaber und feinfühligen Menschen Christian Schmidt erinnert, der sich u.a. ehrenamtlich bei der Radebeuler Tafel engagierte. Eingedenk all dessen sollte man also auch die Worte aus der Pressemitteilung der Landesbühnen als Zeichen der ehrlichen Wertschätzung lesen, in der es heißt: „Die Belegschaft und Theaterleitung der Landesbühnen Sachsen GmbH erkennen mit großer Dankbarkeit das Erbe seiner gewissenhaften und klugen Führung, auf dem ihr heutiges, künstlerisches Wirken baut. Wir wollen die Arbeit in diesem Sinne fortführen und ihn so in respektvoller Erinnerung behalten.“

Christian Schmidt verstarb nach langer Krankheit bereits am 22. April 2023 in seinem Radebeuler Haus und wurde am 23. Mai auf dem Friedhof Radebeul-Ost beigesetzt.

Bertram Kazmirowski

Mehr zu Christian Schmidts künstlerischem Werdegang ist in zwei Porträts in V&R 11/1991 und 8/1999 zu finden.

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