Editorial Dezember 18

Man war versucht den Herbst zu verpassen.
So weit reichten die sommerlichen Temperaturen in das späte Jahr hinein.
Und fast vermisste man schon die „ungemütlich-gemütlichen“ grau kaltnassen Novembertage, hätten da jahreszeitbedingt nicht doch die Blätter in den leuchtendsten Farben tanzend den Weg zum Boden gesucht.
Nun wurde das letzte Laub beflissen von den Gehwegen gefegt, als wolle man für die kommenden betriebsamen Wochen Laufstege schaffen.
Denn da ist sie wieder, die vorweihnachtliche Zeit die so viel schneller läuft.
Mit all ihren Facetten durchdringt sie wieder unentrinnbar Mensch und Gesellschaft. Oder, Gesellschaft und Mensch?
Ja, alle Jahre wieder eben. – Der Spagat zwischen zwanghaftem Konsum und innerer Einkehr. Zwischen Wunsch, Gleichmut und Unvermögen.
Und dann der alljährlich bange Blick in die Welt zwischen Hoffnung und Resignation. Der einst scheinbar so fernen Welt, welche mehr und mehr vor die eigene Haustür zu rücken scheint. Weihnachtsfriede kann wohl nur aus einem selbst kommen.
In der Rückschau bleibt uns die „Vorschau“. In diesem Sinne!

Liebe Leserinnen und Leser, im Namen der Redaktion wünschen wir Ihnen eine schöne wie friedvolle Advents- und Weihnachtszeit und glückvolle Momente im kommenden Jahr.
Bleiben Sie unserem Heft auch künftig gewogen!
Schließlich bleibt still zu hoffen, dass das allzu trockene Jahr für Kinder und Gemüt in winterliches Weiß gehüllt ausklingen möge.

Sascha Graedtke

Büchertreffpunkt Naundorf

Mensch und Buch, Buch und Mensch, die gehören zusammen. So war es jahrhundertelang, so sollte es auch weiter sein, meint man. Doch ganz langsam beginnt diese Freundschaft, also das Verhältnis der beiden o.g., zu zerbröseln. Gut, es soll ja schon immer Menschen gegeben haben, die gar keinen Bücherschrank brauchen, denen ein, zwei oder maximal drei Bücher völlig genügen – ein Sparbuch, das Telefonbuch und vielleicht noch die Bibel. Die müssen sich, anders als ich zB., in reiferen Jahren auch kaum die Fragen stellen: wohin mit den ganzen Büchern? Passen die noch in die kleinere Wohnung, in die man zu ziehen gedenkt? Habe ich dieses Buch in den, sagen wir, letzten zehn Jahren mal wieder in die Hand genommen oder gelesen? Werden sich meine Nachkommen für meine Bücher überhaupt interessieren?

Gartenparzelle, gegenüber von Altnaundorf 14 Foto: D. Lohse

Zu all diesen Fragen kommt ja auch ein eher technischer Aspekt hinzu: brauche ich den 24-bändigen Brockhaus denn noch, wenn ich in der Tasche ein „Kastl“ habe, das mir blitzschnell alle Antworten geben kann, sofern die Kraft der Batterie, respektive des Akkus, reicht? Im gegenwärtigen Zeitalter werden fast alle Antiquare, denen wir unsere Bücher anbieten wollen, die Hände heben und nein danke sagen. Also ganz schlimme Zeiten für Leute, die Bücher lieben, den Werteverfall für Druckerzeugnisse erkennen und sich oft fragen, wie und wo kann ich Bücher, von denen ich mich trennen möchte, los werden ohne sie gleich zum Altpapier zu tragen!
In der Situation hatten ein paar Naundorfer Bürger eine nette Idee, wo man Bücher kostenlos abgeben und für andere zum Mitnehmen bereitstellen könnte. Als erstes beschlossen die Schwestern und Eigentümerinnen, Frau Mehlig und Frau Bäßler, einer Gartenparzelle gegenüber von Altnaundorf 14, ihren Garten in der Mitte von Altnaundorf zu öffnen. Dann wurde 2014 da ein spintartiger Schrank mit Dach aufgestellt, der geschätzte 300 Bücher aufnehmen kann. Und tatsächlich füllte sich der Schrank mit Büchern, ein Tisch mit Stühlen zum Verweilen kam auch dazu. Dieser Platz wurde allmählich bekannter und so funktionierte der Bücherumschlagplatz immer besser – Einer brachte gleich drei Bücher hin, ein Anderer nahm nur eins mit nach Hause, ein Dritter brachte ein Buch mit zum Platz und trug zwei heim (alles ohne Geld!). Heute spricht man in solchen Fällen wohl von einer ´´win-win-situation´´, glaube ich. Ich kann mir vorstellen, dass der Platz auch für Begegnungen am schattigen Platz im Dorf, wie einen Plausch mit oder ohne Buch genutzt wird.
Bei einem Besuch im September 2018 fand ich im Schrank vor allem Belletristik, Krimis, einzelne Sachbücher, Bildbände und auch Kinderbücher vor. An wenige Titel kann ich mich gerade erinnern: J. M. Simmel „Doch mit den Clowns kamen die Tränen“, Th. Deutschbein „Freiheit von der Eifersucht“, Lingen „Großes Lexikon der Tierwelt“ und ein etwas patiniertes Russisch-Wörterbuch – eine eher zufällige Auswahl. Leider fand ich dort kein Buch von Erich Kästner, von dem ich lange keins in den Händen hielt. Frau Bäßler erklärte mir, dass man sich wünscht, durch Aufstellen eines zweiten, eventuell auch kleineren Schrankes für die Kinderbücher das Auffinden zu verbessern. Ein Schrankspender wird aber noch gesucht!

Foto: D. Lohse

Freilich, man sieht dieser ausgeführten Idee zum Bücherwechsel an, dass sie nicht viel Geld kosten durfte, aber insgesamt macht der Platz einen ordentlichen Eindruck.
Ganz neu ist die Idee nicht, andernorts bei einer Wanderung im Siegerland und auch in Ansbach sah ich mal eine mit Büchern gefüllte Telefonzelle – auch derartige Umschlagplätze für Literatur. An ältere Telefonzellen war bisher in Radebeul aber nicht ranzukommen, leider. Denkbar wäre es, diese Idee des kostenlosen Büchertauschs an anderer Stelle in Radebeul noch ein zweites Mal zu versuchen, dabei sollte aber die Nähe von Bibliotheken und Buchläden respektvoll gemieden werden. Die Naundorfer hätten wohl nichts dagegen, wenn ihre Idee kopiert würde.
Auf den Naundorfer Bücherumschlagplatz hatte mich übrigens eine Kötzschenbrodaer Buchbinderin aufmerksam gemacht, der ich hier für den Hinweis danken möchte. Ich weiß aber gerade nicht, ob Frau Lindner diese „Vorschau“ liest.

Dietrich Lohse

„Der hat’s gekonnt“

Sonderausstellung im Käthe Kollwitz Haus Moritzburg anlässlich des 80. Todestages
von ERNST BARLACH

Noch bis zum 9. Dezember 2018 ist diese beeindruckende Ausstellung zu sehen. Deshalb soll hier nochmals darauf hingewiesen werden. Die sehr gut besuchte Eröffnung fand bereits am 9. September statt und war ein großartiges Erlebnis. Zum Einen trugen dazu die einführenden Worte der Leiterin des Hauses, Frau Sabine Hänisch, und die Laudatio von Frau Dr. Petra Kuhlmann-Hodick, der Oberkonservatorin des Dresdner Kupferstich-Kabinetts, bei. Zum Anderen ließ die dargebotene Musik eine ganz besondere Atmosphäre entstehen, wie im Editorial genauer beschrieben.

Selbstbildnis I SKD Kupferstich-Kabinett Dresden, Foto: H. Boswank

Einige Auszüge aus der Laudatio, für deren Freigabe der Autorin herzlich gedankt wird, sollen Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf die Exposition neugierig machen, gerade in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation:

„ An diesem Ort, im Käthe Kollwitz Haus, an Ernst Barlach zu erinnern ist sicher naheliegend. Sabine Hänisch hat den Ausspruch der Künstlerin „Der hat’s gekonnt“ als Motto über die Präsentation gestellt und damit auf die Bewunderung, die Käthe Kollwitz für den drei Jahre jüngeren Bildhauer empfand, verwiesen, auf die Anregungen, die Kollwitz aus der Begegnung mit seinem Schaffen für ihre Graphik und ganz besonders für ihre bildhauerische Arbeit gezogen hat…

Vor nunmehr 80 Jahren, am 24. Oktober 1938, starb der aus Wedel bei Hamburg stammende Ernst Barlach …Nur einige Stichpunkte zu seiner Biographie seien erinnert: Barlach hatte die Kindheit mit seinen drei jüngeren Brüdern in Schönberg und Ratzeburg verbracht. Das Verhältnis zu der aus gesundheitlichen Gründen über lange Zeit abwesenden Mutter war durch deren psychische Labilität überschattet. Den als Arzt tätigen Vater begleitete Ernst Barlach häufig in der Kutsche, wenn er zu seinen Patienten fuhr. Als er 14 war starb der Vater mit gerade einmal 45 Jahren. Barlach besuchte zunächst seit 1888 die Kunstgewerbeschule in Hamburg, und schrieb sich 1891 an der Kunstakademie in Dresden ein, wo er Meisterschüler von Robert Dietz wurde. Nach Abschluss des Studiums 1895 führten ihn zwei Aufenthalte 1896 und 1897 nach Paris. In den folgenden Jahren lebte er, neben Aufenthalten in Hamburg, in Friedrichroda in Thüringen und in Höhr im Westerwald, seit 1899 vorwiegend in Berlin. Freundschaftlich war er mit dem Verleger Reinhard Piper verbunden. 1906 unternahm Ernst Barlach gemeinsam mit seinem Bruder Niko eine Reise nach Russland zu dem dort lebenden Bruder Hans. Die Reise vermittelte ihm entscheidende Impulse und wurde vielfach als Schlüsselerlebnis für sein bildkünstlerisches und auch sein dramatisches Werk beschrieben. Im selben Jahr wurde sein Sohn Nikolaus geboren, für den er später das alleinige Sorgerecht erhielt. 1907 befreundete er sich mit Paul Cassirer, der die Alleinvertretung seiner Werke übernahm und bis zu seinem Freitod 1926 den Künstler nach Kräften unterstützte. 1909 führte die Verleihung des Villa Romana-Preises Barlach nach Florenz, wo er sich mit dem Schriftsteller Theodor Däubler anfreundete – auch dies eine Begegnung, die ihn nachhaltig beeinflusste. 1910 zog Barlach zu seiner Mutter und seinem damals bei ihr lebenden Sohn Nikolaus nach Güstrow…
Es ist Barlachs Graphik aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren, die im Fokus der hier gezeigten Ausstellung steht. 1914 entstanden für die bei Paul Cassirer erschienene, zunächst als Zeugnis des patriotischen Aufbruchs angelegte Zeitschrift „Kriegszeit“ mehrere Lithographien Barlachs, die in ihrem ernst bewegten Pathos eine seltsam anmutende Ambivalenz aufweisen. Der mit der todbringenden Sichel gewaltig ausschreitenden Figur des „Heiligen Krieges“ geht alles Triumphale ab. Und die kriegerische Formel „Erst Sieg. Dann Frieden.“ gerät in Barlachs Interpretation zur unbarmherzigen und machtlosen Drohung gegen den über dem Gräberfeld hoffnungslos Verzweifelten, den Barlach zeigt. Deutlicher noch und mit nunmehr klarem Appell sprechen Barlachs Beiträge zu der nachfolgend erschienenen Zeitschrift „Bildermann“ von der Verzweiflung angesichts der Schrecken des Krieges. Einen tief bewegt und machtlos die Hände ringenden Christus, hinter dem der Drei-Kreuze-Hügel von Golgatha aufragt, verweist der biblische Versucher auf die Reiche der Welt: einen endlosen Wald von Grabkreuzen auf den irdischen Feldern. In den Nachkriegsjahren führt Barlach das Thema der Verelendung und menschlichen Verrohung weiter aus, etwa im Bild der Kupplerin, die den Oberkörper einer hilflos ihr ausgelieferten jungen Frau entblößt, um sie einem Freier anzubieten.
In seiner reduzierten, ganz auf den formenden Umriss seiner Figuren konzentrierten Bildsprache zeigt sich gerade in Barlachs Graphik die auf den Gestus gerichtete Ausdruckswelt des Bildhauers, die auf Käthe Kollwitz so eindrücklich gewirkt hat. Paradigmatisch kann hierfür die Gestalt des Blinden in einer Lithographie von 1918 stehen – die gleiche Grundform wird er 1931 einer Bronzeplastik zugrundelegen, dem „Zweifler“, der seine eigenen Züge zu tragen scheint.
Mit dieser Ausstellung gibt das Käthe Kollwitz Haus seinen Besuchern die Möglichkeit, zu neuen nachdenklichen und berührenden Begegnungen mit dem Werk Barlachs.“

Ilona Rau

Das Käthe Kollwitz Haus ist von November bis März geöffnet:
Di -Fr 12 – 16 Uhr,
Sa/So 11 – 16Uhr

Bismarcks Treppe

Foto: J. Baumann

„Die nationale Einigung aber wäre nicht möglich gewesen, wenn die Kohle unter der Asche nicht glimmend gewesen wäre. Wer hat dieses Feuer gepflegt? Die deutsche Kunst, die deutsche Wissenschaft, die deutsche Musik: das deutsche Lied nicht zum wenigsten. Wir haben keine sächsische und keine preußische Musik gehabt, wir kennen keine partikularistische Musik in Deutschland. Wenn ein Lied gedichtet war, so war es einerlei wo, es war ein deutsches, und es ist das deutsche Lied und die Pflege der Musik eine Macht gewesen. Auch die Universitäten und mit ihnen die deutsche Literatur haben merklich mitgeholfen, das Nationalitätsgefühl wach zu halten. Die Wissenschaft appelliert an den Verstand, die Musik ans Gefühl, und das Gefühl ist, wenn es zur Entscheidung kommt, stärker und standhafter als der Verstand des Verständigen“ soweit Bismarck, zitiert aus einer Ansprache an die Dresdner Liedertafel im Mai 1892 und entnommen einem Vortrag von Dr. Ulf Morgenstern am 1. April 2013 im Spitzhaus.
Immer wieder hatte der Verein in den letzten Jahren in „Vorschau & Rückblick“ und im Amtsblatt auf sein Vorhaben des Einbaus einer Treppe in den Bismarckturm aufmerksam gemacht und zu Spenden aufgerufen. Idee war, dass allein aus dem Engagement der Bürger diese Treppe entsteht und sich die Stadtverwaltung im Gegenzug um die äußere Sanierung des Turmes und eine ansprechende Gestaltung des Umfeldes kümmert. Also eine Win-Win-Situation für Bürger und Verwaltung und den Turm sowieso, der, als ungenutztes Denkmal Wetter und anderen Grobheiten ausgesetzt, eine bzw. seine vollendete Nutzung erfahren soll und damit die Lücke zwischen Hoflößnitz, Spitzhaustreppe, Pavillon und Spitzhaus schließt. Nutzung schafft Pflege und Sicherheit für unser kulturelles Erbe, so die Idee. Und diese Idee lehnt eben auch an das Eingangszitat an, weil Kunst und Kultur, wozu wie selbstverständlich auch das gebaute Erbe zählt (wie auch Wissenschaft), als gemeinsames Fundament unserer Gesellschaft empfunden werden. Die Kultur kommt vor den Finanzen; Sinn und Zweck einer gesellschaftlichen Vereinbarung sind etwas anderes als Mittel, dieses zu erreichen.

Foto: J. Baumann

Auf die Bedeutung der Werteorientierung anhand von Bismarck, gerade auch in unseren heutigen politischen Zeiten von Anfeindungen und Herabwürdigung von Menschen, wies auch Falk Drechsel, Lehrer am Gymnasium Klotzsche, in seiner Rede vom 1. April 2017 im Spitzhaus wie folgt hin: „Wenn ich bei Bismarck eben nicht aufhöre nach dem ´Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt‘, sondern fortsetze mit seinem und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt‘, dann bin ich bei Werteorientierung. Wenn ich darstelle, dass zu Otto von Bismarck eben auch seine Frau Johanna gehörte und beide eine wohl sehr innige Liebe verband, werden auch Obrigkeitspolitiker menschlich. Das muss nicht in Voyeurismus, Anekdotismus oder Kitsch ausarten. Und somit hege ich die Hoffnung, dass Bismarck im Geschichtsunterricht nicht nur gut ist, zur Erhellung der Vergangenheit beizutragen, sondern auch unser Verhalten in der Gegenwart ein wenig zum Positiven zu beeinflussen. Und dann hört es vielleicht endlich auf, dass Politiker als „Birne“ bezeichnet oder mit Farbbeuteln beworfen werden, dass ihnen entmenschte Praktiken unterstellt oder verächtlichmachende Sexualattribute zugestanden werden, dass wir ihren Gang durch eine Kunst- und Kulturstadt unter nachgemachte Tiergeräusche stellen oder sie auf Demonstrationsplakaten mal schnell an einen Galgen hängen. Und dass diejenigen, die sich selbst als Hüter und Kontrolleure der sozialen Ordnung akzeptiert sehen wollen, das, je nach eigenem politischen Wahrheitsanspruch, schließlich unter das Postulat „Meinungsfreiheit“, „Kunst“ oder „Satire“, welche vermeintlich alles dürften, stellen.“
Und jetzt kommt sein entscheidender Satz, den wir uns immer wieder verinnerlichen sollten: Unter unserem politisch unstrittigen Grundkonsens der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gibt es noch einen. Einfacheren. Sowas macht man nicht.
Dass unsere Treppen-Idee als Nutzungskonzept funktioniert, zeigte schon der provisorische Treppeneinbau 2007. Damals kamen in nur vier Wochen über 1.000 Besucher, um einen Blick von der Turmkrone in das Elbtal zu werfen. 2013 begann dann unsere konkrete Werbeaktion, die wir nun am 26. September 2018 vorerst mit dem Einschweben der Treppe krönen konnten. Die Treppe basiert auf einem Entwurf der Architekten Baarß & Löschner und wurde von der Metallbaufirma Göpel aus Glashütte gefertigt. Bauherr ist die Stadt Radebeul, an die der Verein die Spenden per Vertrag zweckgebunden übergibt; denn die Stadt ist besser als der Verein in der Lage, die Leistungen auszuschreiben, zu überwachen und den Bauablauf zu koordinieren. Zudem ist der Turm ja sowieso städtisches Eigentum und damit dann auch die mit ihm verbundene Treppe.
Wir haben seit 2013 nunmehr deutlich über 200.000 € Dank von etwa 900 Spendern hierfür gesammelt, wovon bisher rund 200.000 € für Werbung und folgende Gewerke ausgegeben wurden:
1. Gerüstbau, Radebeuler Dachdecker
2. Bodenplatte und Maurerarbeiten, Baugeschäft Bialek
3. Schlosserarbeiten, Metallbau Anders OHG
4. Stahlbauarbeiten, Metallbau Göbel GmbH
5. Baustrom, Elektro Schröter
6. Anschluss Baustrom, Stadtwerke Elbtal
7. Blitzschutz, Blitzschutzanlagenbau Müller
8. Statik, Ingenieurbüro Simon und Ingenieurbüro Liebau
9. Elektroplanung, Ingenieurbüro Kießling
10. Bauplanung, Baarß und Löschner Architekten

Foto: J. Baumann

Aus stehen noch die Podestfläche und das Schiebedach, die Stufenbeläge, die Zugangskontrolle mit Drehkreuz und die Eingangstür, die Elektroinstallation und einige Kleinigkeiten. Auch hierfür haben wir bereits einiges an Mitteln beisammen, aber es fehlen uns noch rund 20.000 €. Wir rufen daher nochmals alle diejenigen auf, die dann gern den Rundumblick über Dresden, Cossebaude, Meißen und Moritzburg genießen wollen, dieses Vorhaben zu unterstützen. Ab 500.- € wird man Podestpate; ein ganzes Podest (es gibt acht) ist für 6.000 € auch für sich oder eine Interessensgruppe zu erwerben. Alle diese Unterstützer werden dann gut sichtbar namentlich verewigt – wenn sie es wollen.
Abgesprochenes Ziel mit der Stadtverwaltung ist es dann, den Turm ab dem 1. April 2019, Bismarcks 204tem Geburtstag, zu eröffnen. Wenn der Turm fertig ist, gilt es noch, einen weiteren Mehrwert zu schaffen: Mittels einer Computersimulation soll es dann möglich werden, sich zu den heutigen Sichtbeziehungen die Sichtbeziehungen zu bestimmten zurückliegenden Jahren anzusehen, z.B. Radebeul um 1900 oder um 1800. Wir erhoffen uns damit eine Dokumentation der Stadtentwicklung mit all ihren Vorzügen und Nachteilen. Dies wird aber nicht möglich sein ohne die Einbindung von Schulen und entsprechend heimatkundlich dort orientierten Projekten.
Bitte helfen Sie mit, werden Sie Stifter, recherchiert zur Geschichte!

Jens Baumann

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Kontakt: Dr. Jens Baumann, Hohe Straße 26b, kanu2@gmx.de oder 0162-4060444; Spendenkonto: Sparkasse Meißen, Empfänger: Spende Bismarckturm, IBAN: DE42 8505 5000 0500 1197 83

Voll der Osten

Leben in der DDR – Fotoausstellung von Harald Hauswald mit Texten von Stefan Wolle

Foto: M. Reißmann

Zwar ist zur Ausstellungseröffnung am 17. September schon in anderen Printmedien berichtet worden, trotzdem soll hier im Novemberheft ausdrücklich auf die noch bis 29. November 2018 zu sehende Fotoausstellung im Foyer der Landesbühnen erinnert werden.
Harald Hauswald ist 1954 in Radebeul geboren. Sein Vater hatte ein Fotoatelier, zuletzt in Coswig. So ist es nicht verwunderlich, dass Harald Hauswald zumindest Grundlagen der Fotografie zu Hause erlernte. Allerdings war ihm das Fotogeschäft auf Dauer zu langweilig. Er zog dann 1978 nach Berlin und begann als „Straßenfotograf“. Eine Auswahl seiner Arbeiten wurde jetzt für die Ausstellung verwendet.
Auf 20 Tafeln sind Fotos von ihm zu finden, die Szenen aus dem Alltagsleben von DDR-Bürgern wiedergeben, ohne Pathos, ohne negative Seiten hervorzuheben, einfach nur liebevoll und mit Respekt festgehaltene Momente.
Der Historiker Dr. Stefan Wolle ist 1950 in Halle/Saale geboren. Nach Abitur und Buchhändlerlehre studiert er in Berlin an der Humboldt-Universität Geschichte und Germanistik.und promoviert 1984 über die deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen
um 1800. Nach dem Mauerfall wird Stefan Wolle Sachverständiger für die Stasi-Akten am Runden Tisch.
Stefan Wolle ordnete die Fotos zur Ausstellung thematisch. Von A wie Abschied über H wie Heiterkeit, N wie Neugier bis Z wie Zärtlichkeit sind seine prägnanten Texte treffende
Kommentare zu den Fotos.
Überzeugen Sie sich selbst. Zu betrachten ist die Schau immer an Theaterabenden eine Stunde vor Beginn. Wenn Sie beides koppeln, haben Sie doppeltes Vergnügen.
Für im Bereich Bildung Tätige sei darauf hingewiesen, dass diese Ausstellung kostenlos bei der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen erhältlich ist.

Ilona Rau

Editorial 11-18

Ich weiß nicht, wie viele Ausstellungseröffnungen ich schon erlebt habe. Häufig sind die Eröffnungsreden und Laudationes in Musikstücke eingebettet. Oftmals sind es Freunde der ausstellenden Künstler oder der Organisatoren, die mit ihren musikalischen Auftritten die Eröffnungen abrunden oder auch nur füllen.
Zur Eröffnung der Ernst Barlach-Ausstellung „Der hat’s gekonnt“ im Käthe Kollwitz Haus in Moritzburg erlebten die Gäste eine Sternstunde. Der Pianist Michael Hein hatte nach Betrachten der grafischen Arbeiten von Ernst Barlach mit großartigem Gespür für die emotionale Wirkung der Bilder und Parallelen in der Musik Stücke von Claude Debussy ausgesucht. Schon das einleitende Prélude zog die Zuhörer in Verbindung mit den ausgestellten Werken ganz in den Bann. Das setzte sich mit den folgenden Stücken fort und weckte auch Assoziationen in Hinblick auf den bekannten schweren Weg des Menschen und Künstlers Barlach – wie auch von Käthe Kollwitz – in Zeiten des Nationalsozialismus. Schon ein Blick auf das Selbstporträt Barlachs, während die impressionistischen Klänge vom Klavier aus den Raum erfüllten, wühlte ungemein auf.
Das gesamte Eröffnungsprogramm wirkte so komplex und dicht, dass von einem denkwürdigen Vormittag im Käthe Kollwitz Haus gesprochen werden kann.
Eine sorgfältige Musikauswahl für die genannten Anlässe ist sicher nicht immer möglich,
lohnt sich jedoch sehr.
Mehr zur Ausstellung an anderer Stelle in diesem Heft.

Ilona Rau

Kommune, Kunst und Grafikmarkt

Zum 40. Geburtstag – Ideen statt Blumen

Zum 20., 25., 30., 35. und 40. Grafikmarkt – immer wieder das gleiche Ritual: Innehalten, reflektieren, fabulieren über das Woher und Wohin.

Die Anregung in Radebeul einen Grafikmarkt zu etablieren, stammte von Fritz Treu (1908 – 2009), dem damaligen Vorsitzenden der Pirckheimer-Gesellschaft. In der Kreissekretärin des Kulturbundes, Erika Claus (1928 – 2013), hatte er über viele Jahre eine aktive Verbündete gefunden. Nicht zuletzt waren natürlich auch die Künstler an einer Präsentations- und Verkaufsmöglichkeit sehr interessiert. Der erste Grafikmarkt startete am 20. und 21. Oktober 1979 im Festsaal des Radebeuler Rathauses, welchen die Stadtverwaltung kostenlos zur Verfügung gestellt hatte. Zu den 24 Künstlern, die sich an jenem Grafikmarkt beteiligten, gehörte die heute 92jährige Malerin und Grafikerin Lieselotte Finke-Poser. Sie kann sich noch gut daran erinnern, wie die Grafiken auf Holztischen lagen und an Wäscheleinen hingen, wie die Kunstfreunde, darunter viele fachkundige Sammler, bereits im Treppenhaus Schlange standen, um eine der heiß begehrten Originalgrafiken zu ergattern.

Festlicher Auftakt zum 30. Grafikmarkt 2008 vor dem Rathaus in Radebeul-Ost Foto: K. (Gerhardt) Baum

Wenngleich der Radebeuler Grafikmarkt der älteste sächsische Grafikmarkt in lückenloser Folge ist, bestand und besteht kein Grund, sich auf dieser Tatsache auszuruhen. So ist das Ringen um den künstlerischen Anspruch bis heute ein zäher Kampf geblieben. Aber auch gesellschaftliche, personelle und räumliche Veränderungen forderten die Organisatoren immer wieder aufs Neue heraus.

Als sich die Radebeuler Ortsgruppe des Kulturbundes 1990 auflöste, übernahm die Stadtgalerie – zugegebenermaßen recht zögerlich – im gleichen Jahr die Veranstaltungsorganisation. Das Kaufinteresse an Kunst tendierte in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs gegen Null. Aber ein Versuch konnte ja nicht schaden. Die Beharrlichkeit zahlte sich schließlich aus. So nach und nach kehrte die Kauffreude zurück. Bereits 1995 sinnierte der damalige Amtsleiter für Bildung und Kultur, Dr. Dieter Schubert (1940 – 2012), dass der Grafikmarkt wieder aus der Obhut der Stadtverwaltung in die Freiheit entlassen und an einen künftigen „Kunst- und Kulturverein“ übergeben werden könnte. Tatsächlich gründete sich 1996 der Radebeuler Kunstverein, welcher bis zu seiner Auflösung im Februar 2017 dem kleinen hauptamtlichen Organisationsteam der Stadtverwaltung – später auch im Verbund mit dem 1999 gegründeten Förderkreis der Stadtgalerie – zuverlässig zur Seite stand.

Reges Interesse zum 39. Grafikmarkt 2017 in der Elbsporthalle Radebeul-West Foto: K. (Gerhardt) Baum

Bedingt durch Umbaumaßnahmen im Rathaus und der gegenüberliegenden Schule, deren Räume ab 2001 für den expandierenden Grafikmarkt mit genutzt wurden, galt es ab 2015 eine dauerhafte und bezahlbare räumliche Alternative zu finden. Allen Bedenkenträgern zum Trotz stellte sich die Elbsporthalle in Radebeul-West als eine sehr gute Wahl heraus. Der neue Veranstaltungsort bietet 900 qm barrierefreie Ausstellungsfläche. Seitdem hat der Radebeuler Grafikmarkt vor allem an sozialer Qualität gewonnen. So ist es immer wieder sehr berührend zu erleben, wie junge Familien mit Kinderwagen und Menschen, die auf einen Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind, an diesem kulturellen Höhepunkt unserer Stadt teilhaben können. Die Raumsituation ermöglicht es, dass die Künstler ihren eigenen Stand betreuen. Fragen zu speziellen Drucktechniken, künstlerischen Intentionen oder neuen Ausstellungsprojekten finden auf direktem Wege eine fundierte Antwort.

Zum diesjährigen Jubiläumsgrafikmarkt haben über 100 Künstler ihre Teilnahme zugesagt. Sie kommen aus Radebeul, dem näheren Umland, aber auch aus ferner gelegenen Städten und freuen sich schon auf den Austausch mit ihrem Publikum sowie auf das Fachsimpeln im Kollegenkreis. Darüber hinaus werden Arbeiten aus den Nachlässen verstorbener Künstler angeboten. Erhältlich sind Druckgrafiken, Collagen, Zeichnungen, Aquarelle, Scherenschnitte, Fotografien, Plakate, Kalender, Künstlerbücher und Kunstpostkarten. Die Auswahl an Motiven, Techniken und Handschriften ist groß. Die Preise sind moderat. Gekauft wird, was gefällt. Nicht nur Sammler, vor allem auch Familien gehören zum festen Besucherstamm. Speziell für Kinder gibt es eine Mitmach-Kreativstation. Bei Schauvorführungen kann man erleben, wie eine Grafik entsteht oder Bilderrahmen vergoldet werden. Erstmals präsentiert sich zum Radebeuler Grafikmarkt eine Studentengruppe von der Dresdner Kunsthochschule. Ein wichtiger Kontakt, der auch künftig gepflegt werden soll. Aus dem spannenden Kontrast zwischen klassischen Drucktechniken und „Neuen Medien“ könnte sich ein weiterer konzeptioneller Ansatz ergeben.

Zahlreiche Service- und Informationsstände bereichern das Programmangebot des Grafikmarktes. Eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten aus vier Jahrzehnten erinnert an die bewegte Geschichte des Radebeuler Grafikmarktes sowie an verstorbene Künstler, die mit ihren Werken vertreten waren. Auf interessante Gespräche freuen sich auch die Redaktion des kulturellen Monatsheftes „Vorschau und Rückblick“ sowie der frisch gekürte Radebeuler Kunstpreisträger und Leiter des „NOTschriftenverlages“ Jens Kuhbandner. Das originell gestaltete Künstlercafé lädt zum Plaudern und Verweilen ein. Der Flyer mit einer Auflistung aller Grafikmarktteilnehmer ist in den Radebeuler Kultureinrichtungen, Buchhandlungen, der Touristinformation und dem Rathaus erhältlich sowie als Online-Version auf der städtischen Homepage.

Kunstproduktion und Kunstreflektion bedingen einander. Grafikmärkte befördern die Freude am aufgeschlossenen Disput und tragen zum Kennenlernen und Verstehen bei. Im heiter gelassenen Umgang mit Kunst, zeigt sich die Radebeuler Lebensart von ihrer besten Seite: Toleranz statt Ignoranz, Empathie statt Dauerfrust.

Damit die Standgebühr für alle Künstler erschwinglich bleibt, steuert die Radebeuler Stadtverwaltung alljährlich einen finanziellen Zuschuss bei. Die Mitarbeiter der Stadtgalerie werden unterstützt durch Kollegen aus anderen Ämtern, den Förderkreis der Stadtgalerie, zahlreiche ehrenamtliche Helfer und natürlich durch die Künstlerschaft. Alljährlich formieren sich die städtischen Hausmeister zur temporären Eingreiftruppe und meistern souverän das Umrüsten und die Grobmöbilierung der großen Veranstaltungshalle. Jeder Handgriff sitzt. Das Zusammenspiel funktioniert auf wunderbar anachronistische Weise. Dafür ein Dankeschön an alle, die dazu beitragen, dass am 4. November 2018 der 40. Radebeuler Grafikmarkt Genuss und kreative Anregung bietet. Den Künstlern ist zu wünschen, dass viele der hier gezeigten Werke beglückte Käufer finden mögen.

Karin (Gerhardt) Baum

Radebeul bei Tag – Radebeul bei Nacht

Spätsommerliche Gemeinschaftsausstellung in der Stadtgalerie

Thematische Gemeinschaftsausstellungen gehören seit jeher zum Programm der Stadtgalerie, bieten sie doch eine gute Möglichkeit für Künstler aus Radebeul und Umgebung, sich gemeinsam zu präsentieren und miteinander ins Gespräch zu kommen. Ein Blick zurück ist aufschlussreich.

Die „Kleine Galerie Radebeul“ startete vor über drei Jahrzehnten mit der Gemeinschaftsausstellung „Das alte und das neue Radebeul“ (1983). Später folgten Themen wie „35 Jahre DDR“ (1984) oder „Dresdner Künstler dem Frieden verpflichtet“ (1985). Ab 1987 wurden die Zügel dann etwas gelockert. Es gab erste Rauminstallationen und Performanceaktionen. Die „Jungen Wilden“ von damals gehören heute zur älteren Generation und sind nun auch schon um die 60 Jahre alt. Nach dem gesellschaftlichen Umbruch erfolgte die verstärkte Hinwendung zu stadtbezogenen Themen wie „Altkötzschenbroda im Abriss?“ (1990) oder „Hingerichtet ist der Blick auf die Jugend“ (1993) mit einem leicht provozierenden Unterton.

Die Wiedereröffnung der Stadtgalerie am neuen Standort in Altkötzschenbroda sollte natürlich mit einem Paukenschlag erfolgen. Die Vernissagen der Gemeinschaftsausstellungen wurden fortan mit zünftigen Künstlerfesten verbunden. Themen waren zum Beispiel „Radebeul – total global?“ (2002), „Konsuuum, Konsuuum“ (2005), „Heimat, die ich meine“ (2006), „ArbeitsWelten“ (2008), „Selbst/Fremd/WunschBILD – www radebeul.de“ (2010) oder „Radebeul (be)sitzen“ (2016).

Perfmormance zum Künstlerfest

Die diesjährige Gemeinschaftsausstellung wurde bereits mit Spannung erwartet und steht unter dem Motto „Radebeul bei Tag – Radebeul bei Nacht“. Wie immer ist die Thematik sehr vielschichtig und hintergründig angelegt und die Künstler haben dementsprechend reagiert. Die Galerieräume vom Untergeschoss übers Treppenhaus bis zum Obergeschoss sind gut gefüllt. Selbst im Hofbereich kann man an Birke und Nussbaum Kunst entdecken. Wer sich auf die Ausstellung einlassen will, braucht Zeit. Zu sehen sind Exponate von 57 Künstlern sowie ein Objekt von Schülern der Oberschule Radebeul-Mitte. Selbst Radebeuls „Schreibende Senioren“ haben sich damit beschäftigt und laden am 26. Oktober zur Lesung ein.

Was zunächst wie ein heiteres unverfängliches Sammelsurium wirkt, hat es wieder einmal ganz schön in sich. Der erste Eindruck ist trügerisch, so trügerisch wie unsere Radebeuler Hauptverkehrsachse zwischen Dresden und Coswig. So trügerisch wie die Sicht der Auswärtigen auf Radebeul, die sich in der Wahrnehmung häufig auf Wein, Karl May, Indianer, Millionäre, Wandertheater und Elbe beschränkt. Die „Kulissenschieber“ bedienen dieses Klischee und fordern süffisant „Durchdrehen erwünscht!“.

Sylvia Hensel, Gabriele Schindler »Kulissenschieber«, 2018, Installation (Detail)

Doch die Lößnitzstadt in ihrer Vielfalt, mit ihren Traditionen, Besonderheiten, mit ihrer Seele und dem feinen Sinn für Lebenskultur beginnt sich erst auf den zweiten Blick zu erschließen. Was verbirgt sich hinter den Fassaden? Welche Codes werden hier bedient? Wie ist man vernetzt? Wo brennt in der Stadt nachts noch Licht? Welche Farben hat die Stadt am Tag, welche in der Nacht?

Sehr nuanciert werden diese Fragen angeschnitten. Die Künstler zeigen Sehnsuchtsorte, den Blutmond, die Himmelsscheibe von Serkowitz, Blicke aus dem Atelier und immer wieder Gärten. Wie es zunächst scheint, schlafen die meiste Künstler von Radebeul in der Nacht tief und fest. Von Albträumen und finsteren Mächten keine Spur. Oder etwa doch?

Ach ja, die Friedensburg. Sie trohnt weithin sichtbar hoch über der Stadt. Ein Klappbild zeigt ihre helle und ihre dunkle Seite, flankiert von zwei Zitaten „Das öffentliche Wohl soll das oberste Gesetz sein“ und „Wo aber keine Gemeinschaft ist / da kann auch keine Freundschaft sein.“ Wer hat hier wann und warum versagt? Im Nachhinein ergeben diese Fragen keinen Sinn! Die Situation bleibt fatal sowohl bei Tag als auch in der Nacht.

Ralf Uhlig »Am Tage gießen – die Nacht genießen«, 2018, Installation

Versöhnlich stimmt, dass der „Himmel – offen für alles“ ist und dass es in Radebeul eine „Anlegestelle für Dampfer und Mond“ geben soll. Auch einen „Meditationsraum“ an einem der unwirtlichsten Orte von Radebeul (am verfallenden Bahnhofsgebäude in Radebeul-West) kann man entdecken, bei dessen Anblick jeder Radebeuler den Lärm der vermeintlich vorbeidonnernden Schwerlaster und Güterzüge zu hören glaubt. Wesentlich ungestörter erfolgt hingegen das „Nächtliche Zueinander unter Wasser“, welches eine andere Arbeit suggeriert. Ach, wäre doch alles so einfach!

Und so wandern die Künstler sinn-bildlich durch die Lößnitzstadt, welche jeder Einwohner genau zu kennen glaubt. Doch selbst die Alteingesessenen haben sich beim Rundgang durch die Stadtgalerie verwundert die Augen gerieben und dabei Erstaunliches entdecken können: Die Friedensburg – „verspielt“? Das Elbtal von Bacchus und Winnetou mit Rotwein geflutet? Pseudo meint dazu mit trockenem Humor: „Na dann, gute Nacht“. Doch der Nacht folgt ein heiterer Sommertag. Die Farben scheinen zu explodieren. Der Abend ist weich wie Seide und das mediterrane Flair der Lößnitzstadt lockt die Menschen aus ihrem Gehäuse.

Bilder sprechen für sich und miteinander. Die Blicke aus den Ateliers der Künstler können sehr verschieden sein. Während sich das warme Licht des Blutmondes über romantische Villen und Gärten in der Niederlößnitz ergießt, werden die Industrieanlagen in Radebeul-Ost von kaltem Licht erhellt.

Die Vertreter der älteren Generation überraschen immer wieder mit Malerei in hoher künstlerischer Qualität. Einige dieser Bilder erzählen alte Geschichten. So zeigt „Der vergessene Strauß auf dem Gartentisch“ eine Malve von erlesen schöner Farbigkeit in tiefdunkelrotbraunviolett. Deren Samen hatte einstmals das noch junge Künstlerpaar Ute und Werner Wittig vom Maler Paul Wilhelm geschenkt bekommen. Der Malvensamen wurde jährlich ausgesät, doch die Farben haben sich so nach und nach entmischt, wie auch die Erinnerungen verblassen. Nichts bleibt wie es ist.

Wolfgang Smy »Das Fest – die frohe Botschaft«, 2010, Mischtechnik

Es gibt keinen Stillstand, alles ist in ständiger Bewegung. Tag und Nacht wechseln in unendlicher Wiederholung. Die Übergänge, ob Morgengrauen oder Abenddämmerung, werden als individuelle Sequenzen wahrgenommen – sowohl vom Künstler als auch vom Besucher dieser Ausstellung.

Unbestritten ist die Radebeuler Kunstszene sehr lebendig und der werbende Slogan „Radebeul – eine Stadt zum Genießen“ wurde zum diesjährigen Künstlerfest sowohl lukullischen als auch kulturell bedient. Fünf musikerprobte „Spechte“ mit Flüstertüte, Saxophon, Schlagzeug, Tuba und Akkordeon versetzten das gemischte Publikum in eine sehr beschwingte Stimmung. Das SCHATTENMASKENMIMENMUSIK-Theater Anasages aus Chemnitz zelebrierte in einer Performance auf einfühlsame Weise den Kreislauf vom Werden und Vergehen sowie das ewig wiederkehrende Spiel zwischen zwei Menschen im Ringen um Nähe und Distanz. Wahrlich ein Genuss für alle Sinne! Wer nicht dabei war, hat etwas verpasst. Nicht verpassen sollte man allerdings diese Gemeinschaftsausstellung, welche noch bis zum 28. Oktober zu sehen ist.

Karin (Gerhardt) Baum

Fotos: Karin (Gerhardt) Baum

KÜNSTLER:
Dieter Beirich, Sophie Cau, Brian Curling, Friedrike Curling-Aust, Hanns Erlanger, Lieselotte Finke-Poser, Clara Freier, Thomas Gerlach, Karen Graf, Peter Graf, Roland Gräfe, Christine Grochau, Sylvia Hensel, Christiane Herrmann, Gunter Herrmann, Horst Hille, Michael Hofmann, Holger John, Matthias Kistmacher, Cornelia Konheiser, Karen Koschnick, Matthias Kratschmer, Ingo Kuczera, Dorothee Kuhbandner, Bärbel Kuntsche, Käthe Kuntze, Klaus Liebscher, Carl Lindeberg, Johanna Mittag, Peter PIT Müller, Tine Neubert, Gerd-Rüdiger Perschnik, Anne-K. Pinkert, Pseudo, Gabriele Reinemer, Markus Retzlaff,
Lutz Richter, Georg Richter-Lößnitz, Gerald Risch, Gabriele Schindler, Annerose Schulze, Fritz Peter Schulze,
Gerold Schwenke, Enrico Scotta, Gabriele Seitz, Karl Sinkwitz, Karola Smy, Wolfgang Smy, Ju Sobing, André Uhlig, Ralf Uhlig, Christian URI Weber, Irene Wieland, Renate Winkler, Ute Wittig, Tobias Wolf, Reinhard Zabka

Kynastweg 37 – ein übersehenes Winzerhaus?

Herr Georg Wulff hatte 2003 versucht, alle Radebeuler Winzerhäuser (immerhin hat er 34 gefunden) in einem Artikel für die Mappe „Beiträge zur Stadtkultur“ des Vereins Denkmalpflege und neues Bauen Radebeul e.V. zu erfassen und darzustellen. Sicherlich war das verdienstvoll, vielleicht liegt aber die Schwierigkeit bei der Definition und Abgrenzung, wo spricht man von Winzerhaus und wo nicht mehr. Hinzu kommt, dass der Begriff „Gut“ sowohl für Weingut als auch für Bauerngut verwendet wurde und wie später von mir dargestellt, hier beide Nutzungen nacheinander stattgefunden hatten. In einigen Fällen sind die Grenzen wohl auch durch An- und Umbauten fließend. Jedenfalls taucht in seiner Auflistung das „Gut Baurick“, lange Zeit Kynastweg 35, jetzt aber Kynastweg 37, nicht auf. Es gibt unter den Winzerhäusern viele, deren Eigennamen wie „Haus Breitig“, „Haus Lotter“ oder „Bischofspresse“ in Radebeul durchaus geläufig sind. Wenn ich aber meine Freunde und Bekannten nach „Gut Baurick“ fragte, bekam ich als Antwort nur ein Kopfschütteln. Dem will ich Abhilfe schaffen!

Ansicht von Westen, um 1912
Bild: Sammlung H. Sparbert

Der Lehrer und verdienstvolle Heimatforscher Curt Reuter (1893-1967) hatte mal ein paar Namen und Fakten zur Geschichte dieses Grundstücks in Zitzschewig unter Brandcataster-Nr. 92 notiert, die will ich verwenden und ein wenig ergänzen. Demnach wurden im 17. Jahrhundert an diesem Ort unter Mitwirkung von Magister Daniel Hänichen lediglich zwei oder drei Weinberge (Mörisch, Gänsekragen, Cunzen- oder Katzenberg) jedoch kein Gebäude ge- bzw. verkauft. Diese Weinberge lassen sich heute kaum noch exakt zuordnen, bis auf den Gänsekragen, der mit dem Flurstück 362, Gem. Zitzschewig identisch sein dürfte, auf dem auch das Winzerhaus liegt.

Ölbild »Westansicht Gut Baurick« von Alfred Richter, 1958
Bild: Privat

Erst 1706 kauft lt. Kaufvertrag Hans Wolf von Schönberg zwei Weinberge mit Haus (bez. als Winzerhaus, Stall u. Presse). Demzufolge wird das Haus zwischen 1656 und 1706 errichtet worden sein, auf jeden Fall also nach dem Dreißigjährigen Krieg. 1736 verkauft Landkammerrat von Schönberg zwei Weinberge, ein Winzerhaus und ein Haus mit Presse an Kreisamtmann Johann Friedrich Fleuter. Im folgenden Verkauf 1778 an Johann August Stöckhardt werden ein Winzerhaus und vier Weinberge (Mierisch, Gänsekragen, Katzenberg und Dreizippler) aufgeführt – d.h., im Laufe der Geschichte des Winzerhauses werden unterschiedlich viele Weinberge mit z.T. unterschiedlicher Schreibweise (hier halte ich mich an Reuter) erwähnt. Dafür gibt es auch in Nieder- und Oberlößnitz verschiedene Vergleichsfälle.

Ansicht von Norden, 2018
Foto: D. Lohse

Zum alten Winzerhaus mit Durchfahrt kamen im Laufe des 18. Jh. weitere Gebäude hinzu, bzw. wurden umgebaut, so der ebenfalls unterkellerte zweigeschossige Westflügel und ein Wirtschaftsgebäude auf der Ostseite (könnte mit o.g. Stall identisch sein) und ein Gebäude mit der Weinpresse (hier wird der nördliche, derzeit ruinöse Anbau gemeint sein, der einst auch ein Satteldach trug), so dass ein u-förmiger, nach Süden offener Gebäudekomplex entstand, wie er auf dem Freiberger Meilenblatt von 1801 zu erkennen ist. Die bauliche Entwicklung lässt den Schluss zu, dass der Weinbau um diese Zeit wohl recht ertragreich gewesen war. Apropos Durchfahrt, das ist ein Detail, was ich so an keinem anderen Winzerhaus gesehen habe, also etwas Einmaliges. Hier dürfte es der Enge geschuldet sein, die wir heute noch am Kynastweg spürbar erleben können. Wenn wir das Fachwerkgefüge vom Hof aus betrachten, könnte man vermuten, dass es sich bei der Durchfahrt einschließlich des Raumes darüber um einen frühen Anbau vor 1854 an das Kerngebäude handeln könnte. Hierzu wären genauere Untersuchungen erforderlich. Eine Weinpresse existiert leider nicht mehr und auch zum früheren Standort derselben können heute nur Vermutungen angestellt werden.

Dann taucht 1836 mit Johann Gottlob Baurick in Reuters Eigentümerauflistung erstmals dieser Familienname auf. Der Besitz bleibt über 100 Jahre in der gleichen Familie, was der Grund ist, dass man in Zitzschewig lange Zeit vom „Gut Baurick“ sprach. Sein Besitz wird 1853 mit einem Winzerhaus mit Durchfahrt und Keller, einer angebauten Weinpresskammer und zwei Weinbergen beschrieben. Ab 1854 besitzt das Anwesen Carl Gottlob Baurick (wohl der Sohn des o.g.), der 1884 eine Scheune südlich errichten lässt und so ein Vierseithof entsteht. Daran erkennen wir, dass zu dem Zeitpunkt (zugleich Beginn des Reblausbefalls in der Lößnitz) der Weinbau hier zumindest rückläufig war und der Betrieb sich dem Gartenbau bzw. der Landwirtschaft zuwendete – ein Winzer braucht normalerweise keine Scheune.

Im gerodeten Weinberg dürften nun Bäume (Pfirsich, Pflaume oder Birne) gepflanzt und Obst und Gemüse (Erdbeere u. Spargel) angebaut worden sein. Auf einem Foto von Helmuth Sparbert (1893-1971) von 1912 erkennen wir jedenfalls Spargelzeilen. Im östlichen eingeschossigen Seitengebäude, das früher ein Satteldach hatte, könnten zeitweise auch etwa zwei Kühe, drei Schweine und Hühner gehalten worden sein. Ein weiterer Baurick, nämlich August Baurick, taucht 1897 erstmals auf und firmiert 1931 als Gartenbaubetrieb (Kynastweg 23). 1940 wird er im Adressbuch noch als Eigentümer von „Gut Baurick“ genannt, jedoch wohnhaft in Chemnitz. Hier wohnt zu dem Zeitpunkt im EG des Gutes noch die Tochter Antonie Baurick. Nach 1945 ist zunächst das Gebäude durch Flüchtlinge überbelegt und die Gärtnerei liegt brach. Dann herrscht hier Leerstand und Verfall, so dass Zitzschewiger Bewohner nicht mehr vom „Gut Baurick“ sondern sarkastisch von der „Rattenburg“ sprechen.

Ab Mitte der 20er Jahre des 20. Jh. wird eine Parzellierung des Grundstücks vorgenommen und erste kleinere Wohnhäuser entstehen (ein Indiz, dass auch der Gartenbau wenig Erfolg hatte), weitere solche dann in der DDR-Zeit und schließlich auch Neubauten ab 1990. Die Adressen Kynastweg 21, 23a, 25, 25a, 27, 29 u. 33 sowie Hausbergweg 35a, 37, 43, 45 u. 47 befinden sich auf dem ehemaligen Weinberg des „Gut Baurick“. Dadurch wurde die ehemals freie Lage des Winzerhauses in der Landschaft beeinträchtigt, muss aber letzten Endes durch den Wegfall des Weinanbaus so hingenommen werden. Etwas anders ist der Umbau der Scheune zu einem einfachen Wohnhaus in den 60er Jahren zu betrachten, hier wurde nach Teilung und Verkauf die Adresse Kynastweg 35 vergeben – das Winzerhaus (vormals Nr. 35) erhielt nun die Adresse Kynastweg 37. Der erste Umbau der Scheune genügte dann den heutigen Wohnanforderungen wohl nicht mehr, denn nach 1990 wurde nochmals umgebaut, jetzt kann man von einem Neubau anstelle der Scheune sprechen.

Ein erster Versuch um 2000 durch ein Künstlerpaar, das Winzerhaus wieder bewohnbar zu machen, führte leider nicht zum Ziel. Aber sie hatten die Durchfahrt zugemauert, dieser Fehler musste später korrigiert werden. Die neue Eigentümerin, Frau Dr. Evelyn Hoffmann, eine Urradebeulerin mit beruflichem Ausflug über Leipzig und nun wieder Radebeulerin, begann dann 2014 mit der Planung einer eigenen Wohnung und hatte mehr Glück. Die Firmen Graetz (Zimmermannsarbeiten), Zscherpe (Dachdecken) und Bialek (Baugewerke) – alle drei keine Neulinge in Sachen Denkmalpflege – verhalfen dem Gut wieder zu einer guten Bewohnbarkeit und erfüllten denkmalpflegerische Auflagen und nun ist es am Ausgang des Rietzschkegrundes für Vorbeikommende wieder ein „Hingucker“ geworden!

Schade, dass die Pappeln auf der Westseite entfernt werden mussten. Sie waren, wie wir auf alten Fotos erkennen eine Landmarke, die mit den Pappeln vom „Paulsberg“ korrespondierte.

Auch wenn noch Restarbeiten am nördlichen Anbau und Tor folgen, auch Hof und Garten fertig gestellt werden müssen, erkennen wir schon, dass sich hier eine interessante Gebäudegruppe zwischen Haus Kynast und dem Paulsberg abzeichnet, an der man lange achtlos vorbeigefahren war. Das höchste Gebäude ist das unterkellerte Winzerhaus mit massivem Erdgeschoss, auf der Hofseite sichtbarem Fachwerk im Obergeschoss und mit Biberschwanzziegeln gedecktem Walmdach einschließlich Fledermausgauben. Der etwas jüngere westliche Teil mit Krüppelwalm am Südende des Daches wurde weitestgehend gleich behandelt. Das ehemalige Stallgebäude ist mit einem Pultdach versehen und damit kann hier auf das Satteldach (historischer Zustand) verzichtet werden. Die farbliche Behandlung der Putzflächen mit Hellocker, des Fachwerks Dunkelbraun, der Holzfenster Blaugrau und dem Rotton der Dachziegel geht zum großen Teil auf Befunde zurück – der Gesamteindruck ist sehr ansprechend. Danken möchte ich Frau Hoffmann auch bei der Unterstützung meiner Recherche und wünsche ihr eine schöne Zeit im „Gut Baurick“ in Zitzschewig. Vielleicht könnten Fensterklappläden mit Kleeblattlöchern, da wo früher solche waren, später noch nachgerüstet werden.

Der Nachweis, dass es sich beim „Gut Baurick“ hauptsächlich um ein ehemaliges Winzerhaus handelt, dürfte damit erbracht worden sein.

Dietrich Lohse

Bildunterschriften:

1. Ansicht von Westen um 1912 (Sammlung H. Sparbert)

2. Ölbild „Westansicht Gut Baurick“ von Alfred Richter, 1958

3. Aktuelles Foto von Norden (D. Lohse)

Wer erinnert sich noch?

Wie sich das Radebeuler Stadtbild verändert

Es ging recht schnell mit dem Abriss des imposanten Bürogebäudes des ehemaligen Glasinvest in Radebeul-Ost, Meißner Straße Ecke Hauptstraße. Zum Jahresende 2016 war es geschehen. Zügig sollte 2017 die Neubebauung des Geländes beginnen. Projekte dazu wurden in den zurückliegenden Jahren in regelmäßigen Abständen veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Ein prägender Abschluss des oberen Teils der Hauptstraße sollte und soll es werden mit Wohn- und Geschäftshäusern, zentralem Platz und Tiefgarage. Doch von all dem ist bisher nichts zu bemerken. Im Gegenteil, zunächst wird die Baufläche als Zwischenlager für den Erdaushub eines anderen Bauvorhabens genutzt. Eher oder später wird sicher ein neues Projekt seine allseitige Vollendung finden. Interessant ist in diesem Zusammenhang jedoch die Frage: Wie sah es wohl früher, vor dem Neubau von Glasinvest an dieser Stelle aus?

Blick vom Biergarten »Vier Jahreszeiten« auf das Hauptgebäude
Foto: R. Ziel

Sehen wir zunächst etwa 45 Jahre Jahre zurück. Damals befand sich auf einem Großteil dieser Fläche eine Bauernwirtschaft, älteren Radebeulern noch als Bauer Haase bekannt. Dieses Anwesen musste Mitte der 70iger Jahre dem Bauvorhaben des VEB Glasinvest Radebeul weichen, einem Betrieb, der seit etwa 1954 seinen Stammsitz in Radebeul-Mitte auf der Schuchstraße Nr. 4 hatte. Glasinvest war das zentrale Projektierungsbüro für die gesamte Glasindustrie der DDR. In dieser exponierten Stellung wuchsen schnell die Aufgaben und die Belegschaft, so dass schon bald Pläne für eine bauliche Erweiterung reiften. 1974 nahmen sie konkrete Gestalt an, in deren Folge auch bald der Abriss des Bauerngehöfts begann. 1978 war offizieller Baubeginn, und bereits 1980 konnte die Belegschaft in ein imposantes Bürogebäude einziehen. Nach 1989 und der folgenden Betriebsauflösung fand das Objekt das zeitweilige Interesse anderer Mieter, erlitt aber mit zunehmendem Leerstand seinen baulichen Verfall, und das Gelände verwahrloste. Daher begrüßten nicht wenige den Rückbau des Gebäudes, zumal dieses 7-stöckige Hochhaus schon von Anbeginn nicht so recht in das Radebeuler Stadtbild passen wollte.

Grundstücksansicht in Fahrtrichtung Radebeul-West
Foto: R. Ziel

Doch zurück in die Jahre vor 1974. Geschichtlich gesehen war das Gehöft Haase ein Rudiment aus der Zeit, wo die Oberlößnitz noch einen ländlichen Charakter hatte. Und in dieser Art betrieben die Eigentümer ihre Bauernwirtschaft bis zuletzt. Als Eckgrundstück zwischen der damaligen Ernst-Thälmann-Straße (jetzt Hauptstr.) und der Wilhelm-Pieck-Straße (jetzt Meißner Str.) lag dieses Objekt jedoch an einer exponierten Stelle. Eine bildliche Vorstellung zu der damaligen Situation und dem Standort geben die Fotoaufnahmen. Die große Torausfahrt aus dem Grundstück führte direkt auf die Meißner Straße und damit Hauptverkehrsstraße! Der vorbeiführende Fußweg hatte bis zur Wand des Hauptgebäudes eine Breite von 30 cm. Weitere ca. 80 cm von der Fußwegkante lagen bereits die Schienen der Straßenbahn. Diese Grenzlage war verkehrstechnisch gesehen ein nicht haltbarer Zustand. So gestaltete sich schon damals dieser Straßenabschnitt zu einem Nadelöhr für den Auto- und Straßenbahnverkehr. Und erst recht für die Fußgänger, sofern sie überhaupt die Passage an dieser Stelle wagten. Mit dem Baugeschehen der damaligen Zeit ergab sich nun die Möglichkeit, die Straße so zu begradigen und zu erweitern, wie sie heute vorhanden ist.

Das Hauptgebäude Haase aus Blickrichtung E.-Thälmann-Str.
Foto: R. Ziel

Jetzt liegt es in den Händen aller Verantwortlichen und Investoren, für diesen zentralen Punkt im Osten Radebeuls ein städtebauliches Projekt zu realisieren, das in der Zukunft sowohl in Funktion als auch im Bild bestmöglich dem Flair unserer Stadt entspricht. Diese Aufgabe ist eine Herausforderung, aber auch eine einmalige Chance!

Richard Ziel

Bilder: Richard Ziel

Bildbeschreibung: Bild 1: Benannte Straßenecke in Fahrtrichtung Dresden
Bild 2: Blick vom Biergarten „Vier Jahreszeiten“ auf das Hauptgebäude
Bild 3: Das Hauptgebäude Haase aus Blickrichtung E.-Thälmann-Str.
Bild 4: Grundstücksansicht in Fahrtrichtung Radebeul-West

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